1.8.8 (wir2p): 9. Antwortnote an die Reparationskommission.

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9. Antwortnote an die Reparationskommission.

Reichsminister des Auswärtigen Dr. Rathenau: Die Reparationskommission habe gestern beschlossen, eine Kommission zur Beratung einer äußeren Anleihe zu bilden, der auch ein Deutscher und Neutraler angehören sollten12. Er habe unter Vorbehalt der Zustimmung des Kabinetts Staatssekretär a. D. Bergmann vorgeschlagen. Er bitte das Kabinett um Zustimmung.

12

Am 4.4.22 hatte die Repko beschlossen, Sachverständige zu berufen, die die Möglichkeiten für eine dt. Anleihe im Ausland zu Reparationszwecken prüfen sollten (siehe Bergmann, Reparationen, S. 159 f).

Der Reichskanzler weist auf die Schwierigkeiten hin, die sich möglicherweise daraus ergeben könnten, daß Bergmann in der Deutschen Bank sei13.

13

Bergmann war seit 1911 stellvertretender Direktor der Deutschen Bank.

Reichsminister des Auswärtigen Dr. Rathenau hält diese Bedenken nicht für durchgreifend. Die Mitglieder der Kommission sollten ja keine Regierungsmänner sein.

Das Kabinett erhebt keinen Widerspruch.

Reichsminister Dr. Rathenau fortfahrend: Für das neutrale Mitglied käme Holland, Schweden und die Schweiz in Frage. Uns würde ein Holländer am liebsten sein. In Frage kämen Vissering (Holland), Cassel oder Wallenberg (Schweden) und Landmann (Schweiz)14.

14

Dem endgültigen Anleihe-Komitee gehörten Delacroix, D’Amelio, J. P. Morgan, R. M. Kindersley, E. Vissering, Ch. Sergent und Bergmann an (Siehe Bericht des Anleihekomitees an die Repko vom 10.6.22, RT-Drucks. Nr. 4484 , S. 44, Bd. 374).

Die Reparationskommission scheine nach Mitteilungen, die ihm soeben Bemelmans gemacht habe, jetzt dem Anleihegedanken ernstlich nahe zu treten. Bemelmans hätte gesagt, die Reparationskommission könne nicht selbst die Initiative zur Herabsetzung der Reparationsleistungen ergreifen, die Unterkommission aber würde zu dem Ergebnis kommen, daß keine Anleihe möglich sei, wenn nicht die Lasten herabgesetzt würden. Auf diese Weise würde das Odium der Herabsetzung von der Reparationskommission genommen werden. Bemelmans rechne so auf das Zustandekommen der Reduktion und der Anleihe. Er, Minister Rathenau, habe Bemelmans in nachdrücklichster Weise auf die schwere Krisis in Deutschland hingewiesen. Das Land befände sich jetzt in einer völlig anderen Situation. Das katastrophale Steigen des Dollars hätte die gesamte Wirtschaftslage verschoben. Bemelmans habe sich erregt darüber geäußert, daß das Bemelmans-Abkommen15 an den Reichstag kommen solle. Er, Rathenau, habe erwidert, daß die Reparationskommission die Verschlechterung[695] der Lage verschuldet habe. Da im übrigen Frankreich auch das Wiesbadener Abkommen16 vor sein Parlament bringe, könnten wir mit dem Bemelmans-Abkommen nicht anders vorgehen. Bemelmans habe sich sehr ärgerlich dahin geäußert, daß dann vor Juni nichts fertig werden würde.

15

Siehe Dok. Nr. 216, P. 11.

16

Siehe Dok. Nr. 97, P. 6 und 7.

Gegen die geäußerte Absicht, das Abkommen vor den Reichstag zu bringen, wurde kein Widerspruch erhoben17.

17

Im März 1922 hatte die französische Regierung das Wiesbadener Abkommen, das keine Ratifikationsklausel enthalten hatte, den gesetzgebenden Körperschaften zur Beschlußfassung vorgelegt (RT Bd. 355, S. 7941 ). Die deutsche Regierung legt dem RT daher am 13.6.22 das Wiesbadener, das Cuntze-Bemelmans- und das Gillet-Ruppel-Abkommen zur Beschlußfassung vor (RT-Drucks. Nr. 4468, Bd. 374 ); alle drei Abkommen werden am 29.6.22 verkündet (RGBl. 1922 II, S. 625 ).

