2.146.1 (feh1p): 1. Verhandlungen mit den Eisenbahnern.

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1. Verhandlungen mit den Eisenbahnern1.

Staatssekretär Albert trägt das Ergebnis der Besprechung der Staatssekretäre[387] vor2, die in Ausführung verschiedener Kabinettsbeschlüsse – der erste war am 18. Dezember 1920 gefaßt worden – die Regelung der Beamtengehälter sowie der Löhne der Reichsarbeiter und die Bezüge der Reichsangestellten einer eingehenden Prüfung unterziehen sollte3. In der Besprechung war die durch den drohenden Eisenbahnerstreik neu geschaffene und in letzter Zeit wesentlich verschärfte Lage zu berücksichtigen4. Das Ergebnis der Besprechung war – mit alleiniger Ausnahme des Finanzministeriums –, daß die Staatssekretäre ein Eingehen auf die Forderungen der Eisenbahner für unerläßlich hielten5. Die wesentlichen Gründe seien bekannt: wirtschaftliche Notlage, Stellungnahme der Parteien – zu berücksichtigen insbesondere auch die Preußenlage –, die wirtschaftlichen Folgen eines Streiks, die Gefahren kommunistischer Mit- und Auswirkung. Man war darüber einig, daß eine Fühlungnahme mit den Eisenbahnern in allernächster Zeit unerläßlich sei, und beschloß daher, zunächst eine Aussprache, nicht ein eigentliches Verhandeln mit den Eisenbahnern herbeizuführen6. Ziel dieser Aussprache sollte sein, auf die Eisenbahner, und zwar unter Zuziehung der Hauptvertreter der allgemeinen Gewerkschaften und der Beamtenorganisationen, durch Darlegung der Finanzlage des Reichs, der allgemeinen Wirtschaftslage, der Gefahren der Vermehrung des Notenumlaufs sowie der außenpolitischen Lage, insbesondere unter Hinweis auf die Verhandlungen in Brüssel, im Sinne einer Verschiebung ihrer Forderungen einzuwirken. Die Hoffnung eines Erfolges sei zwar gering, aber ein Versuch geboten. Auf Grund einer solchen Aussprache sei dann ein Urteil über die Situation möglich, auf Grund dessen dann Vorschläge für das Kabinett ausgearbeitet werden können.

Inzwischen seien Ereignisse eingetreten, die es zweifelhaft erscheinen lassen, ob sich die vorstehenden Direktiven für die bevorstehende Aussprache aufrechterhalten lassen. Insbesondere sei gestern, am 1.1.21, eine zuverlässige Nachricht aus dem besetzten Gebiet eingetroffen, wonach die Entente einen etwaigen Streik der Eisenbahner mit der Militarisierung der Bahnen im besetzten Gebiet und eventuell mit dem Einmarsch ins Ruhrgebiet beantworten[388] würde7. Außerdem sei die Bewegung unter den Eisenbahnern so stark geworden, daß eine so zurückhaltende Haltung nicht mehr am Platze scheint. Er bäte daher das Kabinett zu entscheiden, ob nicht die Direktiven für die Verhandlungen geändert und von vornherein ein größeres Entgegenkommen gezeigt werden solle. Seines Erachtens müsse von vornherein dargelegt werden, daß die Regierung entschlossen sei entgegenzukommen, daß also die Frage, ob eine Berücksichtigung der Notlage erfolgen soll, bejaht werde und lediglich die Frage, wann und wie geholfen werden soll, zur Erörterung steht. Auch mit dieser Direktive habe die Aussprache eine große Bedeutung, da durch energisches und festes Auftreten sowie durch wirksame Darlegung der allgemeinen Gesichtspunkte doch eine bessere Atmosphäre für die Verhandlungen geschaffen werden könne, als wenn unmittelbar in Verhandlungen eingetreten werden würde.

ReichsverkehrsministerGroener stimmt diesen Ausführungen zu und erklärt nach eingehenden vertraulichen Darlegungen, daß ein Streik im gegenwärtigen Augenblick unter allen Umständen vermieden werden müsse.

