2.9 (bau1p): Nr. 9 Der Hessische Ministerpräsident an den Reichspräsidenten. Darmstadt, 30. Juni 1919

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Nr. 9
Der Hessische Ministerpräsident an den Reichspräsidenten. Darmstadt, 30. Juni 1919

R 43 I /2271 , Bl. 40–41 Abschrift1

1

Abschrift nach dem der Rkei am 4. 7. vom Büro des RPräs. mit der Bitte um Stellungnahme der RReg. übersandten Original. Auf dem Begleitschreiben hatte der Gesandte Nadolny hschr. vermerkt: „[…] Der Herr RPräs. möchte den Herrn MinPräs. in dieser Sache gern persönlich sprechen“ (R 43 I /2271 , Bl. 42).

[Betrifft: Gründung einer mittelrheinischen Republik; Großhessenfrage.]

Dem Herrn Reichspräsidenten beehre ich mich ergebenst mitzuteilen, daß ich bei meiner Anwesenheit in Mainz am 27. und 28. dieses Monats in der Provinzialdirektion der Provinz Rheinhessen, mit Vertretern der Bürger und Beamten, der Handelskammer und Führern politischer Parteien eine Besprechung über die Frage der auf die Gründung einer Rheinischen Republik hinauslaufenden Bewegung gehabt und dabei folgenden Eindruck gewonnen habe:

Die von dem früheren Staatsanwalt Dr. Dorten betriebene Propaganda zur Gründung einer Rheinischen Republik unter Einschluß Rheinhessens ist trotz ihres ersten Mißerfolges nicht zur Ruhe gekommen2. Vielmehr ist es Dr. Dorten in letzter Zeit wieder besonders rührig. Offenbar erfreut er sich dabei des Schutzes der französischen Besatzungsarmee. Während er ungehindert Versammlungen einberufen und abhalten kann, ist es denen, die seine Pläne bekämpfen wollen, bis jetzt nicht möglich gewesen, von den französischen Behörden die Erlaubnis zur Abhaltung von Versammlungen zu erlangen. Hierin besteht eine große Gefahr, da es Dr. Dorten auf diese Weise möglich ist, für seine Idee ungehindert zu wirken und die Bevölkerung einseitig zu beeinflussen. Die[35] anliegenden mir vertraulich zugegangenen Briefe3 geben Aufschluß über die Einzelheiten der Dortenschen Propagandatätigkeit. Wenn auch die Bevölkerung in ihrer weit überwiegenden Mehrheit den Dortenschen Plänen, wie dies die Demonstrationsstreiks bewiesen haben, abgeneigt ist, so haben sie doch zweifellos den Erfolg gezeitigt, daß der Gedanke zu einem neuen Staatengebilde in der linksrheinischen Bevölkerung, insbesondere in Rheinhessen wie auch in Nassau, aufs Neue in Fluß gekommen ist und weitere Kreise zieht. In der Förderung, der sich Dorten zweifellos bisher bei der französischen Okkupationsarmee erfreut hat und den Lockungen mit einer Abkürzung der Okkupationszeit und Entlastung von Kriegssteuern, die auf die Menge wirken, liegt eine große Gefahr für eine Absplitterung Rheinhessens und damit für den Bestand des Freistaates Hessen. In der Gründung einer linksrheinischen Republik würde aber auch eine Gefährdung des Reiches zu erblicken sein, da bei der zu erwartenden langjährigen Besatzung der französische Einfluß ein derartig starker sein wird, daß die Gefahr einer Orientierung dieser Republik nach Westen nicht von der Hand zu weisen ist.

2

Dorten stand hinter der am 1. 6. von Aachen, Mainz, Speyer und Wiesbaden aus proklamierten selbständigen „Rheinischen Republik“ im Verband des dt. Reiches, die aus dem Rheinland, Alt-Nassau, Rheinhessen und der Rheinpfalz bestehen sollte (Aufruf in: Ursachen und Folgen. Bd. III, Dok. Nr. 631). Das Unternehmen brach am 4. 6. aufgrund massiven dt. Widerstands und der unentschlossenen Haltung der frz. Besatzungsbehörden, die den Putschversuch bisher begünstigt hatten, zusammen (vgl. die aufgrund amtlichen Materials im PrIMin. angefertigte „Übersicht über den äußeren Verlauf der Vorgänge bei Ausrufung der sogenannten rheinischen Republik in Wiesbaden unter besonderer Berücksichtigung der Mitwirkung der Franzosen“; Schreiben des PrIM an den RMinPräs. u. a., 15.6.19; R 43 I /1837 , Bl. 423–434; s. auch Schultheß 1919, I, S. 231 f.).

3

Nicht abgedruckt.

