2.17.4 (cun1p): 4) Antrag Preußens zum Umlagegetreidegesetz, betreffend Lieferung von Stickstoffdünger für abgeliefertes Getreide

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Das Kabinett Cuno Wilhelm Cuno Bild 183-1982-0092-007Französischer Posten Bild 183-R43432Posten an der Grenze des besetzten Gebietes Bild 102-09903Käuferschlange vor Lebensmittelgeschäft Bild 146-1971-109-42

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[54] 4) Antrag Preußens zum Umlagegetreidegesetz, betreffend Lieferung von Stickstoffdünger für abgeliefertes Getreide

Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft Dr. Luther trägt vor, daß bezüglich der Getreideumlage6 Preußen beantragt habe, keine einfache Preiserhöhung mehr Platz greifen zu lassen, sondern statt dessen die Landwirte für abgeliefertes Getreide mit Stickstoff zu beliefern. Zu diesem Zwecke solle Chilesalpeter eingeführt werden7. Er halte die Ausführung eines derartigen Verfahrens jedoch für unmöglich, einerseits wegen der Schwierigkeiten der Einfuhr, andererseits weil dadurch die gesamte Stickstoffbelieferung im Inland in Verwirrung komme8. Er habe versucht, Preußen aus diesem Grunde zur[55] Zurücknahme seines Antrags zu bewegen. Dieser Versuch sei gescheitert. Er bitte daher, das Kabinett wolle beschließen, diesen Antrag abzulehnen.

6

Die Getreideumlage geht zurück auf das „Gesetz über die Regelung des Verkehrs mit Getreide“ vom 21.6.21 (RGBl. I, S. 737  ff.), dazu die Sonderbestimmungen für die Getreideernte 1922 (RGBl. 1922 I, S. 537  ff. und S. 809). Danach sind insgesamt 2,5 Mio t Getreide im Wege der Umlage zu Festpreisen an die Reichsgetreidestelle zu liefern, und zwar ⅓ bis zum 31.10.22, das 3. Sechstel bis zum 31.12.22, das 4. Sechstel bis zum 31.1.23, das 5. Sechstel bis zum 28.2.23, das 6. Sechstel bis zum 15.4.23. Für die letzten vier Fristen sind jeweils besondere Preisfestsetzungen vorgesehen.

7

Der preußische Antrag, am 9.10.22 in der Erstfassung an den RR gegeben (RR-Drucks. Nr. 246), am 18. 11. in abgeänderter Form dem RR als Gesetzentwurf zugeleitet (R 43 I /1261 , Bl. 68-70), sieht in dieser Fassung für die Ablieferung jeder t Getreide aus dem 3. – 6. Sechstel der Umlage eine Bezahlung nach den Festpreisen für das 1. Drittel und zusätzlich die unentgeltliche Abgabe von 30 kg Stickstoff vor. Das so gewährte Entgelt soll als Mittelwert zwischen dem bisherigen Umlagepreis und dem freien Marktpreis den Interessen der Verbraucher und Erzeuger gleichermaßen gerecht werden. Die notwendige Einfuhr von insgesamt 250 000 t Chilesalpeter wird von Preußen vor allem deshalb empfohlen, weil damit eine wesentliche Steigerung der Erzeugung zu erreichen ist. In der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es dazu: „Die deutsche Landwirtschaft ist nicht in der Lage, ohne Hilfe des Reichs diesen Salpeter einzuführen. Sie muß deshalb durch dessen Unterstützung hierzu in die Lage versetzt werden, und zwar so schnell, daß die Getreidefelder noch im Frühjahr die Kopfdüngung erhalten können. Mit 1 Ztr. Salpeter wird eine Mehrernte von 3 – 4 Ztr. Getreide erzielt. Es ist somit für das Reich sehr viel vorteilhafter, statt 3,5 Ztr. Getreide 1 Ztr. Salpeter einzuführen.“ (R 43 I /1261 , Bl. 69 f.).

