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Betr.: Beamtenbesoldung.

Bei der Betrachtung und Kritik der vom Reichskabinett grundsätzlich beschlossenen Besoldungserhöhung für die Beamtenschaft von Seiten der Wirtschaft sei vorweg betont, daß die Wirtschaft es grundsätzlich begrüßt, wenn die Möglichkeit besteht, die Bezüge der Beamten aufzubessern. Die Wirtschaft ist sich vollkommen der absoluten Notwendigkeit bewußt, daß der Beamtenkörper des Staates in jeder Weise, also auch finanziell, so gestellt sein muß, daß die Gewähr für ein unabhängiges, seine für das Staatsleben fundamental wichtigen Funktionen mit Eifer und Hingabe erfüllendes Beamtentum gegeben sein muß. Die Tatsache, daß der Beamte Diener des Staatsapparates ist und, im Hinblick auf die Notwendigkeit reibungsloser und ununterbrochener Aufrechterhaltung der Staatsmaschinerie, sich gegenüber in der Wirtschaft tätigen Personen mancherlei Beschränkungen in der Vertretung seiner persönlichen Interessen auferlegen muß, ist weiterhin ein Grund, die Beamtenschaft grundsätzlich finanzieller Sorgen soweit als möglich zu überheben.

Diese grundsätzliche Betrachtung steht dem nicht im Wege, daß sich auch die Besoldung der Beamtenschaft in dem durch den allgemeinen Rahmen der wirtschaftlichen Verhältnisse der Volkswirtschaft gezogenen Rahmen halten muß.

Bei einer Betrachtung der Beamtengehälter im Verhältnis zu der wirtschaftlichen Lage des übrigen Volkes und der Wirtschaftslage ist auszugehen von der Gestaltung der Verhältnisse, wie sie sich nach der Goldmarkumstellung um die Wende 1923/24 entwickelt haben. Es wird ohne weiteres zugegeben, daß die erste Festsetzung der Bezüge der Beamten ebenso wie diejenige der Funktionäre der Privatwirtschaft nach der Goldmarkumstellung auf einem relativ niedrigen[990] Niveau erfolgen mußte. Es war infolgedessen durchaus angebracht, nach einer gewissen Zeit eine Erhöhung stattfinden zu lassen. Vergleicht man die Gehälter der unteren Beamtengruppen etwa bis zu den bisherigen Gruppen VI und VII mit denen der entsprechenden Angestellten in der Privatindustrie, so ergibt sich, daß im Januar 1924 die Bezüge vergleichbarer Tätigkeiten einigermaßen gleich lagen. Die Besoldungserhöhung von November 1924 brachte aber dann den Zustand, daß die vergleichbaren Beamtengehälter mit einem großen Sprung recht beträchtlich – im Durchschnitt etwa um 20–40% – über die vergleichbaren Gehälter der Privatindustrie heraufgehoben wurden. Wir haben auf diese Verhältnisse in unserem Geschäftsbericht 1923/24, S. 168 ff. hingewiesen. Die Bezüge der Beamten sind seit jener Zeit nur in relativ geringem Ausmaß verändert worden. Immerhin ist festzustellen, daß die mehrfache Erhöhung des Wohnungsgeldes für die unteren Beamtengruppen eine Erhöhung des Gesamteinkommens von etwa 5–6% gebracht hat, während diese Aufbesserung bei den oberen Beamten nur etwa 3% betrug. Man darf bei der Betrachtung der Entwicklung diese Erhöhungen nicht übersehen. Von Ende 1924 bis jetzt sind auch die Bezüge der Angestellten und Arbeiter in der Privatindustrie gestiegen. Das Ausmaß der Erhöhung für die Angestellten ist mit einem Worte sehr schwer zu umschreiben, da in der Zwischenzeit gerade bei den Angestelltentarifen eine nicht unerhebliche Änderung in der Tarifpraxis eingetreten ist durch einen stärkeren Ausbau der Leistungszulagen. Immerhin wird man vorsichtig schätzen können, daß seit Ende 1924 die Angestelltengehälter um etwa 20–30% gestiegen sind. Vergleicht man diese Steigerung mit der Gesamterhöhung der Beamtengehälter, so ist festzustellen, daß die Erhöhung der Bezüge der Angestellten lediglich ein Nachfolgen bedeutet gegenüber den im November 1924 mit einem wesentlichen Vorsprung vorangegangenen Beamtengehältern.

