1.42.2 (mu22p): 2. Frage der Einberufung des Reichstags zur Beratung des Gesetzentwurfs über die Arbeitslosenversicherung.

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Kabinett Müller II. Band 2 Hermann Müller Bild 102-11412„Blutmai“ 1929 Bild 102-07709Montage  von Gegnern des Young-Planes Bild 102-07184Zweite Reparationskonferenz in Den Haag Bild 102-08968

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2. Frage der Einberufung des Reichstags zur Beratung des Gesetzentwurfs über die Arbeitslosenversicherung.

Die Beratung der beiden Punkte wurde verbunden.

Auf Wunsch des Vorsitzenden machte der Staatssekretär in der Reichskanzlei Mitteilung von dem Inhalt eines Telephongesprächs, das er mit dem Reichsminister des Auswärtigen geführt hatte1. – Der Reichsminister des Auswärtigen halte es für das beste, wenn jetzt nicht das Einzelproblem der Arbeitslosenversicherungs-Reform zur Entscheidung komme. Dieses Problem werde sich vielleicht leichter zusammen mit anderen Problemen lösen lassen. Der Reichsminister des Auswärtigen habe angeregt, daß mit den Fraktionen in dieser Hinsicht Fühlung genommen werde.

1

Stresemann hatte Bedenken wegen der Einberufung des RT zur Beratung der ALV geäußert. Bei einem Auseinanderbrechen der RReg. und der Koalition in dieser Frage würden die Haager Kommissionen und die dt. Wirtschaft aufs schwerste betroffen; daher sei er für eine zeitliche Rückstellung der Reformpläne. Von Pünder war dazu bemerkt worden: „An sich bestätigte ich seine Auffassung, daß im Spätherbst sowieso der Young-Plan parlamentarisch erledigt werden müsse und dadurch eine ganze Fülle von Reformgesetzen betreffend RB, Rbk, Industriebelastung und nicht zuletzt der Nachtragshaushalt mit seinen Bestimmungen über die Verwendung des Überschusses verabschiedet werden müßten. – Herr Minister Stresemann war der Auffassung, daß in diesem großen Zusammenhang sich die schwierige Frage der ALV-Reform leichter erledigen lasse, da sie dann nicht so im Mittelpunkt der parteipolitischen Auseinandersetzungen stehen werde als heute“ (Vermerk Pünders vom 18. 9.; BA: Nachlaß Pünder  129). Nachdem Pünder die in Berlin anwesenden RM von dem Telefongespräch unterrichtet hatte, war eine Ministerbesprechung „im kleinsten Kreise“ für notwendig gehalten worden (Pünder an Stresemann, 19. 9.; R 43 I /2036 , Bl. 133-136, hier: Bl. 133-136).

Der Reichsminister für die besetzten Gebiete führte aus, daß der Fraktionsvorsitzende der Volkspartei erkrankt sei. Die Volkspartei müsse nunmehr jemanden benennen, mit dem verantwortliche Verhandlungen geführt werden[956] könnten2. Andernfalls müßten die Bemühungen, in der Reform der Arbeitslosenversicherung zu einer Einigung zu gelangen, aussichtslos bleiben.

2

Als Vertreter von Scholz wurde der Abgeordnete Zapf benannt (Pünder an Stresemann, 19. 9.; R 43 I /2036 , Bl. 133-136, hier: Bl. 133-136).

Der Reichsminister der Justiz erklärte die Anregung des Reichsministers des Auswärtigen für unerfüllbar. Die Reichsregierung werde den letzten Kredit verlieren, wenn sie nunmehr nicht die Reform der Arbeitslosenversicherung energisch betreibe. Außerdem sei ein finanzielles Debacle zu erwarten, wenn eine Reform nicht bald in Kraft trete. Vielleicht könne der Reichsminister der Finanzen noch zu den finanziellen Fragen Stellung nehmen.

Der Reichsminister der Finanzen betonte gleichfalls, daß aus allgemein politischen Gründen die Reform der Arbeitslosenversicherung nunmehr durchgeführt werden müsse. Es werde auch nicht leichter sein, im Zusammenhang mit dem Young-Plan das Problem zu erledigen. Man müsse zunächst versuchen, im Sozialpolitischen Ausschuß des Reichstags zu einem Ergebnis zu kommen.

Aus finanziellen Gründen sei es dringend erforderlich, daß die Beitragserhöhung am 1. November in Kraft trete. Besser sei es, wenn die Beitragserhöhung noch früher in Kraft treten könne.

Der Reichsarbeitsminister erklärte gleichfalls eine Vertagung der Reform der Arbeitslosenversicherung für unmöglich. Die Reichsanstalt gebrauche eine gewisse Frist zur Vorbereitung der neuen Reformmaßnahmen. Es müßten wenigstens die Reformmaßnahmen durchgeführt werden, die das Gesetz zur Bekämpfung der Mißbräuche vorsehe. Ebenso aber sei auch eine Neuregelung der Unterstützung der Saisonarbeiter sowie die Festsetzung einer verlängerten Wartezeit dringend erforderlich. Andernfalls müsse er in finanzieller Hinsicht die größten Bedenken haben.

