1.68.1 (wir2p): [Innerpolitische Maßnahmen: Getreideumlage und Gesetzentwurf zum Schutz der Republik.]

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[Innerpolitische Maßnahmen: Getreideumlage und Gesetzentwurf zum Schutz der Republik.]

Abgeordneter Müller-Franken teilt als Beschluß seiner Partei mit, in der Getreideumlage einen Preis von 6300 Mark pro Tonne Roggen und 6300 Mark pro Tonne Weizen zu billigen, hierüber aber nicht hinauszugehen1.

1

Der Regierungsentwurf zur Getreideumlage war am 24.5.22 im Kabinett verabschiedet worden (siehe Dok. Nr. 282, P. 2); zur weiteren Entwicklung siehe Dok. Nr. 380 Anm. 2.

Die Gesamtlage sei sehr ernst. Im Westen Deutschlands, in Hamburg und anderen Stellen herrsche große Unruhe. Zur Beruhigung sei es unbedingt erforderlich, in den allernächsten Tagen das Gesetz zum Schutz der Republik durchzubringen. Werde das Gesetz im Reichstag abgelehnt, so bleibe nur übrig, die[909] bestehende Verordnung des Reichspräsidenten2 entsprechend zu verschärfen, und den Reichstag aufzulösen.

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Siehe Dok. Nr. 299 Anm. 3.

Weiter bestehe seine Fraktion darauf, daß das Denkmal Wilhelm I aus der Halle des Reichstags entfernt werde3.

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Das Standbild ist offenbar erst nach 1933 beseitigt worden (siehe K. von Kardorff-Oheimb, Politik, S. 99).

Der Reichskanzler Der Entwurf des Gesetzes zum Schutze der Republik werde dem Reichstag unterbreitet werden. Grundsätzlich sei hierüber im Kabinett Einmütigkeit vorhanden.

Die Minister Dr. Radbruch und Dr. Köster tragen hierauf den Gesetzentwurf vor.

Abgeordneter Müller-Franken: Zur Annahme dieses Gesetzes sei ⅔ Majorität erforderlich. Es sei also Fühlungnahme mit anderen Parteien nötig. Da der Weg über den Reichsrat die Angelegenheit verzögern werde, müsse der Entwurf als Initiativantrag der Parteien eingebracht werden. Für den vorliegenden oder einen weitergehenden Antrag werde die Deutsche Volkspartei nicht zu gewinnen sein. Dagegen sei die U.S.P.D. seit dem Tode Dr. Rathenaus in ihrer Auffassung umgewandelt. Sie sei jetzt zur positiven Mitarbeit bereit. Anscheinend fürchte die U.S.P.D. die Auflösung. Eine Einigung der sozialistischen Parteien sei jetzt zu erwarten.

Im einzelnen bemerke er zum Gesetzentwurf das Folgende4:

4

Zum Regierungsentwurf siehe Dok. Nr. 301.

Im § 2 müsse die Mindeststrafe erhöht werden. Die Ziffer 1 des § 2 müsse anders gefaßt werden; sonst würden z. B. die Leute, die ständig gegen Scheidemann hetzten, nicht getroffen.

Gegen den Staatsgerichtshof in seiner vorgesehenen Form habe er starke Bedenken. Die eine Kammer würde nicht genügen. Die Bestimmung, nach der drei Mitglieder des Staatsgerichtshofs Reichsgerichtsräte sein müßten, müsse geändert werden. An der Spitze des Gerichts müsse natürlich ein qualifizierter Richter stehen. Bei den Beisitzern dürfe dagegen nicht vorgeschrieben werden, daß sie die Richterqualifikation haben müßten.

Weiter müßte die Vorschrift gegen die nationalistische Agitation verschärft werden, desgleichen die Bestimmungen über die landesherrlichen Familien. Auch in der Amnestie müsse weitergegangen werden. Es sei aber wohl zweckmäßig, die Amnestie in ein anderes Gesetz zu bringen.

Der Reichskanzler Das Gesetz könne durchgebracht werden, wenn es nicht überlastet werde, daher dürfte nichts Unmögliches verlangt werden.

Die Bayerische Volkspartei würde es ablehnen. Die Stellung des Grafen Lerchenfeld sei bereits geschwächt. Würde das Gesetz überlastet, so würde hierdurch in Bayern die Reaktion gestärkt werden. Zu beachten sei auch, daß die föderalistische Bewegung in Württemberg und Baden an Boden gewonnen habe; die bayerischen Fäden reichten bereits bis Darmstadt.

In der Deutschen Volkspartei zeige sich starkes Verständnis für die Lage der Regierung, eine Gewähr, daß sie für das Gesetz stimmen werde, könne man jedoch nicht geben.

[910] Bei dieser gesamten Sachlage sei das Gesetz nur dann durchzubringen, wenn die U.S.P.D. mitarbeite, gegen diese gehe es nicht. Die Arbeitsgemeinschaft zwischen den beiden sozialistischen Parteien sei schon im Marsch. Es sei also nötig, auf die U.S.P.D. Rücksicht zu nehmen5.

