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Vorbereitungen der Sachverständigen-Beratungen in Basel.
Dr. MelchiorMelchior berichtete, daß im Anschluß an die Aussprache vom vorhergehenden Tage im Finanzministerium eine Prüfung des von ihm erbetenen statistischen Materials stattgefunden habe1. Das Material sei so gut wie vollständig vorhanden und in den zuständigen Stellen des Reichsfinanzministeriums,[1535] des Reichswirtschaftsministeriums und der Reichsbank einheitlich festgestellt worden. Er habe von befreundeter Seite in Erfahrung gebracht, daß der Reparationsagent Parker Gilbert nach wie vor die Baseler Besprechungen in ungünstigem Sinne zu beeinflussen trachte2. Man habe ihm gesagt „He is sending atrocious telegrams“. Er müsse sich daher darauf gefaßt machen, besonders eingehend gefragt zu werden, was Deutschland auf die Gilbertschen Anregungen in seinen Reparationsberichten veranlaßt habe. Entsprechendes Material werde im Reichsfinanzministerium vorbereitet und rechtzeitig fertiggestellt werden. Weitergehende Wünsche bezüglich der Unterlagen für die bevorstehenden Verhandlungen habe er demnach nicht mehr.
Reichsminister DietrichDietrich bemerkte hierzu, daß die Gilbertschen Forderungen in der Hauptsache nach drei Richtungen gegangen seien.
a) Beschränkung der Ausgaben des Reichsetats.
Diese Forderung könne durch den Erlaß des Plafondgesetzes3 als erledigt angesehen werden.
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S. die NotVO vom 1.12.30, 2. Teil: Sicherungen des Haushalts, Kapitel I: Ausgabenbegrenzung (RGBl. I, S. 522).
b) Beschränkung des außerordentlichen Etats.
Auch diese Forderung sei erfüllt.
c) Drosselung der Ausgaben von Ländern und Gemeinden.
Dieser Punkt sei der heikelste. Zur Zeit sei die Gilbertsche Forderung jedenfalls erfüllt, da die Überweisungen an die Länder und Gemeinden sehr stark zurückgegangen seien. Es fehle aber an einer greifbaren Garantie dafür, daß bei Besserung der Steuereinnahmen das Maß der Ausgaben nicht wieder emporschnelle. Eine gewisse Garantie werde nach dieser Richtung die nach Rückkehr des Herrn Reichskanzlers geplante Notverordnung zur Verhütung weiterer kurzfristiger Verschuldung der Gemeinden bieten4.
Staatssekretär Dr. SchäfferSchäffer äußerte Bedenken dagegen, sich in Basel auf die Linie einer Verteidigung gegen die Gilbertsche Kritik drängen zu lassen. Der Auftrag der Londoner Konferenz an die Sachverständigen sei so erteilt, daß eine Erörterung über ein Verschulden Deutschlands an seiner gegenwärtigen Lage gar nicht in Frage kommen könne. Die Londoner Konferenz habe anerkannt, daß Deutschland an der gegenwärtigen Situation nicht schuldig sei5 und habe den Sachverständigen ganz präzise Fragen gestellt, die von einer Verschuldungsfrage unabhängig seien.
Dr. MelchiorMelchior behandelte sodann die Frage seines taktischen Vorgehens in Basel. Er führte aus, daß die Hauptfrage, die gestellt sei, dahin laute, ob Deutschland zur Überwindung seiner augenblicklichen Schwierigkeiten sofort und unmittelbar Kredite eingeräumt werden müßten.
a) Er halte derartige unmittelbare Kredite für die Aufrechterhaltung der Warenbewegung nicht für erforderlich unter der Voraussetzung, daß das in[1536] England vorgesehene Schema für eine Stillhaltung zustande komme und für mindestens sechs Monate durchgehalten werde, daß ferner die deutsche Handelsbilanz weiter wie bisher aktiv bleibe und schließlich, daß die bisherigen Zahlungssitten nicht geändert würden. Er sei der Überzeugung, daß wir für die eigentliche Warenbewegung Kredite nicht nötig hätten. Der Ausfuhrüberschuß von monatlich 150 bis 180 Millionen sei für die voraussichtlichen Bedürfnisse ausreichend.
