1.235 (bru3p): Nr. 749 Der Präsident der Landwirtschaftskammer für Pommern v. Flemming an den Reichskanzler. Bad Kissingen, 16. Mai 1932

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Nr. 749
Der Präsident der Landwirtschaftskammer für Pommern v. Flemming an den Reichskanzler. Bad Kissingen, 16. Mai 1932

R 43 I /1289 , Bl. 375–379

Betrifft: Ostsiedlung

Persönlich!

Hochverehrter Herr Reichskanzler!

Aus verschiedenen Ausführungen von Ihnen in letzter Zeit, sowie aus Pressenotizen glaube ich entnehmen zu können, daß eine wesentliche Änderung und Verstärkung der Siedlungstätigkeit baldigst zu erwarten ist1.

1

Vgl. zu den Siedlungsplänen Dok. Nr. 737, Dok. Nr. 738 und Dok. Nr. 741. Das vorliegende Schreiben v. Flemmings ist auch abgedruckt in Schulz, Politik und Wirtschaft in der Krise, Dok. Nr. 503 b.

Ich bin von jeher für eine gesunde und starke Siedlung außerordentlich eingetreten. Ich habe aber auch die Fehler der bisherigen Siedlung erkannt und darüber schon vor Jahren Auseinandersetzungen mit den bearbeitenden Stellen gehabt. Wenn im Laufe des letzten Jahres manches geändert ist gegen die früheren Verfahren, so ist es mir eine gewisse Genugtuung festzustellen, daß die Fehler, welche ich schon früher moniert habe, auch höheren Orts erkannt sind, denn die Änderungen bewegen sich in der Linie der von mir oft genug gemachten Vorschläge.

[2522] Da ich den dringenden Wunsch habe, daß eine gesunde und vernünftige Siedlung im allgemeinen Volksinteresse tatsächlich verstärkt durchgeführt wird, bitte ich mir zu gestatten, einige kurze Ausführungen dazu zu machen mit der Bitte dieselben ernsthaft prüfen zu wollen.

Die Siedlung ist notwendig aus volkspolitischen und nationalen Gründen, sie ist notwendig, um zum mindesten einen Halt in der weiteren Entwicklung zum Industriestaat zu machen und allmählich etwas mehr zum Agrarstaat zurückzukehren. Dies bedeutet ja auch der schon fast zum Schlagwort gewordene Ruf: „Zurück aufs Land“! Der Hauptfehler, der bisher gemacht wurde ist m. E. der, daß die Siedler mit demselben Unglück einer hohen und zu hohen Verschuldung auf ihre Stelle angesetzt sind, wie es bei den übrigen Landwirten auch ist. Siedeln kostet Geld, und wenn der Zweck der Siedlung, nämlich die Schaffung selbständiger Existenzen erfüllt werden soll, so muß der Siedler in eine günstigere Lage kommen, als wie es die alteingesessenen Bauern sind. Hier muß eingeschaltet werden, daß im deutschen Osten eine Vermehrung der Bevölkerung durch Siedlung nur in geringem Umfang eintritt. Die absolut notwendige Größe einer Siedlungsstelle deckt sich im wesentlichen mit der Zahl der Morgen, die der Haltung einer Arbeiterfamilie zugrunde gelegt werden. Deswegen lege ich Wert auf die Betonung selbständiger Existenzen. Grundlage für die Beurteilung von Ländereien, ob sie zur Siedlung geeignet sind, von Siedlern, ob diese geeignet sind, ist nicht nur große landwirtschaftliche Kenntnis überhaupt, sondern auch genaue Kenntnis der Gegenden, in denen neue Siedler angesetzt werden sollen. Hiermit will ich sagen, daß eine Siedlung niemals glücklich durchgeführt werden kann, wenn die Arbeit bei einem Ministerium liegt, dem die Landwirtschaft und die Verhältnisse des deutschen Ostens, in welchem nun doch besonders gesiedelt werden soll, wesensfremd sind. Der neue Siedler soll für das Wohl des Landes produzieren und er soll für die heimische Industrie ein starker Konsument sein. Hierin sehe ich einen wesentlichen Nutzen der Siedlung. Ich bin nicht der Ansicht des Herrn Staatssekretärs Trendelenburg, daß es ein erfreulicher Erfolg sei, wenn der prozentuale Anteil des Exportes der Industrieproduktion von 31 auf 39 gestiegen sei. Ich sehe darin nur einen Verfall des Binnenmarktes, ohne den ein gesunder und vernünftiger Export nicht möglich ist.