Die Argumentation, daß infolge der Erhöhung der Bezüge in der Privatindustrie in den letzten Jahren die Beamten nachfolgen müßten, ist also unzutreffend. Durch eine Erhöhung der Beamtenbezüge in dem Ausmaß, wie dies von Herrn Reichsfinanzminister Dr. Köhler auf der Beamtentagung in Magdeburg erklärt worden ist1, würde vielmehr die Beamtenschaft wiederum mit ihren Bezügen denen der Angestelltenschaft wesentlich vorauseilen.

1

Siehe Dok. Nr. 291, Anm. 11.

Selbstverständlich erkennen gerade wir an, daß ein derartiger Vergleich nicht nur sehr große technische Schwierigkeiten hat, sondern daß er bei der ganz anders gearteten Stellung des Beamten gegenüber den Funktionären der freien Wirtschaft auch grundsätzlich problematisch ist. Dennoch wird man diese Gedankengänge beachten müssen, da bei der Arbeitnehmerschaft der Wirtschaft in großem Umfange auf die Bezüge der Beamten bei Lohnforderungen und Verhandlungen Bezug genommen wird und die Schlichtungsstellen derartigen Vergleichen recht zugänglich sind. Gerade bei solchen Verhandlungen wird immer wieder darauf verwiesen, daß der Beamte an sich schon deswegen wesentlich besser gestellt sei als der Angestellte und Arbeiter, weil er eine völlig gesicherte Stellung habe, während ja gerade die Angestelltenschaft in[991] den letzten Jahren erheblich unter der dauernden Unsicherheit und der Furcht vor Arbeitslosigkeit zu leiden hatte, daß ferner der Beamte infolge seiner Pensionsberechtigung für sich und seine Familie auch für seine späteren Jahre vor Not gesichert ist, und daß schließlich ihm auch bezüglich Urlaub und einiger anderer Fragen wesentlich mehr Vergünstigungen gewährt werden, als dies in der Privatwirtschaft möglich ist. Es ist durchaus verständlich, daß, wenn zu solchen Erwägungen noch eine wesentliche Überschneidung in den Einkommen hinzutritt, derartige Gedankengänge Unruhe bei der Arbeitnehmerschaft der Privatindustrie auslösen und sie ebenfalls zu Aktionen in der Lohnfrage veranlassen. So sehr man also auch aus grundsätzlichen Erwägungen solche Vergleiche ablehnen muß, so ist bei der Bemessung der Beamtengehälter doch auf die Tatsache dieser psychologischen Rückwirkung unbedingt Rücksicht zu nehmen.

Dafür, daß diese Gedankengänge in der Praxis eine wesentliche Rolle spielen, ist ja der beste Beweis das Vorgehen der christlichen Gewerkschaften, die in besonderer Vorstellung beim Reichskanzler eine entsprechende Erhöhung der Arbeiterbezüge verlangt haben mit dem speziellen Hinweis auf die Überschneidung zwischen den Gehältern unterer Beamtengruppen und hochqualifizierter Arbeiter2. Auch gehen uns täglich Mitteilungen zu, daß auf Grund der vorgeschlagenen Beamtenerhöhung [sic] Angestellte und Arbeiter in der Industrie Lohnforderungen stellen, und zwar sogar trotz laufender Tarifverträge. Wir müssen die Befürchtung hegen, daß diese Wünsche nicht nur vorgebracht, sondern sehr energisch verfolgt werden, unter Umständen unter Inanspruchnahme des staatlichen Schlichtungsapparates.

2

Siehe Dok. Nr. 303.

So ist also ohne Zweifel eine erhebliche Unruhe in die Lohnverhältnisse der Privatwirtschaft hineingetragen worden, und zwar in einem Zeitpunkte, den man zum mindesten als kritisch für den Fortgang unserer Wirtschaft bezeichnen muß.

Die Betrachtung kann sich natürlich nicht in dem Vergleich der Bezüge und der Aufzählung der Auswirkungen nach der lohnpolitischen Seite hin erschöpfen, vielmehr sind von ganz besonderer Bedeutung die Frage des finanziellen Mehrbedarfs und die Frage der preismäßigen Auswirkung.

