2.41.3 (sch1p): 3. [Schuldfrage]

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3. [Schuldfrage]

Nunmehr wurde die Frage der Schuld am Kriege ausführlich erörtert.

Reichsminister Bell übernahm anstelle des Ministers David das Referat über den Inhalt der Akten des Auswärtigen Amts nach der unter Leitung Kautskys besorgten Zusammenstellung3.

3

Siehe Dok. Nr. 15, P. 8; Dok. Nr. 22, P. 4.

Reichsminister David hielt das Korreferat. Der Referent sprach sich gegen die Veröffentlichung der Dokumente aus. Man solle sich nach wie vor bereit erklären, das Material einem unparteiischen Gerichtshof vorzulegen unter der Voraussetzung, daß dieser auch das ganze Material der Gegner bekomme4. Die Veröffentlichung würde ein einseitiges, für Deutschland ungünstiges Bild ergeben. Die Dokumente beträfen nur die letzten kurzen Abschnitte vor dem Kriege, und das meiste sei nur zu verstehen in Verbindung mit der weiteren Vorgeschichte des Krieges, der Einkreisungspolitik Englands, der Revanchepolitik Frankreichs, der panslawistischen und der großserbischen Politik. Minister David ergänzte den Bericht des Referenten hauptsächlich durch Mitteilung aus den österreichischen Akten, deren Einsicht ihm der österreichische Gesandte Hartmann ermöglicht hatte5. Er sprach sich für die Veröffentlichung der[147] Dokumente aus, da man die Verpflichtung übernommen habe und da außerdem die weitreichende Kenntnis des Inhalts im feindlichen Ausland mit Sicherheit anzunehmen sei. Seines Erachtens helfe unter diesen Umständen nur völlige Klarheit und Wahrheit. Man müsse sich darauf berufen, daß die jetzt an der Regierung beteiligten Personen das Material bei Ausbruch des Krieges und während seiner Dauer nicht gekannt hätten und daß Deutschland das alte System restlos beseitigt habe. Im übrigen liege auch nach seiner Ansicht eine gewisse Entlastung in der weiteren Vorgeschichte des Krieges, die den Präventivgedanken zwar nicht rechtfertige, aber doch wenigstens erkläre.

4

Das entsprach der Forderung, die die RReg. in ihrer Kriegsschuldnote vom 25.3.1919 an die brit. Reg. gerichtet hatte, s. Dok. Nr. 22, P. 5.

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Dazu telegrafierte der UStS im AA, Frhr. Langwerth v. Simmern, am 13.4.1919 an die Dependance des AA in Weimar: „Bülow meldet mir, RM David habe im Ministerrat erwähnt, er hätte dem Gesandten Hartmann erklärt, die Veröffentlichung der österr.-ung. Akten über Kriegsausbruch sollte ebenso wie die unsrigen baldigst erfolgen. Da, wie Graf v. Wedel neuerdings bestätigt, es dem Ermessen Hartmanns überlassen wurde, die Wiener Akten zu veröffentlichen, und da der Ministerrat am 8. d. M. David überstimmte, dürfte es sich empfehlen, Hartmann zu verständigen, daß die dt. Veröffentlichung vorläufig unterbleibt.“ (PA, AA Weimar, IV. 12). Das österr. Aktenmaterial, das im Auftrage des österr. Min. d. ausw. Angelegenheiten von dem Historiker Dr. Roderich Gooß zur Veröffentlichung bearbeitet wurde, erschien erst nach den Friedensschlüssen; s. Diplomatische Aktenstücke zur Vorgeschichte des Krieges 1914: Ergänzungen und Nachträge zum österr.-ung. Rotbuch, 3 Bde, Wien 1919.

Reichsminister Graf Rantzau schlug als mittleren Weg vor, das gesamte Aktenmaterial dem Staatsgerichtshof6 zur Verfügung zu stellen und ihn hinsichtlich der vor ihm zur Verantwortung gezogenen Personen auch zu Veröffentlichungen zu ermächtigen. Nach Beendigung sämtlicher Verfahren könnte dann das Material im Zusammenhange veröffentlicht werden.

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Siehe Dok. Nr. 10a, P. 9; Dok. Nr. 28, P. 3.

