2.66.3 (wir1p): 3. Fortsetzung der Beratung des Entwurfs einer Abänderung zum Körperschaftssteuergesetz.

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3. Fortsetzung der Beratung des Entwurfs einer Abänderung zum Körperschaftssteuergesetz.

Auf Anfrage des Reichskanzler erklärte Staatssekretär Dr. Hirsch, daß er das Beteiligungsproblem und insbesondere die Bewertung der Genußscheine2 auch mit zwei Banksachverständigen besprochen hätte, die das Projekt günstig beurteilt hätten. Über die weitere Beteiligungsfrage hinsichtlich des landwirtschaftlichen und des städtischen Grundbesitzes läge ein vollständig ausgearbeitetes Projekt noch nicht vor. Bezüglich des städtischen Hausbesitzes wären jedoch die Vorarbeiten schon ziemlich weit gediehen. Staatssekretär Zapf erhob die bereits früher geäußerten Bedenken wegen der Bewertung. Der Reichskanzler gab der Auffassung Ausdruck, daß zur Zeit das Projekt des Reichswirtschaftsministeriums noch nicht abstimmungsreif sei, daß man aber mit einzelnen politischen Persönlichkeiten und Sachverständigen das Projekt besprechen müsse. Im Vordergrund stände die Frage, wie man rasch größere Mittel für das Reich beschaffen könne, entweder auf dem Gebiete der Beteiligung oder auf einem anderen Wege, insbesondere, ob man durch eine Anleihe die Mittel aufbringen könne. Man müsse sich die Frage vorlegen, ob eine solche Anleihe notwendig und möglich sei, um die Reparationsleistungen in Gang zu bringen, oder nicht. Der Reichsminister für Wiederaufbau teilte mit, daß er in diesem Jahr für sein Ressort keine erheblichen Geldanforderungen an das Reich werde zu stellen brauchen, im nächsten Jahre werde man allerdings sich nach Geldbeträgen umsehen müssen. Er wiederholte daher seine frühere Anregung, die Art von auszugebenden neuen Anleihen zu studieren: möglichst niedriger Zinsfuß und möglichste Erleichterung in Bezug auf Steuern. Insbesondere bei der Regelung der Liquidationsschäden, die, wenn auch nicht 132 Milliarden, so doch große Summen ausmachen würden, sei es notwendig, einen Typ von Anleihen, der das Reich auf lange Jahre nicht belaste, den Berechtigten aber einen Wert in die Hand gebe, zu finden. Er habe einen solchen Typ einer für 10 oder 20 Jahre zinslosen Anleihe durchrechnen lassen. Der Wert schwanke nach den Schätzungen zwischen 60 und 70%. Wenn man z. B. einen Titre von 1000 M nähme, der 10 Jahre keine Zinsen bringe, so verlöre man jedes Jahr scheinbar 5%; tatsächlich verlöre man weniger, denn durch die Kapitalertragsteuer verlöre man nur 4½%. Ein wohlhabender Mann würde auch nicht einmal 4½% verlieren; denn wenn er die 4½% bekäme, würde er mindestens 50% davon an Einkommensteuer abgeben müssen. Er verlöre daher also nur 2½% und würde also nur um 2¼% schlechter stehen, als wenn er 5% Zinsen erhielte. Für 10 Jahre würde dies einen Betrag von 22,5% ausmachen, so daß vielleicht diese Titres auch noch höher als 70% bewertet werden würden. Er bemerkte ausdrücklich, daß nur bei wohlhabenden Leuten diese Berechnung zutreffen würde,[188] denen daran gelegen wäre, ihr Kapital sicher anzulegen. Es würde sich empfehlen, wenn die einzelnen Ministerien die Ausgabe derartiger Titres prüfen würden. Der Reichskanzler stellte auch die Frage der Auflegung von Spezialanleihen z. B. für die Verkehrsverwaltungen, zur Erörterung. Der Reichsverkehrsminister erwiderte, daß er sich bereits mit dem Problem der Eisenbahnanleihe befaßt und dieses mit Persönlichkeiten des Bank- und Wirtschaftslebens besprochen habe. Hiernach bestehe kein Zweifel, daß, so lange ein Betriebsdefizit bestehe, keine Aussicht vorhanden sei, Geld zu bekommen. Es sei vorgesehen gewesen, das Betriebsdefizit bis zum 1. April 1923 zu beseitigen. Inzwischen wären die Sanktionen im Westen und der Aufstand in Oberschlesien hindernd entgegengetreten, dazu käme die Ausgabensteigerung (Kohlenpreiserhöhung