1.104 (mu22p): Nr. 360 Der Preußische Ministerpräsident an den Reichskanzler. 21. November 1929

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Nr. 360
Der Preußische Ministerpräsident an den Reichskanzler. 21. November 19291

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Das vom PrMinPräs. als „streng vertraulich“ gekennzeichnete Schreiben wurde auf Wunsch des RK dem AA „mit der Bitte um Geheimhaltung“ abschriftlich mitgeteilt.

R 43 I /248 , Bl. 95 f., hier: Bl. 95 f.

[Betrifft: Status der Saargruben.]

In der letzten Zeit wird, wie ich aus mir zugegangenen Mitteilungen entnehme, aus Anlaß der bevorstehenden deutsch-französischen Saarverhandlungen in den verschiedenen Bevölkerungskreisen die Frage nach dem zukünftigen Schicksal der Saargruben besonders lebhaft erörtert. Gemäß diesen Mitteilungen versuchen einzelne Persönlichkeiten, für den Gedanken Anhänger zu gewinnen, die Saargruben dem privaten Kapital, sogar unter französischer Beteiligung zu Eigentum oder zur Betriebsführung ganz oder teilweise zu überlassen2. Derartigen Plänen, die in weiten Kreisen der Saarbevölkerung größte Beunruhigung hervorgerufen haben, wird die Preußische Staatsregierung mit aller Schärfe und mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln entgegentreten. Die Preußische Staatsregierung ist der Auffassung, daß es nur eine politische befriedigende[1177] und gerechte Lösung der Saargrubenfrage gibt: die vollständige und unbelastete Rückgabe der Saargruben und der Betrieb der preußischen Saargruben durch den Preußischen Staat3.

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Ähnliches hatte der Vorsitzende der saarländischen SPD berichtet: „Auf der letzten Vorstandssitzung des RdI in Saarbrücken im Oktober d. J. hat sich im Saarbrückener Kasino der deutschnationale Abgeordnete Reichert in der ungehemmtesten Weise und ohne Einschränkung für die französischen Saargrubenpläne auf privater Internationalisierung ausgesprochen. Er hat dabei im weitesten Umfange die Pläne verteidigt, die eine Rückführung der Saargruben in geschlossenen preußischen und bayerischen Staatsbesitz verhindern sollen und statt dessen ihre Zuteilung zu bestimmten Eisenhüttenwerken der Saar und Erzgrubens Lothringens verfolgen, die eine Verbindung zwischen dem Erz Lothringens, der Kohle der Saar und den Hütten der Saar auf dem Wege deutsch-französischer vertikaler Industrieorganisation herstellen sollen. – In demselben Sinne wie Reichert hat sich auch der rheinische Industrielle Otto Wolf ausgesprochen, der an der Saar sehr starke Hütteninteressen besitzt (Neunkircher Hütte). Auf die Drohung saardeutscher Kreise hin, diese seine Pläne vor der deutschen Öffentlichkeit zu brandmarken, hat er in einer Unterredung mit einigen Leuten von der Saar lediglich zugestanden, sich vorläufig nicht in dieser Richtung vorzubewegen, aber abgelehnt, sich dem Standpunkt der Reichs-, der Preußischen und Bayerischen Regierung und dem Standpunkt der gesamten Saarbevölkerung anzuschließen. Diese Stellungnahme deutscher Industrieller ist in Frankreich auch offiziell bekannt, und offizielle Stellen Frankreichs haben saarländischen Zeitungskorrespondenten gegenüber zu verstehen gegeben, daß sich auch bei einzelnen Führern der Gewerkschaften (Christlichen Gewerkschaften), vor allem des Christlichen Gewerkvereins, Neigung gezeigt habe, auf solche Pläne einzugehen, was von diesen aber offiziell wie auch in den internen Sitzungen heftig bestritten wird“ (dem AA mitgeteilter Auszug aus dem Schreiben an den RK vom 16. 11.; R 43 I /248 , Bl. 4, hier: Bl. 4).

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Preußen hatte sich bereits in einer Besprechung am 26.6.29 auf ein Versprechen des StS Schröder aus dem Jahr 1919 berufen, daß es die Saargruben zurückerhalten und für den bisherigen Verlust entschädigt werde. Die frz. Forderung auf Beteiligung frz. Privat- oder Staatskapitals an den Gruben war von Preußen in einer Sitzung am 12. 9. abgelehnt worden (Niederschriften in R 43 I /246 , Bl. 5-13, 160-170, hier: Bl. 5-13, 160-170). Vortr.LegR v. Friedberg hatte bei den Heidelberger Besprechungen mit den Saarvertretern am 23. 9. als deutsches Verhandlungsziel die frühzeitige Rückgliederung und die Rückführung der Saargruben in staatlichen Besitz genannt (R 43 I /246 , Bl. 185-187, hier: Bl. 185-187).

