2.24.2 (mu11p): 2. Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Verlängerung der Gültigkeitsdauer des Kohlensteuergesetzes.

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2. Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Verlängerung der Gültigkeitsdauer des Kohlensteuergesetzes.

Zu 1 und 2: Der Reichsernährungsminister führte aus, daß das Kabinett in[56] einer früheren Sitzung bereits der Verbilligungsaktion zugestimmt hätte, nur hätte der Herr Reichsminister der Finanzen gewünscht, seinerzeit wegen der finanziellen Seite über die ganzen Fragen noch einmal im Kabinett zu sprechen2. Der Reichsminister der Finanzen wies darauf hin, daß es im Interesse einer vernünftigen Finanzpolitik unbedingt notwendig sei, sich ein genaues Bild über den Reichshaushalt zu machen. Wenn man jetzt noch einmal wieder Kredite in Anspruch nehme, so beschreite man seiner Auffassung nach unhaltbare Bahnen; deshalb glaube er, daß man äußersten Falles für die gesamten Ausgaben bis zum Schluß dieses Kalenderjahres höchstens noch einen Kredit von 3 Milliarden zur Verfügung stellen dürfe3. Im übrigen müßten wir sehen, neue Einnahmequellen zu erschließen; deshalb müßte man sich jetzt auch über die Richtlinien der Finanzpolitik schlüssig machen. Der Etat könne nur balancieren, wenn man das Gesetz über die Gültigkeitsdauer der Kohlensteuer verlängere und außerdem zu der vorgeschriebenen Steuer einen Zuschlag von Hundert vom Hundert erhöbe. Andere Einnahmequellen ständen nicht zur Verfügung. Er begründete sodann im einzelnen die Notwendigkeit dieser Maßnahme und wies auf die Licht- und Schattenseiten hin. Er bat insbesondere folgende drei Punkte zu prüfen:

a)

ob die Mehrheitsparteien gemeinsam sich für die erhöhte Steuer einsetzen könnten,

b)

ob die Verabschiedung des Gesetzes im Hinblick auf die Wahlen erträglich sei,

c)

ob man die für die Lebensmittel und die Besoldung notwendigen Einnahmen jetzt schaffen oder die Schuldenwirtschaft fortsetzen wolle.

[57] Seine Auffassung sei es, auch trotz etwaiger Wahlbedenken zu empfehlen, die Kohlensteuer anzunehmen und damit Einnahmen zu schaffen und auf diese Weise zu einer gesunden Finanzpolitik zu kommen, die auch bei den Wahlen zu Gunsten der Regierung ausschlagen würde4. Der Reichswirtschaftsminister glaubte, daß einstweilen die Industrie ohne Beeinträchtigung ihrer Exportfähigkeit auch noch diesen erhöhten Zuschlag werde ertragen können.

Der Reichsminister der Justiz machte gegen die finanzielle Notwendigkeit der Maßnahme keine Bedenken geltend, war aber im Zweifel, ob es mit Rücksicht auf die Gegenagitation zweckmäßig sei, die Vorlage noch an die Nationalversammlung zu bringen, zumal das alte Kohlensteuergesetz noch bis zum 31. Juli 1920 in Kraft bleibe.

Der Reichsschatzminister betonte, daß zwar der Gesetzentwurf eine schwere Zumutung an ein unmittelbar vor den Wahlen stehendes Parlament bedeutet; immerhin war er der Auffassung, daß dies unter den heutigen Verhältnissen trotzdem geschehen müsse, vorausgesetzt, daß der Reichsminister der Finanzen zuvor mit den Mehrheitsparteien bzw. mit den maßgebenden Vertretern aus dem Steuerausschuß die Angelegenheit bespreche. Jedenfalls müsse, wenn man das Gesetz überhaupt einbringen wolle, dieses dann unter allen Umständen von der Nationalversammlung verabschiedet werden. Der Reichsernährungsminister stimmte seinerseits der Regelung wegen der Kohlensteuer zu und war ferner der Auffassung, daß ihm der Zeitpunkt für ein Abweichen von dem Wege der vorgeschlagenen Verbilligungsaktion nicht gerechtfertigt erscheine. Er bat daher, es bei den 4 Milliarden zu belassen. Der Reichsminister der Justiz war der Auffassung, daß es vom Etatsstandpunkt aus nicht notwendig sei, die Ausgaben für die Verbilligung der Lebensmittel auf den laufenden Etat zu nehmen.

Unterstaatssekretär Moesle bemerkte, daß die Industrie- und Arbeitsgemeinschaft [!] sich mit der Erhöhung der Kohlensteuer einverstanden erklärt[58] hätte. Die von anderer Seite angeregte Erhöhung der Umsatzsteuer zwecks Schaffung von Einnahmen sei dagegen unmöglich.

Der Reichsminister der Finanzen stellte fest, daß er ermächtigt sei, mit den Parteiführern usw. wegen des Kohlensteuergesetzes zu verhandeln und daß er im übrigen sich heute nur mit der Bewilligung von 3 Milliarden für Lebensmittel usw. einverstanden erklären könne, die seines Erachtens auch ausreichen würden, da der Antrag auf 4 Milliarden seinerzeit unter Berücksichtigung der schlechten Valuta, die sich jetzt stetig bessere, gestellt worden sei. Wegen der Übernahme der 3 Milliarden auf eine Anleihe könne er sich heute noch nicht festlegen. Er betonte nochmals, daß eine gesunde Finanzpolitik auch bei den Wahlen die Position der Regierungsparteien stärken würde.

Das Kabinett war mit dieser Behandlung der Angelegenheit einverstanden5.