usw.), von denen die Kohlenpreiserhöhung allein schon 300 Millionen Mark ausmache. Der 1. April 1923 werden sich daher nur dann aufrecht erhalten lassen können, wenn die Sanktionen aufgehoben und durch eine uns günstige Entscheidung über Oberschlesien ein erheblicher wirtschaftlicher Aufschwung in Frage kommen würde. Wir würden dann ohne weiteres Geld bekommen, wenn die Struktur der Verwaltung sich mehr dem privatwirtschaftlichen Charakter anpassen würde. Dazu würde nicht die Aufgabe des Besitzes durch das Reich notwendig sein, das Reich müßte aber auf einen erheblichen Teil der Tarifhoheit verzichten, mutatis mutandis lägen in Amerika ähnliche Betriebsverhältnisse vor wie hier. Es sei dort eine Resolution angenommen worden, wonach die Tarife so hoch gehalten werden sollten, daß das Anlagekapital angemessen verzinst werde. Der Reichstag werde dies voraussichtlich bei uns nicht tun, da er ständig eine umgekehrte Tendenz befolgt habe. Wenn die Banken Geld geben sollten, so würden sie zweifellos ein Mitbestimmungsrecht bei Aufstellung der Tarife und des Etats verlangen. Der Reichskanzler entgegnete, daß auch nach dieser Richtung hin das Reichsfinanzministerium Erwägungen anstellen solle. Im übrigen war er der Auffassung, daß man von einer Weiterberatung des Entwurfs des Reichswirtschaftsministeriums absehen und die nächste Zeit damit benutzen solle, durch Besprechungen mit Politikern und Sachverständigen sich über die angeschnittenen Probleme, insbesondere über die Bewertung der gegebenenfalls auszugebenden Genußscheine3 und die Möglichkeit von Anleihen unterhalten solle. Der Reichswirtschaftsminister erklärte sich mit dem vorgeschlagenen modus procedendi einverstanden und betonte ausdrücklich, daß er keine Bedenken hätte, das Projekt den Parteien zur Kenntnis zu bringen. Der Reichskanzler sowohl wie der Reichswirtschaftsminister, Reichsminister für Wiederaufbau und Reichsjustizminister werden vertraulich die Gedanken mit Sachverständigen und Führern im politischen Leben besprechen. Von einer öffentlichen Diskussion der Dinge riet der Reichsminister für Wiederaufbau ab. Im übrigen waren sich die Beteiligten darüber einig, daß die Lösung der Frage in erster Linie von der Lösung der allgemeinen politischen Fragen (Sanktionen, Oberschlesien usw.) abhänge. Staatssekretär Zapf warnte nochmals vor einem Beschreiten des von dem Reichswirtschaftsministerium vorgeschlagenen Weges, indem er darauf hinwies, daß das Reich die[189] Körperschaftssteuer zu 75%, wenn nicht noch zu einem geringeren Preise verkaufe. Der Reichskanzler erklärte sich bereit, zu den einzelnen Besprechungen die in Betracht kommenden Ressorts hinzuziehen zu wollen. Der Reichsminister der Justiz erklärte, ohne Wiederspruch zu begegnen, daß er die in Aussicht genommenen Besprechungen lediglich als präparatorische Erörterungen ansehe, daß die Endentscheidung aber erst getroffen werden könne, wenn die Gesamtpolitik, insbesondere die Frage über Oberschlesien und die Sanktionen, sich übersehen ließe. Der Reichskanzler schloß die Erörterungen, indem er eine Mitteilung an die Presse über den Gang der Verhandlungen und die erzielten Ergebnisse in noch zu bestimmender Form für notwendig erachtete4.

2

Siehe Dok. Nr. 60, Anm. 3, vornehmlich letzter Satz.

3

Siehe Anmerkung 2.

4

Der Vorwärts bringt am 6.8.21 eine mit „amtlich“ bezeichnete Mitteilung über die Steuervorlagen der Regierung, in der informiert wird über 15, im einzelnen näher erläuterte geplante Steueränderungen (Aufzählung s. Dok. Nr. 82 Anm. 1). Über weitere Pläne zur Geldbeschaffung zugunsten des Reiches wird angemerkt: „Ob und inwieweit es möglich ist, noch auf anderem Wege als dem der Besteuerung den Besitz zu den Lasten des Reiches heranzuziehen, unterliegt noch der eingehenden Prüfung des Kabinetts.“ (Vorwärts Nr. 368).

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