1.113.1 (ma12p): [Regierungsumbildung.]

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 8). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Die Kabinette Marx I und II, Band 2 Wilhelm Marx Bild 146-1973-011-02Reichskanzler Marx vor seinem Wahllokal Bild 102-00392Hochverratsprozeß gegen die Teilnehmer am PutschDawes und Young Bild 102-00258

Extras:

 

Text

RTF

[Regierungsumbildung.]

Reichskanzler Er habe die Herren zu sich gebeten, um ihre endgültige Stellungnahme zu den Richtlinien1 zu erfahren und diese den Fraktionen mitzuteilen, die dann Beschluß fassen würden.

1

Dok. Nr. 318.

Abg. Hergt: Die Kriegsschuldfrage sei in den Richtlinien nicht enthalten gewesen. Seine Fraktion habe sie aufgeworfen wegen des eventuellen Eintritts der Sozialdemokratie2. Gestern habe nun der Kanzler erklärt, die Richtlinien seien nur für die Verbreiterung nach beiden Seiten aufgestellt worden, sie seien nunmehr also erledigt3. Dies habe sein Parteifreund Schiele aufgegriffen. Sie seien der Ansicht, daß nunmehr etwas anderes gesagt werden könnte, daher habe er in der Besprechung mit dem Kanzler die Frage des Völkerbundes erwähnt. Er sei überzeugt, daß die Aussprache hierüber zu einer befriedigenden Regelung führen würde.

2

Vgl. die Entschließung der DNVP-Fraktion vom 8. 10.: Dok. Nr. 320, Anm. 3.

3

S. Dok. Nr. 323.

Der Reichskanzler bestätigte, daß der Vorgang sich so abgespielt, wie vom Abg. Hergt geschildert. Er mache im übrigen darauf aufmerksam, daß die augenblickliche Besprechung ganz bedingt stattfinde, da die Fraktionen erst Stellung nehmen müßten, ob sie mit den Deutschnationalen zusammen eine Regierung bilden wollten. Er richte also die Frage an die Deutschnationalen, ob sie dem Inhalt der früher aufgestellten Richtlinien zustimmten, insbesondere in bezug auf die Außenpolitik.

Abg. Hergt: Die außenpolitische Formulierung in den Richtlinien hätte seine Partei als geschickt und zweckmäßig angesehen. Sie hätte hieran nichts zu ändern, ebensowenig an der Formulierung über die Verfassungs- und die wirtschaftlichen Fragen. Es bliebe seines Erachtens nur eine Erörterung über die Völkerbundsfloskel4 übrig.

4

Gemeint ist der letzte Satz in Punkt 2 der Richtlinien (Dok. Nr. 318): „Die Aufnahme in den Völkerbund soll entsprechend der im deutschen Memorandum niedergelegten Auffassung erstrebt werden.“

Stresemann: Bisher läge nur die französische Antwort auf unser Völkerbunds-Memorandum vor, wir müßten zunächst die anderen Antworten abwarten5.[1106] Inzwischen seien nun in Genf die Investigationsbeschlüsse gefaßt worden6. Hierzu werde die Reichsregierung noch Stellung nehmen müssen.

5

Vgl. Dok. Nr. 309, P. 4.

6

Vgl. Dok. Nr. 304 a, Anm. 12.

Abg. Hergt: Hiermit sei er durchaus einverstanden.

Reichskanzler Es werde seines Erachtens erleichternd wirken, wenn man den Fraktionen sage, daß die Deutschnationalen mit allen Richtlinien einverstanden seien.

Abg. Schiele: Die Lage sei dadurch erschwert, daß andere Parteien die erledigten Richtlinien wieder aufgegriffen hätten. Neue Richtlinien hätten die Situation erleichtert. Der Inhalt der alten sei aber sehr wohl verwendbar, den Passus über den Völkerbund könne man vielleicht fortlassen.

Abg. Graf Westarp: Die Verhandlungen befänden sich in einem eigentümlichen Stadium: die Deutschnationalen sollten ihre Festlegung aussprechen, dabei würde ihnen jedoch gesagt, daß es sich nicht etwa um endgültige Verhandlungen mit ihnen handelte. Die Völkerbundsformel erschiene ihnen als ein schwer überwindbares Hindernis. Er gebe zu, daß eine Änderung der Richtlinien im Auslande eine gewisse Wirkung ausüben werde, deshalb sei es seines Erachtens am besten, jetzt etwas ganz Neues an ihre Stelle zu setzen.

