1.184.1 (lut2p): [Ostsiedlungsfragen]

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[Ostsiedlungsfragen]

Reichsminister Dr. Brauns berichtete über die Pläne der Reichsregierung betreffend Erwerb der Neuland A.G. und über die vom Reich geplante Zusammenarbeit des Reichs mit der Preußischen Staatsregierung1.

1

Vgl. Dok. Nr. 351, dort bes. Anm. 2.

Der Reichskanzler ergänzte diesen Bericht und hob insbesondere hervor, daß der ganze Plan von vornherein gescheitert sei, wenn das Reich nur das Geld den Ländern auszahlen solle, ohne selber an der Durchführung der Siedlungspläne beteiligt zu sein. Neben diesem Grundsatz wolle das Reich selbstverständlich auch den anderen Grundsatz gelten lassen, daß unter keinen Umständen neue Reichsbehörden geschaffen werden sollten2. Im Gegenteil sollte die Durchführung der Siedlungspläne nur im engsten Einvernehmen mit Preußen und dessen Behörden geschehen.

2

Diesen Grundsatz hatte die PrStReg. mit Schreiben an den RK vom 28. 4. geltend gemacht. Vgl. Anm. 3 zu Dok. Nr. 351.

Ministerpräsident Braun: Aus politischen Gründen hielte er es für unzweckmäßig, überhaupt von Grenzsiedlungsplänen zu sprechen. Er habe sogar schon Bedenken, ob überhaupt eine stärkere Siedlungstätigkeit gerade an der[1332] preußischen Ostgrenze zweckmäßig sei. Erwünscht wäre selbstverständlich durchweg eine stärkere Siedlungstätigkeit der Länder. Die Länder seien auch durchaus in der Lage, eine solche Siedlung zweckmäßig durchzuführen. Wenn dies gerade in den letzten Jahren nicht in zufriedenstellender Weise geschehen sei, so habe dies nur den einen Grund des fehlenden Kapitals gehabt. Preußen schlage daher vor, das Reich möge die ihm zur Verfügung stehenden Mittel den Ländern überweisen, die dann für zweckmäßige Verwendung sorgen würden. Er könne sich nicht vorstellen, daß dieses Verfahren im Reich, und namentlich im Reichstag, nicht durchzubringen sei, da es doch bereits jetzt zahlreiche Probleme staatlicher Arbeit gebe, bei denen das Reich nur der Geldgeber, die Länder aber die ausführenden Organe seien. Was nun den Plan des Reichs im einzelnen angehe, so sei zu bemerken, daß die Neuland A.G. ein vollständig bankrottes Unternehmen sei, das auch in etwas anderer Gestalt für Siedlungszwecke gänzlich ungeeignet sei. Die einzige Konzession, die Preußen machen könne, sei die Schaffung eines Ministerrats, der über die Art der Verwendung der Mittel entscheide und die Durchführung dieser Richtlinien kontrolliere. Alles weitere sei überflüssig und schädlich.

Staatsminister Steiger wendete sich gleichfalls gegen die Einschaltung der Neuland A.G. in diese Siedlungspläne. Die Staatsbank besorge für Preußen die geldliche Seite der Siedlungsangelegenheit bereits seit dem Jahre 1819, und es sei für Preußen ganz unmöglich, dieses Arbeitsgebiet von der Staatsbank abzutrennen. Er halte es für unmöglich, daß das Reich für eine Reihe von Jahren jährlich 50 Millionen zuschieße. Preußen arbeite augenblicklich im Siedlungsgeschäft mit 70 Millionen; wenn nun die 50 Millionen des Reichs hinzukämen, so wäre das reichlich Geld genug. Wegen dieser 50 weiteren Millionen lohne sich aber nicht die Schaffung eines neuen Geldinstituts. Er als Reichstagsabgeordneter haben übrigens die feste Überzeugung, daß sich die preußischen Pläne im Reichstag ohne Schwierigkeiten durchbringen ließen.

