1.35.1 (mu22p): [Arbeitslosenversicherung.]

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[Arbeitslosenversicherung.]

Der Staatssekretär in der Reichskanzlei eröffnete und leitete die Besprechung. Er führte u. a. aus, daß das Problem der Reform der Arbeitslosenversicherung zum Angelpunkt der gesamten inneren Politik geworden sei. Eine baldige Lösung dieses Problems müsse unbedingt gefunden werden, um eine Krisis des Reichskabinetts zu vermeiden, die gerade jetzt aus allgemeinpolitischen, besonders auch außenpolitischen Gründen, sehr unerwünscht sei.

Ministerialdirektor Dr. Weigert werde die Vorschläge, auf die sich das Reichsministerium und das Preußische Staatsministerium geeinigt hätten, im einzelnen erläutern. Selbstverständlich erwarte er nicht sogleich die Zustimmung der vertretenen Länder zu dem Entwurf. Taktisch solle in der Reichsratssitzung am 16. September so vorgegangen werden, daß der Berichterstatter des Reichsrats die Anträge verlese und die Reichsregierung sich dann in der Debatte ausdrücklich auf den Boden der Anträge stelle. Die Preußische Regierung werde gleichfalls erklären, daß sie auf dem Boden des Entwurfs stehe.

Ministerialdirektor Dr. Weigert erläuterte sodann die beiliegenden Vorschläge.

Ministerialdirektor Dr. Coßmann (Pr. Handelsministerium) betonte, daß die abwartende Haltung, die das Preußische Staatsministerium bisher eingenommen habe, hauptsächlich auf die Erkenntnis der Preußischen Staatsregierung zurückzuführen sei, daß es sich bei der Reform der Arbeitslosenversicherung um ein hochpolitischen Problem handele, das nur in engster Fühlungnahme mit der Reichsregierung zu lösen sei. Aus den verschiedensten Gründen sei es erst vor kurzem möglich gewesen, diese Fühlungnahme herbeizuführen, und in mühseligen Verhandlungen sei es gelungen, den Kompromißentwurf fertigzustellen,[933] der restlos niemanden befriedige. Er bitte dringend, dem Entwurf zuzustimmen.

Gesandter Ahlhorn erklärte für Oldenburg, daß nach Ansicht der Oldenburgischen Regierung eine Beitragserhöhung vermieden werden müsse. Er werde mit den Ländern Bayern und Württemberg erneut Fühlung nehmen und für Oldenburg ebenso abstimmen wie die genannten beiden Länder.

Für Schaumburg-Lippe erklärte der Gesandte Ahlhorn die Zustimmung zu dem Gesetzentwurf.

Für Lippe glaubte er jedoch die Zustimmung nicht in Aussicht stellen zu können.

Gesandter Boden erklärte, er sei für die Ausführungen des Staatssekretärs in der Reichskanzlei sehr dankbar. Die Braunschweigische Regierung habe sich bisher gegen jede Änderung des bestehenden Rechtszustandes ausgesprochen. Er werde jedoch eingehend, besonders über den Inhalt der Ausführungen des Staatssekretärs in der Reichskanzlei, berichten und hoffe auf eine Änderung der bisherigen Stellungnahme Braunschweigs.

Die Regierungen von Anhalt und Mecklenburg-Strelitz würden hoffentlich dem Entwurf zustimmen.

Gesandter Dr. Tischbein erklärte, er werde der Regierung von Mecklenburg-Schwerin eingehend berichten. Er bezweifle jedoch, ob die Regierung ihre bisherige ablehnende Haltung ändern werde.

Minister Dr. Münzel führte aus, die Thüringische Regierung habe ihn bisher im Sinne der Stimmenthaltung instruiert, falls eine Beitragserhöhung im Entwurf beschlossen werden sollte. Er werde jedoch erneut eingehend berichten.

Senatsrat Bauer (Hamburg) erklärte, der Senat der Stadt Hamburg habe bisher das Bedenken gehabt, daß die Lasten auf die Kommunen abgewälzt werden sollten. Er hoffe jedoch auf eine Zustimmung des Senats zu dem Entwurf.

Ministerialdirektor Schindler (Preußisches Handelsministerium) erläuterte eingehend die politische Situation und kam zum Schluß zu dem Ergebnis, daß der Reichsrat mit großer Mehrheit dem beiliegenden Entwurf zustimmen müsse.

Ministerialrat Dr. Edward führte aus, daß die Hessische Regierung auf dem Standpunkt der bisherigen Regierungsvorlage gestanden habe. Er könne sich kaum vorstellen, daß die Hessische Regierung die Zustimmung zu dem Kompromiß-Entwurf ablehnen werde.

Senatsrat Völckers (Bremen) erklärte, keine Mitteilung über die voraussichtliche Stellungnahme des Senats der Stadt Bremen machen zu können. Er habe schwere Bedenken, wie sich die im § 5 des Entwurfs vorgesehene Beitragserhöhung lohnpolitisch auswirken werde.

Minister Dr. Münzel warf die Frage auf, ob der Entwurf nicht den Wohnungsbau verteuere.

Ministerialdirektor Dr. Weigert erwiderte, daß wahrscheinlich die Baukosten sich etwas erhöhen würden. Eine wesentliche Verteuerung sei jedoch nicht zu befürchten.

[934] Er wies im übrigen darauf hin, daß durch den § 2 des Entwurfs keine Belastung der öffentlichen Fürsorge eintreten werde. Lohnpolitische Forderungen würden auf jeden Fall an den Entwurf angeknüpft werden. Nicht nur die Beitragserhöhung, sondern auch die Reduzierung der Unterstützungsleistungen werde einen Ausgangspunkt für die Forderung auf Lohnerhöhung bilden.

Gesandter Dr. Tischbein warf die Frage auf, ob der Entwurf die zur Zeit vorhandene Möglichkeit verringere, daß die Länder auch die allgemeinen Bedürfnisse zum Teil aus der Hauszinssteuer deckten.

Ministerialdirektor Dr. Weigert verneinte diese Frage.

Der Staatssekretär in der Reichskanzlei schloß sodann die Besprechung mit der Bitte, dem Kompromißentwurf in der Reichsratssitzung am 16. September zuzustimmen.

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