2.38.1 (wir1p): Besitzsteuerprobleme.

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Besitzsteuerprobleme.

Der Reichskanzler weist auf die weittragende sachliche und politische Bedeutung der Besitzsteuerfrage hin. Das Problem der Erfassung des Besitzes müsse in irgendeiner Form gelöst werden. Im Reichsfinanzministerium habe man zunächst die bekannte Anregung des Reichswirtschaftsministers erwogen2, sei aber zu dem Ergebnis gekommen, daß die zur Durchführung dieser Pläne nötigen Kräfte im Reichstag nicht zu finden seien.

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Denkschrift des Reichswirtschaftsministeriums zur Erfüllung des Londoner Zahlungsplanes, siehe Dok. Nr. 6.

Das Reichsfinanzministerium habe ferner geprüft, ob eine steuerliche Erfassung des Besitzes neben dem Reichsnotopfer3 möglich sei. Er, der Kanzler, habe ursprünglich beabsichtigt, das Reichsnotopfer über Bord zu werfen. Hiervor sei er jedoch von den verschiedensten Seiten, insbesondere sozialdemokratischer, stark gewarnt worden. Wenn es möglich gewesen wäre, das Reichsnotopfer fallen zu lassen, so hätte er den Plan einer Reichsvermögenssteuer mit besonderer Erfassung der Goldwerte verfolgt, obwohl er sich klar gewesen sei, daß die Ausgestaltung dieser Steuer besonders schwierig sei. Nachdem er sich jedoch von der Berechtigung der Warnung gegen ein völliges Fallenlassen des Reichsnotopfers überzeugt habe, sei er zu dem Entschluß gelangt, daß ein Ausbau des Reichsnotopfers in der gedachten Richtung vorgenommen werden müsse. Unvermeidbar sei, daß hierbei einige Grundlagen des Reichsnotopfergesetzes erschüttert würden, insbesondere müsse der Stichtag vom 31.12.19194 fallen. Ferner müßten die Vermögenswerte nach dem gemeinen Wert erfaßt werden, und zwar in fortlaufender Veranlagung, etwa alle zwei bis drei Jahre. Das Reichsnotopfer müsse weiter auf etwa 10 Jahre komprimiert, endlich müßten Zuschläge für Goldwerte eingebaut werden.

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Das „Gesetz über das Reichsnotopfer“, am 31.12.1919 verkündet (RGBl 1919, II, S. 2189 ; Novelle RGBl 1920, II, S. 2114 ), führte eine Vermögenssteuer für jeglichen Besitz ein; für die Festsetzung des Vermögenswertes war der 31.12.1919 als Stichtag maßgebend (§ 22).

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Stichtag zur Festsetzung des steuerpflichtigen Vermögenswertes.

Ziel und Richtung der Politik müsse also solch Umbau des Reichsnotopfergesetzes sein, wobei dann von einer anderen Belastung der Goldwerte abzusehen sei. Eine grundsätzliche Entscheidung des Kabinetts müsse in kürzester Frist erfolgen, da er, der Kanzler, alsbald eine programmatische Erklärung über die Steuerpläne der Reichsregierung abgeben müsse5. Die Regierungspartner[89] müßten alsdann die Zusicherung geben, daß sie in der gedachten Richtung mitarbeiten wollten. Eine Kommission des Reichstags müßte spätestens Anfang August an die Arbeit gehen, der Reichstag müsse zustimmen, daß diese Kommission auch die Gesetzentwürfe prüfe, die vorher noch nicht an das Plenum gelangt seien.

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Bei der zweiten Lesung über das „Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Reichsnotopfer und die Kriegsabgabe vom Vermögenszuwachse“ am 24.6.21 hatte Wirth das Wort ergriffen (RT Bd. 350, S. 4135 ). Um eine programmatische Erklärung der Steuerpläne handelt es sich dabei nicht, diese gab Wirth offenbar erst am 6.7.1921 ab (RT Bd. 350, S. 4467 ).

Reichswirtschaftsminister Schmidt erklärt, daß er seine alten Pläne auf Erfassung der Goldwerte primär aufrecht erhalte. Wenn jedoch ein anderer möglicher Weg der Erfassung des Goldwertes gezeigt werde, so sei er evtl. bereit, auch diesen zu beschreiten.

Reichsminister Dr. Gradnauer: Was die einzuschlagende Taktik anbelange, so sei er im wesentlichen mit den Ausführungen des Kanzlers einverstanden. Aber er möchte den Gedanken noch dahin erweitern, daß im Reichsfinanzministerium neben den dortigen Projekten auch die Vorschläge des Reichswirtschaftsministers Schmidt eingehend geprüft und die Ergebnisse beider Projekte, insbesondere die voraussichtlichen finanziellen Erträgnisse gegenübergestellt würden. Er würde es für wünschenswert halten, daß der Kanzler dies in seiner programmatischen Erklärung hervorhebe.