Die Verwaltung der Gruben wird, vor allem in den ersten Jahren nach der Rückgliederung, auf die allgemeinen Interessen und die politischen Verhältnisse des Saargebiets besondere Rücksicht nehmen und die privatwirtschaftlichen Interessen des Grubenbesitzers zurückstellen müssen. Zu einer solchen Rücksicht werden andere Beteiligte als der Staat nicht bereit sein. – Eine der schwierigsten Aufgaben bei der Rückgliederung wird die Anpassung der Löhne und der sonstigen Arbeitsbedingungen im Saargebiet an die Verhältnisse der übrigen Teile des Reiches sein. Eine der staatspolitischen Notwendigkeiten gerecht werdende Lösung dieses Problems halte ich nur für möglich, wenn der Staat auch in seiner Stellung als größter Arbeitgeber des Saargebiets auf diese Entwicklung Einfluß nehmen kann. – Die Arbeiterschaft würde, wenn die Saargruben nicht vom Preußischen Staat betrieben werden, ihr Schicksal fremden privaten Interessen ausgeliefert glauben und eine Rückgliederung unter solchen Bedingungen nicht als die von ihr 10 Jahre hindurch in höchster Treue erstrebte Lösung der Saarfrage ansehen.

Die Preußische Staatsregierung hat um so mehr Veranlassung, an dieser Grundforderung, die sie der Reichsregierung bereits wiederholt mitgeteilt hat, festzuhalten, als auch die französische Regierung für ihre Auffassung Verständnis zu zeigen scheint. Ich entnehme das den letzten Mitteilungen des Reichsministers des Auswärtigen vom 26. Oktober und 1. November d. J.4 […][1178] Sollte die französische Regierung bei den Saarverhandlungen dieser Forderung der Preußischen Staatsregierung einen unüberwindlichen Widerstand entgegensetzen, so wird es m. E. ernsthafter Prüfung bedürfen, ob nicht der Verzicht auf eine Rückgabe des Saargebietes vor dem Jahre 1935 einer französischen Beteiligung am Eigentum oder an der Betriebsführung der Gruben vorzuziehen ist5.

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Im Schreiben vom 26. 10. war über die Unterredung eines Botschaftsmitglieds mit Coulondre berichtet worden. Coulondre sei auf die Schwierigkeiten eingegangen, die der frz. Regierung im Parlament durch die Saarverhandlungen entstünden. „Er habe Verständnis dafür, daß sowohl die RReg. wie die Pr.Reg. bei der starken Beteiligung der Sozialdemokraten an der Regierung aus grundsätzlichen Erwägungen auf das Staatseigentum an den Gruben nicht verzichten wollten. Er sehe auch ein, daß es für die RReg. schwer sein würde, der Forderung der Saararbeiterschaft auf Wiederherstellung des Staatseigentums nicht zu entsprechen. Die französische Regierung habe auch nicht die Absicht, bei den Verhandlungen eine Beteiligung an den Gruben im Rahmen einer deutsch-französischen Privatgesellschaft zu fordern. Er glaube aber, es werde sich im Laufe der Verhandlungen zwangsläufig herausstellen, daß der sowohl auf französischer wie auf deutscher Seite gehegte Wunsch, zu einer für beide Teile befriedigenden wirtschaftlichen Verständigung über das Saargebiet zu gelangen, nicht ohne Änderung des Grubenregimes erreicht werden könne“ (Schreiben des AA an die beteiligten Reichs- und Länderressorts in R 43 I /246 , Bl. 325 f., hier: Bl. 325 f.. Wiedergegeben wird v. Hoeschs Telegramm Nr. 1017 vom 24. 10. – R 43 I /247 , Bl. 24-26, hier: Bl. 24-26 –). Der frz. Delegationsführer Fontaine hatte dem Botschafter v. Hoesch zum frz. Interesse an den Kohlen aus der Saar erklärt, wie vom AA im Schreiben vom 1. 11. mitgeteilt wurde: „Dies würde wohl der schwierigste Punkt der Verhandlungen werden, da französischerseits ein deutsch-französisches Kondominium angestrebt werde. Auf den Einwurf des Herrn Botschafters, daß die Wiedererlangung des Eigentums an den Saargruben für die deutsche Regierung eine undiskutable Bedingung sei, erklärte F., Frankreich werde auch nicht ein Eigentumsrecht an den fiskalischen Gruben fordern, sondern strebe vielmehr ein deutsch-französisches Kondominium mit Bezug auf eine andere bedeutende Grube an. Hierbei beschränkte er sich indes absichtlich auf Andeutungen und ließ erkennen, daß er sich nicht klarer auszusprechen wünsche“ (Schreiben an die beteiligten Reichs- und Länderressorts in R 43 I /246 , Bl. 347 f., hier: Bl. 347 f.: Wiedergabe des Telegramms Nr. 1040 v. Hoeschs vom 31. 10. – R 43 I /247 , Bl. 21-23, hier: Bl. 21-23 –).

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In seiner Antwort stimmte der RK den Ansichten Brauns zu und teilte mit, er habe eine von den Saarländern erbetene Besprechung mit den Ressorts wegen der Unruhen, die über die frz. Forderungen bestünden, abgelehnt, da die Direktiven für die deutsche Delegation „ganz klar“ seien (26.11.29; R 43 I /248 , Bl. 97, hier: Bl. 97). Dagegen empfing RAM Curtius eine Saardelegation unter Führung des Industriellen Röchling: „In der Aussprache konnte der RM feststellen, daß die Vertreter aller Parteien des Saargebiets einmütig auf dem Standpunkt stehen, daß es für den Fall eines unbefriedigenden Verlaufs der Saarrückgliederungsverhandlungen unter allen Umständen besser sei, mit der Rückgliederung bis 1935 zu warten, als ein unbefriedigendes Abkommen mit den Franzosen zu treffen“ (Vermerk von Vogels vom 4.12.29; R 43 I /248 , Bl. 130, hier: Bl. 130).

Braun

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