2.129.1 (ma11p): [Wahlen im besetzten Gebiet.]

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[Wahlen im besetzten Gebiet.]

Der Reichskanzler eröffnete die Sitzung und führte aus, daß es sich für die Regierung darum handele, die Auffassung der Abgeordneten des besetzten Gebietes zu der Frage zu hören, ob bei Vornahme der neuen Wahlen zum Reichstag auch im besetzten Gebiet gewählt werden könne bzw. solle oder[429] nicht. Die Reichsregierung sei sich der verschiedenen Gesichtspunkte, welche für und gegen die Wahl im besetzten Gebiet sprächen, bewußt und wünsche jedenfalls nicht ohne Anhörung der besonders interessierten Mitglieder des Reichstags ihre Entschließung zu fassen.

Der Abgeordnete von Guérard erklärte namens der Zentrumsfraktion, daß bei Vornahme der Neuwahlen zum Reichstag auf die Mitwirkung des besetzten Gebiets nicht verzichtet werden könne. Eine Ausschließung des besetzten Gebiets sei aus außen- und innenpolitischen Gründen nicht möglich; ebenso verspreche sich die Fraktion nichts von einem Herantreten an die Besatzungsmächte in der Frage.

Der Abgeordnete Mumm [DNVP] führte aus, daß seine Fraktion zwar keinen formellen Beschluß gefaßt habe, daß jedoch alle darin übereinstimmten, daß im besetzten Gebiet gewählt werden müsse, sowohl für den Reichstag als auch für die Gemeindevertretungen.

Der Abgeordnete Moldenhauer teilte die gleiche Auffassung namens der Deutschen Volkspartei mit. Er sei der Auffassung, daß im englisch wie belgisch besetzten Gebiet voraussichtlich nicht große Schwierigkeiten sich ergeben würden, dagegen seien die ernstesten Druckmittel von seiten der französischen Besatzungsbehörden zu befürchten.

Der Abgeordnete Dr. Zapf [DVP] bestätigte diese Auffassung auch für die Pfalz. Allerdings sei hier die Lage anders als im übrigen besetzten Gebiet, und es seien die schwersten Verfolgungen und Behinderungen von seiten der Franzosen zu befürchten. Dennoch müsse auch hier gewählt werden. Er bitte die Reichsregierung zu erwägen, ob nicht Schritte unternommen werden könnten, um die staatbürgerlichen Rechte der Bevölkerung in der Pfalz wiederherzustellen.

Ministerialrat Sperr teilte namens der Bayerischen Gesandtschaft mit, daß die Bayerische Regierung zur Frage der Reichstagswahlen in der Pfalz endgültige Beschlüsse noch nicht gefaßt habe. Grundsätzlich stehe jedoch die Regierung auf dem Standpunkt, ebenso zu verfahren wie die Reichsregierung und die Wahlen zum Bayerischen Landtag in der Pfalz gegebenenfalls gleichzeitig mit den Reichstagswahlen stattfinden zu lassen.

Der Abgeordnete Merkel [KPD] wies darauf hin, daß auch die belgischen und englischen Besatzungsbehörden der politischen Betätigung im besetzten Gebiet erhebliche Schwierigkeiten bereiteten, so daß auch in diesen Landesteilen eine wesentliche Behinderung der Wahltätigkeit zu erwarten sei.

Der Abgeordnete Dr. David [SPD] teilte namens seiner Fraktion mit, daß nach ihrer Auffassung aus außen- und innenpolitischen Gründen die Wahlen im besetzten Gebiet stattfinden müßten. Vorher müsse jedoch zum mindesten der Versuch gemacht werden, von seiten der Besatzungsmächte Garantien für die freie Durchführung der Wahlen zu erlangen. Die Basis des Rheinlandabkommens müßte wieder hergestellt werden. Es komme nicht ein Bittgang bei den Besatzungsmächten in Frage, sondern eine Feststellung bzw. Forderung der Freiheit für die Wahlen, d. h. Einreisebefugnis für die politischen Führer, Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Rückkehr der ausgewiesenen politischen Vertrauensmänner.

[430] Der Abgeordnete Stöcker erklärte namens der Kommunistischen Fraktion, daß seine Partei trotz gleichmäßiger Unterdrückung durch die Besatzungsmächte und die deutschen Polizeiorgane die Vornahme der Wahlen im besetzten Gebiet unbedingt verlange.

Der Abgeordnete Korell erklärte namens der Demokratischen Fraktion, daß im besetzten Gebiet unter allen Umständen gewählt werden müsse. Die Schwierigkeiten seien allerdings außerordentlich groß, da die gesamte Bevölkerung infolge der Ausweisungen und der sonstigen Unterdrückung völlig verängstigt sei. Er rate ab von einer vorherigen Anfrage bei den Besatzungsmächten; erfolgten jedoch Eingriffe, so müßte energisch Einspruch erhoben werden.

Der Abgeordnete Schlack (Zentrum) schlug vor, für den Fall, daß in einem Wahlbezirk durch Maßnahmen der Besatzungsbehörden die Wahlarbeit derart unterdrückt würde, daß eine objektive Feststellung der Stimmen der Wählerschaft nicht möglich sei, in solchem Bezirke die Wahl anzuhalten und bekanntzugeben, daß die weitere Durchführung erst stattfinden werde, wenn die Wahlfreiheit wieder hergestellt sei.

Der Abgeordnete Esser (Zentrum) wies darauf hin, daß gerade das ruhestörende Verhalten der radikalen Parteien bei der Wahlvorbereitung den Besatzungsbehörden den willkommenen Anlaß gäbe einzugreifen. In diesem Sinne seien die radikalen Parteien mit an der Unterdrückung der Wahlfreiheit schuld.

Der Abgeordnete Hofmann#/–-Ludwigshafen [Zentrum] berichtete ergänzend über die Zustände in der Pfalz und wies darauf hin, daß nebst der schärfsten Unterdrückung aller anderen Parteien von seiten der französischen Besatzungsbehörden die künstliche Schaffung und Förderung einer französischen Partei zu erwarten sei. Diese Tatsache würde einen großen Teil der Wählerschaft zur Stimmenthaltung veranlassen. Trotzdem dürfe das Reich von sich aus die Pfalz nicht von der Wahl ausschließen.

Der Abgeordnete Becker#/–-Hessen [DVP] warnte vor einer zu optimistischen Auffassung. Die ganze Bevölkerung sei eingeschüchtert und befürchte als Folge der Wahl weitere Ausweisungen und Schikanen.

Die Abgeordnete Dr. Lüders [DDP] stimmte dem Vorredner zu und äußerte schwere Bedenken, ob die Durchführung der Wahl sich bei der Haltung der Besatzungstruppen überhaupt würde ermöglichen lassen.

Auf Anfrage des Abgeordneten Stöcker [KPD] teilte der Preußische Ministerpräsident Braun mit, daß die Preußische Regierung die Gemeindewahlen auf den 4. Mai angesetzt habe. Das fragliche Gesetz sei der Rheinlandkommission vorgelegt, jedoch noch nicht genehmigt. Würde die Genehmigung versagt, so entfalle damit die Möglichkeit, die Wahlen im besetzten Gebiet durchzuführen.

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