1.15 (mu22p): Nr. 271 Vermerk Ministerialrat Wiensteins über die Parteienbesprechung zu Fragen der Arbeitslosenversicherung vom 16. August 1929, 11 Uhr

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Nr. 271
Vermerk Ministerialrat Wiensteins über die Parteienbesprechung zu Fragen der Arbeitslosenversicherung vom 16. August 1929, 11 Uhr

R 43 I /2035 , Bl. 350 f., hier: Bl. 350 f.

Die Besprechung der Fraktionsvorsitzenden der Regierungsparteien im Beisein je eines sozialpolitischen und finanzpolitischen Bearbeiters der Fraktionen über die obenbezeichneten Fragen fand am Freitag, den 16. August, 11 Uhr vormittags, statt.

Es waren anwesend: die Abgeordneten: Wels, Dittmann, Dr. Hertz, Aufhäuser, Frau Schröder (VSPD); Dr. Brüning, Esser, Frau Teusch (Zentrum); Dr. Scholz, Dr. Pfeffer (DVP); Dr. Fischer, Lemmer, Schneider (Demokr. Partei); Leicht (BVP); ferner u. a.: die Reichsminister Dr. Wissell, Dr. Stegerwald, Dietrich; Staatssekretäre Dr. Popitz, Dr. Trendelenburg; Ministerialdirektor Dr. Weigert; Ministerialräte Dr. Lehfeldt, Wienstein.

In sachlicher Beziehung wurde darüber Klarheit erzielt, daß die Regierungsparteien außer der Sozialdemokratie eine Beitragserhöhung von 0,75% ablehnen.

Der Abgeordnete Esser bemerkte, daß das Zentrum einen dahingehenden Fraktionsbeschluß gefaßt habe.

Der Abgeordnete Dr. Scholz bemerkte, die Deutsche Volkspartei habe den grundsätzlichen Beschluß gefaßt, überhaupt keiner Beitragserhöhung zuzustimmen. Er gab auch vorläufig nicht klar zu verstehen, daß die Volkspartei sich mit einer befristeten Erhöhung von 0,5% abfinden werde, während der Abgeordnete Dr. Fischer für die Demokraten das durchblicken ließ.

Der Abgeordnete Dr. Pfeffer (DVP) führte aus, wie es möglich sei, ohne Beitragserhöhung zum Ziel zu kommen. Wenn man den kurzfristig Beschäftigten, die erwerbslos würden, nur die Unterstützung zubilligte, als ob sie der Wohlfahrtspflege anheimfielen, könne man 150–160 Millionen Mark sparen. 45 Millionen Mark könne man sparen, wenn die Erwerbslosen gegen Krankheit bei privaten Versicherungen versichert würden, nicht bei den öffentlichen Krankenkassen. Auch sonst seien noch Ersparnisse möglich.

[878] Nachdem der Reichsarbeitsminister mit Nachdruck betont hatte, das Kabinett könne keine Vorlage fertigstellen, wenn die Regierungsparteien sich nicht einigten, wurde in taktischer Beziehung folgendes vereinbart:

Heute, am 16. August 1929 3½ Uhr nachmittags sollen noch einmal die Sachverständigen der Regierungsparteien die Probleme durchberaten1.

1

Siehe Dok. Nr. 272.

Um 4½ Uhr nachmittags sollen die Parteiführer allein zu einer Beratung zusammentreten2.

2

Siehe Dok. Nr. 272.

Um 6 Uhr nachmittags soll dasselbe Gremium zusammentreten wie heute (16. August, 11 Uhr vormittags)3.

3

Danach die Paraphe Wiensteins; die folgenden Absätze sind ungezeichnet.

Nach der Sitzung erklärten Reichsminister Stegerwald und Dr. Brüning in einer privaten Unterredung, daß sich die Verhandlungen zwar zunächst versteift hätten, daß aber doch mit einer Einigung gerechnet werden könnte.

Dr. Pfeffer dagegen glaubte nicht, daß die Deutsche Volkspartei wegen der Erhöhung der Beiträge nachgeben könnte. Die Partei habe seit einem halben Jahr den Standpunkt vertreten, daß die Volkswirtschaft Beitragserhöhungen nicht ertragen könne, es werde wohl für sie nicht möglich sein, einen anderen Standpunkt einzunehmen4. Eher könnten sich die Minister im Kabinett überstimmen lassen.

4

Siehe dazu Stresemann, Vermächtnis III, S. 433.

Auch Staatssekretär Schmid vertrat diesen Standpunkt. Er hielt es für ausgeschlossen, daß die Beratung der Sachverständigen zu einer Einigung führen könnte.

Ministerialrat Vogels wurde auf telephonische Anfrage vom Sachstand unterrichtet5.

5

MinR Vogels hatte StS Pünder zu den Verhandlungen nach Den Haag begleitet.

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