2.199.1 (ma11p): 1. Politische Lage.

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Die Kabinette Marx I und II, Band 1 Wilhelm Marx Bild 146-1973-011-02Reichskanzler Marx vor seinem Wahllokal Bild 102-00392Hochverratsprozeß gegen die Teilnehmer am PutschDawes und Young Bild 102-00258

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1. Politische Lage.

Reichskanzler Es sei ein Pressesturm gegen das Bleiben des Kabinetts losgegangen. Er nehme an, daß das Kabinett trotzdem bei seinem Beschluß verbleibe1. Eine Verzögerung der Erfordernisse der Außenpolitik sei nicht möglich; das Kabinett sei seines Erachtens auf dem richtigen Wege und müsse seine Tätigkeit fortsetzen. Eine andere Handlungsweise würde im Auslande nicht verstanden werden. Morgen sei eine Besprechung der Führer der Koalitionsparteien über den geplanten engeren Zusammenschluß2. Inzwischen sei ja nun der Beschluß der Volkspartei veröffentlicht worden, nach dem der Zusammenschluß zur Zeit nicht erfolgen solle3. Man müsse nun im Kabinett über den Fortgang der Dinge beraten.

1

Am 6. 5. hatte das Kabinett beschlossen, bis zum Zusammentritt des neugewählten RT im Amt zu bleiben (vgl. Dok. Nr. 193, P. 2).

2

Gemeint ist die Bildung einer Fraktionsgemeinschaft zwischen DVP, Zentrum und DDP. Vgl. Dok. Nr. 193, Anm. 2.

3

In ihrer Sitzung vom 14. 5. beschloß die RT-Fraktion der DVP zur Frage der Regierungsneubildung: „Außen- und innenpolitische Probleme erfordern die Zusammenfassung der staatsbejahenden bürgerlichen Parteien. Dieses Ziel ist nicht zu erreichen durch die in der Presse erörterte Schaffung einer sogenannten Fraktionsgemeinschaft der nationalen Mitte, die die DVP für undurchführbar hält. Nicht Taktik, sondern sachliche Übereinstimmung in den außenpolitischen Lebensfragen der Nation stehen im Vordergrund der demnächst beginnenden parlamentarischen Verhandlungen.“ (nach DAZ Nr. 227 vom 15. 5.).

Reichsminister des Auswärtigen Der frühere Beschluß des Kabinetts, auf jeden Fall bis zum Zusammentritt des Reichstages im Amt zu bleiben, sei der richtige. Der amerikanische Botschafter habe ihm mitgeteilt, das bekannte Interview des Abgeordneten Hergt4 habe zur Folge gehabt, daß die Verhandlungen[634] über die internationale Anleihe stockten5. Hughes habe ihn dringend gefragt, ob das Gutachten mit Sicherheit angenommen werde und auf die Schwierigkeit der Unterbringung der Anleihe hingewiesen. Er, Stresemann, habe erwidert, das Gutachten würde letzten Endes bestimmt angenommen werden, entweder in einem nochmals neugewählten Reichstag oder durch Volksentscheid. Er habe den Botschafter gebeten, daß die Vorarbeiten für die Anleihe nicht sistiert würden.

4

Nach einer Meldung der DAZ Nr. 214 vom 7. 5. erklärte Hergt in einem Interview mit dem „Lokalanzeiger“ zum Wahlausgang u. a.: Die DNVP setze dem Sachverständigen-Gutachten nicht von vornherein ein glattes „Unannehmbar“ entgegen, wohl aber Vorbehalte, die ganz unverzichtbar seien. Dem dt. Volk könnten wirtschaftliche Lasten in größerem Ausmaß nicht zugemutet werden, bevor nicht die großen staatspolitischen Fragen geklärt und die häufig genannten Ehrenpunkte befriedigend gelöst worden seien. Auf keinen Fall würde sich eine deutschnational beeinflußte Regierung dazu hergeben, Versprechungen mit ihrer Unterschrift zu decken, von deren Unerfüllbarkeit sie überzeugt sei. Wir brauchten eine Regierung, die Bestand verspreche, und von Bestand könne nur eine Regierung sein, die sich auf die starken Kräfte der DNVP stütze.

5

S. die Aufzeichnung Stresemanns über seine Unterredung mit dem amerik. Botschafter Houghton vom 13. 5., in: Stresemann, Vermächtnis I, S. 407 f.