Geheimrat SchmitzSchmitz meinte demgegenüber, daß man ohne Auslandskredit, der allerdings nicht kurzfristig sein dürfte, die Lage in Deutschland kaum werde bessern können. Er halte einen möglichst allgemein gehaltenen Revolving-Kredit, der der Golddiskontbank zur Verfügung zu stellen wäre, für äußerst erstrebenswert.
Dr. MelchiorMelchior glaubte, einen derartigen Kredit mit den Bedürfnissen der Warenbewegung allein nicht begründen zu können, zumal, wenn für die Einfuhr gewisser Rohstoffe eine Devisenerleichterung gewährt werde.
b) Dr. Melchior behandelte sodann die Frage der etwaigen Notwendigkeit von Krediten für die Haushalte von Reich, Ländern und Gemeinden. Er käme zu dem Ergebnis, daß auch dafür einstweilen Kredite nicht angefordert werden könnten. Man müßte sich auf den Standpunkt stellen abzuwarten, wie sich die Einnahmen der öffentlichen Hand entwickeln würden und im übrigen darauf dringen, daß wegen der kurzfristigen Verschuldung Stillhalten gewährt werde.
c) Sodann behandelte Dr. Melchior die Frage einer Verstärkung der Gold- und Devisendecke der Reichsbank. Er erklärte, daß er – vielleicht im Gegensatz zu manchem seiner Berufskollegen – von der Einräumung eines Rediskontkredits nicht viel halte. Die Kurzfristigkeit des Rediskontkredits verhindere, wirksam damit zu operieren.
Vizepräsident DreyseDreyse erwiderte, daß die Auffassungen über die Nützlichkeit eines Rediskontkredits von Fall zu Fall verschieden seien. Die Reichsbank mache allerdings praktisch von ihm keinen Gebrauch. Er sei in der Hauptsache für das Auge da und habe psychologisch erfolgreich gewirkt. Mit Dr. Melchior stimme er insofern überein, daß man einen neuen Rediskontkredit nicht zu fordern brauche. Er halte ihn insofern für schädlich, als man im Auslande bei Gewährung von Rediskontkrediten leicht zu der Auffassung komme, etwas Besonderes geleistet zu haben, obschon von dem Kredit kein praktischer Gebrauch gemacht werde. Die Reichsbank habe sich durch Unterschreitung der Deckungsgrenze ohne Inanspruchnahme des Rediskontkredits selbst geholfen und könne sich auch weiterhin auf diesem Wege helfen.
Dr. MelchiorMelchior erhoffte eine Besserung der Lage der Reichsbank von einer Akkumulierung der Exportüberschüsse.
d) Schließlich ging Dr. Melchior auf die Frage der Beschaffung kurzfristiger Betriebskredite ein. Er ging von der Erwägung aus, daß aus Deutschland in den letzten Wochen insgesamt 3½ Milliarden kurzfristiger Kredite abgezogen worden seien. Man müßte sich also fragen, ob man als teilweisen Ersatz einen allgemeinen wirtschaftlichen Entspannungskredit anstreben solle.
[1537] Staatssekretär Dr. SchäfferSchäffer meinte, man könne die deutsche Wirtschaft im gegenwärtigen Umfange unmöglich durchhalten, wenn das jetzige Kreditvolumen nicht erhöht werde. Selbst wenn der Reichsbankdiskont in den nächsten Tagen auf 10 vom 100 ermäßigt werden würde, sei dieser Diskontsatz doch so mörderisch, daß eine Einschrumpfung der Wirtschaft und eine starke Erhöhung der Arbeitslosigkeit die unvermeidbare Folge sein werde. Deutschland müsse daher auf irgendeine Weise zu einem Zufluß an Kredit kommen.