Die außerordentliche Kompliziertheit des Deckungsproblems ist durch die Pressediskussion und die mit den Regierungen der Länder gepflogenen Verhandlungen offenbar geworden. Der finanzielle Mehrbedarf wird, ohne daß von amtlicher Seite bisher eine Kritik oder Richtigstellung der Schätzungen erfolgte, für Reich, Länder, Gemeinden, Reichsbahn und Post auf zusammen rund 1½ Milliarden Mark geschätzt. Um diesen Betrag wird also das Gesamteinkommen dieser öffentlichen Körperschaften im nächsten Etatsjahre steigen müssen, wenn nicht diese Steigerung durch die Ersparnisse, also Abstriche am bisherigen Etat, ausgeglichen werden kann. Wenn der Herr Reichsfinanzminister erklärte3, daß die Erhöhung aus vorhandenen Mitteln bestritten werden könnte,[992] so liegt für das Reich die Situation doch so, daß das Mehraufkommen an Einnahmen gegenüber dem Voranschlag in der Hauptsache aus den Zöllen erfolgt, diese Mehreinnahmen aber bei einer im Interesse der Gesamtheit nicht nur dringend erwünschten, sondern absolut notwendigen Verringerung unserer Einfuhr und Verminderung der Passivität der Handelsbilanz entsprechend zurückgehen würden. Es ist daher nicht möglich, auf der Gestaltung der Reichseinnahmen im letzten Halbjahr dauernde Maßnahmen und Etatsgebarungen aufzubauen. Man muß vielmehr damit rechnen, daß in einem späteren Zeitpunkte der Besoldungsmehrbedarf des Reiches nicht mehr aus „vorhandenen Mitteln“ bestritten werden kann.

3

In seiner Rede auf der Beamtentagung in Magdeburg am 11.9.27; siehe Dok. Nr. 291, Anm. 11.

Dies trifft in noch erheblicherem Maße für Länder und Gemeinden zu. Soweit wir übersehen können, genügt das Mehr an Überweisungen auf Grund höheren Steueraufkommens nicht, um die bei Ländern und Gemeinden entstehenden Mehrbeträge schon jetzt auch nur einigermaßen zu decken4. Hierbei ist nicht in Rechnung gestellt die Möglichkeit eines Rückschlages in der Gestaltung der Konjunktur, der ohne Zweifel eine erhebliche Minderung der Steuereinnahmen des Reiches und damit der Überweisungsmöglichkeit an Länder und Gemeinden zur Folge haben würde.

4

Vgl. hierzu Dok. Nr. 311.

Hinzu kommt, daß im Etatsjahr 1929/30 rund 750 Millionen Mark aus dem Reichshaushalt für Reparationen mehr aufgebracht werden müssen als schon jetzt. Da das Aufkommen im Reparationsetat durch die verpfändeten Einnahmen, soweit man dies übersehen kann, sichergestellt ist, wird eine etwaige Minderung der Rücküberweisung seitens des Kommissars für die verpfändeten Einnahmen den Reichsetat belasten, so daß durch anderweitiges Aufkommen dieses Minus ausgefüllt werden muß. Man wird daher im allgemeinen richtig schätzen, wenn man vermutet, daß in etwa zwei Jahren die gesamte Steuerlast um rund 2 Milliarden höher sein müßte als jetzt.

Da aber von allen maßgebenden Seiten anerkannt wird, daß die Gesamtbelastung den Wiederaufbau unserer Wirtschaft bereits jetzt in starkem Maße hemmt, erscheint es ungemein bedenklich, die jetzige Belastung um den genannten erheblichen Betrag noch zu vermehren. Zweifellos drohen für die nächsten Jahre unserer Wirtschaftsentwicklung erhebliche Gefahren aus der relativ zu geringen Kapitaldecke und aus den steigenden Transferanforderungen des Reparationsagenten. Es ist nicht sicher, daß diese Schwierigkeiten ohne mehr oder minder schwere Krisenerscheinungen überwunden werden können. Die Gefahren können jedenfalls nur überwunden werden, wenn die Belastung der gesamten Wirtschaft mit öffentlichen Abgaben auf das denkbar niedrigste Maß zurückgeschraubt wird – um den Prozeß der Kapitalbildung nach Möglichkeit zu fördern – und zugleich das Lohnniveau der Wirtschaft auf einem Stand gehalten wird, der auch in etwaigen Krisenzeiten noch eine gewisse Rentabilität, insbesondere auch bei der Ausfuhr, gestattet.

Bei sorgfältiger Prüfung der Sachlage kann man daher die Befürchtung nicht von der Hand weisen, daß die Beamtenerhöhung in dem vorgesehenen Ausmaß schließlich wiederum zu einer Steigerung der Steuerlasten führt und[993] damit zu einer in unserer Lage bedenklichen Erschwerung der Wirtschaft. Auf weite Sicht gesehen muß befürchtet werden, daß die Beamtenerhöhung für die Industrie eine Erhöhung der Selbstkosten mit sich bringen wird, während das ganze Streben unserer Wirtschaft auf eine Senkung der Selbstkosten zwecks Erzielung der notwendigen Ausfuhr gerichtet sein müßte. Der für die nächsten Jahre so wichtige Prozeß einer Senkung des Preisniveaus zwecks Ermöglichung unserer Ausfuhr kann daher durch die vorgeschlagene Besoldungserhöhung indirekt in unerwünschter Richtung beeinflußt werden.

