2.68 (mu11p): Nr. 68 Der Preußische Minister für öffentlichen Arbeiten an den Reichskanzler und sämtliche Reichs- und Preußische Staatsminister. 27. April 1920

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[163] Nr. 68
Der Preußische Minister für öffentlichen Arbeiten an den Reichskanzler und sämtliche Reichs- und Preußische Staatsminister. 27. April 1920

R 43 I /1848 , Bl. 35-37

[Betrifft: Eisenbahnverkehr zwischen dem Reich und Ostpreußen.]1

Nachdem die Warschauer Verhandlungen über den Durchgangsverkehr nach Ostpreußen2 ohne irgend eine Aussicht auf Verständigung abgebrochen und die deutschen Delegierten am 18. März aus Warschau zurückgekehrt waren, wurde sofort (am 19. März) in Übereinstimmung mit den in der Ressortbesprechung vom 6. März und den in den Ostpreußen-Verhandlungen vom 9. und 11. März aufgestellten Richtlinien zwischen dem Auswärtigen Amt und meinem Ministerium die Überreichung einer Note an den Obersten Rat in Paris vereinbart, aus der Erwägung heraus, daß weitere Verhandlungen mit den Polen unmöglich seien und daß ein scharfer Protest bei dem Feindbund die einzige Möglichkeit sei, der abgeschnittenen Provinz zu ihrem Recht auf freien Durchgangsverkehr nach dem Mutterlande zu verhelfen. Die Note wurde nach einer Besprechung der an den Verhandlungen in Warschau beteiligt gewesenen Ministerien in meinem Ministerium ausgearbeitet. Der Entwurf der Note wurde dem Auswärtigen Amt am 25. März, der Entwurf der Anlagen zur Note am 30. und eine von dem Bearbeiter beim Auswärtigen Amt noch gewünschte Darstellung über die Abgabe der Fahrzeuge am 31. März überreicht. Trotzdem ich noch in zwei Telegrammen vom 6. und 8. April […] und telephonisch am 14. April in dringlichster Form um sofortige Überreichung der Note ersucht habe, ist die Note, wie am 22. April mitgeteilt wurde, dem Obersten Rat nicht überreicht worden. Dagegen hat inzwischen in Widerspruch mit der auch vom Auswärtigen Amt geteilten Auffassung, daß weitere Verhandlungen mit den Polen zwecklos seien, der Vertreter des Auswärtigen Amtes in Paris, Ministerialdirektor Göppert, den Polen den Vorschlag zu[164] neuen Verhandlungen gemacht, ohne daß mein Ministerium von diesem Schritte vorher verständigt worden ist3.

