2.224 (cun1p): Nr. 224 Denkschrift des Staatssekretärs Hamm zur Finanz- und Wirtschaftspolitik. 25. Juli 1923

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Das Kabinett Cuno Wilhelm Cuno Bild 183-1982-0092-007Französischer Posten Bild 183-R43432Posten an der Grenze des besetzten Gebietes Bild 102-09903Käuferschlange vor Lebensmittelgeschäft Bild 146-1971-109-42

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Nr. 224
Denkschrift des Staatssekretärs Hamm zur Finanz- und Wirtschaftspolitik. 25. Juli 19231

1

Der Entwurf der Denkschrift ist mit zahlreichen handschriftlichen Verbesserungen StS Hamms versehen und findet sich in R 43 I /2357 , Bl. 125-128, 129-132 zusammen mit einer Durchschrift.

R 43 I /1134 , Bl. 120-123

Die deutsche Mark ist im Ausland nahezu unverkäuflich. Auf die Kriegsblockade droht eine Währungsblockade zu folgen. Im Inlande hat die Mark ihre Zahlungs- und Anziehungskraft verloren. Die Sorge, daß insbesondere die Landwirtschaft, mit Betriebsmitteln zum großen Teil auf lange Zeit hinaus versehen, in vielen Gegenden auf längere Zeit mit hauswirtschaftlichem Bedarf übersättigt, die kommende Ernte gegen Papiermark nicht abgeben wird, wird nun auch vom Ernährungsministerium und in der Öffentlichkeit geteilt. Industrie und Gewerbe arbeiten noch. Die Zahl der offenen wie der versteckt Arbeitslosen ist verhältnismäßig günstig. Die Industrie ist in ganz ungleichmäßiger Weise mit Rohstoffen versorgt. Die Einfuhr von Rohstoffen wird aber immer schwieriger. Mit allmählichem Stilliegen der Wirtschaft muß gerechnet werden. Die Gehalts- und Lohnzahlungen folgen für breite Schichten der Steigerung der Ausgaben in einem Maße, das die Kaufkraft und die durch das Fehlen anderer Sparmöglichkeit gesteigerte Kauflust in Mißverhältnis zu der fortdauernden Erzeugung bringt. Gleichwohl ist der Reallohn so tief gesunken, daß vielfach für Bedarf von Familie, Kinderaufzucht, Erneuerung von Hausrat und Wäsche das Notwendigste fehlt. Die ständige Entwertung der Mark bringt[663] fieberhafte Unruhe in Geschäfts- und Familienleben, drückt die Stellung des Käufers gegenüber dem Verkäufer und wird, selbst wo die Einnahmen einigermaßen folgen, zu einer allmählich unerträglichen seelischen Qual. Die gleiche Entwertung der Mark bringt weiten Kreisen eine unsinnige Steigerung der vermeintlichen Gewinne aus Börsengeschäften, deren Erträge zum großen Teil in ärgerlichem Luxus angelegt werden. Das Sparen hat seinen Sinn verloren2.

2

Ähnlich schildert RKom. Kuenzer die Situation in seinem 13seitigen Bericht über die „innerpolitische Lage“, den er am 24. 7. StS Hamm zusendet. Er geht darin insbesondere auf die politische Radikalisierung weiter Kreise ein und schreibt u. a.: „Wenn man im deutschen Volk auch allgemein der Auffassung ist, daß die Ursache unserer Lage letzten Endes in den durch den Ruhreinbruch geschaffenen Verhältnissen gefunden werden muß, so suchen doch weite Kreise Schuldige im eigenen Lande. Man sucht dem politischen Gegner die Verantwortung für diese Gestaltung der Dinge zuzuschieben und wirft ihm vor, daß er von den richtigen Mitteln und Wegen zur Besserung unserer Lage keinen Gebrauch macht. In diesem Kampf haben offensichtlich bisher die Radikalen beider Richtungen auf Kosten der staatserhaltenden Mittelparteien gewonnen; sie haben die Unzufriedenheit der Massen, denen die realpolitische, nüchterne Einstellung vielfach nicht gegeben ist, in großem Maße agitatorisch auszunützen verstanden und mit ihren Ideen und Zielen immer mehr Anhang gefunden. Überaus geschickt sind sie der weitverbreiteten Meinung, daß es so nicht weitergehen könne, vielmehr etwas geschehen müsse, durch das Eintreten für eine stark aktive Politik entgegengekommen und haben das Vertrauen des Volkes zu den politischen Führern der gemäßigten Richtung zu untergraben verstanden. Auch in durchaus nicht umstürzlerisch denkenden Schichten des Volkes verspricht man sich von den berufenen Vertretungen des Volkes, insbesondere dem RT und der RReg., keine Hilfe mehr und beschäftigt sich mit dem Gedanken einer Umgestaltung unserer politischen Verhältnisse. Dasselbe Bild bieten die Berufsorganisationen aller Richtungen, wo der Einfluß der bisherigen Führer auf die Massen immer geringer wird. Die radikale Politik der beiden extremen Richtungen und die Art und Weise, wie sie betrieben wird, haben die Gegensätze so zugespitzt, daß mit einer gewaltsamen Auseinandersetzung gerechnet werden muß.“ (R 43 I /2708 , Bl. 103-109).

