1.110.1 (wir2p): [Rückfragen der bayerischen Staatsregierung zum Berliner Protokoll]

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[Rückfragen der bayerischen Staatsregierung zum Berliner Protokoll]

Die strittigen Punkte wurden an der Hand des alten Entwurfs (Anlage 1 des Briefes)1 durchgesprochen. Außer einer Anzahl von Abänderungsanträgen, die die bayerischen Herren in der Hauptsache vom Standpunkt der leichteren Durchbringung bei ihren Parteien stellten, wünschten sie eine Zusage insbesondere hinsichtlich der generellen Zuweisung gewisser Gebiete an die Landesgerichte und eine Erklärung über die Ursprünglichkeit der Hoheitsrechte der Länder. Sie überreichten den anliegenden Gegenvorschlag2.

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Als Anlage 1 liegt diesem Protokoll der Entwurf eines Schreibens mit der Anrede „Sehr geehrte Kollegen“ bei, das sich mit den bayerischen Wünschen auseinandersetzt. Dieser Entwurf wird zum Schreiben des RK an den bayer. MinPräs. vom 20.8.1922 umredigiert (siehe Dok. Nr. 347).

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Anlage 2 lautet: „Bayerischer Gegenvorschlag zu dem Entwurf eines Schreibens des Reichskanzlers an den Bayerischen Ministerpräsidenten. – a) Wenn es mir nach dem Gesetz auch nicht angängig erscheint, grundsätzlich ganze Gebiete von der Erledigung durch den Staatsgerichtshof auszuschließen, so trage ich doch kein Bedenken, den Oberreichsanwalt anzuweisen, daß er in den Fällen, in denen er von der Befugnis des § 13 Abs. 3 des Gesetzes keinen Gebrauch machen will, vorher mit der zuständigen Landesjustizverwaltung ins Benehmen tritt. – b) Um Mißverständnissen über die Bedeutung der Erklärung der Reichsregierung hinsichtlich des föderativen Aufbaues des Reiches vorzubeugen, und um eine feste und unzweifelhafte Richtlinie der Reichspolitik zu gewinnen, trage ich kein Bedenken, folgendes festzustellen: Aus der in dem früheren Protokoll [Dok. Nr. 338] abgegebenen Erklärung, in der die Staatspersönlichkeit der Länder anerkannt ist, ergibt sich der Ursprung der Hoheitsrechte der Länder von selbst. Die Zusage, daß in diese Hoheitsrechte nicht unter Abänderung der verfassungsmäßigen Zuständigkeiten des Reiches eingegriffen werden soll, ist gleichfalls bereits in dem früheren Protokolle enthalten. Eine allgemeine Zusicherung dahin zu geben, daß die Reichsregierung auch von ihren in der Reichsverfassung bereits begründeten gesetzgeberischen Zuständigkeiten keinen Gebrauch machen wird, bin ich nicht in der Lage. Jedoch wird die Reichsregierung von ihrem bezüglichen Recht nur dann Gebrauch machen, wenn die Reichsinteressen dies unbedingt erheischen, und auch in diesem Fall sich bemühen, die Zustimmung der Länder hierzu zu erlangen. Bisherige Aufgaben der Länder in die Verwaltung des Reiches durch neue Reichs-Mittel oder -Unterbehörden zu nehmen, ist sie nicht willens.“ (R 43 I /2261 , Bl. 276 f.).

[1032] Der Reichskanzler und der Reichsminister der Justiz erklärten, in den beiden Hauptpunkten nicht nachgeben zu können. Der bayerische Justizminister betonte, daß seines Erachtens ja doch Einverständnis darüber bestände, daß die Überweisung der meisten Strafsachen an die ordentlichen Gerichte der Länder die Regel bilden werde. Er würde es daher im Interesse der Durchsetzung in München für wünschenswerter halten, wenn nach dieser Richtung hin die gewünschten Mitteilungen gemacht werden könnten. Der Reichsminister der Justiz empfahl, daß Bayern seine Staatsanwälte anweisen sollte, entsprechende Wünsche auf Überweisung an die Landesgerichte bei der Bearbeitung der Sachen an den Oberreichsanwalt zu richten.

Der bayerische Gesandte erläuterte sodann den Vorschlag wegen der Hoheitsrechte auf Anlage 23 und erklärte, daß die Abgabe einer entsprechenden Erklärung nach seiner Auffassung die Voraussetzung für eine Annahme in Bayern sein würde. Der Reichskanzler erwiderte, daß er bereits nach dieser Richtung hin in der Vereinbarung vom 11. August bestimmte Erklärungen abgegeben habe, für die er auch die Zustimmung der Parteien gefunden habe. Den Satz 1 auszusprechen, erscheine ihm aus grundsätzlichen theoretischen Bedenken unzweckmäßig. Mit diesem theoretischen Leitsatz könne er sich nicht einverstanden erklären. Im übrigen solle man versuchen, eine andere Formulierung zu finden und diese ihm dann vorlegen.

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Siehe Anm. 2.

Der Herr Reichskanzler erörterte sodann die Frage, in welcher Form man weiter prozedieren wolle; insbesondere hielt er es für unmöglich, wenn er den Brief schriebe, von den bayerischen Herren aber keine Zusage bekomme. Minister Schweyer betonte, daß die ihnen mitgegebenen Richtlinien für sie bindend wären. Wollten sie davon abweichen, so würde vermutlich eine Krisis eintreten und Graf Lerchenfeld zurücktreten. Was für Folgen das haben würde, brauche er nicht auszuführen. Der Reichskanzler wies darauf hin, daß wir schon wegen des Eindrucks auf das übrige deutsche Volk wissen müßten, was die Bayerische Regierung vorhabe. Wenigstens müßten die Herren erklären, ob sie sich für die Vereinbarung einsetzen würden. Minister Schweyer erwiderte, daß die Bayerische Regierung die ihm mitgegebenen Richtlinien beschlossen hätte und daß sie nicht in der Lage wären, auf ihre Kappe allein diese abzuändern. Der Reichskanzler betonte, daß man so nicht weiter verhandeln könne; die[1033] Herren müßten wenigstens erklären, ob sie sich dafür einsetzen wollten oder nicht. Die Entscheidung der Regierung müsse rasch erfolgen. Er sei fest entschlossen, die bayerische Angelegenheit zum Abschluß zu bringen, und zwar wolle er durchaus einen friedlichen Abschluß. Wenn das nicht möglich sei, so müsse dem Recht sein Lauf gelassen werden. Die Herren sollten sich das bis morgen überlegen. Wollten sie dem Inhalt nicht zustimmen, so könnte man erwägen, mit einigen Abänderungen den Brief abzuschicken, und dann in einem Schlußwort das deutlich zu sagen, was dann zu geschehen habe.

Die Verhandlungen wurden hierauf unterbrochen und beschlossen, am morgigen Sonntag [20.8.22] nach einem Empfang der bayerischen Herren durch den Herrn Reichspräsidenten zu einer abschließenden Besprechung zusammenzutreten.

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