1.98.1 (ma12p): [Regierungsumbildung.]

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[Regierungsumbildung.]

Der Reichskanzler erklärte einleitend die Verhandlungen für streng vertraulich.

Er beabsichtige, wie er es immer gesagt habe, an die Deutschnationale und Sozialdemokratische Partei zwecks Erweiterung des Kabinetts heranzutreten1. Gegen eine Erweiterung nach rechts allein hege er Bedenken, denn innenpolitisch würde dadurch die Sozialdemokratie in schärfste Opposition gedrängt, und außenpolitisch könne die Lage des besetzten Gebiets erschwert werden.

1

Vgl. die diesbezüglichen Ausführungen von Marx in der „Germania“ vom 1. 10.; auch in Schultheß 1924, S. 92 f.

Er werde bestimmte Fragen an die Deutschnationale Partei richten: 1. über die Führung der Außenpolitik, in der sie sich zur loyalen Durchführung der Sachverständigen-Gesetze bekennen müßte, und 2. zur Lastenverteilung.

Scholz: Er stimme grundsätzlich der Ansicht des Kanzlers zu, daß eine möglichst große Gemeinschaft das Wünschenswerte sei. Die „Volksgemeinschaft“ sei auch das Ziel seiner Partei. Es sollten von ihr also nur diejenigen ausgeschlossen werden, die sich selbst ausschalten. Die Verhandlungen mit den beiden Grenzparteien seien daher berechtigt, aber er habe starke Zweifel am Erfolge.

Gewisse Momente der Außenpolitik sprächen wohl gegen eine einseitige Erweiterung nach rechts, andere aber stark dafür. Auch die Volkspartei verlange von der Deutschnationalen Partei die Erklärung, daß keine Änderung der Außenpolitik eintrete und daß sie die loyale Ausführung der Gesetze garantierten.

Die Angelegenheit sei äußerst eilig und müsse vor Zusammentritt des Reichstags2 zum Abschluß gebracht werden. Scheitere die Erweiterung, so sei die Auflösung unvermeidbar; wer aber auf Auflösung hintreibe, begehe ein Verbrechen am Vaterland.

2

Der RT hatte sich am 30. 8. nach Annahme der Dawes-Gesetze vertagt. Die nächste Plenarsitzung ist für den 15. 10. in Aussicht genommen (vgl. RT-Bd. 381, S. 1150 ).

v. Guérard erklärt sein Einverständnis mit dem geplanten Versuch des Kanzlers. Auch er glaube aber nicht an einen Erfolg. Dann bleibe nur die[1077] Erweiterung nach rechts, daher müßten die Deutschnationalen klar zur Außenpolitik Stellung nehmen und einmütig, nicht nur zu einem Bruchteil, für ihre loyale Durchführung sein. Ihre bisherige Erklärung3 reiche außenpolitisch nicht aus. Bei der ganzen Frage der Umbildung werde auch die des christlichen Staates und die Schuldfrage eine Rolle spielen.

3

Gemeint ist die Entschließung, die am 30. 9. von der Parteivertretung der DNVP angenommen wurde und in der es heißt: „Nachdem der RT die auf dem Londoner Abkommen beruhenden Gesetze angenommen und damit zu rechtlich bindender Norm, die der Durchführung bedarf, gestaltet hat, ist es Pflicht der Partei, sich Einfluß auf die Auslegung, Handhabung und Verbesserung der Gesetze zu verschaffen. Die Parteivertretung billigt deshalb, daß die Reichstagsfraktion sich den von dem Herrn RK Marx in Aussicht gestellten Verhandlungen über die Beteiligung der Deutschnationalen an der Regierung nicht versagt.“ (DAZ Nr. 462 vom 1. 10.).

Eine Auflösung sei für die besetzten Gebiete nicht zu tragen.

Erkelenz: Seine Fraktion habe noch nicht Stellung genommen. Er glaube, daß die Uferlosigkeit der deutschnationalen Opposition nur beseitigt werden könne, wenn sie einmal in das Kabinett eintrete. Den jetzigen Zeitpunkt aber betrachte er für denkbar ungünstig.

Den Versuch nach beiden Seiten würde seine Partei mitmachen. Eine Erweiterung nach rechts allein würde keinen Gewinn bringen, denn die Sozialdemokratie sei bisher praktisch Regierungspartei gewesen. Mißlänge der Versuch nach beiden Seiten, so sei es am besten, am jetzigen Zustand nichts zu ändern.

Stegerwald: Der letzte Vorschlag Erkelenz’ bringe praktisch nicht weiter. Die Erweiterung nach rechts und links sei das beste, aber praktisch kaum möglich, also müsse man den Versuch nach rechts machen. Die Voraussetzungen dafür seien die vom Kanzler genannten. Eine Auflösung sei zwecklos, denn sie bringe keine große Verschiebung. Die Stunde sei gekommen, die Deutschnationalen zur Verantwortung heranzuziehen. Die Sache müsse vor Zusammentritt des Reichstags erledigt werden, der Sozialdemokratie und den Deutschnationalen müßten feste Termine gestellt werden.

Stresemann: Er halte das Wort „Auslegung“ in der Erklärung der Deutschnationalen Partei4 für bedenklich.

4

S. Anm. 3.

Der Weg des Kanzlers sei der richtige, aber er zweifle am Erfolge. Seines Erachtens könne man die Deutschnationalen nicht zurückstoßen, wenn sie entsprechende Erklärungen abgäben. Jedenfalls könne die Deutsche Volkspartei nicht nein sagen, wenn die Deutschnationalen mitarbeiten wollten. Sei keine Einigung erzielbar, so bleibe nur die Auflösung, die dann aber von der Regierung vorgenommen werden müßte, bevor der Reichstag zusammentrete.

Curtius: Es sei bezeichnend, daß der Abgeordnete Löbe in seiner letzten Rede die Räumung des Ruhrgebiets überhaupt nicht erwähnt habe. Auch in der Frage des Völkerbundes denke die Sozialdemokratie völlig anders als die jetzige Regierung, ebenso in der Zollvorlage. Er empfehle, alsbald eine Regierungserklärung aufzustellen und darüber mit den Parteien zu verhandeln.

[1078] Der Reichskanzler Ohne die Fraktionen käme man nicht weiter. Er stelle Einverständnis der Koalitionsparteien mit seinem Versuch nach beiden Seiten fest.

Die große Koalition von der Deutschen Volkspartei bis zur Sozialdemokratie sei unmöglich, ebenso die kleine vom Zentrum bis zur Sozialdemokratie.

Bei einer einseitigen Erweiterung nach rechts sei Voraussetzung, daß die jetzigen Regierungsparteien mitmachten. Denn scheide eine aus, dann sei auch die Lage für die anderen Parteien geändert. Die jetzige Koalition sei ein unmöglicher Zustand. Beim Scheitern bleibe also nur die Auflösung, und zwar dann am besten gleich.

Der Vollständigkeit halber wolle er sagen, daß der Gedanke einer Verschiebung der Umbildung bis nach dem 10. Januar, dem Termin der Räumung der Kölner Zone, aufgetaucht sei.

Die Fraktionen müßten nun in nächster Woche Stellung nehmen.

Hierauf wurde die Sitzung geschlossen.

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