2.199 (cun1p): Nr. 199 Kabinettssitzung vom 21. Juni 1923, 10 Uhr

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Das Kabinett Cuno Wilhelm Cuno Bild 183-1982-0092-007Französischer Posten Bild 183-R43432Posten an der Grenze des besetzten Gebietes Bild 102-09903Käuferschlange vor Lebensmittelgeschäft Bild 146-1971-109-42

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[596] Nr. 199
Kabinettssitzung vom 21. Juni 1923, 10 Uhr

R 43 I /1385 , Bl. 184 f.

Anwesend: Cuno, v. Rosenberg, Oeser, Becker, Brauns, Heinze, Geßler, Stingl, Groener, Luther; StS Hamm, Stieler. Schroeder; MinDir. Meissner, Heilbron, Nobis; MinR Wever, Kempner, Walther; Protokoll: ORegR Offermann.

Vor Eintritt in die Tagesordnung machte der Herr Reichskanzler davon Mitteilung, daß die nächsten Tage mit Besprechungen über politisch-wirtschaftliche Fragen ausgefüllt werden würden. Es handele sich vor allem um die Frage der Tarife, der Löhne, der Währung, der Anpassung der Steuergesetzgebung an die Geldentwertung.

1) Erhöhung der Tarife. Staatssekretär Stieler berichtet über die Beratungen im Reichseisenbahnrat. Bis Mitte Mai habe der Etat des Reichsverkehrsministeriums balanciert, dabei seien allerdings die Ruhrausfälle nicht berücksichtigt. Das Defizit von Mitte Mai bis Ende des Rechnungsjahres werde nach heutigem Stand etwa 26 Billionen betragen1. Jeder Tag bringe einen Ausfall von 100 Milliarden. Es sei daher eine Erhöhung der Tarife erforderlich. Das Reichsverkehrsministerium habe dem Reichseisenbahnrat vorgeschlagen, die Gütertarife um 250%, die Personentarife in der I. und II. Klasse um 300%, in der III. und IV. Klasse um 200% zu erhöhen. Im Reichseisenbahnrat habe sich eine Majorität von sieben zu sechs Stimmen für die Erhöhung auf 250% ergeben. Der Rest habe für 200% gestimmt2. Über die Frage der Notwendigkeit[597] der Erhöhung sei keine Meinungsverschiedenheit gewesen3. Die Privatbahnen hätten noch weitere Erhöhungen gefordert. Das Kabinett stimmte schließlich dem Vorschlage des Reichsverkehrsministeriums zu, wonach die Personentarife in der I. und II. Klasse um 300%, in der III. und IV. Klasse um 200% erhöht werden, die Gütertarife um 250%4.

2) Der Herr Reichsminister des Auswärtigen berichtet ausführlich über die außen- und innenpolitische Lage.

3) Die Frage der Ruhrblockade wird der Herr Reichskanzler mit dem Reichsminister des Auswärtigen und dem Reichsernährungsminister ausführlich besprechen5.

4) Der Herr Reichsarbeitsminister berichtet eingehend über die Frage der Goldlöhne. Die Angelegenheit wird zunächst heute nachmittag in einer Besprechung der Staatssekretäre geklärt werden6.

[598] 5) Zur Frage der Postbestellung in Trier wurde beschlossen, an den bestehenden Bestimmungen nichts zu ändern7.

Fußnoten

1

In seinem Schreiben vom 8. 6. hatte der RVM das zu erwartende Defizit für den Rest des Rechnungsjahres auf 10,8 Bio M beziffert (Dollarkurs am 8. 6.: 78 500; am 18. 6.: 148 000 M; am 21. 6.: 127 000 M).

2

Randbemerkung Kempners: „wohl bei den Gütertarifen!“

3

Mit Schreiben vom 18. 6. hatte der PrMinPräs. den RVM ersucht, vor der Tariferhöhung den Landesregierungen im RR eine Stellungnahme zu ermöglichen, zumal ohnehin ein pr. Antrag beim RR laufe (Nr. 189), der stärkeren Einfluß des RT und des RR auf die Tarifpolitik der RB fordere (R 43 I /1067 , Bl. 243). Der RVM lehnte mit Schreiben vom 20. 6. weitere Beratungen im RR ab, zumal der pr. Vertreter im Reichseisenbahnrat keinen Widerspruch gegen die Tariferhöhungen erhoben habe. Sie treten zum 1. 7. in Kraft.

