1.38 (lut2p): Nr. 207 Vermerk des Reichskanzlers über eine Besprechung mit dem Reichsminister des Innern am 25. Oktober 1925, 12.45 Uhr

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Nr. 207
Vermerk des Reichskanzlers über eine Besprechung mit dem Reichsminister des Innern am 25. Oktober 1925, 12.45 Uhr1

1

Der Vermerk ist undatiert und nicht unterzeichnet. Verfasser und Datum gehen jedoch eindeutig aus dem Entwurf eines Begleitschreibens hervor, mit dem Kempner diesen Vermerk am 25. 10. an den RAM zur Kenntnisnahme übersendet. In dem Begleitschreiben fügt Kempner noch hinzu, „daß Minister Brauns, dem ich von dem Gespräch gleichfalls Kenntnis gegeben habe, mir gegenüber geäußert hat, daß ihm dieser Vorschlag völlig unmöglich erscheint. Persönlich bin ich überzeugt, daß auch der Reichskanzler die Auffassung des Ministers Brauns teilt, wenn er sich auch Minister Schiele gegenüber nur dahin ausgesprochen hat, daß er diesen Vorschlag erst reiflich prüfen und mit den Herren der anderen Koalitionsparteien besprechen müsse.“ (R 43 I /429 , Bl. 48).

R 43 I /429 , Bl. 49-51

[Stellung der DNVP zum Locarno-Pakt]

Herr Minister Schiele hatte mich im Laufe des Vormittags angeklingelt und gefragt, wann er zu mir kommen könne. Er kam darauf um 12¾ Uhr und teilte folgendes mit:

Nach einer Besprechung, die er soeben mit dem Grafen Westarp gehabt habe, der überhaupt allen seinen Auffassungen beitrete, erscheine es ausgeschlossen,[802] daß die Fraktion nicht tatsächlich, wenn auch in besonderer Formulierung, dem Beschluß der Delegiertenversammlung2 zustimme. Der letzte Satz des Fraktionsbeschlusses werde voraussichtlich lauten, daß die Fraktion den Entschluß von drei deutschnationalen Ministern zum Rücktritt billige. Herr Schiele fügte hinzu, daß nach einer Unterredung, die er mit den Herren von Schlieben und Neuhaus gehabt habe, diese beiden einerseits es für möglich hielten, solidarisch mit ihm zurückzutreten, daß sie andererseits aber schweren Herzens bereit sein würden, auf ein an sie ergehendes Ersuchen im Kabinett bis zur endgültigen Entscheidung über Locarno zu verbleiben, unter der Voraussetzung, daß nicht alsbald aufgelöst werde. Ich habe erwidert, daß das eine andere Sachlage sei als die von mir gestern mit ihm erörterte, wo ich davon ausgegangen sei, daß die beiden Herren ein Rücktrittsgesuch nicht einreichten3. (Die Frage einer etwaigen Berufung eines Beamtenministeriums nach Rücktritt des Gesamtkabinetts in der Weise, daß der Kanzler dann auch tatsächlich unbeschränkt die Richtlinien der Politik bestimmen würde, habe ich weder gestern noch heute mit Herrn Schiele besprochen. – Diese Formulierung, die ich aus praktischen Gründen für meine eigenen Akten mache, ist mehr tatsächlich richtig als staatsrechtlich zutreffend.) Weiter habe ich gefragt, wie sich denn die Herren zu dem bisherigen Kabinettsbeschluß4 stellen würden, worauf Herr Schiele antwortete, daß der bisherige Kabinettsbeschluß seines Erachtens überhaupt nicht die volle Zustimmung zu dem paraphierten Teilwerk enthalte; das sei auch die Auffassung der beiden Herren, und überdies würden die beiden Herren sich im Kabinett dann nur auf die Verwaltung ihrer Ämter beschränken, und es würde hinsichtlich der allgemeinen politischen Stellungnahme die neulich zwischen uns als Möglichkeit erörterte Sachlage eintreten, daß die beiden Herren sich in diesen Fragen der Stimme enthielten. Ich habe dazu erwidert, daß ich nach wie vor, und zwar aus Gründen der ordnungsmäßigen Aufrechterhaltung der Reichsverwaltung, das größte Gewicht auf das Verbleiben der beiden Herren legte, daß ich mir aber gegenüber der durch die nunmehrige Mitteilung des Herrn Schiele zur Erörterung gestellten Gestaltung die Stellungnahme nach reiflicher Überlegung und nach Besprechung auch mit Vertretern der übrigen Koalitionsparteien vorbehalten müsse. Ich würde auch die staatsrechtliche Seite der Frage sofort eingehend studieren. Herr Schiele bestätigte, daß es eine Sonderfrage sei und widersprach auch im übrigen der Auffassung nicht.

2

S. Anm. 5 zu Dok. Nr. 205.

3

Über diese und die weiter unten erwähnte Unterredung zwischen Luther und Schiele fanden sich Aufzeichnungen oder Vermerke nicht bei den Akten der Rkei.

4

S. Dok. Nr. 203.

Grundsätzlich politisch habe ich mit dem ausgesprochenen Ziele, keine Oppositionsstellung, sondern nur eine „Distanzierung“ der Deutschnationalen[803] zu erreichen, die Frage erörtert, wie sich die Deutschnationalen gegenüber einer alsbaldigen Einberufung des Reichstags verhalten würden. Darauf sagte Herr Schiele, für den Fall, daß die Auflösung nicht erfolge, wodurch ja ein ganz anderer Tatbestand gegeben sei, würden die Deutschnationalen sich gegen eine alsbaldige Einberufung des Reichstags wenden, da ihre Distanzierungspolitik ja bedeute, daß dem Kanzler die Möglichkeit gegeben werden solle, einen fertigen Tatbestand im Reichstag – sei es mit dem Antrage auf Ja, sei es mit dem Ziele des Nein – zu unterbreiten. Falls die alsbaldige Einberufung des Reichstags von der verfassungsmäßigen Minderheit herbeigeführt würde5 und falls dann der Kanzler in irgendeiner Form erklärte, daß er jetzt keine Vorlage dem Reichstag zu machen habe, sondern die Vorlage erst zu einem späteren Zeitpunkt machen könne, und falls auf dieser Grundlage ein Mißtrauensvotum gegen die Regierung eingebracht würde, so würden die Deutschnationalen dieses Mißtrauensvotum ablehnen.

5

Gemäß Art. 24 RV, welcher lautet: „Der Reichstag tritt in jedem Jahre am ersten Mittwoch des November am Sitze der Reichsregierung zusammen. Der Präsident des Reichstags muß ihn früher berufen, wenn es der Reichspräsident oder mindestens ein Drittel der Reichstagsmitglieder verlangt.“

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