Reichsminister Erzberger führte aus, man dürfe sich unter keinen Umständen in der Schuldfrage auf die schmale Plattform der letzten Wochen vor dem Kriege drängen lassen, die im Vergleich mit den letzten 45 Jahren nur einen kleinen Teil in der Vorgeschichte des Krieges einnähmen. In dem Gedanken des Präventivkriegs finde alles seine natürliche Erklärung, und zur Erklärung dieses Gedankens lasse sich auf eine Fülle von Tatsachen, darunter namentlich auf verschiedene Äußerungen Clémenceaus hinweisen. Man möge den Delegierten eine genau formulierte Erklärung der Schuldfrage mitgeben, die sich aber nicht nur auf den letzten Abschnitt des Krieges beziehe, sondern weiter zurückgehe. Der Minister fragte, ob die Randbemerkungen des Kaisers nach Wien mitgeteilt worden seien und ob sie maßgebend gewesen seien für die weiteren Noten. Beide Fragen wurden von dem Minister Bell und dem Gesandten Nadolny verneint, während Minister David der Meinung ist, daß ein gewisser Einfluß doch angenommen werden müsse.

Legationssekretär v. Bülow wies auf einige entlastende Momente hin. Er teilte die anliegende Note Sasonows an den russischen Gesandten in Belgrad vom 23. April 1913 mit7. Er bemängelte ferner die unzureichende archivarische Genauigkeit der Dokumentensammlung. Der Fall der Entstehung eines Weltkrieges finde sich so oft hervorgehoben, weil er die wichtigste Eventualität war.

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In der Anlage zum Kabinettsprotokoll vom 8.4.1919 in den Akten der Rkei findet sich die Abschrift einer Übersetzung aus dem Schreiben des russ. Ministers des Äußeren, Sasonow, an den russ. Gesandten in Belgrad, v. Hartwig, vom 23.4.1913, mit der handschr. Anm. des LegSekr. v. Bülow: „Diese Urkunde darf nicht veröffentlicht werden ohne vorherige Genehmigung der Wiener Regierung!“ In diesem Schreiben heißt es u. a.: „[…] Serbien aber hat erst das erste Stadium seines historischen Weges durchlaufen, und zur Erreichung seines [ein Wort unleserlich] Zieles muß es noch einen furchtbaren Kampf aushalten, bei dem seine ganze Existenz in Frage gestellt werden kann. Serbiens verheißenes Land liegt im Gebiete des heutigen Österreich-Ungarn […].“ (R 43 I /1348 , S. 413-417, hier: S. 415).

Im Laufe der weiteren Aussprache empfahlen die Reichsminister Gothein, Preuß und Erzberger, mit den Parteien Fühlung zu nehmen, namentlich mit den Konservativen.

[148] Reichsminister Preuß empfahl im übrigen die Weiterleitung des Materials an den auf seinen Vorschlag einzusetzenden parlamentarischen Untersuchungsausschuß8.

8

Während der 25. Sitzung des Verfassungsausschusses am 8.4.1919 wurde Art. 55 des Regierungsentwurfs der RV diskutiert, der die Einrichtung von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen vorsah (NatVers-Drucks. Bd. 336, Nr. 391 , S. 264 ff. ). Aus dem ursprünglichen Art. 55 des Entwurfs ging Art. 34 WRV hervor, auf dessen Grundlage die NatVers am 20.8.1919 einen Untersuchungsausschuß über die Vorgänge vor und während dem Weltkrieg einsetzte (NatVers Bd. 329, S. 2698  ff. ). Vgl. Anm. 10.

Reichsminister Koeth lehnte das Material als unzureichend und lückenhaft sowohl für eine Veröffentlichung, wie auch für einen Vortrag an die Parteiführer ab.

Reichsminister David widersprach dieser Auffassung.

Reichsminister Giesberts empfahl eine einleuchtende Darstellung über die Entwicklung der Verhältnisse seit 1890.

Der Ministerpräsident empfahl zusammenfassend, von der Veröffentlichung der Dokumente z. Zt. abzusehen. Dies wurde gegen den Widerspruch des Ministers David angenommen.

Es wurde ferner beschlossen, für Paris und für die Nationalversammlung eine Erklärung zu formulieren. In dieser soll festgestellt werden, daß die allgemeine Veröffentlichung des Materials aller Kriegführenden vor einem internationalen Gerichtshof leider abgelehnt worden sei und daß die Deutsche Regierung beabsichtige, das gesamte Material im Zusammenhang zu veröffentlichen, sobald der Staatsgerichtshof seine Aufgabe erfüllt habe9. Außerdem soll Reichsminister Bell mit den Führern der rechten Parteien eingehende Rücksprache halten, um zu verhindern, daß sie aus Unkenntnis des Materials schädliche Fragen stellten.

9

Eine entsprechende Erklärung wurde weder vor der NatVers noch an die Adresse der Entente abgegeben.

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