1.176.1 (ma12p): 1. Berichterstattung des Staatssekretärs Trendelenburg über die Pariser Verhandlungen

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[1280]1. Berichterstattung des Staatssekretärs Trendelenburg über die Pariser Verhandlungen

Staatssekretär Trendelenburg teilte mit, daß es der Delegation gelungen sei, die Ablehnung des französischen Provisoriumsvorschlags mit rein wirtschaftlichen Momenten zu begründen1. Erleichtert worden sei der Delegation diese Aufgabe dadurch, daß die Basis der Verhandlungen durch das Verhalten der Franzosen in den letzten Tagen völlig verschoben worden sei. Die Franzosen hätten nicht bloß neuerdings erklärt, daß die Annahme der französischen Tarifnovelle vor Abschluß der Handelsvertragsverhandlungen mit Deutschland nicht in Frage käme, sondern sogar in den Verhandlungen der Sachverständigen zum Ausdruck gebracht, daß bei Nichtabschluß eines Handelsvertrages mit noch wesentlich höheren Sätzen als den in der Novelle vorgesehenen zu rechnen sei. Die Frage des Provisoriums sei daher zunächst erledigt. Dies bedeute natürlich keinen Abbruch der Verhandlungen. Die Verhandlungen über das Definitivum würden vielmehr fortgesetzt. Es werde versucht, für diese Verhandlungen von den Franzosen zu erreichen: entweder das Zugeständnis, die Sätze der Tarifnovelle zum Gegenstand der deutsch-französischen Verhandlungen zu machen, oder den für ein Jahr vorzusehenden Vertrag aufzubauen auf den gegenwärtig gültigen französischen Tarifen mit der Zusicherung, daß im Falle des Abschlusses des Vertrages eine Erhöhung des Minimal-Tarifes innerhalb des nächsten Jahres nicht in Betracht komme. Wenn es gelänge, von diesen Möglichkeiten die eine oder andere zu erreichen, so bedeute dies ein so großes Zugeständnis der Franzosen, daß demgegenüber ein evtl. aus den Verhandlungen sich ergebender Wunsch nach Schaffung eines kurzen Waffenstillstands nicht mehr ohne weiteres abgelehnt werden dürfe. Naturgemäß dürfe dieser Waffenstillstand nur von kurzer und bestimmt begrenzter Dauer sein, und er dürfe keinen von den Vorteilen aufrechterhalten, in deren Besitz Frankreich durch das im Vertrag von Versailles aufgebaute Zwangssystem2 gegenwärtig sei. Einen Zollkrieg zwischen Frankreich und Deutschland erachte er für sehr gefährlich. Wenn erst einmal die französischen Tarife durch Gesetz hochgeschraubt seien, werde es Jahre dauern, ehe Frankreich von diesen Tarifen wieder heruntergehe. Die Auffassung, daß durch eine Verweigerung des Handelsvertrages ein Druck in der Kölner Räumungsfrage ausgeübt werde, sei seiner Meinung nach irrig. Nachdem es möglich gewesen sei, den französischen Provisoriumsvorschlag ohne politischen Eklat abzulehnen, scheine es ihm jetzt darauf anzukommen, die peinliche Lage, in der sich die Franzosen befänden, in der Richtung auszunutzen, daß von ihnen Zugeständnisse für ein Definitivum erhalten würden. Seien diese wertvoll genug, so müsse die Frage des Provisoriums nicht mehr so gestellt werden: Provisorium oder kein Provisorium, sondern vielmehr nur noch in dem Sinne, ob die Gewährung eines begrenzten Provisoriums selbst unter gewissen Konzessionen taktisch von Vorteil sei.

1

Vgl. Dok. Nr. 387, P. 1.

2

S. Dok. Nr. 387, Anm. 5.

Er erbitte zu diesen Gedankengängen die Zustimmung des Kabinetts. Die Delegation werde versuchen, in dem geschilderten Rahmen zu einem Abschluß[1281] der Verhandlungen zu gelangen. Bei der Schwierigkeit der Materie, die ja auch zu den letzten Mißverständnissen zwischen der Regierung in Berlin und der Delegation in Paris geführt hätte, werde es künftig nicht mehr möglich sein, über jede einzelne Phase der Verhandlungen nach Berlin zu berichten. Es werde auch insbesondere nicht möglich sein, erneut um Instruktionen zu bitten, wenn sich im Laufe der Verhandlungen die Notwendigkeit ergebe, zu der Frage eines Provisoriums erneut Stellung zu nehmen. Die Delegation werde der Regierung im Rahmen der erbetenen Vollmachten einen ausgearbeiteten Vertrag unterbreiten, falls es überhaupt dazu komme.