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Zum Zusammenschluß der beiden sozialistischen Parteien siehe Dok. Nr. 408 Anm. 2.

Eine Anwendbarkeit des Gesetzes nach Rechts und Links sei ein unmöglicher Gedanke. Beide sozialistischen Parteien würden dann nicht mitmachen. Die vorliegende Fassung des Gesetzes löse seines Erachtens im ganzen genommen das schwierige Problem, so könne die U.S.P.D. wahrscheinlich mitwirken.

Zu erwägen sei, ob man auch noch rassenhetzerische Bestimmungen in das Gesetz aufnehmen wolle.

Über die für den Fall zu fällende politische Entscheidung, daß das Gesetz im Reichstag scheitere, werde er mit dem Herrn Reichspräsidenten Fühlung nehmen.

Er habe heute vormittag mit dem Abgeordneten Stresemann gesprochen, der wie er der Ansicht sei, daß ein weiterer Mord das Chaos herbeiführen werde. Aus diesem Grunde sei das Zustandekommen des Gesetzes mit nur einseitiger Anwendbarkeit nach Rechts unbedingt geboten.

Abgeordneter Marx: Nach der parlamentarischen Situation sei es zunächst erforderlich, eine Verständigung über die Getreideumlage herbeizuführen.

Zum Schutzgesetz könne er zunächst sich nur persönlich äußern. Er halte es für besser, den gewöhnlichen Weg über den Reichsrat zu gehen. Die ausschließliche Anwendung nach Rechts würde er nicht betonen. Ein Schutz der republikanischen Staatsform sei nötig. Angriffe hiergegen könnten aber auch von Links kommen. Deshalb habe er Anstoß genommen an der Erklärung des Ministers Radbruch im Plenum6.

6

Siehe Dok. Nr. 300 Anm. 2.

Die Stimmung sei jetzt stark nach Links geschlagen; man müsse aber alles vermeiden, was sie jetzt als Reaktion zu stark nach Rechts gehen lassen könnte. Wenn die Verordnung des Reichspräsidenten nicht ausreiche, so könne man sie ergänzen. Aber bedenklich sei ihm, ein entsprechendes Gesetz zu schaffen. Keinesfalls dürfe man ein solches überstürzt in wenigen Tagen machen. Er warne grundsätzlich vor Ausnahmegesetzen; Ausnahmemaßregeln seien dagegen nötig.

Am Staatsgerichtshof müsse das Reichsgericht beteiligt bleiben. Eine Reichstagsauflösung würde er für ein Unglück halten.

Abgeordneter Müller-Franken: Er müsse erst seine Fraktion zur Getreideumlage hören.

Die Reichstagsauflösung sei jetzt vielleicht das einzige Ventil.

Die Ausführungen des Abgeordneten Marx, daß zweckmäßiger der Weg der Verordnung gewählt würde, sei beachtlich, aber er fürchte, daß wir um ein Gesetz nicht mehr herumkämen.

Die Ausführungen des Reichskanzlers über die föderalistischen Strömungen seien zutreffend, aber um den bayerischen Konflikt kämen wir auf die Dauer doch nicht herum, und wir wären in einer besseren Lage, wenn Bayern[911] als der Angreifer dastehe. Man dürfe auch nicht übersehen, daß in Franken, besonders in der Pfalz, die Stimmung eine ganz andere sei als in München.

Sein Hauptvorwurf gegen den Gesetzentwurf sei der, daß er dem Reich zu wenig Rechte gebe. Dies könne aber dadurch gebessert werden, daß man das Reichskriminalpolizeigesetz7 verabschiede.

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Vgl. dazu Dok. Nr. 335, P. 2.

Die breite Masse hätte kein Vertrauen zur Justiz in politischen Dingen. So gehe es nicht weiter. Hier müsse auch in den Ländern Ordnung geschaffen werden. Die Hauptsache sei jetzt, daß die Massen sich ruhig verhielten, sonst kämen wir zu denselben wirtschaftlichen Verhältnissen wie Österreich.

Seinen Vorschlag des Initiativantrages halte er nach wie vor für besser als den Weg über den Reichsrat.

Er habe die Unabhängigen gefragt, ob sie an ihrem Leipziger Beschluß festhielten, wonach sie in keine Koalitionsregierung eintreten wollten. Eine Antwort habe er noch nicht erhalten.

Der geschehene Mord würde nicht der letzte sein.

Abgeordneter Koch: Er bäte, auch die Schwierigkeiten seiner Partei zu berücksichtigen, in der es ähnlich liege, wie im Zentrum.

Eine Verordnung halte er für erwünschter als ein Gesetz. Dies müsse aber nochmals geprüft werden. Der Reichstag könne auch bei einer Verordnung mitwirken. Auf diese Weise käme man auch um die ⅔ Majorität herum.

Eine Amnestie sei nötig, aber wirkliche Verbrecher müßten ausgenommen werden.

Vielleicht komme man um die Schwierigkeiten der Getreideumlage dadurch herum, daß man durch Gesetz die Regierung ermächtige, die Einzelheiten im Wege der Verordnung zu regeln.