Trotz der deutschnationalen Beanstandung der Geschäftsführung des jetzigen Kabinetts müßten die Arbeiten fortgeführt werden, denn die Wirtschaft stände vor dem Zusammenbruch. Die Frage sei jetzt: solle dies Kabinett noch vor den Reichstag treten oder solle es nunmehr erklären, daß es etwa zwei Tage vor dem Zusammentritt des Reichstags demissionieren werde. Er sei der Ansicht, das Kabinett solle etwa am 25. Mai demissionieren und dies schon jetzt erklären. Die Parteien müßten dann dafür sorgen, daß kein Vakuum eintrete. Bis dahin müsse das Kabinett weiterarbeiten. Natürlich müsse das neue Kabinett sich über seine Außenpolitik klar sein. Daher müßten die Deutschnationalen bis zum 25. Mai erklären, ob sie das Gutachten annehmen wollten. In diesem Zusammenhang sei ein Artikel des Professors Hoetzsch in den Baseler Nachrichten interessant6.

6

Vgl. die ausführliche Würdigung des Artikels von Hoetzsch in der „Zeit“ vom 17. 5.

Reichskanzler Zunächst empfehle er, den Vortrag des Staatssekretärs Fischer über den Stand der Reparationsarbeiten zu hören.

Staatssekretär Fischer:

Zur Reichsbankfrage: Schacht und Kindersley hätten in London verhandelt7. Das Ergebnis sei im allgemeinen eine Verständigung. Kindersley würde zwei Herren hierher schicken, um den Bankgesetzentwurf zu prüfen. Danach werde Kindersley selbst nach Berlin kommen und materiell mit Schacht verhandeln. Kindersley sei bereit, über sich als notwendig herausstellende kleine Abweichungen vom Gutachten mit seinen ausländischen Kollegen zu sprechen.

7

Schacht und Kindersley gehören dem Organisationskomitee für die Errichtung der Notenbank an (vgl. Dok. Nr. 184, Anm. 5 und 6). Zur Vorgeschichte der Londoner Verhandlungen Schachts: Mit Schreiben vom 9. 5. teilte der StSRkei dem RFM mit, Schacht habe in einer Unterredung mit dem RK erklärt, daß er am 10. 5. nach London fahre, um mit dem Gouverneur der Bank von England, Norman, über die Bereitstellung weiterer Kredite zu verhandeln. Dabei werde er auch Gelegenheit haben, mit Kindersley zu sprechen. „Auf die Besorgnisse des Herrn RK, daß durch diese Aussprache mit Kindersley im gegenwärtigen Zeitpunkte, wo der Entwurf eines Bankgesetzes auf Grund des Sachverständigengutachtens auch noch nicht annähernd in seinen Grundsätzen festliege, der endgültigen Stellungnahme und Entscheidung der RReg. in verhängnisvoller Weise vorgegriffen werden könne, erwiderte Dr. Schacht mit aller Bestimmtheit, daß davon keine Rede sein würde. Der RK könne gänzlich unbesorgt sein, daß er bei diesen Unterredungen in London in keiner Weise sich auch nur persönlich festlegen würde.“ Die entscheidende Besprechung mit Kindersley fände erst am 19. 5. hier in Berlin statt. Er, Schacht, habe die bestimmte Erwartung, daß bis dahin im Kabinett Einverständnis über die grundsätzlichen Fragen des neuen Bankgesetzes erzielt werden könne (R 43 I /41 , Bl. 303-304).

Zu beachten sei, daß Schacht eine materielle Instruktion des Kabinetts noch nicht erhalten habe. Eine Einigung mit der Reichsbank über die notwendige[635] Ingerenz des Reichs sei nicht erfolgt. Hier kämen u. a. in Betracht die Beamtenfragen – ebenso bei der Eisenbahn –8 und die Regelung der Abgeltung für die neue Konzession.

8

Hierzu ein Vermerk Grävells vom 13. 5.: „In der heutigen Sitzung der Kriegslastenkommission über Beamten- und Angestelltenfragen der neuen Bahn- und Bankorganisation wurde eine Einigung zwischen dem RFMin. einerseits und dem RVMin. und der Rbk andererseits in keinem Punkte erzielt. Während das RFMin. eine möglichst weitgehende Bindung der RB und Rbk an die Reichsbesoldungs- und Reichsbeamten-Rechtsvorschriften anstrebte, ging das Bestreben der Rbk und RB darauf hinaus, aus der Privatisierung ihrer Betriebe auch für ihre Angestellten und Beamten die vollen Konsequenzen zu ziehen. […] Da eine Einigung nicht erzielt werden konnte, wollen die Rbk und RB wenigstens versuchen, Gesetzentwürfe aufzustellen, die die Gesichtspunkte des RFMin., soweit es ihnen möglich ist, berücksichtigen.“ (R 43 I /1049 , Bl. 31).

