2.34.1 (wir1p): Oberschlesien

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Oberschlesien

Reichsminister Dr. Rosen berichtet, er sei noch gestern abend in der Angelegenheit der neuesten Räumungsvorschläge der I. A. K.2 bei dem hiesigen[81] englischen und französischen Botschafter gewesen, um dafür zu sorgen, daß keine voreiligen Maßnahmen getroffen würden, da sich die Regierung noch um einen Ausweg bemühe. Auch habe er um schriftliche Bestätigung des mündlich Übermittelten gebeten. Diese habe er heute sowohl vom englischen wie französischen Botschafter erhalten.

2

Seit dem 14.6.1921 hatte die IAK immer wieder gegenüber dem Selbstschutz (General Hoefer) und dem Zwölferausschuß die Forderung erhoben, der Selbstschutz solle als Antwort auf einen zonenweisen Rückzug der Insurgenten aus dem oberschlesischen Gebiet die von ihm besetzten Gebiete ebenfalls zonenweise räumen. In mehreren Besprechungen zwischen General Henneker und General Hoefer hatte sich letzterer gegen diese Gleichstellung von Insurgenten und Selbstschutz gewandt und schließlich in einer Unterredung mit Henneker am 18. 6. als Kompromiß angeboten, den Selbstschutz nach dem abgeschlossenen Rückzug der Insurgenten auf die vorgesehenen Linien in einem einzigen größeren Rückzug in der Nordost und der Südwestecke des Abstimmungsgebietes zu konzentrieren; nach der Befriedung des Landes durch die IAK werde er ohnehin aufgelöst. Die Durchführung dieses im wesentlichen von Henneker akzeptierten Vorschlags verzögerte sich, da die IAK wegen geringfügiger Modifizierung an der Rückzugslinie der Insurgenten die Zustimmung Korfantys einholen wollte, der sich einer Begegnung mit den Vertretern der IAK offenbar zunächst entzog (s. Hoefer, Oberschlesien, S. 281 ff. und Dokumentenanhang S. 318 ff.).

Reichsminister Dr. Rosen verliest darauf die beiden Erklärungen3 und bemerkt, daß der Führer der Insurgenten dem Plan der I. A. K. zugestimmt habe. Auf Befragen des Reichskanzlers äußert er sich dahin, es sei ihm zweifelhaft, ob ganz Oberschlesien geräumt werden solle oder ob es sich nur um eine Wiederaufnahme des alten Planes der Schaffung einer neutralen Zone handle. Er neige der ersteren Ansicht zu, schlage aber vor, daß die Kommission der Abgeordneten, die heute abend nach Oberschlesien führe, eine Klärung dieser Frage bei Hoefer herbeiführen sollte.

3

In R 43 I nicht ermittelt.

Er hielte es für unzweckmäßig, daß die Kommission auch Le Rond aufsuche. Dem französischen Botschafter gegenüber habe er dieses ausdrücklich abgelehnt. Um jedes Zusammentreffen mit Le Rond zu vermeiden, schlage er als Treffpunkt der Kommission mit Hoefer und dem 12er-Ausschuß Oberglogau und nicht, wie vorgesehen, Oppeln vor. Während die Kommission von Hoefer und dem 12er-Ausschuß Aufklärung zu erlangen suche, wolle er seinerseits sich in Berlin mit den fremden Botschaftern diesetwegen in Verbindung setzen.

Mit der Wahl von Oberglogau statt Oppeln war das Kabinett einverstanden. Auch stimmte er dem Vorschlag des Reichsministers Schiffer zu, daß außer den Abgeordneten Köster, Pohlmann und Schulze auch noch Abgeordneter von Rheinbaben als Kommissionsmitglied zu den Verhandlungen mit Hoefer und dem 12er-Ausschuß nach Oberschlesien fahren solle, vorausgesetzt, daß Abgeordneter von Rheinbaben nicht als Abgeordneter der Deutschen Volkspartei zur Teilnahme aufgefordert werde, sondern nur wegen des persönlichen Einflusses, den er in Oberschlesien besäße.

Reichsminister Schiffer war dafür, dem Räumungsvorschlag der Entente zuzustimmen, regte jedoch an, den Gedanken der baldigen Gesamtentscheidung wegen Oberschlesien bei den Verhandlungen mit der Entente in die Debatte zu bringen4. Eine schnelle Entscheidung sei unbedingt nötig, sonst ginge uns Oberschlesien verloren. Von einer führenden deutschen Persönlichkeit im Kreise Rybnik habe er vor einigen Tagen gehört, daß die Deutschen dort am meisten unter der Tyrannei der deutschen Banden unter ihrem Führer Redakteur Trunk, der der Oberschlesischen Volkspartei angehöre, litten. Wenn dem Treiben dieser Banden nicht bald Einhalt geboten würde, so würden auch die Deutschen den Einmarsch der Polen in Rybnik begrüßen, da das Bedürfnis nach[82] Ruhe und Ordnung, wie sie der Einmarsch der Polen gewährleisten würde, außerordentlich groß sei.