Grundsätzlich bemerke er, daß auf die Dauer nicht gegen das Bürgertum regiert werden könne.

Reichsminister Fehr macht darauf aufmerksam, daß das Umlagegesetz noch in dieser Woche durchgehen müsse, sonst würde der Vollzug wirkungslos bleiben.

Abg. Müller-Franken hält ein Gesetz zum Schutze der Republik für nötig.

Abg. Dr. Petersen teilt mit, daß seine Fraktion entschlossen sei, gründlich und scharf durchzugreifen. Mit dem Abg. Marx habe er nur das Bedenken, auch die Sachen dauernd festzulegen, die nicht für die Dauer berechnet seien. Gerade im deutschen Volke bestehe eine starke Stimmung gegen Ausnahmegesetze, deshalb könne man vielleicht einige Sachen in die Verordnung übernehmen. Je größer die Majorität sei, die wir bei dem Gesetz bekämen, desto politisch besser wäre es. Im wesentlichen sei er mit dem Inhalt des Gesetzes einverstanden. Er bitte jedoch die Regierung noch zu prüfen, ob nicht einzelne Bestimmungen in die Verordnung verwiesen werden könnten. Soviel er wisse, sei die Deutsche Volkspartei gewillt, im Wege der Verordnung alles mitzumachen. Innerpolitisch und außenpolitisch sei eine Auflösung bedenklich. Bei einer Verbreiterung der Regierungsbasis würde die Gewährung einer Anleihe nach seiner Ansicht nicht fern sein.

[912] Abg. Spahn ist der Auffassung, daß man alles tun müsse, um die Reichstagsauflösung zu verhindern. Wegen der Streitpunkte in der Getreideumlage würde eine Auflösung im Volke nicht begriffen werden. Er bäte daher doch die Sozialdemokratie nochmals, gerade mit Rücksicht auf die Höhe der Produktionskosten, ihren Standpunkt nachzuprüfen.

Was die Frage der Verordnung oder eines Gesetzes anlange, so glaube er, daß die Bedeutung eines Gesetzes intensiver sein würde. So eilig, daß die Frage noch diese Woche geklärt werden müsse, sei die Angelegenheit nicht, da durch die inzwischen erlassene Verordnung alles geschehen sei.

Reichsminister Fehr verbreitet sich über die von der Sozialdemokratie und von der Zentrumspartei vorgeschlagenen Preise. Wenn ein Teil der Rechten der Umlage zustimme, so sei der Vollzug ungemein erleichtert; er empfehle daher, mit der D.V.P. Fühlung zu nehmen.

Reichsminister Bauer: Das Zentrum und die Demokraten müßten nochmals mit der D.V.P. sprechen, daß die Getreideumlage zur Reichstagsauflösung führen könnte, denn die Unabhängigen würden gegen das Gesetz stimmen, wenn der Preis heraufgesetzt würde.

Zum Schutzgesetz bemerke er, daß durch eine Verordnung die Ruhe nicht mehr hergestellt werden könne. In der jetzigen Lage könne nicht ohne Ausnahmegesetz regiert werden. Der Entwurf sei das mindeste, was geschaffen werden müsse, und das Gesetz müsse schnell verabschiedet werden, daher müsse es durch Initiativantrag eingebracht werden. Nehme der Reichstag das Gesetz nicht an, könnte die S.P.D. nicht in der Regierung bleiben.

Reichsminister Dr. Köster: Er lege das größte Gewicht darauf, daß das Reichskriminalpolizeigesetz verabschiedet würde.

Weiter mache er darauf aufmerksam, daß der Schutz der Republik Geldmittel erfordere, denn auch ihre Gegner verfügten über große Mittel. Vorläufig werde er 75 Millionen anfordern.

Abg. Haas: Die Parteien müßten auf die Regierungen der Länder einen Druck ausüben. Die Personalreferenten der Ämter dürften nicht deutschnational sein. Es müsse auch dafür gesorgt werden, daß der republikanische Wille gegenüber deutschnationalen Universitätsfakultäten durchgesetzt werde. Die Bevölkerung erwarte ein rücksichtsloses Vorgehen, andernfalls komme eine linksradikale Welle, die alles verschlinge, und die Stimmung der Arbeiterschaft schlage wieder um und gehe ganz nach Rechts.

Er ziehe ein Gesetz der Verordnung vor.

Weiter müsse der Begriff der Geheimorganisation geklärt werden. Jeder Verein müsse angemeldet sein. Weiter müssen die Geldgeber getroffen werden. Ferner müßten Strafandrohungen gegen Beamte festgesetzt werden, die in ihrem Dienst die Republik sabotierten.

Abg. Hoffmann (Kaiserslautern): Der Beamtengesetzentwurf müsse bald gemacht werden.

Reichsminister Dr. Köster: Der Entwurf über die Beamten sehe alles vor, was Herr Haas in dieser Beziehung angeregt habe.

Hierauf wurde die Besprechung geschlossen.

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