Aus all dem bisher Gesagten ergibt sich meine Sorge, daß wir neue Fehlschläge in der Siedlung erleben werden, wenn diese in der Hand des Reichsarbeitsministeriums bleibt und nicht in die Hand der Landwirtschaft kommt, d. h. also in die des Reichsernährungsministeriums. Ich brauche nicht zu sagen, daß diese meine Auffassung nicht das Geringste mit der Person des derzeitigen oder eines anderen Reichsarbeitsministers zu tun hat.

Nun weiter, die Siedlung im deutschen Osten ist zur Zeit noch aus anderen Gründen erforderlich. Viele Großbetriebe, die umgeschuldet werden sollen, werden nur dann saniert werden können, wenn Teile von ihnen gesiedelt werden. Das bedeutet, daß zur Zeit die Siedlungsarbeit im Osten untrennbar verbunden ist mit der Tätigkeit des Reichsost-Kommissariats und der Landstellen in den Provinzen. Wenn die Landstellen bzw. die Industriebank, die den Sanierungsplan aufzustellen haben, außer mit allen Gläubigern auch noch mit anderen Ministerien über Art und Durchführbarkeit von Siedlungen verhandeln wollen und sollen, so bedeutet dies eine unerträgliche weitere Verzögerung der Arbeit. Ich kann auch offengestanden[2523] nicht verstehen, aus welchen Zusammenhängen heraus die Siedlung dem Reichsarbeitsministerium zugeteilt ist. Das Primäre der Siedlung ist doch zweifellos die Schaffung landwirtschaftlicher selbständiger Existenzen, wozu ich auch die Seßhaftmachung geeigneter Landarbeiter rechne, die Arbeitsbeschaffung durch Bauten u. ä. ist doch nur das Sekundäre.

Bei der letzten Unterredung, welche ich mit Ihnen haben durfte, habe ich mir bereits erlaubt, über diese Frage zu sprechen und ich hatte das Gefühl, daß Sie, sehr verehrter Herr Reichskanzler, mir, jedenfalls soweit es den Osten betraf, in meinen Gedankengängen zustimmten.

Aufgrund eingehender Kenntnis der landwirtschaftlichen Verhältnisse und insbesondere der Siedlungsmöglichkeiten in Pommern muß ich zum Ausdruck bringen, daß ich jeden Versuch, das Landwirtschaftliche bei einer Siedlung nicht in den Vordergrund zu stellen, für gleichbedeutend mit einem Mißlingen der Siedlungsarbeit ansehen muß. Deswegen bin ich der Ansicht, daß das zuständige Ressort für Siedlung das Reichslandwirtschaftsministerium und in diesem Sonderfall das Reichskommissariat für den deutschen Osten ist. Und wenn eine besonders tüchtige Kraft für dieses Arbeitsgebiet dem Reichsarbeitsministerium zugeteilt werden soll, so kann m. E. dieser Herr ebenso gut und besser dem Reichskommissariat für den Osten zugeteilt werden2.

2

Zu dem Kompetenzstreit zwischen RArbM und ROstKom. siehe Dok. Nr. 737, Anm. 8.

Ich bitte Sie inständigst, hochverehrter Herr Reichskanzler, überzeugt sein zu wollen, daß meine Ratschläge lediglich von dem Wunsche diktiert sind, der Sache und Ihnen zu dienen3.

3

Das Schreiben v. Flemmings blieb von der Rkei unbeantwortet.

In ausgezeichneter Hochachtung bin ich

Ihr ergebenster

Flemming

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