4

Ein Zusatz „ohne dabei die Zusage einer baldigen Entscheidung zur Bedingung zu machen“ ist an dieser Stelle gestrichen worden.

Wir könnten zwar nicht so weit gehen, die schleunige Herbeiführung einer Entscheidung über Oberschlesien zur Bedingung unseres Einverständnisses mit dem Räumungsplan zu machen, doch müßten wir gegenüber der Forderung der Entente nachdrücklichst darauf hinweisen, daß die Anordnungen der I. A. K. nur dann einen Zweck hätten, wenn die Gesamtentscheidung möglichst bald fiele. Des weitern müßten nicht nur die Insurgentenbanden verschwinden, sondern auch die polnische Verwaltung; andernfalls hätte Korfanty seinen Zweck erreicht.

Reichsminister Dr. Geßler spricht sich ebenfalls für Annahme der Vorschläge der I. A. K. aus, weil keine andere Möglichkeit gegeben wäre. Er regt aber an, von der I. A. K. darüber Aufschluß zu verlangen, ob sie nach Rückführung der deutschen Truppen auch ernstlich gewillt sei, eventuellen Widerstand der Polen mit Gewalt zu brechen. Klarheit in dieser Beziehung sei für uns von großer Bedeutung, weil ein Zurückziehen des deutschen Selbstschutzes einer allmählichen Auflösung gleichkomme. Denn da der Selbstschutz aus Oberschlesiern bestünde, würden diese nicht gewillt sein, über die Grenze Oberschlesiens zurückzuweichen. Sie würden vielmehr vorher ihre Waffen niederlegen, um sich nach Hause zu begeben. Dann sei es aber technisch nicht mehr möglich, bei Nichtbeachtung der Abmachungen durch die Polen von dem Rechte Gebrauch zu machen, das aufgegebene Gebiet wieder zu besetzen.

Diesen Ausführungen schließt sich auch Reichsminister Dr. Rathenau an. Er ist für annahme des Ultimatums, wie ungünstig auch die Auskunft lauten werde, die die Abgeordnetenkommission in Oberschlesien erhalte. Er schlägt vor, in einer Note in bestimmtester Form zum Ausdruck zu bringen, daß wir Klarheit über die erwähnten drei Fragen erwarteten. Gleichzeitig müßten wir darauf hinweisen, daß wir trotz der Unklarheit über diese für uns so bedeutenden Fragen doch einen Druck auf Hoefer und den 12er-Ausschuß ausgeübt hätten, um dadurch zu zeigen, daß wir den besten Willen an der Herbeiführung geordneter Verhältnisse in Oberschlesien hätten. Dadurch würden wir eine gute moralische Position schaffen, die die Entente nicht unbeachtet lassen könnte.

Nach längerer Aussprache über die Form des Vorgehens beschloß das Kabinett: Die Kommission solle versuchen, von General Hoefer und dem 12er-Ausschuß Aufklärung über die noch strittigen Punkte zu erlangen. Wenn sie keine unvorhergesehenen Mitteilungen erhält, soll sie bei General Hoefer und dem 12er-Ausschuß dahin wirken, daß diese dem Vorschlage der I. A. K. zustimmen5.

5

Am 25.6.21 meldet der „Vorwärts“ unter der Überschrift: „Die Räumung in Oberschlesien“: „Die Entscheidung über die Räumung ist gefallen. Die Antwort der IAK auf den deutschen Räumungsvorschlag ist bei General Hoefer eingetroffen. Sie stimmt dem deutschen Vorschlag zu. Danach wird die Räumung der ersten Zone am 28. Juni beginnen, einschließlich Gleiwitz. Vom 30. Juni bis 2. Juli wird der deutsche Selbstschutz die zweite Zone räumen bis auf einige Orte, die von ihm besetzt bleiben. Am 3. Juli wird die dritte Zone geräumt. Bis zum 5. Juli hat der Rückzug beider Parteien über die oberschlesische Landesgrenze zu erfolgen.“ (Vorwärts Nr. 296). Im einzelnen siehe Hoefer, Oberschlesien, S. 295 ff.

Danach soll Reichsminister Dr. Rosen in einer geeignet erscheinenden Form bei der Entente Vorstellungen erheben, in denen auf unsern guten Willen hingewiesen[83] und die Erwartung zum Ausdruck gebracht wird, daß nunmehr auch eine baldige Entscheidung über Oberschlesien getroffen wird und in Oberschlesien selbst durch die I. A. K. für geordnete Verhältnisse in der vorher besprochenen Beziehung gesorgt werde.

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