1.46.1 (wir2p): Reise des Generalfeldmarschalls von Hindenburg nach Ostpreußen.

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Reise des Generalfeldmarschalls von Hindenburg nach Ostpreußen.

Der Preuß[ische] Ministerpräsident Braun trägt vor, daß die Reise Hindenburgs nach Ostpreußen sich zu einer deutschnationalen Propagandafahrt auswachse1. Es sei ein ähnliches Programm aufgestellt wie früher zu Kaiserreisen. Das Preußische Staatsministerium habe daher den Beschluß gefaßt, die ostpreußischen Behörden anzuweisen, sich nicht in den Dienst dieser Propaganda zu stellen. Es sei unliebsam aufgefallen, daß die Reichsbehörden nicht mit der gleichen Anweisung bisher versehen worden seien. Insbesondere komme hier die Reichswehr in Frage. Er sehe ein, daß bei der Person Hindenburgs für die Reichswehr gewisse Schwierigkeiten vorlägen. Nach dem vorliegenden Programm sei eine überaus weitgehende Beteiligung an den bis[823] zum 6. Juni dauernden Veranstaltungen vorgesehen; insbesondere sei den ehemaligen Offizieren das Tragen von Uniform während des Besuchs weitgehend gestattet worden. Die Preußische Regierung bitte, alle Reichsbehörden anzuweisen, sich von den Veranstaltungen fernzuhalten.

1

Vom 19. 5. bis Mitte Juni 1922 reist Hindenburg durch Ostpreußen.

Reichskanzler Dr. Wirth betont, man müsse diese Angelegenheit sehr vorsichtig behandeln; es handele sich darum, Auswüchse abzuschneiden. Er werde den Reichsverkehrsminister und Reichspostminister entsprechend verständigen.

Reichswehrminister Dr. Geßler macht darauf aufmerksam, daß die Person Hindenburgs für Ostpreußen eine besondere Bedeutung habe. Hindenburg habe auch der Republ. Regierung gedient. Ein Feldmarschall habe nach den geltenden Bestimmungen Anspruch auf bestimmte militärische Ehrenbezeugungen. Eine dienstliche Verordnung verbiete die Verwendung von Truppen bei Veranstaltungen, die nicht von Zivilbehörden ausgehen. Natürlich gehe es nicht an, daß mit Hindenburg parteipolitische Geschäfte gemacht würden. Hindenburg habe jedoch vor seiner Reise loyal im Reichswehrministerium entsprechend angefragt.

Preuß[ischer] Minister des Innern Severing findet das Verhalten des Feldmarschalls nicht loyal. Man habe ihn auf die Bedenken des Besuchs aufmerksam gemacht2. Auch rechtsstehende Kreise, wie der Regierungspräsident von Allenstein, hätten versucht, auf den Feldmarschall entsprechend einzuwirken. Die Gegensätze in Ostpreußen seien scharf. Gegendemonstrationen der Arbeiter würden nicht ausbleiben. Er bitte daher, daß die Reichsregierung dieselbe Haltung einnähme wie die Preuß[ische] Regierung.

2

Dazu liegt eine unsignierte Aufzeichnung für StS von Haniel vom 15.5.22 in den Akten, das PrIMin. habe telefonisch mitgeteilt, daß Hindenburg erklärt habe, er würdige zwar die von der dt. Reg. geltend gemachten Bedenken gegen den Zeitpunkt seiner Reise, sehe sich aber nicht mehr in der Lage, andere Dispositonen zu treffen (R 43 I /1850 , Bl. 278).

Reichsminister des Innern Dr. Köster bemängelt die Vorstellung des Generals v. Dassel in Pillau, den Besuch Hindenburgs in den Kasernen und äußert vor allem Bedenken gegen den geplanten Besuch der Schutzbundtagung durch den Feldmarschall.

Reichskanzler Dr. Wirth ist der Ansicht, daß General v. Dassel nicht anders habe handeln können. Es müsse das Reichswehrministerium prüfen, ob etwa gegen die Bestimmung über das Uniformtragen Verstöße vorgekommen seien.

Reichswehrminister Dr. Geßler führt aus, daß er den einzelnen Reichswehrsoldaten nach den Bestimmungen des Reichswehrgesetzes eine außerdienstliche Beteiligung an den Kundgebungen und Veranstaltungen nur dann verbieten könne, wenn ihm durch den Preußischen Herrn Ministerpräsidenten oder den Herrn Reichsminister des Innern mitgeteilt werde, daß die Veranstaltungen für Hindenburg als politische anzusehen seien3. Die Frage, ob Verstöße gegen die Verordnung über das Uniformtragen vorgekommen seien, werde sofort geprüft werden.

3

Nach einem durch von Schleicher gezeichneten die Ereignisse zusammenfassenden Bericht des RWeMin. vom 17.6.22 über die Beteiligung der Reichswehr an den Hindenburgveranstaltungen hatte der RWeM am 24.5.22 folgendes Telegramm an das Wehrkreiskommando I gerichtet: „Der Herr Reichspräsident hat die dienstliche Teilnahme der Reichswehr an allen Veranstaltungen anläßlich der Reise des Generalfeldmarschalls von Hindenburg untersagt, da es sich nach Angabe der preuß. Regierung um parteipolitische Veranstaltungen handelt, bei denen Gegendemonstrationen zu befürchten wären. Ob darüber hinaus die Veranstaltungen als politisch im Sinne des § 36 des Wehrgesetzes zu betrachten sind und damit auch eine außerdienstliche Teilnahme der Reichswehr ausschließen würden, wird von einem begründeten schriftlichen Antrag der preuß. Staatsregierung und des Reichsministers des Innern abhängen. Davon wird auch ein etwaiges Rückgängigmachen der Genehmigung zum Uniformtragen gemäß Ziffer e der Ausführungsbestimmungen des Reichskanzlers abhängen. Es muß aber auch schon jetzt darauf hingewiesen werden, daß diese Erlaubnis nicht im allgemeinen, sondern für jeden einzelnen Fall räumlich und zeitlich begrenzt auszusprechen ist. Rein militärische Veranstaltungen (Besuch der Traditionskompanie, Teilnahme an militärischen Übungen, Stellung einer Ehrenkompanie) werden durch dieses Verbot nicht berührt. – Ich bedaure aufrichtig, daß die Entwicklung der Dinge den Herrn Reichspräsidenten zu dieser Stellungnahme veranlaßt hat, die im Interesse des unpolitischen und überparteilichen Charakters der Reichswehr von ihm aber für notwendig gehalten wird.“ (R 43 I /1850 , Bl. 294-297, hier: Bl. 294f). Zum weiteren Verlauf siehe Dok. Nr. 289.

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