Der Herr Reichspräsident betont, daß er seinerzeit die ablehnende Haltung der Regierung gebilligt habe, jetzt aber insbesondere mit Rücksicht auf die Nachricht aus dem besetzten Gebiet ein Entgegenkommen für notwendig halte. Er schlage vor, daß bei der für den 3. Januar anzuberaumenden Aussprache der Vorsitz neutralisiert werde – vielleicht könne Staatssekretär Albert den Vorsitz führen –, da das Reichsfinanzministerium als präsidierende Behörde naturgemäß bei den Verhandlungsgegnern auf größere Schwierigkeiten stoßen werde.

Herr Minister Koch führte noch aus, daß seines Erachtens die Staatssekretäre nicht nur die Vollmacht, sondern den Auftrag gehabt hätten, Vorschläge für ein Entgegenkommen auszuarbeiten, und daß nach seiner Ansicht das Kabinett die grundsätzliche Frage des „ob“ bereits unter Zustimmung der Regierungsparteien entschieden habe, daß daher die heutige Anrufung nur eine konsequente Ausführung dieses Auftrages sei.

Das Kabinett stimmt dem Vorschlage des Herrn Reichspräsidenten zu und beschließt, daß zu Beginn der Verhandlungen mit den Eisenbahnern eine entgegenkommende Erklärung der Regierung abgegeben werden solle. Hierbei solle betont werden, daß ein derartiger Schritt der Regierung schon auf Grund früherer Beschlüsse für die ersten Tage nach Neujahr in Aussicht genommen gewesen[389] sei8. In dieser Beziehung sei gegebenenfalls auf den Beschluß vom 18.12.1920 zu verweisen9.

Fußnoten

1

Das Protokoll dieses P. der TO ist in dem offiziellen Kabinettsprotokoll durchgestrichen. Darüber findet sich die handschriftl. Notiz: „s[iehe] Anl[age]“. Eine solche Anlage war in R 43 I jedoch nicht zu ermitteln. Abgedruckt wird hier ein ausführliches, verbessertes Protokoll, das der StSRkei am 7.1.1921 als Protokollauszug dem RFM übersandte; der Text dieses Protokollauszuges findet sich in R 43 I /2560 , Bl. 154–159.

2

Zur Vorgeschichte dieser Verhandlungen mit den Eisenbahnern s. Dok. Nr. 140, P. 3.

3

Diese Besprechung der StS der Rkei, des RVMin., des RPMin., des RArbMin., des RFMin. und des RIMin. hatte am 28.12.1920 im RFMin. stattgefunden (Einladungsschreiben des RFM v. 23.12.1920, R 43 I /2560 , Bl. 133).

4

In einem am 22. 12. im „Vorwärts“ veröffentlichten Aufruf hatten die Verbände der Eisenbahner (Dt. Eisenbahnerverband, Reichsgewerkschaft dt. Eisenbahnbeamter und -anwärter, Gewerkschaft dt. Eisenbahner und der Allgemeine Eisenbahnerverband) unmißverständlich erklärt, daß sie bei einem Scheitern der Verhandlungen, entsprechend dem Willen ihrer Mitglieder, den Streik ausrufen würden (Vorwärts Nr. 624 v. 22.12.1920).

5

In einer am 23. 12. im „Vorwärts“ veröffentlichten Erklärung hatten die Verbände der Eisenbahner eine Reihe von Lohn- und Gehaltsforderungen gestellt. Dazu gehörten u. a. die Erhöhung der Teuerungszuschläge für die Arbeiter und Beamten der Eisenbahn sowie die schnelle Verabschiedung des Besoldungsgesetzes. Die RReg. war aufgefordert worden, einen Zeitpunkt zu bestimmen, an dem die Verhandlungen über diese Forderungen beginnen könnten (Vorwärts Nr. 626 v. 23.12.1920).

6

Als Termin für diese Aussprache war der 3.1.1921 vorgesehen (Einladungsschreiben des RFMin. v. 29.12.1920, R 43 I /2560 , Bl. 139). Zu dem Ergebnis s. u. Anm. 8.

7

Diese Nachricht ist StS Albert am 1.1.1921 wahrscheinlich mündlich durch den RKom. für die Kohlenverteilung, Geheimrat Stutz, mitgeteilt worden (Der RKom. für die Kohlenverteilung an den StSRkei am 6.1.1921, R 43 I /180 , Bl. 69).