Muß man so bei nüchterner Prüfung der Gesamtlage sehr skeptisch sein, ob auf die Dauer die Besoldungserhöhung ohne Inanspruchnahme neuer Mittel und damit ohne neue Belastung der Wirtschaft durchgeführt werden kann, so ist auch die Frage der Auswirkung im Augenblick durchaus offen. Wenn der Herr Reichsfinanzminister erklärt hat5, daß ein Grund zu Preissteigerungen nicht vorhanden sei, so ist doch zu bedenken, daß eine plötzliche, mit einem Schlage erfolgende, gleichmäßig über das ganze Reich einsetzende Kaufkrafterhöhung eine gesteigerte Nachfrage bedeutet, die in der Wirtschaftsverfassung, in der wir nun einmal arbeiten, die Tendenz zu Preiserhöhungen in sich birgt. Zweifellos liegt es im Interesse der Gesamtheit und im Interesse der Wirtschaft, diese Preiserhöhung, soweit irgend möglich, zu vermeiden, doch kann sich eine gesamte Wirtschaft der schließlichen Auswirkungen von Angebot und Nachfrage nicht entziehen. Schon jetzt zeigt sich bedauerlicherweise ein dementsprechender Vorgriff in der Preisgestaltung an manchen Stellen6.

5

In seiner Rede auf der Beamtentagung in Magdeburg am 11. 9.

6

Zu ähnlichen Ergebnissen gelangt eine Denkschrift des Deutschen Industrie- und Handelstages vom 7. 10. über die Wirtschaftslage und die Beamtenbesoldungsreform, die dem RK und den beteiligten Reichsministern übermittelt wurde (R 43 I /1157 , Bl. 40–50, revidierte Fassung Bl. 52–61).

Bei allem aufrichtigen Verständnis für die Wünsche der Beamtenschaft, bei aller Erkenntnis der Notwendigkeit einer möglichst guten Besoldung im Interesse des Staatsganzen, müssen daher doch mit Rücksicht auf die außerordentlich schwierige Lage, in die unsere Volkswirtschaft durch Reparationen und bereits jetzt aufs äußerste angespannte Steuerbelastung kommen wird, die Bedenken gegen Ausmaß und Zeitpunkt der Besoldungserhöhung überwiegen7.

7

In einem Schreiben an Brauweiler vom 11.10.27 bedankte sich Pünder „für die meines Erachtens wertvolle gestrige Aufzeichnung über die wirtschaftlichen Auswirkungen der geplanten Besoldungsordnung […]. Ich habe die Eingabe inzwischen genau studiert und muß bei aller Zurückhaltung, die mir mein Amt auferlegt, sagen, daß ich in Ihrer Aufzeichnung nur die Besorgnisse bestätigt gefunden habe, die ich persönlich schon dauernd hege. Wenngleich Sie mir Ihre wertvolle Denkschrift nur zur persönlichen und vertraulichen Kenntnisnahme übersandt haben, darf ich doch annehmen, daß ich ihren Inhalt nach Rückkehr des Herrn Reichskanzlers vom Rhein ihm vortragen kann. Ende dieser Woche werden wir noch in mehreren Ministerbesprechungen gerade über dieses Thema der wirtschaftlichen Auswirkungen der Besoldungsreform zu sprechen haben [siehe Dok. Nr. 317, P. 1; Nr. 319, P. 3]. Von entscheidender Bedeutung scheint mir noch die völlige Klarstellung der Frage zu sein, ob tatsächlich die Reichsbeamten- und -angestelltenschaft hinter den Arbeitnehmern der Privatwirtschaft seit Dezember 1924 zurückgeblieben ist. Wegen dieser Frage haben wir in den letzten Tagen durch Vermittlung des Statistischen Reichsamts genaue Vergleichstabellen über die Entlohnung der Beamtenschaft der Gruppe III und IV und sogenannter gelernter Arbeiter aufstellen lassen. Ich habe sie persönlich aber noch nicht zu Gesicht bekommen. Ich darf wohl Ihr Einverständnis voraussetzen, wenn ich über den Fortgang der Angelegenheit weiter mit Ihnen persönlich Fühlung halten darf.“ (R 43 I /2570 , Bl. 53).

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