Minister Rathenau trägt weiter den Inhalt des Telegramms von Staatssekretär Bergmann vor18. Bergmann wünsche, daß die Verhandlungstür weit offen bleibe. Er habe heute Dr. Mayer seine Ansicht dahin geäußert: das im[696] Reichstag gesprochene „Nein“ müsse in der Note bestehen bleiben, aber in konzilianter Form. Den größten Wert lege er darauf, daß nunmehr eine neue Phase der Verhandlungen beginne. Bergmann möchte unter dem Einfluß der französischen Atmosphäre die Kontinuität der Verhandlung wahren. Wir müßten aber unter allen Umständen vermeiden, daß wir nach etwa 6 Wochen auf die bisherigen Forderungen einen Nachlaß von etwa 25% erhielten, der uns in keiner Weise nützen würde.

18

Das Telegramm Bergmanns aus Paris ist am 6. 4. über die Klko abschriftlich in die Rkei gelangt: „Paris, den 5.4.0.10, Ankunft 3 h. Für Minister Rathenau und Reichsfinanzminister. Sah Delacroix, Bradbury, Boyden, Logan. Reparationskommission ist bestürzt über Eindruck ihrer Entscheidung in Deutschland und Stellungnahme deutscher Regierung. Ich habe die nötigen Aufklärungen mit aller Schärfe gegeben. Reparationsnote ist von Bradbury entworfen, welcher unterstützt von Delacroix die Ziffern von Cannes nur nach schwerstem Kampf mit Franzosen hat durchsetzen können, jedoch, um sachliches Entgegenkommen zu erreichen, genötigt war, die scharfe Tonart anzuschlagen. Die Form der Antwort ist noch durch französische Zustände verschlimmert. Bradbury sagt, daß für (ohne?) Verlangen von 60 Milliarden neue Steuern die französische Zustimmung nicht zu erreichen gewesen wäre. Er und Delacroix hatten gehofft, daß deutsche Regierung diese Sachlage verstehen und die Note entsprechend aufnehmen würde. Nach dem deutschen Entrüstungssturm sei Situation sehr gefährlich geworden, alles käme darauf an, daß deutsche Regierung jetzt nicht durch schroffe Antwort die Brücke zur Verständigung abbreche. Schriftliche deutsche Antwort werde dringend erwartet. Sie müsse spätestens Ende dieser Woche hier eingehen und kurz, positiv und ohne Polemik sein. Die von mir nachdrücklich betonte Idee des Ersatzes der geforderten neuen Steuern durch Zwangsanleihe wird grundsätzlich nicht abgelehnt. Annehmbar ist etwa folgende Erklärung: Deutschland versteht, daß Forderung neuer Steuern auf möglichste Bilanzierung Budgets 1922 abzielt. Der von der Reparationskommission gewollte Effekt wird an sich erreicht durch Zwangsanleihe (deren Modalitäten unter Betonung schleuniger Erhebung präzis anzugeben sind); außerdem erwartet deutsche Regierung noch erhebliche Mehreingänge aus bestehenden Steuern und wird weiterhin bemüht sein, neue Steuermöglichkeiten zu finden, hält jedoch angesichts ganzer Sachlage Beschaffung Zusatzbetrages neuer Steuern bis 31. 5. für äußerst schwierig, wenn nicht unmöglich. Deutschland wird somit äußerstes tun, um durch Aufnahme innerer freiwilliger Anleihen Budget-Defizit zu finanzieren, hierfür aber Voraussetzung Besserung der Mark und Rückkehr des Vertrauens. Hinweis auf Notwendigkeit internationaler Anleihe ist nützlich. – Passus über Kontrolle besonders vorsichtig abzufassen, weil genauer besehen die einschlägigen Bestimmungen der Reparationsnote mehr oder weniger humaner (formaler?) Art sind. Eine effektive Kontrolle der Einnahmen und Ausgaben wird nach Bradburys Erklärung keineswegs verlangt. Hier wäre Bereitwilligkeit auszusprechen, der Reparationskommission jede gewünschte Einsicht zwecks Nachprüfung zu gewähren, ohne daß deutsche Souveränität angetastet wird. Besonders wichtig Erklärung, daß Deutschland bereit, mit Reparationskommission über alle Punkte der Note sofort in weitere Besprechungen einzutreten, um vollkommene Verständigung zu erreichen. Es wäre sehr gefährlich, jetzt schon auf die Unmöglichkeit der festgesetzten Barzahlung für 1922 hinzuweisen. B. anerkennt, daß bei jetziger Markentwertung Zahlungen kaum zu leisten sind. Er hofft, daß hierfür internationale Hilfe zu erreichen. Er und Delacroix setzen Hoffnung auf sofortiges Zusammentreffen der von Reparationskommission geplanten internationalen Finanzkommission, welche Problem internationaler Anleihe zu studieren hat. Vorsitzender wahrscheinlich D. Ein deutscher und ein neutraler Vertreter sollen gleichberechtigte Mitglieder werden. Hierüber berät heute die Reparationskommission. Werde morgen weiter telegrafieren. Bergmann.“ (R 43 I /26 , Bl. 337 f.).