Weiterhin hat in der Sitzung der Nationalversammlung am 21. d. Mts. der Herr Reichsminister des Auswärtigen über die mit dem Durchgangsverkehr nach Ostpreußen zusammenhängenden Fragen Erklärungen abgegeben4, die teils unrichtig sind, teils den Richtlinien nicht entsprechen, die unter Billigung des Auswärtigen Amtes in der Ressort-Besprechung vom 6. März in Gegenwart der Vertreter Ostpreußens aufgestellt und nachher in Warschau von der Deutschen Delegation als deutsche Mindestforderungen mit allem Nachdruck vertreten worden sind. Die deutschen Mindestforderungen sind, wie dem Auswärtigen Amt genau bekannt ist, von der polnischen Regierung in der entschiedensten Form abgelehnt worden, so daß die Deutsche Delegation telegraphisch angewiesen wurde, die Verhandlungen abzubrechen. Trotzdem hat der Herr Minister erklärt, daß die Verhandlungen ein günstiges Ergebnis hätten erhoffen lassen und nur durch den Kapp-Putsch nicht hätten zu Ende geführt werden können. Diese Erklärung ist umso bedauerlicher, als sie sich deckt mit einer von den Polen verbreiteten Darstellung über den Gang der Warschauer Verhandlungen und als einer meiner Kommissare dem englischen Oberst Lomas von der Entente-Kommission in Allenstein diese Darstellung am 29. März ausdrücklich als falsch bezeichnet hat5. Im Gegensatz zu dem in Warschau vertretenen Standpunkt hat ferner der Herr Minister die Ansicht geäußert, daß wir heute einen völlig freien und ungehinderten Durchgangsverkehr durch den polnischen Korridor noch nicht beanspruchen könnten, weil der die vorläufige Verkehrsgestaltung regelnde Artikel 89 uns geringere Rechte gewähre als der für die endgültige Regelung maßgebende Artikel 98 des Friedensvertrages6. Obgleich bisher Einverständnis darüber bestand, daß eine auch nur[165] vorübergehende Verkehrssperre im polnischen Korridor unter allen Umständen dem Friedensvertrag widerspricht, hat der Herr Minister nur beanstandet, daß die Sperre uns nicht rechtzeitig vor ihrer Verhängung mitgeteilt worden ist7. <Er hat es für richtig gehalten, vor der Öffentlichkeit zu erklären, daß wir keine Repressalien gegenüber Polen hätten. Diese Erklärung muß nach meiner Auffassung weitere Verhandlungen mit den Polen von vornherein erschweren,>8 umso mehr, als noch am 7. März der Ministerialdirektor Edler von Stockhammern dem Vertreter der polnischen Regierung Dr. Diamand Repressalien in Aussicht gestellt hat9. <Die nachträgliche Korrektur des Stenogramms>10 der Rede vermag nicht aus der Welt zu schaffen, daß die tatsächlichen Erklärungen des Herrn Ministers durch die Presse verbreitet und damit unsern Gegnern, besonders den Polen, bekannt geworden sind. Unsere Gegner werden ohne weiteres davon ausgehen, daß bei einer Rede des Reichsministers des Auswärtigen in einer für Deutschland so außerordentlich bedeutungsvollen Angelegenheit jeder Satz genau erwogen und vorher festgelegt ist und die Wiedergabe dieser Rede in der Presse Anspruch auf Richtigkeit hat11.

Gegen diese Behandlung und Vertretung der ostdeutschen Verkehrsfragen, von deren glücklicher Erledigung letzten Endes das Verbleiben Ostpreußens beim Reich abhängt, lege ich Verwahrung ein und lehne jede Mitverantwortung für die Folgen ab. Den mündlich von einem Referenten des Auswärtigen Amtes erhobenen Vorwurf, daß das Ministerium der öffentlichen Arbeiten die Verzögerung der Note verursacht habe, weil es über die in den abgetretenen Gebieten zurückgelassenen Betriebsmittel bisher keine Angaben gemacht habe, weise ich wiederholt zurück12. Mein Ministerium hat von vornherein die Ansicht vertreten, daß die Frage der zurückgelassenen Betriebsmittel[166] in der Note nicht berührt werden dürfe. Das Recht auf freien Durchgang im Verkehr mit Ostpreußen ist nach dem Friedensvertrage ein absolutes, von keiner Gegenleistung abhängiges Recht, und es ist deshalb sachlich unrichtig und taktisch bedenklich, diesen Rechtscharakter durch antizipierte Erörterung eines zwar von polnischer Seite vielleicht zu erwartenden, aber unerheblichen Einwandes zu verwischen. Dieser Auffassung hat sich bei einer telephonischen Aussprache am 6. April auch der Bearbeiter beim Auswärtigen Amt angeschlossen, als er gebeten wurde, von den am 31. März auf seinen Wunsch übermittelten Zahlen keinen Gebrauch zu machen, weil sie mit Rücksicht auf neue durch den englischen Oberst Lomas inoffiziell mitgeteilte Behauptungen der Polen nochmals nachgeprüft werden sollten. Dem Auswärtigen Amt muß ich es bei dieser Sachlage überlassen, die Nichtabsendung der Note gegenüber den neuesten, meines Erachtens durchaus berechtigten Beschwerden der Ostpreußen zu vertreten.

Für die Folge muß ich darum bitten, daß in Angelegenheiten des Eisenbahnverkehrs vom Auswärtigen Amt keinerlei Erklärungen von Bedeutung ohne vorheriges Einvernehmen mit dem für diese Angelegenheiten zuständigen Ressort abgegeben werden.

