1.125.1 (wir2p): Wirtschaftliche Maßnahmen.

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Wirtschaftliche Maßnahmen.

Reichswirtschaftsminister Schmidt eröffnet die Sitzung.

Staatssekretär Dr. Hirsch trägt das jüngste Angebot der Regierung an die Reparationskommission, enthaltend die Frage des Abschlusses von Lieferungsverträgen für Holz und Kohle vor2, und geht kurz auf die Entwicklung der Besprechungen mit den Herren Mauclère und Bradbury in Berlin ein.

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Siehe Dok. Nr. 354 Anm. 2.

Herr Kirdorf: Grundsätzlich seien die Vertreter der Großindustrie einverstanden, den Weg zu beschreiten, den die Regierung durch das jüngste Anerbieten an die Reparationskommission vorgezeichnet habe. Man müsse jedoch vorher versuchen, diesen Weg gangbar zu machen. Er begrüße es, daß die Privatwirtschaft hierdurch in die Lage versetzt werde, sich mit der Gegenseite unmittelbar zu verständigen. Wesentlich sei, daß auch die Bergarbeiterschaft das ihre tue, nämlich für die Zeit, für die Lieferungsverträge abgeschlossen werden sollen, Überschichten zu fahren. Eine weitere wesentliche Voraussetzung sei die Sicherstellung der Bezahlung der Großindustrie seitens der Reichsregierung. Bei den gegenwärtigen schwierigen Verhältnissen müsse an eine Vorauszahlung von etwa 1 Monat gedacht werden. Zu dem endgültigen Abschluß der Lieferverträge müsse das Kohlensyndikat, das die Gesamtheit des Bergbaues vertrete, hinzugezogen werden. Sie ihrerseits würden jedoch alles tun, um innerhalb des Kohlensyndikats Stimmung für den Abschluß der Lieferverträge zu machen. Verantwortlich sei jedoch letzten Endes der Vorstand des Syndikats selbst.

Reichswirtschaftsminister Schmidt weist kurz darauf hin, daß heute nachmittag Verhandlungen mit Vertretern der Gewerkschaften stattfänden, die sich auf die Frage der Überschichten erstrecken würden3.

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Über diese Verhandlungen, die im RArbMin. stattgefunden hatten (Niederschrift abschriftlich in R 43 I /30 , Bl. 303-304), berichtet RM Brauns am Nachmittag den Vertretern der Industrie; das Protokoll führt hierüber aus: „Reichsarbeitsminister Dr. Brauns berichtet über die Verhandlungen mit den Gewerkschaften, die am Nachmittag im Reichsarbeitsministerium stattgefunden hätten. Es sei ein grundsätzliches Einverständnis der führenden Bergarbeiterverbände erzielt worden, die notwendige Mehrarbeit durch Überschichten zu leisten. Gewisse Bedingungen seien gestellt worden: Man habe betreffend die Dauer des Überschichtenabkommens zunächst verlangt, daß sich dasselbe erst einspielen müsse, ehe man es auf einen langen Zeitraum, wie etwa fünfviertel Jahre verlängern könne. Notwendig sei, Züge bereitzustellen in den Randgebieten, um die Arbeiter schnell an- und abzubeförderen, damit nicht unnötiger Zeitverlust noch außerdem entsteht. Sorge getragen werden müsse, daß die Haldenbestände nicht zu groß würden. Ferner müsse die Lebensmittelversorgung der Arbeiter so sichergestellt werden, daß die erhöhte Arbeitsleistung körperlich möglich gemacht werde. Endlich müsse die normale Lohnentwicklung auf dem gewohnten Wege fortgehen. Ferner sei darauf hinzuwirken, daß die Mehrförderung an Kohle nicht etwa dazu diene, Deutschland wieder höhere Lasten aufzuerlegen. Es müßte angestrebt werden, unproduktive Ausgaben (Sanktionen und Besatzung) tunlichst zu beseitigen. Denn auch die deutsche Volkswirtschaft und nicht nur die Alliierten müßten durch die Mehrförderung gestärkt werden. Endlich verlangten sie die Zuziehung zu konkreten Verhandlungen über die Höhe der festzusetzenden Leistungen mit den Alliierten.

Ferner sei eine Stärkung der gegenwärtigen führenden Bergarbeiterverbände gegen die zersetzenden Bestrebungen der Unionisten und der Kommunisten mit allen Mitteln zu begünstigen.“ (R 43 I /2191 , Bl. 242 f.).