Fußnoten

2

Das Datum der angesprochenen Kabinettssitzung wurde nicht ermittelt. Sie dürfte im Februar oder März stattgefunden haben; denn der RWiM hatte am 25. 2. vorgeschlagen, daß das Prämienwesen zur Förderung der Getreideablieferung (VO vom 18.12.19; RGBl., S. 1990  ff.) vereinfacht werden solle. Außerdem hatte der RWiM vorgeschlagen, daß ein Unterschied zwischen den Prämien für Ablieferungen von kleinen und großen Getreideerzeugern gemacht werden solle. Auf diese Weise sei der Prämienaufwand, der bisher den noch ungedeckten Betrag von 900 Mio M erforderlich gemacht habe, zu senken (R 43 I /1256 , Bl. 202-204). Der REM hatte in einer Denkschrift die Einsetzung von 2,75 Mio M in den Nachtragsetat zur Verbilligung von Lebensmitteln verlangt. „Außerdem ist in der Denkschrift beantragt, sich damit einverstanden zu erklären, daß am 1.4.20 der Mehlpreis der Reichsgetreidestelle von 102 auf 204 Mark für den Doppelzentner und die nach der VO über Zahlung von Ablieferungsprämien für Brotgetreide, Gerste und Kartoffeln vom 18.12.19 (RGBl., S. 1990 ) von den selbst bewirtschaftenden Kommunalverbänden pro Doppelzentner Getreide zu zahlenden Betrag von 28 Mark auf 120 Mark für den Doppelzentner erhöht wird, sowie daß ferner der nach § 4 der genannten VO zu zahlende Betrag für Kartoffeln vom 1.4.20 ab von 2,50 Mark auf 5 Mark heraufgesetzt wird.“ Hierzu sei eine Veränderung der VO vom 18.12.19 erforderlich (R 43 I /1267 , Bl. 172-194).

3

Zur Deckung des Lebensmittelbedarfs erschien es erforderlich, Getreide einzuführen, wofür nach dem 1.4.20 3 Mrd. M benötigt wurden. Um die aus dem Ausland eingeführten Kartoffeln verbilligt abgeben zu können, beantragte der REM eine Summe von 6–700 Mio M einzusetzen (Begründung des VOEntw. des REM; R 43 I /1267 , Bl. 172-194, hier: Bl. 194). „Zur Abdeckung dieser Beträge“, hieß es in der Denkschrift des REM „würde es erforderlich sein, eine entsprechende Summe im Staatshaushaltsplan für 1920 anzufordern oder Beträge zur Verfügung zu stellen, die durch Erhöhung des Kohlenpreises oder aus den Gebühren für Ausfuhr gewonnen werden können“ (R 43 I /1267 , Bl. 172-194, hier: Bl. 187).

4

Die Kohlensteuer war am 1.8.17 in Kraft getreten und sollte bis zum 31.7.20 gelten. In der Begründung seines GesEntw. hatte der RFM erklärt: „Das Kohlensteuergesetz hat die an das Gesetz geknüpften Erwartungen erfüllt.“ Der erwartete Ertrag sei wesentlich überschritten worden. „Hinzu kommt, daß auch die Kohlenpreise, denen die Kohlensteuer als Wertsteuer selbsttätig folgt, eine fortgesetzte erhebliche Steigerung erfahren haben. Bei Einführung der Kohlensteuer rund 20 M für die Tonne Steinkohle betragend, erreichte der Preis ohne Kohlensteuer im November 1919 rund 70 M, stieg am 1.2.20 auf rund 130 M und am 1.3.20 auf rund 146 M. Diese erheblichen Preissteigerungen finden ihre Begründung in der ganz außerordentlichen Erhöhung der Bergarbeiterlöhne, in der gewaltigen Verteuerung aller Materialpreise, in der Notwendigkeit, die technischen Einrichtungen der Gruben, die während des Krieges eine außergewöhnlich starke Abnutzung erfahren haben, wieder zu verbessern, und neuerdings noch in dem für Bau von Bergarbeiterwohnungen bestimmten Preiszuschlage. Zieht man diese Preissteigerung in Betracht und rechnet man mit einer Steigerung der Kohlenförderung, die für eine Gesundung unserer wirtschaftlichen Verhältnisse unbedingt geboten ist, so wird man mit Recht annehmen können, daß im nächsten Rechnungsjahr die Kohlensteuer einen Ertrag von 4 Milliarden Mark bringen wird.“ Zur Deckung des hohen Finanzbedarfs auf Grund des Kriegsausgangs sei eine Verdoppelung der Kohlensteuer erforderlich, die dann 8 Mrd. M erbringen werde. Diese Steuererhöhung werde sich im Wirtschaftsleben bemerkbar machen, sie sei aber dennoch angesichts der allgemeinen Preissteigerung und des gesunkenen Geldwertes gerechtfertigt (Kabinettsvorlage vom 26.3.20; R 43 I /2409 , Bl. 94-97).

5

Der RFM teilte in einem Schreiben vom 30. 4. dem UStSRkei mit, der Gesetzentwurf über die Verlängerung des Kohlensteuergesetzes solle nach einer Besprechung mit den Parteiführern in der NatVers. nicht mehr eingebracht werden. „Da die Gültigkeitsdauer des Kohlensteuergesetzes am 31. 7. d. J. abläuft, wird es eine der ersten Aufgaben des neuen RT sein müssen, sich über die Frage ihrer Verlängerung schlüssig zu machen. – Ob und wieweit gleichzeitig eine Erhöhung der Kohlensteuer einzutreten hat, muß der weiteren Prüfung und Erörterung vorbehalten bleiben“ (R 43 I /2409 , Bl. 127). Die Verlängerung des GesEntw. wurde im Kabinett Fehrenbach am 1.7.20, TOP 1 erneut behandelt.

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