Was demgegenüber Heilung bringen kann, ist grundsätzlich Stillegung der Notenpresse, möglichste Herstellung der Bilanz von Ein- und Ausfuhr, außen- und innenpolitische Befestigung der staatlichen Sicherheit Deutschlands. Was hierzu wirtschaftlich zunächst zu tun ist, kann vielleicht in Anlehnung an das Programm des Reichswirtschaftsrats vom 12. Juli 19233 in den folgenden Schlagworten zusammengefaßt werden:

3

Es handelt sich dabei um eine Entschließung des Wirtschaftspolitischen und des Finanzpolitischen Ausschusses vom 11. 7., die der RWiR am 12. 7. dem RK, den RM und dem RbkPräs. zugesandt hatte. Die Ausschüsse legen darin „besonderen Nachdruck auf die Maßnahmen, die die verderbliche Defizitwirtschaft des Reiches, das riesenhafte Anschwellen der schwebenden Schuld und die rapide Vermehrung der Notenausgabe abzudämmen geeignet sind. Das Ziel aller Maßnahmen kann nur die Stabilisierung der Währung durch Herstellung des Gleichgewichts im Etat bilden, die einzige Möglichkeit, wieder zu stabilen Verhältnissen zu kommen.“ Der Vorbereitung dieses Zieles sollen die vorgeschlagenen Maßnahmen dienen (R 43 I /2435 , Bl. 298-302).

I. Finanzpolitik.

1) Steuern

a) Bei den indirekten Steuern Anpassung an die Geldentwertung, Beschleunigung der Fälligkeit, Ausmerzung unrentabler Steuern – im wesentlichen geschehen oder mit den neuen Vorlagen eingeleitet4;

4

S. Dok. Nr. 227.

b) für die direkten Steuern Vorauszahlung auf Einkommen- und Körperschaftssteuer unter möglichst voller Anpassung an die Geldentwertung, Valorisierung[664] der veranlagten Steuern für den Stichtag im wesentlichen durchgeführt oder eingeleitet5;

5

S. Dok. Nr. 227.

c) als Sondersteuer wird ein Rhein-Ruhr-Opfer gefordert, das sich im wesentlichen als Einkommenbesteuerung darstellt, nicht als Besitzbesteuerung, und insofern zu der für die Brotverbilligung bestimmten Besitzbelastung eine Ergänzung bildet, jedoch wohl der Umarbeitung auf strenge Goldbasis bedarf6;

6

S. Dok. Nr. 227. Eine Umarbeitung auf strenge Goldbasis erfolgt nicht, doch wird eine Anpassung an die Geldentwertung vorgesehen durch die Verbindung mit Art. I des Gesetzes über Vorauszahlungen auf die Einkommen-, Körperschafts- und Umsatzsteuer vom 11.8.23 (RGBl. I, S. 773 ).