Reichsminister Dr. Rathenau: Er halte es für außerordentlich schwierig, schon in der nächsten Woche eine programmatische Erklärung abzugeben. Ob dies unbedingt nötig sei, müsse geprüft werden. Ergebe sich die Notwendigkeit, so empfehle er, die programmatische Erklärung nicht durch das Gesamtkabinett, sondern durch einen Ausschuß, vielleicht den Wirtschafts-Ausschuß, feststellen zu lassen.

Das Grundproblem der ganzen Frage sei die Verteilung der aufzubringenden Beträge auf Besitz und Verbrauch. Hierbei sei unzweifelhaft, daß der Verbrauch rein zahlenmäßig sehr viel mehr werde tragen können, als der Besitz, d. h. die Substanz. Wie könne nun die Besitzerfassung erfolgen?

Die Verwertung der Substanz des Besitzes durch Verkauf oder auch nur durch Verpfändung beraube uns der wirtschaftlichen Freiheit. Dieser Weg dürfe also nur beschritten werden, wenn sich absolut kein anderer fände. Seines Erachtens müsse alles versucht werden, die Goldwerte durch Besteuerung zu erfassen, und nicht durch Abschneidung von der Substanz.

Die Richtlinien eines Umbaues des Reichsnotopfers müßten dahin gehen, daß 1. auch die nach dem Stichtag erzielten Gewinne und 2. die Goldwerte erfaßt würden. Dies letztere denke er sich vorläufig als eine laufende Last mit Tilgungsmöglichkeit. Auch diese Frage könne nicht vom Gesamtkabinett, sondern nur durch den Wirtschaftsausschuß, oder noch besser gemeinsam durch das Reichsfinanzministerium und das Reichswirtschaftsministerium angefaßt werden.

Der Reichskanzler Gewiß sei es an sich erwünscht, die programmatische Erklärung erst zu einem späteren Zeitpunkt abzugeben. Dies sei aber deshalb nicht möglich, weil die einzelnen Gesetzentwürfe alsbald von der Reichstags-Kommission praktisch bearbeitet werden müßten. Dazu verlangten aber die Parteien eine Erklärung über den großen Rahmen der Steuerpläne.

Reichsminister Schiffer teilt die Ansicht des Reichsministers Dr. Gradnauer, daß auch die Vorschläge des Reichswirtschaftsministers vom Reichsfinanzministerium[90] genau zu prüfen seien. Er bittet, daß allen Ministern die Grundgedanken der schwebenden Probleme schriftlich mitgeteilt würden, da man sonst nicht urteilen könne.

Reichsschatzminister Bauer: Eine sofortige programmatische Erklärung halte auch er für notwendig. Sie brauche aber seines Erachtens keine Einzelheiten zu bringen, könne sich vielmehr auf die Erklärung beschränken, daß der Besitz scharf herangezogen werde.

Reichsminister Dr. Geßler regt an, ob nicht die jetzt vom Reich an die Länder abgeführten Gelder der Reichskasse verbleiben und dafür den Ländern und Gemeinden die Besitzsteuer mit Erfassung der Goldwerte überlassen werden könnte.

Der Reichskanzler erklärt dies für unmöglich.

Staatssekretär Zapf: Zur Erfassung des Besitzes sei vom steuertechnischen Standpunkte aus eine laufende Vermögenssteuer an sich der beste Weg. Eine solche müsse aber aus dem Einkommen bestritten werden können, was nach Ansicht des Reichsfinanzministeriums wegen der überaus hohen Sätze der Einkommensteuer nicht möglich sei. Deshalb sei das Reichsfinanzministerium zu dem Gedanken gekommen, das Reichsnotopfer auszubauen. Hierbei würden die Goldwerte voll erfaßt, da der gemeine Wert besteuert werde.

Das Kabinett beschließt, das Reichsfinanzministerium soll bis Montag, den 27. Juni eine schriftliche Skizzierung seiner Besitzsteuerpläne allen Ressorts zuleiten, das Reichswirtschaftsministerium desgleichen eine Skizzierung seiner Gedanken über die Erfassung der Goldwerte6. Demnächst wird ein Ausschuß des Kabinetts sich mit dem Besitzsteuerproblem befassen.

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Beide Ausarbeitungen in R 43 I /20 , Bl. 343-362.

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