Seine Fraktion sei einverstanden, daß auf der Grundlage des Memorandums weiter verhandelt werde unter Berücksichtigung dessen, was in der Zeit seit der Absendung des Memorandums neu eingetreten sei. Jedenfalls schienen ihnen die Schwierigkeiten überbrückbar, ohne daß ein schlechter Eindruck im Auslande hervorgerufen würde. Auf die Ersetzung der Richtlinien durch etwas anderes legten sie kein entscheidendes Gewicht.

Reichskanzler macht darauf aufmerksam, daß der Wunsch nach Stellungnahme der Deutschnationalen zu den alten Richtlinien gerade von der Deutschen Volkspartei ausgegangen sei.

Stresemann: Die Völkerbundsformel sei für die Sozialdemokratie schwerer annehmbar gewesen als für die Deutschnationalen, denn jene hätten bei Zubilligung eines Ratssitzes gleich hineingewollt. Die Regierung stehe auf den Darlegungen des Memorandums, erwarte die Antwort des Gegners und würde dann Stellung nehmen. Die Militärkontrollfrage würde dabei zweifellos erörtert werden müssen.

Er habe als Außenminister Bedenken gegen eine Fortlassung des Völkerbundes in den neuen Richtlinien, das würde wie eine Schwenkung aussehen. Jedenfalls werde die Diskriminierung in der Kontrollfrage gelegentlich zur Sprache gebracht werden.

Er wäre dankbar, wenn die Deutschnationalen der Anregung von Scholz entsprächen und einer entsprechenden Erklärung über die Außenpolitik zustimmten. Wie dann die im Reichstag abzugebende Regierungserklärung über den Völkerbund laute, sei eine andere Frage. Das Thema werde hier breiter erörtert werden müssen.

[1107] Abg. Hergt: Der Ausdruck, daß der Eintritt in den Völkerbund „erstrebt“ würde, sei für seine Partei unbequem. Er gebe dem Außenminister zu, daß eine Änderung der Richtlinien auffallen würde, daher hätte er einen neuen Ausgangspunkt wählen wollen.

Reichskanzler Vielleicht könnten die Deutschnationalen die Richtlinien als Grundlage annehmen?

Abg. Graf Westarp: Es sei nicht zweckmäßig, sich im jetzigen Stadium auf eine Formel festzulegen, die Hauptsache sei die später folgende Regierungserklärung. Seine Partei könnte aber sagen, daß für diese die Richtlinien eine geeignete Grundlage seien. Es ginge nicht, daß seine Freunde erst bestimmte Erklärungen abgeben sollten, worauf die anderen Fraktionen erst beschließen wollten, ob man mit ihnen verhandeln wolle.

Stresemann: Man könnte doch davon ausgehen, daß durch den Pakt von London und das Memorandum Tatsachen geschaffen seien.

Abg. Hergt: Seine Partei zöge hieraus sogar die Konsequenzen. Graf Westarp meine offensichtlich, daß die Deutschnationalen vorleisten sollten. Er glaube, daß der Kanzler das gar nicht meine. Es dürfe nicht der Eindruck erweckt werden, daß die Deutschnationalen sich endgültig festlegten, ohne daß ihnen irgend etwas zugesagt würde. Er wäre dankbar, wenn die letzte Formel Stresemanns zugrunde gelegt würde.

Die deutschnationalen Vertreter zogen sich hierauf zurück und setzten die Zeitungsnotiz der Anlage auf, der der Reichskanzler zustimmte7. Ferner überreichten sie den Entwurf einer internen Verabredung zwischen Reichskanzler und ihnen, nach der in der Regierungserklärung über den Völkerbund das Wort „erstreben“ zu vermeiden sei8.

7

Die Zeitungsnotiz lautet: „In der Aussprache des RK mit den Deutschnationalen teilten die Vertreter der deutschnationalen Reichstagsfraktion ihre Auffassung zu den einzelnen Punkten der Richtlinien des RK mit und erkannten diese Richtlinien als geeignete Grundlage für die Weiterführung der Verhandlungen über die Regierungserweiterung an.“

8

Dieser Entwurf konnte in den Akten der Rkei nicht ermittelt werden.

Der Reichskanzler und der Außenminister stimmten dem zu.

Hierauf wurde die Besprechung geschlossen.

Extras (Fußzeile):