1.94 (mu22p): Nr. 350 Der Reichswehrminister an den Reichsminister der Finanzen. 13. November 1929

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Text

RTF

[1142] Nr. 350
Der Reichswehrminister an den Reichsminister der Finanzen. 13. November 1929

R 43 I /880 , Bl. 84-86, hier: Bl. 84-86 Abschrift1

1

Das Schreiben war an den RFM persönlich gerichtet. Die Abschrift trägt die Paraphe des RK.

[Betrifft: Reichswehrhaushalt.]

1. In Ihrem Schreiben […] vom 12. November 1929 gehen Sie von dem Etat des Jahres 1929 aus, eine Basis, die ich nach den von mir zu diesem Etat abgegebenen, sehr eindeutigen Erklärungen nicht akzeptieren kann.

[Wiederholung der Erklärung aus der Ministerbesprechung vom 7.4.29.]2

2

Siehe Dok. Nr. 165.

Außerdem habe ich im Reichstag am 15. Juni 1929 über die Kürzung im Wehretat wörtlich gesagt:

„Ich darf Sie nicht im unklaren darüber lassen, daß ich diesen einschneidenden Abstrichen nur unter der Bedingung zugestimmt habe, daß es sich um eine einmalige Kürzung handelt, und daß im Haushalt des nächsten Jahres bereits wieder ausreichende Mittel für die Ausbildung, Ausrüstung und Fürsorge der Wehrmacht bewilligt werden. Im vollen Bewußtsein meiner Verantwortung muß ich hier auch erklären, daß die Wehrmacht bei einer derartigen Verkürzung der Mittel ihre Aufgaben, die Grenzen des Landes gegen Übergriffe zu schützen und unsere Neutralität zu verteidigen, selbst im bescheidensten Rahmen nicht mehr wird erfüllen können. Solche einschneidenden Maßnahmen wie der Ausfall sämtlicher Manöver in diesem Jahr sind ja nur einmal möglich und tragbar. Ich glaube, für mich in Anspruch nehmen zu können, daß ich für die finanziellen Nöte des Reiches volles Verständnis habe und den Staatsnotwendigkeiten in dieser Hinsicht bei der Zustimmung zu den Kürzungen an meinem Etat weitgehend Rechnung getragen habe; aber ich muß doch darauf hinweisen, daß die Verteidigungsmöglichkeit unseres Vaterlandes schließlich die höchste Staatsnotwendigkeit darstellt3.“

3

Siehe RT-Bd. 425, S. 2500 .

Diese Erklärungen sind im Reichskabinett wie im Reichstag unwidersprochen entgegengenommen, von einzelnen Rednern sogar als durchaus berechtigt anerkannt und unterstrichen worden. Mir ist auch bekannt, daß die sogenannte Streichkommission der Regierungsparteien meinen Standpunkt gekannt und gebilligt hat. Ich würde im Parlament und in der gesamten Öffentlichkeit in eine ganz unmögliche Lage kommen, wenn ich jetzt nicht zu meinen Worten stehen würde.

II. Es liegt in der Natur der Sache, daß ich die allgemeinen politischen Auswirkungen grundlegend anders sehe wie Sie. Es muß doch einmal ausgesprochen werden, daß es, abgesehen von einem Häuflein unbelehrbarer Pazifisten in allererster Linie die immer noch stark wehrfeindliche Einstellung der[1143] sozialdemokratischen Partei ist, die selbst bei den bescheidensten Forderungen der Wehrmacht Schwierigkeiten macht, nur weil die Agitation gegen die Wehrmacht nun einmal zum eisernen Rüstzeug dieser Partei gehört. Das trifft in besonderem Maße auch auf das im Rahmen der Ersatzbauten vorgesehene Panzerschiff B zu. Ich darf in diesem Zusammenhange darauf hinweisen, daß ich durch Mehrheitsbeschluß des Reichstags verpflichtet bin, ein Schiffbauprogramm, wie ich es dem Etat beigefügt habe, vorzulegen. Im übrigen kann ich es mir im Rahmen dieser Ausführungen wohl ersparen, auf die militärischen Notwendigkeiten von Heer und Marine, durch die die Forderungen im Etat begründet sind, nochmals näher einzugehen, nachdem ich Reichsregierung, Parlament und Öffentlichkeit oft genug von meiner Ansicht unterrichtet habe4. Nur darauf möchte ich Ihre Aufmerksamkeit richten, daß meine Auffassung über den Wert auch einer kleinen deutschen Flotte, in Sonderheit meine Befürwortung der Panzerschiffe, durch die Entwicklung der Beziehungen innerhalb der großen Seemächte und deren Flottenabrüstungspläne ihre volle Bestätigung gefunden hat5.

4

Siehe die Ausführungen des RWeM im RT am 15.11.28, RT-Bd. 423, S. 341 .

5

Zu den Bestrebungen für eine internationale Flottenabrüstung siehe Anm. 15 zu Dok. Nr. 18 und Anm. 2 zu Dok. Nr. 33.

Ich bin überzeugt, daß ein großer Teil des deutschen Volkes für meinen Standpunkt in der gesamten Wehrfrage nicht nur volles Verständnis hat, sondern sich sogar leidenschaftlich für die Erhaltung einer Wehrmacht einsetzt. Gerade aus diesen Kreisen ist mir meine Nachgiebigkeit in wehrpolitischen Fragen mehrfach vorgeworfen worden. Ich habe deshalb nicht die Absicht, vor der doktrinären Einstellung der sozialdemokratischen Partei auch in diesem Jahre wieder zu kapitulieren, und könnte auch eine Überstimmung im Kabinett nicht hinnehmen.

III. Dagegen kann ich mich mit Ihren Ausführungen über die finanzpolitische Lage, in Sonderheit die geplante Reichsfinanzreform, durchaus einverstanden erklären. Nur kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, als ob die soviel gepriesene und ersehnte Sparsamkeit nicht auf alle Ressorts gleichmäßig Anwendung findet, möchte mir aber ein endgültiges Urteil darüber bis nach dem Studium der übrigen Etats vorbehalten. An der Tatsache kommt man aber nicht vorüber, daß die Streichungen im Etat 1929 im wesentlichen zu Lasten meines Ministeriums und des Verkehrsministeriums gegangen sind – bei letzterem noch dazu bei Kapiteln, die die Landesverteidigung stark berührten.

Nach alledem vermag ich an meinem Ihnen vorgetragenen Standpunkt nichts zu ändern und bitte Sie, Ihrerseits doch noch einmal ernsthaft zu prüfen, ob das Kabinett eine nochmalige Drosselung der notwendigsten militärischen Rüstung verantworten kann.

Abschrift dieses Schreibens habe ich dem Herrn Reichskanzler übersandt.

gez. Groener

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