In einer Aufzeichnung, die StS Albert am 2. 1. dem AA übersandte und die zur Weiterleitung an die dt. Missionen im Ausland bestimmt war, hieß es dazu u. a.: „In dieser Situation wird der deutschen Regierung jede Handlungsbasis entzogen und sie zum Nachgeben gezwungen durch das Verhalten der Rheinlandkommission. Die Rheinlandkommission hat in unzweideutiger Weise zum Ausdruck gebracht, daß sie einen Streik der Eisenbahner mit der Militarisierung der Eisenbahn in den besetzten Gebieten und mit dem Zugriff auf das Ruhrgebiet zur Sicherung der Kohlenbezüge beantworten würde. Hier bleibt der deutschen Regierung nichts anderes übrig, als zur Vermeidung des Streiks nachzugeben.“ (Text der Aufzeichnung, R 43 I /2560 , Bl. 140–143).

8

Am 4. 1. veröffentlichte der „Vorwärts“ einen Aufruf der Verbände der Eisenbahner, in dem es über die Haltung der RReg. bei den Verhandlungen am 3.1.1921 hieß: „Die Regierung hat die Bereitwilligkeit ausgesprochen, innerhalb der Grenzen des Möglichen alles zu tun, um die Notlage der Beamten und Arbeiterschaft zu beheben. Die Regierung ist auch gewillt, die Verhandlungen mit den besten Kräften zu beschleunigen und im Benehmen mit den Ländern so rasch wie möglich eine Vorlage an den Reichstag zu bringen, der sie gleichfalls vorzugsweise verabschieden wird.“ (Vorwärts Nr. 4 v. 4.1.1921).

In den Akten findet sich lediglich der Entw. einer Verlautbarung der RReg. über diese Verhandlungen, der in den einzelnen Formulierungen sehr viel vorsichtiger abgefaßt war. Es heißt dort: „Heute fand im Reichsfinanzministerium zwischen Vertretern der Reichsregierung und Vertretern der führenden Organisationen der Beamten- und Arbeiterschaft des Reiches, insbesondere der Eisenbahner, in Anwesenheit von Vertretern der Länder eine Aussprache über die bestehende Notlage und deren Abstellung statt. Von beiden Seiten wurden die für die weitere Erledigung der Angelegenheit dienlichen Gesichtspunkte erörtert und durch die gegenseitige offene Schilderung der tatsächlichen Verhältnisse der Beamten- und Arbeiterschaft wie der wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse des Reiches eine allgemeine Orientierung geschaffen, die eine weitere Verhandlung ermöglicht.“ (R 43 I /2560 , Bl. 148). Ob diese Verlautbarung veröffentlicht wurde, ließ sich in R 43 I nicht ermitteln.

9

RIM Koch schreibt über diese Kabinettssitzung in seinen „Aufzeichnungen“ unter dem Datum des 2.1.1921: „Beamtenfragen. Trotzdem vor Weihnachten mit Parteien vereinbart ist, daß nach Weihnachten entgegengekommen werden solle, hat Wirth seinen Vertreter nicht instruiert. Dassel [?] sagt einfach: ‚Nein‘. Es wird über den Widerstand hinweggegangen und auf meinen Antrag beschlossen, daß die Staatssekretäre morgen sich nicht nur auf Verhandlungen einlassen, sondern auch von vornherein erklären, daß die Reichsregierung grundsätzlich zum Entgegenkommen bereit sei. Dadurch wird doch wenigstens ein kleiner Anschein von Initiative bewahrt und nicht wieder nur der Drohung des Streiks nachgegeben. Zu jammervoll, diese Haltung des Finanzministeriums. Es kommt ihnen eigentlich nur darauf an, sich selbst zu salvieren anstatt zu führen. Die Frage ist aber hochpolitisch geworden. Nicht nur rechnen die Kommunisten mit diesem Streik als Anfang des Umsturzes, auch die Franzosen wollen das rheinische Eisenbahnwesen in die Hand nehmen und sich die Kohlen selbst aus dem Industriebezirk holen.“ (Nachlaß Koch-Weser  27, Bl. 353).

Siehe dazu weiter Dok. Nr. 151, P. 4.

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