Zusammenfassend müsse er sagen: entweder habe das vom Reich gewünschte Finanzierungsinstitut keinen Einfluß, dann sei es überflüssig; habe es aber Einfluß, dann müsse Preußen es unbedingt ablehnen.

Reichsminister Dr. Brauns betonte nochmals, daß eine Ausschaltung Preußens durch das Reich in keiner Weise beabsichtigt sei. Das Reich verlange lediglich wegen seiner Eigenschaft als Geldgeber eine entsprechende Beteiligung am Siedlungsgeschäft. Hieran müsse aber unbedingt festgehalten werden, und diesem berechtigten Verlangen des Reichs würde durch den von Preußen konzedierten Ministerrat nicht entsprochen.

Ministerpräsident Braun betonte nochmals, daß Preußen ein Nachgeben von seinem vorhin skizzierten Standpunkt unter keinen Umständen möglich sei. Nach dieser Richtung liege ein einstimmiger Beschluß sämtlicher Landtagsparteien vor, ebenso ein einstimmiger Beschluß des Staatsministeriums. Diese Beschlüsse würden getragen von der Stellungnahme sämtlicher Provinzialverwaltungen und der örtlichen preußischen Siedlungsstellen. Er schlage daher vor, das Reich solle versuchsweise einmal die Gelder den Ländern hergeben. Zeige sich dann aber, daß den Belangen des Reichs nicht genügend Rechnung getragen werde, so könne man über die weitere Stärkung des Reichseinflusses erneut[1333] beraten. Die Hauptsache sei, daß nach all den verlorenen Monaten endlich mit der praktischen Arbeit begonnen werde. Umgekehrt sei es aber nicht möglich, wenn erst einmal eine verfehlte Neuorganisation geschaffen sei, diese sobald wieder abzubauen.

Reichsminister Dr. Haslinde: Das Reich habe doch großes Verständnis für die Wünsche der Länder gezeigt. Er vermisse aber sehr ein umgekehrtes Verständnis der Länder für die unbedingten Notwendigkeiten des Reichs. Der von Preußen konzedierte Ministerrat sei ein schwerfälliges Gremium, welches doch zugestandenermaßen auf die Dauer das Siedlungsgeschäft auf Grund seiner Richtlinien nicht leiten könne.

Der Reichskanzler fragte die preußischen Herren, ohne im übrigen von dem von ihm vorgetragenen Reichsstandpunkt irgendwie abzugehen, ob sie sich die von Preußen vorhin konzedierte Einwirkungs- und Kontrollmöglichkeit etwa in der Art vorstellten, daß etwa den preußischen örtlichen Siedlungsstellen ein Reichsbevollmächtigter (in der Art der früheren Reichsbevollmächtigten bei den Zollverwaltungen der Länder) beigegeben werde.

Ministerpräsident Braun und Staatsminister Steiger lehnten eine solche örtliche Einwirkung des Reichs durch eigene Organe ab mit der Begründung, daß es sich bei den Reichszollbevollmächtigten um die Erledigung von Reichsaufgaben gehandelt habe im Gegensatz zu dem vorliegenden Falle, wo das Siedlungsgeschäft Sache der Länder sei.

Nachdem Ministerpräsident Braun nochmals angeregt hatte, das Reich möchte alsbald den Ländern die verfügbaren Gelder auszahlen, wogegen jedenfalls Preußen gern bereit sei, über jede nur tragbare Einwirkungs- und Kontrollmöglichkeit des Reichs bezüglich der Verwendung der Mittel und der Kontrolle der Durchführung der gemeinsam zu beschließenden Richtlinien zu verhandeln, schloß der Reichskanzler die Besprechung mit dem allseitig gebilligten Hinweis, daß mit der heutigen Aussprache trotz vorläufig mangelnden Ergebnisses das letzte Wort noch nicht gesprochen sein möchte.

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