Was die Weiterbehandlung der deutsch-polnischen Verkehrsfrage angeht, so überlasse ich dem Auswärtigen Amt die Entscheidung darüber, ob die Note dem Obersten Rat in Paris nach dieser Verzögerung überhaupt noch überreicht werden soll. Verhandlungen mit den Polen über ein vorläufiges oder endgültiges Abkommen in Angelegenheit des Durchgangsverkehrs sind solange zwecklos, als Polen nicht das deutsche Recht auf freien Durchgang durch den Korridor in dem in der Note dargestellten Umfange anerkennt. Vor weiteren Verhandlungen mit den Polen wird ihnen daher in Form eines Ultimatums die Frage zu stellen sein, ob sie die in dem Entwurf der Note enthaltenen Richtlinien anerkennen. Bleiben die Polen auf ihrem ablehnenden Standpunkt stehen, so wird nichts weiter übrig bleiben, als doch noch die Entscheidung des Obersten Rates herbeizuführen. Solange diese Entscheidung oder das Anerkenntnis der Polen nicht vorliegen, bin ich zu meinem Bedauern nicht in der Lage, meine Kommissare zu ermächtigen, über den auf Wunsch des Auswärtigen Amtes in meinem Ministerium aufgestellten neuen Vertragsentwurf mit den Polen zu verhandeln.

Abschrift gebe ich dem Herrn Reichskanzler (Reichskanzlei) und sämtlichen Herren Reichs- und preußischen Staatsministern13.

gez. Oeser

Fußnoten

1

Zu einer ernsthaften Belastung des dt.-poln. Verhältnisses war es gekommen, als von Polen ohne vorherige Ankündigung der Bahn-, Post- und Telegrafenverkehr zwischen dem Reich und Ostpreußen am 16. 4. auf 10 Tage gesperrt worden war. Zu den vorausgegangenen Auseinandersetzungen zwischen Polen und Deutschland s. das hier abgedruckte Schreiben sowie die Erwiderungen des AA in den Anmerkungen.

2

Art. 98 VV bestimmte, daß innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten des Friedensvertrags zwischen Deutschland und Polen Vereinbarungen über den Verkehr zwischen dem Reich und Ostpreußen zu treffen seien. Hierzu teilte das AA der Landwirtschaftskammer für die Provinz Ostpreußen am 30.4.20 mit: „Wie bekannt sein dürfte, haben die Polen sich auch schon vor der Sperre der grundsätzlichen Anerkennung der im Friedensvertrage festgesetzten völligen Durchgangsfreiheit entzogen. – Den Abschluß des in Art. 98 des Friedensvertrages vorgesehenen Vertrages haben sie bis jetzt zu verzögern gewußt, so daß die Reichsregierung schon einmal bei dem Obersten Rat dieserhalb hat Beschwerde einlegen müssen. Die Anfang vorigen Monats mit Polen in Warschau eingeleiteten Verhandlungen wurden polnischerseits unter Vorschützung des Kapp-Putsches mit nichtigen Vorwänden völlig ergebnislos abgebrochen. Bei den jetzt in Paris schwebenden deutsch-polnischen Verhandlungen über die Auseinandersetzung wird die RReg. noch einmal mit allem Nachdruck auf den Abschluß eines Vertrages über die Sicherstellung der Verkehrsfreiheit drängen“ (R 43 I /1848 , Bl. 43-45).