Reichsminister DietrichDietrich äußerte sich sehr besorgt gegen jede Erhöhung der kurzfristigen Verschuldung und betonte, daß nur mit mindestens mittelfristigen Krediten geholfen werden könne.
Auch Staatssekretär Dr. TrendelenburgTrendelenburg äußerte lebhafte Bedenken, daß das gegenwärtige Produktionsvolumen aufrechterhalten werden könne, solange die Zinsdifferenz gegenüber dem Auslande so erheblich sei wie bisher. Ebenso wie Reichsminister Dietrich versprach er sich eine wirksame Hilfe nicht von kurzfristigen, sondern von nur mindestens mittelfristigen Krediten.
Staatssekretär a. D. DernburgDernburg meinte, eine Hilfe des Auslandes werde nur zu erwarten sein bei Verstärkung der Einfuhr.
Reichsminister DietrichDietrich versprach sich eine wesentliche Hilfe von der Kreditierung der Einfuhr gewisser Rohstoffmengen aus Amerika.
Geheimrat SchmitzSchmitz entwickelte den Gedanken der Beschaffung eines Entspannungskredits. Er empfahl, den Verwendungszweck so wenig wie möglich festzulegen. Ohne einen solchen Entspannungskredit könne die Reichsbank nicht auskommen. Die Reichsbank müsse neue Devisen in größerem Umfange hereinbekommen, um den Diskontsatz herunterzubringen. Der anzustrebende Kredit müsse mindestens zwei Jahre laufen, wenn er eine wirksame Hilfe sein wolle.
Geheimrat VockeVocke erwiderte, daß ein solcher Entspannungskredit wahrscheinlich nicht erreicht werden könne. Die Gläubiger würden sicherlich erneut von uns Auskunft darüber fordern, was wir mit dem Kredit zu machen gedächten. Mit allgemeinen Gesichtspunkten könne man dann kaum kommen. Deutschland könne nur dann eine Hilfe erwarten, wenn die Frage der Kreditwürdigkeit wirksam in den Vordergrund geschoben werde. Aus diesem Grunde müsse man bestrebt sein, mit durchgreifenden Reformen aufzuwarten.
Staatssekretär a. D. DernburgDernburg meinte, daß man in diesem Zusammenhang auf die bevorstehende Einrichtung einer Bankenkontrolle hinweisen könne6.
Reichsminister DietrichDietrich meinte, das Problem wäre nicht allzu schwer zu lösen, wenn es gelänge, die Politik aus den Verhandlungen fernzuhalten. Deutschlands Ziel müsse es sein, seinen Kapitalzins zu verbilligen. Der hierzu erforderliche Kredit müsse so genommen werden, daß Kurzfristigkeit der Verschuldung der öffentlichen Hand beseitigt werde. In diesem Zusammenhang könne man daran denken, daß die Gemeinden ihre Werke in eine Gesellschaft einbrächten und über diese Gesellschaft eine Umschuldung ihrer kurzfristigen Schulden vornähmen.
[1538] Dr. MelchiorMelchior stellte, ohne Widerspruch zu finden, als einheitliches Ergebnis der Aussprache fest, daß er unter den besprochenen Voraussetzungen einen kurzfristigen Kredit unter keinen Umständen fordern solle und daß die Frage eines langfristigen Kredits überhaupt nicht von ihm zur Erörterung gestellt werden solle. Im übrigen stellte er noch in Aussicht, daß er noch vor seiner für den Abend bevorstehenden Abreise nach Basel eine kurze Aufzeichnung über das Ergebnis der heutigen Aussprache an das Reichsfinanzministerium geben werde.
Abdruck dieser Niederschrift ist in der Anlage beigefügt7.
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S. die Anlage zu diesem Dok. Eine Durchschrift der Aufzeichnung des LegR Valette über die Chefbesprechung befindet sich im Pol. Arch. des AA, WRep. Friedensvertrag Allg. 21 C. Das auf der Londoner Konferenz beschlossene Bank-Sachverständigen-Komitee Bd. 1.