1.157 (mu22p): Nr. 413 Vermerk Ministerialrat Feßlers über die Lage in Ostpreußen. 9. Januar 1930

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[1352] Nr. 413
Vermerk Ministerialrat Feßlers über die Lage in Ostpreußen. 9. Januar 1930

R 43 I /1857 , Bl. 158, hier: Bl. 158

Nach den Berichten des Staatskommissars für Ostpreußen vom November vorigen Jahres, die der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft unter Rückerbittung mitteilt1, hat bisher die Durchführung des Ostpreußengesetzes im allgemeinen keine günstigen Auswirkungen gezeigt. Die ganze Stützungsaktion leidet unter den Preisrückgängen für landwirtschaftliche Erzeugnisse, die sich in Ostpreußen mit besonderer Schärfe auswirken. Selbst Güter, deren Sanierung bei vorsichtigster Prüfung gesichert schien, sind dadurch in neue Verlegenheit gekommen.

1

Die Berichte waren am 13.12.29 vom REM zugesandt worden (R 43 I /1857 , Bl. 157, hier: Bl. 157).

Darüber hinaus klagt aber der Staatskommissar sehr beweglich, daß die Verwendung der bereitgestellten, nicht unerheblichen Mittel nicht in einer Hand konzentriert, sondern verzettelt sei und daß die Verwendung nicht ausreichend einheitlich nach scharfen Grundsätzen erfolge. Er deutet an, daß der Großgrundbesitz über Gebühr begünstigt worden sei, eine Anschauung, die auch in dem beiliegenden Aufsatz „Mißstände in Ostpreußen“ zum Ausdruck kommt2. Zwischen der ostpreußischen Landschaft und dem Staatskommissar bestehen ernste Meinungsverschiedenheiten. Er erachtet ihr Festhalten an dem 6%igen Pfandbrief für äußerst bedenklich.

2

Es handelt sich um einen Artikel des sozialdemokratischen „Vorwärts“ vom 24.12.29, der Kritik an den Kreditkommissionen übt, die nicht die wirklich lebensfähigen Betriebe sanieren würden. „Sie bevorzugten vor allem den Großgrundbesitz. Der Großgrundbesitz von 400 Morgen an aufwärts erhielt 78,2 Proz. sämtlicher bewilligten Umschuldungshypotheken, während die große Masse der bäuerlichen Betriebe unter 400 Morgen sich mit den restlichen 21,8 Proz. begnügen mußte.“ Wesentliche Teile des staatlichen Kredits seien an „sanierungsunwürdige Betriebe verschwendet worden“. Als Beispiel wird das Rittergut Zielkeim angeführt, dessen Verschuldung über 100% des tatsächlichen Eigenwertes lag, das aber zum Zweck der Sanierung höher eingeschätzt worden war und einen Kredit von 510 000 RM erhalten hatte, von dem nach der Versteigerung, die schließlich doch erfolgen mußte, nur 125 000 RM gerettet werden konnten. Nach Ansicht des „Vorwärts“ hätte mit dem Kredit 100 lebensfähigen bäuerlichen Betrieben geholfen werden können. Die Zeitung forderte eine Untersuchung wegen der „fahrlässigen Verschleuderung von Staatsgeldern“.

Die Bereinigung des mit Angeboten übersättigten Gütermarktes hat keine Fortschritte gemacht. Die Siedlungsgesellschaften kaufen nur nach siedlungstechnischen Erwägungen wirtschaftlich hochstehende Betriebe, die an sich bereits den Gütermarkt nicht belasten; ähnliches gilt für Domänenankäufe. Der Einfluß des Staatskommissars auf diese Käufe ist völlig ausgeschaltet.

Wie traurig die Lage ist, ergibt sich aus der Tatsache, daß von den Umschuldungskrediten zum Oktobertermin die Hälfte der Zinsen im Rückstand sind.

Der Staatskommissar hält es für dringend nötig, alsbald neue Mittel für Ostpreußen zur Verfügung zu stellen. Die Mittel müssen einheitlich verwaltet,[1353] also wohl in seiner Hand konzentriert, seine Zuständigkeit muß erweitert werden. Die Siedlungsgesellschaften müssen in stärkerem Maße auf dem Gütermarkt kaufen als bisher.

Gewisse Möglichkeiten der Hilfe sieht der Staatskommissar in einer Verstärkung der Anliegersiedlungen, durch die den Restgütern Mittel zugeführt werden können.

F[eßler]

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