Stinnes erklärt sich für die Industrie mit den Bedingungen des Übersichtenabkommens einverstanden. Daraufhin geht folgende Information, formuliert von StS Hirsch, von Simson und Bücher, Silverberg und Peter Klöckner am 29.8.22 telegrafisch an StS Schroeder in Paris: „Vorschlag betreffend Sicherung der Kohlenleistungen auf Grund von Lieferungsverträgen ist heute mit maßgebenden Vertretern der Kohlenindustrie besprochen worden. Es ist grundsätzliches Einverständnis erzielt, Verhandlungen dahin fortzuführen, daß die Lieferungen von privatwirtschaftlichen Organisationen übernommen werden. Unmittelbare Verhandlungen mit Reichsregierung und liefernden Syndikaten vertreten durch Stinnes, Peter Klöckner, Lübsen und Silverberg können alsbald beginnen. Als Verhandlungsort vorschlagen Wiesbaden. Anschließend an Kohle kann über Holz verhandelt werden. Drahtbericht über Veranlaßtes. – Zur Regelung Ihrer Sprache: Industrie nicht abschlußsondern verhandlungsbereit. Hauptfragen, die vor Abschluß zu klären sind: Finanzierung Leistungen durch Reich, Bedingungen der Arbeiter-Organisation, Festlegung erträglicher Mengen. – Mit Führern Bergarbeiterverbände und Spitzenverbände Gewerkschaften haben heute Besprechungen stattgefunden. Auch diese sind grundsätzlich bereit.“ (R 43 I /2191 , Bl. 244).

[1068] Herr Hugo Stinnes: Er müsse zunächst darauf hinweisen, daß die Verpflichtungen, die man durch Abschluß der Lieferverträge auf sich bürde, dann völlig untragbar seien, wenn nicht das Überschichtenabkommen für dieselbe Zeit mit der Bergarbeiterschaft abgeschlossen würde.

Weiterhin müsse er hervorheben, daß, wenn sich die Industrie und damit die Privatwirtschaft nunmehr mit dem Reich und der Volkswirtschaft eng verbände, dann müsse die Industrie auch zu den Verhandlungen über wirtschaftliche Reformmaßnahmen zu tätiger Anteilnahme von der Regierung mitherangezogen werden. Die wirtschaftlichen Reformen müßten sich auf eine produktivere Ausgestaltung der allgemeinen Arbeitsleistungen erstrecken. Welche Maßnahmen die Industrie im einzelnen für nötig halte, werde sie zur gegebenen Zeit mitteilen. Gebrochen werden müsse mit einem System der geringen Leistung, und der unfreien Wirtschaft.

Auf einen anderen Gegenstand müsse er in diesem Zusammenhang noch zu sprechen kommen. Streng vertrauliche Besprechungen hätten zwischen ihm und französischen Vertretern stattgefunden. Es hätte sich dabei um zwei parallel laufende Unterhaltungen gehandelt. Einmal mit einem Vertreter eines französischen Industriekonzerns und zuletzt mit einem französischen Senator. Diesem habe er zuerst die Voraussetzungen, unter denen die rheinisch-westfälische Industrie zu weiteren Besprechungen bereit sei, bekanntgegeben, nämlich Aufhören und Zurückziehung der Besatzung des Rheingebiets und Zurückführung der Reparation auf ein erträgliches Maß. Diese Bedingungen seien, wie ihm dann mitgeteilt worden wäre, von dem französischen Senator auch an Poincaré weitergeleitet worden. Nunmehr habe ihn der französische Vertreter erneut um eine Besprechung gebeten. Diese mit Frankreich wieder einzuleitenden Verhandlungen müßten, um zu einem Erfolge zu führen, seiner Ansicht nach von der Großindustrie allein geführt werden. Er bitte daher – das sei sein zweiter Antrag – um das Einverständnis der Reichsregierung, daß diese Verhandlungen mit Frankreich zu gegebener Zeit von der Industrie aufgenommen werden könnten.

[1069] Reichsarbeitsminister Dr. Brauns geht kurz auf die Frage der Überschichtenabkommen ein und bemerkt, daß für Rheinland und Westfalen das Überschichtenabkommen abgeschlossen sei, daß Niederschlesien und Sachsen wahrscheinlich auf diesem Wege folgen würden, daß jedoch in Oberschlesien noch Schwierigkeiten zu überwinden seien. Er glaube nicht, daß ein derartiges Überschichtenabkommen sofort auf 1½ Jahre abgeschlossen werden könne.

Der Reichskanzler erklärt sich grundsätzlich bereit, nach Abschluß der Besprechungen mit den Vertretern der Gewerkschaften die Besprechungen mit den Vertretern der Industrie über die zwei von Herrn Stinnes vorgebrachten Anträge zu eröffnen.

Er geht sodann kurz auf die politische Lage ein und erwähnt, daß mit den Vorschlägen des Herrn Stinnes die Grundlage der Gesamtpolitik berührt werde.

Herr Hugo Stinnes formuliert noch einmal kurz seine beiden Anträge:

1.

ist die Reichsregierung damit einverstanden, daß die Verhandlungen mit Frankreich seitens der Großindustrie geführt werden,

2.

ist die Reichsregierung bereit, allgemeine wirtschaftliche Reformmaßnahmen im Einvernehmen mit der Industrie durchzuführen?

Der Reichskanzler verliest zur Informierung der Herren den Vorschlag des Herrn Bradbury über die Sicherheitsleistung für die Holz- und Kohlelieferungen4 und schließt sodann die Besprechung.

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Siehe Dok. Nr. 353 Anm. 4.

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