Zu den Industrieobligationen: Pirelli sei ausgeschieden9 und durch den Franzosen Descamps ersetzt. (Vermerk des Protokollführers: Richtig ist wohl: durch den Italiener Bianchini). Schwierige Fragen seien hier die Abgrenzung und Verteilung der Belastung10. Das Kabinett werde hier wenigstens die Tendenz der in Vorbereitung befindlichen Arbeiten billigen müssen.

9

Gemeint ist: aus dem Organisationskomitee für die Industrieobligationen; vgl. Dok. Nr. 184, Anm. 6.

10

In einer Aufzeichnung vom 14. 5. berichtet Grävell über eine Ressortbesprechung im RFMin. am 14. 5., in der ein vom RWiMin. vorgelegter Entwurf eines Industriebelastungsgesetzes auf Grund des Sachverständigen-Gutachtens erörtert wurde. Es sei dabei die Ansicht vertreten worden, „daß der Kreis der zu Belastenden möglichst weit gezogen werden müsse. Nach dem Sachverständigen-Gutachten sei zweifelhaft, ob Handel und Banken zu beteiligen seien. Die Ausdehnung auf den Handel müsse zweifellos vorgenommen werden; bei den Banken müsse die Sachlage nochmals unter dem Gesichtspunkt der Einbuße an Kreditwürdigkeit geprüft werden. Die Belastung werde an Hand der neuen Vermögenssteuerveranlagung vorgenommen. Es werde sich letzten Endes wahrscheinlich eine Belastung von 20% des Betriebsvermögens ergeben.“ (R 43 I /41 , Bl. 350 f., 377-383; hier auch eine Niederschrift des RFMin. über die Ressortbesprechung vom 14. 5.).

Zur Reichsbahn: Auch hier ergebe sich eine Fülle schwierigster Fragen. Es sei unumgänglich, daß das Kabinett sich mit den prinzipiellen Fragen beschäftige. Bergmann sei bereits in Paris um festzustellen, wann das Komitee sich konstituieren werde11. Für Bahn und Industrie solle bei den ersten Verhandlungen kein Entwurf vorgelegt werden, sondern nur eine grundsätzliche Aussprache stattfinden. Allmählich werde man aber auch die Entwürfe vorlegen müssen.

11

Gemeint ist das Organisationskomitee für die Errichtung der RB-Gesellschaft, dem von dt. Seite StS Vogt und StS Bergmann angehören.

Weitere wichtige Fragen seien die der Finanzverwaltung, der Befugnisse der Kommissare und des Reparationsagenten. Diese Dinge würden jedoch später zu behandeln sein.

Auch er möchte zusammenfassend betonen, daß man in der Fortführung der Arbeiten, sowohl taktisch wie materiell, nicht zögern dürfe, da eine schwere Wirtschaftskrise drohe.

Der Reichskanzler dankt für den Bericht. Das Kabinett werde am 16. Mai um 4 Uhr über diese Dinge beraten12.

12

Zum Fortgang s. Dok. Nr. 202.

Der Reichsernährungsminister warnt davor, die Arbeiten zu überstürzen. Den Ressorts sei von diesen ganzen Dingen so gut wie noch nichts bekannt.

[636] Staatssekretär Bracht verliest den soeben eingegangenen Beschluß des Vorstandes der DNVP zur Kabinettsfrage13.

13

In der am 15. 5. gefaßten Entschließung fordert der Parteivorstand der DNVP die RReg. auf, dem Wahlergebnis Rechnung zu tragen und alsbald ihren Rücktritt einzureichen. „Die gegenwärtige Reg. entbehrt jeglichen Rechtes, Deutschland in den Verhandlungen über die Sachverständigen-Gutachten noch entscheidend zu vertreten. Wir erheben entschiedenen Einspruch dagegen, daß das Kabinett etwa die Gesetzentwürfe zur Durchführung des Gutachtens der Repko vorlegt oder auch nur in den vorbereitenden Verhandlungen den Organisationskomitees oder der Repko irgendwelche Erklärungen über den Standpunkt der dt. Reg. abgibt oder abgeben läßt. Die DNVP wird derartige Erklärungen nicht als für sich bindend anerkennen.“ (DAZ Nr. 229 vom 16. 5.).

Reichskanzler Der Beschluß mache eine sofortige Antwort nötig.

