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1. Politische Lage.
Der Reichskanzler berichtete, daß er dem Herrn Reichspräsidenten die Demission des Kabinetts angeboten habe. Der Herr Reichspräsident habe die Demission auch angenommen und an das Reichskabinett die Bitte gerichtet, die Geschäfte weiter zu führen1. Er glaube im Sinne des Kabinetts gehandelt zu haben, wenn er dem Herrn Reichspräsidenten die Bereitschaft der Mitglieder der jetzigen Regierung mitgeteilt habe, einer eventuellen künftigen Aufforderung zu verantwortlicher Mitarbeit im Reichskabinett Folge zu leisten.
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Über diese Besprechung, die am Nachmittag des 17. 11. stattgefunden hatte, verbreitete WTB die folgende amtl. Mitteilung: Der RK erstattete dem RPräs. Bericht über das Ergebnis der Verhandlungen, „die er im Auftrage des Herrn Reichspräsidenten mit den Parteiführern zur Erzielung einer möglichst breiten nationalen Konzentration gepflogen hat. Während die Deutschnationale Volkspartei, die Deutsche Volkspartei und die Bayerische Volkspartei auf dem Standpunkt stehen, daß sie jede solche Konzentration begrüßen, welche die Arbeit der Reichsregierung zu erleichtern in der Lage sein würde, hat der Führer der Zentrumspartei der Ansicht Ausdruck gegeben, daß ihm Führung und Zusammensetzung des gegenwärtigen Kabinetts nicht geeignet erscheine, den Zusammenschluß dieser Kräfte sicherzustellen. Die SPD hat den Wunsch des Kanzlers zu einer Unterhaltung über die Mitarbeit in einer nationalen Notgemeinschaft schroff abgelehnt. Die NSDAP hat mitgeteilt, daß sie nur unter gewissen Vorbedingungen zu schriftlichen Verhandlungen bereit sei, wobei sie es von vornherein ablehnt, das von der Reichsregierung in Angriff genommene politische und wirtschaftliche Programm zu unterstützen. – In dieser Lage glaubt die Reichsregierung, die unter Einsatz aller ihrer Kräfte versucht hat, den ihr vom Herrn Reichspräsidenten am 1. Juni erteilten Auftrag auszuführen, im besten vaterländischen Interesse zu handeln, wenn sie heute ihr Amt in die Hände des Herrn Reichspräsidenten zurücklegt. Sie handelt dabei – ohne den Grundsatz autoritärer Staatsführung preiszugeben – nach dem von ihr schon vielfach ausgesprochenen Prinzip, daß Rücksichten auf Personen in dieser so ernsten Stunde keinen Raum haben können. Sie wünscht, dem Herrn Reichspräsidenten den Weg völlig freizumachen, damit er als Führer der Nation und gestützt auf die hohe Autorität seines Amtes die Zusammenfassung aller wahrhaft nationalen Kräfte herbeiführen möge, die allein den Weg der deutschen Zukunft sichern kann. – Der Herr Reichspräsident nahm die Demission der Reichsregierung entgegen und beauftragte das Kabinett mit der Weiterführung der Geschäfte.“ (WTB-Nr. 2466 vom 17.11.32 in R 43 I/1309, S. 625; dort auch mehrere Entwürfe dieser Verlautbarung).
Es müßten nun zunächst die Verhandlungen des Herrn Reichspräsidenten mit den Parteiführern2 abgewartet werden.
Das Kabinett nahm von diesen Mitteilungen Kenntnis.