Wie bei der eingangs erwähnten Besprechung von den verschiedenen Vertretern übereinstimmend erklärt wurde, besteht, abgesehen von den einzelnen Ausnahmen, bei der rheinhessischen Bevölkerung keine Neigung, sich von Darmstadt zu trennen. Im Gegenteil ist die feste Absicht vorhanden, an dem rechtsrheinischen Hessen festzuhalten. Dabei ist eine starke Strömung vorhanden, die an Zunahme gewinnt, einen mittelrheinischen Gliedstaat um Rhein-Main zu bilden, dem außer dem Freistaate Hessen, Nassau, Rheingau, Pfalz, Birkenfeld und Teile des Nahetals angehören sollen. Nicht nur in Rheinhessen besteht diese Strömung, sondern sie soll auch in den Gebietsteilen, wie insbesondere in Nassau, in der Pfalz und Birkenfeld, vorhanden sein. Frankfurt soll in dieses neue Staatengebilde nicht einbezogen werden. Der neue Gliedstaat am Mittelrhein würde ein wirtschaftlich kräftiges Staatswesen werden und in glücklicher Weise die Länder links und rechts des Mittelrheins miteinander verbinden und gleichzeitig die Mainbrücke, die Norden und Süden verbindet, beibehalten und damit zu einem festen Eckpfeiler in dem Deutschen Reiche werden.

Um die Dortenschen Pläne wirksam zu bekämpfen und die darin liegende Gefahr zu beseitigen, linksrheinisches Gebiet von dem rechtsrheinischen Deutschland zu trennen, halte ich es für dringend notwendig, unter Beobachtung der verfassungsmäßigen Bestimmungen der Gründung einer mittelrheinischen Republik, wie sie oben in großen Umrissen angedeutet wurden, alsbald näher zu treten. Ich wäre daher für eine baldgefällige Mitteilung zu Dank verbunden, wie sich die Reichsregierung zu dieser Gründung eines Gliedstaates stellt.

Ich gestatte mir weiter anzufügen, daß sich bei meinem Besuche, den ich am 28. d. Mts. dem Oberkommandierenden der X. französischen Armee, General[36] Mangin, abgestattet habe, auch gegen die Dortenschen Pläne Verwahrung eingelegt und die diesseitigen Neigungen auf Gründung einer mittelrheinischen Republik zur Sprache gebracht habe. Charakteristisch war hierbei die Erklärung des Generals Mangin, daß Dorten als Vorposten anzusehen sei, der unter Umständen geopfert werden müsse. Die Gründung einer mittelrheinischen Republik in diesseitigem Sinne schien dem General durchaus genehm zu sein, wenigstens machte dies so den Eindruck4.

4

Die von Ulrich über diesen Besuch in Mainz hinterlassenen autobiographischen Aufzeichnungen (Ulrich: Erinnerungen des ersten hessischen Staatspräsidenten. S. 143–145) sind von dem Bemühen gekennzeichnet, die patriotische Redlichkeit seines Vorgehens herauszustellen. Gestützt auf unmittelbar nach der Reise stattfindende Gespräche mit den Teilnehmern gibt der pr. Gesandte in Darmstadt, Rieth, dagegen eine umfassende Darstellung des „Befremden“ erregenden Schrittes (Rieth an AA, 2.7.19; R 43 I /2271 , Bl. 27–36). Vertrauliche Einzelheiten, die er bewußt aus dem offiziellen Bericht herausgehalten hatte, teilt Rieth in einem Privatdienstschreiben an LegR von Prittwitz am 3. 7. mit. Danach sei „der Beschluß, mit Mangin auch die in vielen hiesigen Köpfen spukende, noch unreife Frage der Gründung einer ‚Mittelrheinischen Republik‘ zu besprechen“, offenbar erst nach den in Mainz empfangenen Eindrücken und auf Drängen des HessJM von Brentano gefaßt worden. Brentano habe ihm, Rieth, gegenüber die Befürchtung ausgesprochen, daß der MinPräs. „noch im letzten Augenblick“ hätte abspringen können. Doch müsse Ulrich, fährt Rieth fort, „zur Zeit starke Rücksichten auf Herrn von Brentano nehmen, weil die Möglichkeit besteht, daß die Demokraten demnächst – ähnlich wie in Weimar – aus der Regierung austreten, offenbar weil sie die Mitverantwortung für die kommende finanzielle Belastung nicht auf sich nehmen möchten“. Bezüglich der Wirkung, die sein Handeln in Berlin hervorrufen würde, habe Ulrich ein schlechtes Gewissen. Rieth empfiehlt, dem Befremden der RReg. darüber, daß die hess. Reg. unautorisiert eine innerdt. Angelegenheit mit den frz. Besatzungsbehörden besprochen habe, „in einer nicht allzu scharfen Form Ausdruck“ zu geben. Dies könnte einerseits die Fortsetzung der Verhandlungen mit den Franzosen verhindern, während andererseits „eine glatte Abweisung der geäußerten Wünsche oder eine Verschleppung die Verstimmung gegen Preußen vermehren und vielleicht auch den bisher überall vorhandenen Willen, nichts gegen das Interesse des Reiches zu unternehmen, untergraben könnte“ (Rieth an von Prittwitz, 3.7.19; PA, Deutschland Nr. 182, Bd. 3). Zum Fortgang – auch zur Haltung der RReg. – s. Dok. Nr. 26.

gez. Ulrich.

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