Der Reichsarbeitsminister ist derselben Ansicht. Man müsse etwa sagen: Die Weiterarbeit auf dem Boden des Sachverständigengutachtens sei unbedingte Pflicht, da man sonst zu einer außenpolitischen und wirtschaftlichen Katastrophe komme. Die Arbeiten seien nur vorbereitender Natur. Dann aber müsse man in der Antwort aggressiv werden und sagen, das Verhalten der DNVP würde verständlich sein, wenn sie die absolute Majorität hätte. Dies sei aber nicht der Fall. Man vermisse endlich ihre klare Stellungnahme zum Reparations-Gutachten, die die Voraussetzung einer jeden Kabinettsbildung sei.

Ihm scheine es fraglich, ob das Kabinett schon vor dem Zusammentritt des Reichstags zurücktreten solle. Nötig sei zunächst eine Klärung der Regierungsbildung. Er möchte also nicht empfehlen, jetzt schon ein Datum für den Rücktritt festzulegen. Über den Mittelblock14 sei s. E. noch nicht das letzte Wort gesprochen.

14

Vgl. Anm. 2.

Der Reichskanzler schließt sich der Ansicht des Reichsarbeitsministers an.

Reichsminister des Innern Die Deutschnationalen würden s. E. das Gutachten endgültig bejahen, wenn die deutschen politischen Forderungen gesichert seien. Vermieden werden müsse eine zeitliche Lücke zwischen den beiden Regierungen. Trete das Kabinett erst mit dem Zusammentritt des Reichstags zurück, so käme zunächst ein acht bis vierzehn Tage langes Stadium der Regierungsneubildung. Daher halte er für richtig, schon jetzt ein Datum mitzuteilen, an dem das Kabinett zurücktrete. Dann könne die neue Kabinettsbildung alsbald beginnen. Aus diesen Gründen würde er auch empfehlen, den Termin des Rücktritts schon etwa auf den 23. Mai zu legen. Er müsse ferner über die im Reichsrat gestellte einmütige Forderung aller Länder berichten, daß Gesetzentwürfe dem Ausland nicht vorgelegt würden, bevor der Reichsrat gehört sei. Der Reichsrat habe sich auf Art. 67 der Reichsverfassung berufen. Er empfehle, den Reichsrat über die Grundlinien zu informieren.

Der Reichskanzler hält es für bedenklich, jetzt einen festen Termin der Demission zu nennen. Die Parteien seien noch gar nicht hier, so daß eine Lösung der Krise zunächst nicht möglich sei.

Der Reichsernährungsminister mißbilligt scharf den Beschluß der DNP. Das Weiterverbleiben des jetzigen Kabinetts im Amt widerstrebe seinem Gefühl auf das stärkste, aber angesichts der drohenden Wirtschaftskrise müsse er[637] sich doch schweren Herzens für das Verbleiben im Amt erklären. Es müsse der Öffentlichkeit gegenüber eine starke Erklärung abgegeben werden.

Reichspostminister Eine Antwort an die Deutschnationalen sei nötig, die wirtschaftlichen Gesichtspunkte müßten darin enthalten sein. Er bäte, keinen Entscheid über einen Zeitpunkt der Demission zu treffen.

Reichsminister des Auswärtigen Der Weg der Deutschnationalen sei unmöglich. Wir müßten deutlich antworten, da sonst die Außenpolitik zerschlagen würde, deshalb müsse die Erklärung die Bemerkung enthalten, daß die Mehrheit des neuen Reichstages hinter der Außenpolitik des Kabinetts stehe. In der nächsten Woche würden die Parteien zusammentreten, sie müßten dann die Deutschnationalen vor eine klare Frage ihrer Außenpolitik stellen.

Reichswirtschaftsminister: Die Arbeiten müßten weitergeführt werden. Die Regierungsbildung müsse möglichst beschleunigt und die Regierung erweitert werden. Das Kabinett dürfe s. E. nicht so tun, als ob es selbstverständlich im Amt bleibe. Versagten die anderen ihre Mitarbeit, so sei in dieser Beziehung eine neue Lage geschaffen. Er halte es auch für gut, wenn die deutschen Gegenstimmen, die die schweren Belastungen des Gutachtens hervorhöben, laut würden. Dies begrüße er besonders angesichts des französischen Wahlausganges15.

15

Zum Ergebnis der frz. Kammerwahlen am 11. 5. vgl. Schultheß 1924, S. 222 f.