Auf eine Frage des Vizekanzlers bezüglich der Kontingente und des Saargebiets erwiderte Staatssekretär Trendelenburg, daß sich bezüglich dieser Fragenkomplexe die Haltung der Delegation nicht geändert habe. Das Maß der Zugeständnisse an elsaß-lothringischen Kontingenten werde von dem Umfang der französischen Zugeständnisse, insbesondere von der Lösung der Saarfrage abhängig sein.

Auf eine Anfrage des Reichsarbeitsministers erklärte Staatssekretär Trendelenburg, daß in einem Zugeständnis der Franzosen, auf der Basis des gegenwärtigen französischen Zolltarifs zu verhandeln, nicht die Gewährung des Minimaltarifs einbegriffen sei. Über die Höhe der Zollsätze und den Umfang der Zugeständnisse auf diesem Gebiete müsse dann erst verhandelt werden. Einen Obertarif deutscherseits gegenwärtig einzuführen, halte er für bedenklich, wie er überhaupt warnen möchte davor, nach dem 10. Januar irgendwelche Zwangsmaßnahmen, die gegen Frankreich gerichtet seien, durchzuführen. Falls es zum Zollkrieg komme, solle man den Franzosen den Vortritt lassen.

Der Reichskanzler der Vizekanzler der Reichsarbeitsminister und der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft schlossen sich darauf den Gedankengängen des Staatssekretärs Trendelenburg an.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft gab zu erwägen, die Zeitspanne für einen eventuellen Waffenstillstand bis zu 6 Wochen zu erstrecken. In der Weinfrage bat er um engstes Einvernehmen der Delegation in Paris mit dem Reichsernährungsministerium.

Staatssekretär Trendelenburg erklärte sich in beiden Fällen mit den Anregungen des Reichsernährungsministers einverstanden, bat jedoch um möglichst baldigen Aufschluß darüber, bis zu welchen äußersten Zugeständnissen das Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft in der Weinzollfrage bereit wäre.

Der Vizekanzler regte an, den Ablauftermin für ein eventuelles Provisorium möglichst dicht an die Termine zu legen, die für die Kölner Räumungsfrage entscheidend seien. Wenn auch die politischen und wirtschaftlichen Fragen zunächst auseinandergehalten werden sollten, so könne doch eine Verbindung in diesem Sinne einst förderlich sein.

Der Reichswirtschaftsminister schloß sich gleichfalls den Grundgedanken des Staatssekretärs Trendelenburg an, hielt es nur für zweckmäßig, daß an dem Obertarif weiter gearbeitet werden müsse, um im geeigneten Augenblick fertiges Rüstzeug zur Verfügung zu haben. Eine Drohung solle damit im Augenblick nicht ausgesprochen werden.

[1282] Der Reichskanzler stellte daraufhin das Einverständnis des Kabinetts mit den von Staatssekretär Trendelenburg vorgetragenen Absichten der Delegation fest.

Staatssekretär Trendelenburg bat noch um die Ermächtigung, Raynaldy gegenüber versichern zu dürfen, daß auch die Deutsche Reichsregierung den Wunsch hege, die Handelsvertragsverhandlungen möchten möglichst schnell zu einem beiderseitig befriedigenden Ergebnis gelangen. Die aufgetretenen Meinungsverschiedenheiten hätten immer nur die Mittel betroffen und niemals an dem Ziel, das sich die Reichsregierung gesteckt habe, gerüttelt.

Das Kabinett war damit einverstanden und erhob auch dagegen keinen Widerspruch, daß, falls es sich in passender Form einfließen [!] lasse, zum Ausdruck gebracht werde, auch künftig sollten die wirtschaftlichen von den politischen Fragen getrennt behandelt werden3.

3

Zum Fortgang der dt.-frz. Handelsvertragsverhandlungen s. diese Edition, Die Kabinette Luther I und II.

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