8

In einer Denkschrift des REMin. zum preußischen Antrag vom 18.11.22 heißt es u. a.: „Die praktische Durchführbarkeit der Inlandsverteilung wurde durch den Verein der Salpeterimporteure, wie durch das Stickstoffsyndikat für möglich erklärt. […] Die weitere Behandlung der preußischen Anträge hängt davon ab, ob es möglich ist, die nötigen Geldmittel zu beschaffen. […] Das REMin. beantragt, daß alle im Rahmen der Gesamtwirtschaft des Reiches möglichen Schritte zur Erreichung dieses Zweckes getan werden. Durch Einfuhr und sachgemäße Verwendung von Chilesalpeter wird zweifellos eine Produktionssteigerung herbeigeführt werden, die die Auslagen für Chilesalpeter decken wird.“ (R 43 I /1261 , Bl. 76-79). In einer späteren Denkschrift des REMin., am 19. 12. an die Rkei gegeben, wird berichtet: „Am 30.11.22 hat eine Besprechung mit den beteiligten Ressorts stattgefunden, in der das RFMin., die Rbk, das RWiMin. und RSchMin. und das PrLandwMin. vertreten waren [Protokoll in R 43 I /1261 , Bl. 151-154]. Von allen Teilnehmern wurde die Bedeutung der preußischen Vorschläge anerkannt, jedoch hoben die vorgenannten Reichsressorts hervor, daß ihre Durchführung zur Zeit unmöglich ist, weil eine Sicherheit für die von Preußen veranschlagte Mehrerzeugung nicht bestehe und angesichts der finanziellen Lage des Reichs die zum Ankauf erforderlichen Auslandsgeldmittel nicht zur Verfügung gestellt werden könnten.“ (R 43 I /1261 , Bl. 185-188, hier: Bl. 186).

Der Reichskanzler hat gleichfalls Bedenken gegen eine zwangsweise Belieferung der Landwirte mit Stickstoff, die vielleicht gar nicht deren Bedürfnissen Rechnung trage. Er fragt, ob nicht eine Art fakultativer Belieferung möglich sei.

Reichsminister Dr. Luther hält auch dies für praktisch unmöglich.

Reichsminister der Finanzen Dr. Hermes hält den Antrag Preußens für undurchführbar. Es sei jetzt nur ein Weg gangbar: eine schleunige Erhöhung der Umlagepreise.

Reichsminister Dr. Luther geht kurz auf die Ernteaussichten für nächstes Jahr ein, die sehr trübe seien, da bisher wegen der Feuchtigkeit die Wintersaat nur in geringem Umfange bestellt werden konnte. Er halte es für notwendig, daß alles geschehen müsse, um die Produktion der Landwirtschaft zu heben, namentlich müsse das Programm für die Getreidebehandlung für nächstes Jahr bald herauskommen.

Das Kabinett stimmt dem Vorschlage des Herrn Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft auf Ablehnung des preußischen Antrags zu.

Der Herr Reichskanzler bittet, die Angelegenheit in der Presse vorsichtig zu behandeln und Vorsorge zu treffen, daß aus dieser Ablehnung nicht allzu scharfe Angriffe gegen die Reichsregierung erwachsen könnten.

Reichsminister Brauns wendet sich im Zusammenhang hiermit ganz allgemein gegen das Verfahren der Länder, Anträge an die Reichsregierung vorzeitig zu veröffentlichen und dadurch im Ablehnungsfalle die Reichsregierung in eine schwierige Lage zu bringen9.

9

StS Hamm greift diesen Hinweis in einem Schreiben an Oeser vom 14. 12. auf und führt dazu aus: „Wenn auch von den Mitgliedern des RR aus staatsrechtlichen und politischen Gründen eine Bindung hinsichtlich des Zeitpunktes von Veröffentlichungen von RR-Anträgen nicht erreicht werden könne, so dürfte gleichwohl eine gelegentliche Fühlung mit den Ländern in dem Sinne möglich sein, daß die Veröffentlichungen von RR-Anträgen nicht ohne den Versuch einer vorherigen gegenseitigen Verständigung erfolgen. Ich darf daher der geneigten Erwägung anheimstellen, in diesem Sinne mit den Ländern in Verbindung zu treten.“ (R 43 I /2327 , Bl. 165).

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