4

ORegR Offermann und MinR Kempner hatten den Antrag des RVM befürwortet. StS Hamm hatte in seiner Stellungnahme am 14. 6. bemängelt, daß die Tariferhöhung wieder auf Papiermark abgestellt sei. „Mit Papiermarkrechnung ist in dieser Zeit überhaupt nicht mehr vorwärts zu kommen. Das legt nahe, daß ein Vergleich mit Goldmark gemacht und auch vom Standpunkt des RVMin. das Problem der Festmark weiter versucht werde. Das würde allerdings auch einen weiteren Schritt zur Goldlöhnung bedeuten. Immerhin wird die Frage zu prüfen sein.“ (R 43 I /1067 , Bl. 232-233). Die Einführung wertbeständiger Tarife wird vom RVMin. erst Anfang August beschlossen (s. Anm. 9 zu Dok. Nr. Nr. 238).

5

Durch Eingriffe der Besatzungsmächte wurde die Lebensmittelversorgung zunehmend erschwert. Die Ordonnanz Nr. 183 der Irko vom 12. 6. und die entspr. Verfügung Nr. 48 vom 19. 6. verlangte für die Einfuhr dt. Waren ins alt- bzw. neubesetzte Gebiet eine Einfuhrbewilligung und die Entrichtung eines 25%igen Zolls (Wortlaut in RT-Drucks. Nr. 6126, Bd. 379, S. 113  f.). Durch Ordonnanz Nr. 185 vom 12. 6. wurde außerdem verfügt, daß die Zölle und Bewilligungsgebühren in hochwertigen Devisen zu entrichten seien (a.a.O., S. 115 f.). Diese und weitere Ordonnanzen der Irko sind am 22. 6., 16 h Gegenstand einer Ressortbesprechung in der Rkei (Aufzeichnung in R 43 I /213 , Bl. 293-295). StS Brugger berichtet am 27. 6. dem RK über seinen Aufenthalt im bes. Geb. vom 21. – 24. 6. u. a.: „Als das Hauptproblem in der allernächsten Zeit wurde von allen Seiten die Sicherung der Lebensmittelzufuhr und der Kohlenversorgung bezeichnet. Besonders schlimm scheint die Ernährungslage der Orte zu sein, die keinen Wasserweg haben wie Mönchen-Gladbach und Aachen. […] Ähnlich schwierig droht sich die Kohlenversorgung des besetzten Gebiets zu gestalten. Die Franzosen sind offenbar entschlossen, auf diesem Gebiete den äußersten Druck anzuwenden.“ (R 43 I /188 , Bl. 464-468). Zu Stellungnahmen der RReg. in der Presse vgl. Anm. 6 zu Dok. Nr. 195.

6

RArbM Brauns hatte in einem Schreiben an StS Hamm die Behandlung dieser Frage als besonders dringlich herausgestellt (vgl. Anm. 5 zu Dok. Nr. 192) und die StS des RFMin., REMin., RVMin., RWiMin. und der Rkei zu einer Besprechung am 21. 6. ins RArbMin. geladen. Eine Aufzeichnung Hamms vermerkt darüber u. a.: „Die Aussprache im RArbMin. ergab sehr starke Bedenken, die insbesondere vom RFMin. und RVMin. mit großem Ernst geltend gemacht wurden und zum erheblichen Teil grundsätzlich wie auch technisch vollauf berechtigt sind. Das RArbMin. wird die Angelegenheit unter Beteiligung der Ressorts am Montag [25. 6.] weiter besprechen. Ich habe die technischen und grundsätzlichen Bedenken anerkannt, aber darauf hingewiesen, daß in der allgemeinen Sucht, von schädlichen Folgen der Markentwertung sich zu befreien, die Gehalts- und Lohnempfänger von dem allgemeinen Bestreben nicht ausgeschlossen werden könnten. Auf diesem Wege zu hemmen, setzt voraus, daß die RReg. im übrigen gegen die Entwertungsbereicherung viel entschiedener vorgehe, so insbesondere auf dem Gebiete der direkten Steuern wie auch der indirekten Luxussteuern. Auch das vorliegende Problem macht das Schaffen wertbeständiger Anlagemittel dringend. Nur dann, wenn man eine wertbeständige Anlage auch dem kleinen Manne ermögliche, könne man die Gehalts- und Lohnempfänger davon abbringen, daß sie die Wertsicherung in der automatischen Anpassung ihrer laufenden Einnahmen sehen. Der Kampf um den Indexlohn sei ein Kampf, der Entwertungsverarmung zu entgehen.“ (R 43 I /1152 , Bl. 271). Das Kabinett beschäftigt sich am 26. 6. erneut mit dieser Frage (Dok. Nr. 204, P. 2).

7

StS Brugger und Vertreter des bes. Geb. hatten sich in dieser Frage für ein Nachgeben gegenüber den frz. Forderungen auf Postbeförderung ausgesprochen, um die angedrohte generelle Unterbindung des Postverkehrs zu vermeiden (vgl. Dok. Nr. 163 und 176).

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