Um zu einem Ergebnis zu kommen, sei es dringend erwünscht, daß die Volkspartei einen Herrn benenne, der zu entscheidenden Verhandlungen befugt sei.

Der Reichsverkehrsminister betonte, die Reform der Arbeitslosenversicherung werde sich bis zum Februar oder März 1930 verzögern, wenn sie jetzt nicht durchgeführt werde. Der Reichsminister der Finanzen werde nicht in der Lage sein, noch große Zuschüsse zu geben. Die Beitragserhöhung sei geboten. Man müsse nunmehr mit Geheimrat Zapf Fühlung nehmen.

Der Reichsminister des Innern erklärte, er habe vor 6 Wochen dieselbe Anregung gegeben, die jetzt der Reichsminister des Auswärtigen gebe3. Heute gehe er jedoch nicht mehr so weit wie der Reichsminister des Auswärtigen. Es sei nunmehr ein baldiger Zusammentritt des Reichstags geboten, um vor allem auch den Anschein zu vermeiden, als wolle die Reichsregierung der von den Kommunisten gewünschten Aussprache über die Vorgänge in der Reichswehr ausweichen. Die Regierungsparteien hätten keinerlei Anlaß, einer derartigen Aussprache auszuweichen. Im Gegenteil sei diese Aussprache erwünscht, um den vielfachen Entstellungen der Presse zu begegnen.

3

Siehe Dok. Nr. 262, P. 1.

[957] Außerdem müsse die Reform der Arbeitslosenversicherung in der nächsten Tagung des Reichstags behandelt werden4. Vielleicht sei es auch möglich, die erste Lesung des Republikschutzgesetzes zu veranstalten.

4

Nach Pünders Schreiben an Stresemann vom 19. 9. hatte der RIM erklärt: „Wenn die RReg. jetzt selber das Signal gebe, das ALV-Problem zurückzustellen, so würde der letzte Rest der schon stark mitgenommenen Autorität der RReg. in der politischen Öffentlichkeit dahinschwinden, so daß der Zustand nicht sehr viel anders wäre, wie wenn die RReg. bei einem Scheitern der Kompromißverhandlungen zum Rücktritt gezwungen würde. – Dieser Auffassung traten hintereinander alle übrigen Herren RM bei. Eine Auffassung, die übrigens auch Herrn RK Müller in einem Gespräch, das er heute früh mit Herrn Minister Hilferding geführt hat, vollkommen teilt“ (R 43 I /2036 , Bl. 133-136, hier: Bl. 133-136).

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft vertrat im wesentlichen dieselbe Auffassung wie der Reichsminister des Innern und erklärte im übrigen, daß der Reichsminister des Auswärtigen seine Fraktion zum Nachgeben bringen müsse. Dann werde auch die SPD in einigen Punkten noch nachgeben. Auf die Demokratische Partei komme es in der Frage der Reform der Arbeitslosenversicherung nicht so sehr an.

Der Reichspostminister erklärte ein Kompromiß über die Reform der Arbeitslosenversicherung für möglich. Er machte von einer Äußerung des Abgeordneten Dr. Cremer Mitteilung, daß die Volkspartei die Beitragserhöhung von ½% hinnehmen werde. Im übrigen erklärte er es für erforderlich, daß der Reichstag nunmehr zusammentrete.

Es wurde schließlich übereinstimmend als erwünscht bezeichnet, daß der Reichstag demnächst mit der Tagesordnung: Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung sowie Gesetzentwurf über befristete Änderungen der Arbeitslosenversicherung zusammentritt.

Als geeigneter Zeitpunkt für den Zusammentritt des Reichstags wurde die Woche vom Montag, dem 30. September ab bezeichnet.

Der Staatssekretär in der Reichskanzlei wurde gebeten, im Ältestenrat des Reichstags entsprechende Erklärungen abzugeben5.

5

Der Ältestenrat stimmte diesem Vorschlag des StSRkei zu (Pünder an die RM, 20. 9.; R 43 I /1018 , Bl. 72 f., hier: Bl. 72 f.).

Er wurde ferner gebeten, mit dem Reichsminister des Auswärtigen alsbald Fühlung zu nehmen und um eine ausreichende Bevollmächtigung des Geheimrats Zapf zu verantwortlichen Verhandlungen über die Reform der Arbeitslosenversicherung zu bitten.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft machte darauf aufmerksam, daß am 3. Oktober der Parteitag der Demokraten in Mannheim beginne6. Er erklärte sich auf Wunsch der anderen Reichsminister bereit, dafür Sorge zu tragen, daß am 3. Oktober nicht Sachen von wesentlicher Bedeutung auf dem Parteitag beraten würden, damit die demokratischen Abgeordneten noch für wichtige Abstimmungen über die Arbeitslosenversicherungs-Reform zur Verfügung ständen.

6

Zum Parteitag der DDP siehe Schultheß 1929, S. 181 ff.

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