d) Reform der Einkommensteuer hinsichtlich der Tarifsätze zu dem Zwecke, eine ehrliche Durchführung der Steuergesetze erträglich zu machen, steht noch aus und wird alsbald anzukündigen sein;

e) schärfere Besteuerung der Einkommen der Jugendlichen, sei es in besonderem Steuerzuschlag, sei es durch Erhöhung der allgemeinen Steuer mit hoher Abzugssumme, bleibt noch möglich7;

7

Dieser Vorschlag war von Hamm schon seit Monaten vertreten worden (vgl. Denkschrift Hamms vom 17.1.23, P. V, 7); in der Entschließung des RWiR fehlt er.

f) von den für die Reparationsgarantie in Aussicht genommenen Maßnahmen kann vorweg für den Ruhr- und Rheinkampf in Betracht kommen: eine Sonderbesteuerung des in der Entschuldung des Grundbesitzes liegenden Vermögenszuwachses. Im Jahre 1913 befanden sich in öffentlicher Hand Hypotheken im Betrage von 45 Milliarden GM, in privater Hand nach van der Borght in der Stadt 12 – 17 Milliarden GM, auf dem Lande 7 – 10 Milliarden GM; nach Schwarz (Präsident der Preußischen Zentralbodenkreditanstalt) 5½ – 8 Milliarden GM. Insgesamt wird der Betrag geschätzt von van der Borght auf 64 – 72 Milliarden GM, von Schwarz auf 55 Milliarden GM. Verhältnis von Stadt zu Land = 2 : 1, also Land 18 – 24 Milliarden GM, Stadt 36 – 48 Milliarden GM.

Nimmt man von diesem städtischen Betrag nur ein Viertel als [nicht] belastungsfähig, so ergeben sich rund 30 Milliarden GM belastungsfähig, woraus ein Entschuldungszins von 1% 300 Millionen GM betrüge. – Die Rechnung ist ganz oberflächlich aufgestellt, immerhin dürfte sich ergeben, daß hier eine Besteuerungsquelle liegen kann8.

8

Der Punkt f) fehlt in der Entschließung des RWiR, die aber dafür noch die folgenden, hier unberücksichtigten Punkte anführt: „e) Möglichst prozentuale Bemessung vom Verkaufspreis bei den indirekten Steuern und Verbrauchsabgaben. f) Kredite und Stundungen sind vom Reich und den Betriebsverwaltungen nur wertbeständig in der Regel auf Goldbasis und gegen Goldzins zu gewähren. g) Regelmäßige kurzfristige Anpassung der Tarife von Eisenbahn und Post an die Geldentwertung, ebenso der Gebühren und Stempelsteuern.“ (R 43 I /2435 , Bl. 298-302, hier: Bl. 299).

2) Wertbeständige Anleihe könnte zu einem Teile auch als Zwangsanleihe für die großen Vermögen aufgelegt werden; jedenfalls müßte sie im Zusammenhang mit Rhein- und Ruhropfer gebracht und so breit als möglich aufgelegt werden9. Vorsorge, daß Sparkassen auf der Grundlage der wertbeständigen[665] Anleihe ihren Sparkassengläubigern wiederum wertbeständige Anlage ermöglichen.

9

Der RWiR hatte hier lediglich vorgeschlagen: „Ausgabe einer langfristigen Reichsgoldanleihe gegen Zahlung von Papiermark.“

3) Sparmaßnahmen. (Saemisch)10

10

Die von Sparkommissar Saemisch vorgeschlagenen Sparmaßnahmen kommen im Kabinett Cuno nicht mehr zur Beratung (vgl. Anm. 4 zu Dok. Nr. 212).

II. Währung.

1) Gold aus der Wirtschaft (außer durch Anleihe) durch Goldverrechnung der Exportdevisen zu ziehen.

2) Zur Beschränkung des Devisenbedarfs11:

11

Vgl. dazu das Schreiben des RWiM an den RK vom 23.7.23 (Dok. Nr. 222).

a)

Einfuhrdrosselung durch allgemeines Einfuhrverbot.

b)

Forderung der Vorausdeckung der Devisenanforderungen in voller Höhe durch bestehenden Kredit;

c)

Bedarfsprüfung der Devisenanmeldungen bei den Reichsbankhauptstellen, wobei ein Beirat von Banken und allenfalls ein öffentliches Organ mitwirken kann; der Einwand, daß der Apparat nicht aufzubringen sei, ist, wenn man sich zunächst auf das Wichtigste beschränkt, nicht stichhaltig, starke Strafdrohung kann erleichtern.