Er habe Bemelmans immer wieder betont, daß die Reparationskommission uns systematisch ruiniert hätte, und daß wir deshalb jetzt Ruhe mit den Goldzahlungen haben müßten.

Die Antwortnote müßte also so sein, daß die Verhandlungen auf ein neues Piedestal kämen. Zwischen dem Minister Hermes und ihm sei nach ihrer gestrigen Aussprache keine Verschiedenheit mehr.

Der Entwurf II des Auswärtigen Amts sei als Grundlage brauchbar, aber man müsse die durch den Dollar veränderte Lage, die Warenpreise, den Brotpreis mehr in den Vordergrund stellen19. Formale Härten müßten aus dem Entwurf beseitigt werden.

19

Zu Entwurf II siehe Dok. Nr. 240 Anm. 5.

Eine Redaktionsarbeit im Kabinett sei zwecklos. Er empfehle die sofortige Einsetzung einer Redaktionskommission.

Der Reichskanzler stimmt diesen Ausführungen zu.

Reichsminister der Finanzen Dr. Hermes: Er sei mit Minister Rathenau einig, daß ein „Nein“ in erträglicher Form erklärt werde.

Reichsminister des Auswärtigen Dr. Rathenau: Er halte es für gut, wenn das Finanzministerium mit Bemelmans spräche, der über die in unserer Note vom 28. Januar errechneten 16½ Milliarden Überschuß wütend sei. Dies hätte die Reparationskommission geradezu als Verhöhnung aufgefaßt. Diese Mißverständnisse müßten gleich geklärt werden20.

20

Gemeint ist Anlage II der Note vom 28.1.22 (RT-Drucks. Nr. 4140 , S. 92, Bd. 372).

Staatssekretär Fischer: Die Belgier hätten ihn über diesen Punkt nie befragt. Er habe aber Bradbury auseinandergesetzt, daß es sich um einen Überschuß nur im Ordinarium handele. Die Schwierigkeiten lägen hier in unseren Etatgepflogenheiten. Von einer Entrüstung über diesen Punkt habe er nichts bemerkt. Bemelmans müsse hier aus der belgischen oder seiner persönlichen Auffassung heraus gesprochen haben.

Reichsminister des Auswärtigen Dr. Rathenau: Bemelmans habe ihm apodiktisch gesagt, daß der Verdruß der Reparationskommission nur daher herrühre. Er, Rathenau, begreife nicht, daß dies in Paris so wenig zur Geltung gekommen sein sollte.

Staatssekretär Dr. Müller empfiehlt, eine Vorsichtsfloskel wegen der Sachleistungen hineinzubringen, damit nicht etwa geglaubt würde, wir erklärten uns mit Sachlieferungen von 1450 Millionen einverstanden.

Hierauf wurde die Beratung auf nachmittag vertagt21.

21

Siehe Dok. Nr. 244.

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