1.73.1 (wir2p): Politische Lage

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Politische Lage1

1

Zur Situation siehe Dok. Nr. 306 Anm. 3.

Staatssekretär Bodenstein teilt mit, daß es bei den Verhandlungen mit den Gewerkschaften gelungen sei, die Stillegungen im Eisenbahnverkehr auf 10 Minuten herabzusetzen. Die Gewerkschaften hätten aber gebeten, in der vom Reichsverkehrsminister zu erlassenden Anordnung das Einvernehmen der Gewerkschaften zum Ausdruck zu bringen.

Reichsminister Groener bezog sich auf seine, dem Herrn Reichskanzler bereits telegraphisch mitgeteilte Auffassung zur Lage. Wenn so weitergearbeitet würde, dann würde diese Aktion in ihren Auswirkungen zum Tode der Republik führen. Die Betriebsstillegung sei höchst gefährlich, und er könne die Verantwortung für die Vermeidung von Unglücksfällen nicht übernehmen. Das Unglück am Schönhauser Tor vom letzten Dienstag, mit seinen fast 50 Toten sollte ein „Memento“ sein. Mit Rücksicht auf die Gefährlichkeit im Eisenbahnbetrieb bat er das Kabinett nochmals um Äußerung, ob nicht doch die Eisenbahn herausgelassen werden könne. Äußerstenfalls würde er bereit sein, Bestimmungen zu treffen, die die Betriebsgefahr auf das Mindeste verringerten.

Der Reichskanzler erwiderte, daß er in der Verurteilung über die Aktion ähnlicher Ansicht sei, es erscheine ihm nicht möglich, die ganze Sache abzublasen. Wegen der Eisenbahn sollte Exzellenz Groener noch verhandeln.

Der Reichspostminister teilte mit, daß er die Postämter in der Gegend des Kurfürstendamms um 1 Uhr schließen würde.

Der Reichswirtschaftsminister und der Reichsarbeitsminister gaben gleichfalls ihrem lebhaften Bedauern über die Demonstration Ausdruck, die die größte Gefahr für die Republik werden könnte.

[931] Der Reichsarbeitsminister insbesondere warnte vor dem abschüssigen Wege der Entwicklung und hielt in Zukunft eine bessere Verständigung mit den Gewerkschaften für notwendig.

Der Reichsverkehrsminister verlas daraufhin die von ihm in Aussicht genomenen Richtlinien (vgl. Anlage2).

2

Die Anlage, datiert vom 3.7.1922, lautet: „Am morgigen Dienstag sind seitens des Allgemeinen deutschen Gewerkschaftsbundes, der Arbeitsgemeinschaft freier Angestelltenverbände, der sozialdemokratischen Parteien und der Kommunistischen Partei große Kundgebungen, verbunden mit Arbeitsruhe und Demonstrationszügen beabsichtigt. Die übrigen Parteien und gewerkschaftlichen Organisationen beteiligen sich an diesen Kundgebungen nicht. Da im Eisenbahnbetriebe eine ungleichartige Handhabung der verlangten Ruhe schwerste Betriebsgefahren im Gefolge haben könnte, hat der Reichsverkehrsminister den Eisenbahndirektionen folgende Richtlinien zur Aufrechterhaltung der Betriebssicherheit für den Nachmittag des 4. Juli gegeben: 1. Betrieb und Verkehr werden grundsätzlich aufrecht erhalten (Abweichungen vgl. Ziffer 2 und 3). – 2. Zur Vermeidung ernsterer Betriebsgefahren haben die Eisenbahndirektionen im Zugverkehr eine Betriebspause von 3 Uhr bis 3 Uhr 10 Minuten einzulegen. Während dieser Betriebspause hat auch der mit dem Personen- und Gepäckgüterverkehr zusammenhängende Abfertigungsdienst zu ruhen. – 3. Wo die unbedingt zu wahrende Rücksicht auf die Betriebssicherheit besondere Sicherheitsmaßnahmen nötig macht, wie beim Stadt-, Ring- und Vorortsverkehr in Berlin und Hamburg, haben die Eisenbahndirektionspräsidenten die gebotenen Anordnungen selbständig zu treffen. – 4. Beamte, Angestellte und Arbeiter, die sich an den Kundgebungen zu beteiligen wünschen, sind zu beurlauben, so weit es mit der Aufrechterhaltung des Betriebes und Verkehrs vereinbar ist.“ (R 43 I /1378 , Bl. 9).

Das Kabinett stimmte dem zu. Im übrigen verblieb es bei dem Beschluß vom 1. Juli 1922.

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