Reichsminister des Innern Auch er wolle der deutschnationalen Provokation entgegentreten. Zum Zeitpunkt des Rücktritts glaube er, daß das Vakuum nicht kürzer gestaltet werde, wenn man den Zusammentritt des Reichstags abwarte. In dieser Beziehung bedaure er, dem Reichskanzler nicht beitreten zu können. Nenne man jetzt einen Termin, so würde der Weg für die Regierungsbildung geebnet.

Reichswehrminister Das Kabinett müsse die Arbeiten weiterführen. Andererseits müsse der Öffentlichkeit gegenüber etwas geschehen. Er empfehle einen Brief des Reichskanzlers an den Reichspräsidenten, in dem die Gründe des Nichtrücktritts auseinandergesetzt würden. Das Kabinett halte es aber für selbstverständlich, daß der Reichspräsident mit den Parteiführern in Verbindung trete zwecks Klärung der Möglichkeiten einer parlamentarischen Kabinettsbildung. Das Kabinett sei bereit zurückzutreten, sobald der Reichspräsident ihm mitteile, die Bahn für die parlamentarische Kabinettsbildung sei frei.

Eine Festlegung auf den Rücktritt würde er schon deshalb nicht empfehlen, weil die Kommunisten für den Juni eine größere Aktion vorbereiteten.

Reichskanzler Der Vorschlag des Reichswehrministers erscheine ihm äußerst zweckmäßig. Wenn dies Kabinett gehe, müsse ein neues bereits dastehen.

Reichsarbeitsminister Eine Demission vor dem Zusammentritt des Reichstags sei unmöglich, denn vorher seien die Parteien noch nicht einmal konstituiert. Die Anregung des Reichswehrministers begrüße er, der Brief könne seines Erachtens bereits am 16. Mai geschrieben werden.

Reichsminister des Innern Er füge sich in der Frage des Zeitpunktes der Demission der größeren parlamentarischen Einsicht des Reichskanzlers.

[638] Reichskanzler Vor Absendung des Briefes werde er mit dem Reichspräsidenten Fühlung nehmen16.

16

In dem vom 15. 5. datierten Entwurf eines Briefes des RK an den RPräs. heißt es: Die RReg. sei in ihrer heutigen Sitzung „zu der Überzeugung gelangt, daß es nicht verantwortet werden kann, die internationale Politik in dem Entwicklungsgang zu stören, den sie nach der Bekanntgabe des Sachverständigengutachtens und auf seiner Grundlage genommen hat. Die RReg. ist der einmütigen Ansicht, daß sie das Recht und die Pflicht hat, auch in der jetzigen Lage das dt. Volk in den durch das Sachverständigengutachten erforderlich gewordenen Arbeiten zu vertreten. Sie ist weiter der Auffassung, daß angesichts der bedrohlichen Wirtschaftslage die Fortführung dieser Arbeiten nicht aus innenpolitischen Gründen gehemmt werden darf. […] Unter Würdigung dieser Umstände hat die RReg. sich entschlossen, den nach einer Neuwahl an sich naheliegenden Schritt eines sofortigen Rücktritts nicht zu tun.“ Der RReg. läge nichts ferner, „als die politische Bedeutung einer erfolgten Neuwahl zu unterschätzen oder die Bildung einer neuen RReg. auf parlamentarischer Grundlage zu erschweren“. Die RReg. sei bereit, ihr Amt niederzulegen, sobald der RPräs. „die Möglichkeit der Bildung einer neuen RReg. auf parlamentarischer Grundlage für gegeben“ erachte (Reinkonzept und Vorentwurf in R 43 I /1306 , Bl. 23 f.). Die Absendung und Veröffentlichung dieses Briefes unterbleibt jedoch, da der RPräs. hiervon abrät (vgl. die diesbezügliche Mitteilung des RK in der Ministerbesprechung vom 16. 5.: Dok. Nr. 201, P. 1).

In der Presse veröffentlicht wird eine Erklärung der RReg., daß sie auch angesichts des Beschlusses der DNVP (Anm. 13) entschlossen sei, die Regierungsgeschäfte nicht vor dem Zusammentritt des RT niederzulegen und die Verhandlungen über das Sachverständigen-Gutachten weiterzuführen. Der Standpunkt der RReg. hinsichtlich des Gutachtens werde von einer Mehrheit des RT unterstützt, nämlich von SPD, Zentrum, DVP, DDP und BVP. Die DNVP wird aufgefordert, endlich klar zu sagen, wie sie sich die Erledigung des Sachverständigen-Gutachtens denke, das zum Angelpunkt der dt. Politik geworden sei („Die Zeit“ vom 17. 5.).

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