3) Technische Verbesserung der Devisenpolitik der Reichsbank.

4) Wechselkredite der Reichsbank nur gegen Goldverrechnung.

5) Erhöhung des Diskontsatzes der Reichsbank (verliert demgegenüber an Bedeutung).

6) Ausschließliche Valorisierung der Ruhrkredite, über die im übrigen alsbald Denkschrift des Finanz- und Wirtschaftsministeriums zu erstellen wäre12.

12

Die letzten Punkte sind z. T. enthalten in den Vorschlägen des RWiR, die unter der Überschrift „Reichsbankpolitik“ vorsehen: „a) Übergang von Papiermarkkreditgewährung zum Goldkredit. b) Diskontierung von Goldwechseln gegen Goldzins. c) Zulassung von Goldkonten. d) Annahme von Devisendepositen. e) Fortführung der Stützungsaktion, insbesondere durch Bereitstellung eines ausreichenden Devisenfonds, zu dessen Bildung die Devisenbestände der privaten Wirtschaft gegen Goldschatzanweisung der Rbk heranzuziehen sind. f) Übernahme der Garantie für die Verzinsung einer langfristigen wertbeständigen Anleihe.“ Anschließend empfiehlt der RWiR, allgemein zur Goldrechnung überzugehen, auch Hypotheken und Obligationen auf Goldbasis umzustellen. Unter der Überschrift „Wertbeständige Löhne“ heißt es dann: „a) Die Goldrechnung der privaten Wirtschaft erfordert auch den Übergang zu wertbeständigen Löhnen und Gehältern. Die Festsetzung der Löhne in Goldrechnung kann aber erst erfolgen, wenn die Goldrechnung für den Waren- und Geldverkehr allgemein und offen durchgeführt ist. b) Für die Übergangszeit empfehlen die Ausschüsse eine schnelle Anpassung der Löhne an die Veränderung der Lebenshaltungskosten auf der Grundlage von Indexziffern; zu deren richtiger Ermittlung ist der amtliche Lebenshaltungsindex zu verbessern und wöchentlich aufzustellen. Den Vertragsparteien muß es überlassen bleiben, den Reichszentralindex oder den örtlichen bzw. bezirklichen Lebenshaltungsindex als Grundlage der Verhandlungen zu verwenden. Für die Angestellten und Beamten der öffentlichen Körperschaften erfolgt die Regelung bzw. Festsetzung der Gehälter auf gesetzlichem Wege unter sinngemäßer Anwendung der Grundsätze. Die Ausschüsse empfehlen unter Berücksichtigung des Vorstehenden zunächst nur kurzfristige Tarifabschlüsse bzw. Gehälterfestsetzungen.“ (R 43 I /2435 , Bl. 298-302, hier: Bl. 301). Zur Festsetzung der Indexlöhne s. auch Dok. Nr. 211, Anm. 3.

[666] III. Ernährung.

1) Benehmen mit der Landwirtschaft über freiwillige Ablieferung der Ernte, insbesondere der Früh- und Spätkartoffelernte.

2) Drosselung gewisser Luxuszufuhren für Bäder usw.

IV. Bereitstellung von Notstandsarbeiten größten Umfangs, insbesondere von Kleinwohnungsbauten, wobei hierfür aufzunehmende Anleihen in den bestellten Bauten teilweise Sicherung finden können13; zu erwägen gesetzliche Verpflichtung von Großarbeitgebern zu Wohnungserstellung oder Kredithilfe hierzu für Neuzugänge an Angestellten und Arbeitern seit einem gewissen Zeitpunkt.

13

Auf ein entsprechendes Schreiben Hamms vom 27. 7. legt RArbM Brauns am 3. 8. ausführlich die verschiedenen Möglichkeiten für ausgedehnte Notstandsarbeiten und ihre Finanzierung dar, wobei auch er die Aufstellung eines umfassenden Wohnungsbauproramms für besonders wichtig erklärt (R 43 I /2028 , Bl. 188; 197-199).

Hamm

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