3

In einer Entgegung auf dieses Schreiben wurde vom AA am 3. 5. erklärt, eine zunächst von dem PrArbMin. und dem AA gemeinsam erarbeitete Note habe nicht verwandt werden können und sei daher zurückgezogen worden (s. dazu u. Anm. 12). Bevor noch vom AA beim Obersten Rat weitere Schritte unternommen worden seien, habe dieser selbständig sowohl auf Polen wie auf Deutschland eingewirkt, damit die Verkehrsverhandlungen wiederaufgenommen würden. Da die Polen dann bereit gewesen seien, in Verhandlungen einzutreten, habe das AA auf die Vorlage einer Note verzichtet. Der Vertreter des PrArbMin. in Paris habe von Berlin aus in dieser Hinsicht keinerlei Weisungen erhalten. Zum Stand der Verhandlungen führte das AA weiter aus: „Deutscherseits wurde daraufhin Weisung erteilt, daß ohne Verhandlungen in der Korridor- und Optionsfrage die übrigen deutsch-polnischen Verhandlungen in Paris nicht zu Ende geführt werden sollten. Der Vorsitzende der Deutschen Delegation in Paris berichtete am 27. [4.], daß der frz. Verhandlungs-Vorsitzende ihm erklärt habe, er wolle den Polen von sich aus zur Kenntnis bringen, daß die Korridorfrage seiner Ansicht nach in Paris verhandelt werden müsse.“ Das PrArbMin. solle dafür sorgen, daß ein Mitarbeiter auf Abruf nach Paris reisen könne (R 43 I /1848 , Bl. 71-76, hier: Bl. 73).

4

Zur Behandlung der Verkehrsverbindungen zwischen dem Reich und Ostpreußen in der NatVers. s. NatVers. Bd. 333, S. 5276  ff.

5

Hierzu wird in der Entgegnung des AA festgestellt, der RAM habe zunächst darauf hingewiesen, daß keine Einigung zustandegekommen sei, danach habe er von der Unterbrechung der Verhandlungen infolge des Kapp-Putsches gesprochen (R 43 I /1848 , Bl. 71-76, hier: Bl. 75).

6

Zu dieser Ansicht äußerte das AA, daß der RAM auf eine Interpellation durch das Zentrum geantwortet habe: „Es handelte sich darum, vor dem deutschen Parlament wahrheitsgemäß die Rechtslage klarzustellen, wie sie sich aus der Wechselwirkung zwischen dem Wortlaut des Art. 89 und 98 des Friedensvertrages ergibt. Hieraus kann ein Widerspruch zu der bisherigen Auffassung, daß Polen uns die Durchfuhrfreiheit schon aus Art. 89 gewähren muß, nicht hergeleitet werden“ (R 43 I /1848 , Bl. 71-76, hier: Bl. 75).

7

Das AA wies darauf hin, der RAM habe zu der überraschenden Sperre ausgeführt, „daß eine derartige plötzliche Sperre nicht im Sinn des Art. 89 des Friedensvertrages entspreche und daß deswegen auch sofort bei der hiesigen polnischen Gesandtschaft Protest eingelegt worden sei“ (R 43 I /1848 , Bl. 71-76, hier: Bl. 74).

8

Von Kempner unterstrichen und am Rand bemerkt: „Das wissen die Polen auch.“

9

Demgegenüber stellte das AA fest, der RAM habe ausführlich von möglichen wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen gegenüber Polen gesprochen und erklärt, „daß sie bereits wegen der Nichterfüllung des Wirtschaftsabkommens seitens Polens in umfangreicher Weise eingetreten seien“ (R 43 I /1848 , Bl. 71-76, hier: Bl. 73 f.).

10

Hierzu am Rand ein Fragezeichen. Das AA stellte fest, daß sich die Korrektur „selbstverständlich nicht darauf erstreckte, den Sinn der Rede zu ändern, wie es nach dem Wortlaut des Schreibens den Anschein haben könnte. Vielmehr handelte es sich nur darum, an einzelnen Stellen die Form des Ausdrucks zu verbessern. Diese Änderung aber ist auf persönliche Vorsprache eines Vertreters des Herrn Minister der öffentlichen Arbeiten und in Übereinstimmung mit diesem erfolgt“ (R 43 I /1848 , Bl. 71-76, hier: Bl. 76).

11

Zur Reaktion der Presse meinte das AA, daß tatsächlich einige Zeitungen andere Stellen der Rede unzutreffend wiedergegeben hätten: „Gegen derartige ungenaue Wiedergaben noch so gut vorbereiteter Reden in einem kurzen gedrängten Auszug der Tagespresse wird sich aber niemand zu schützen vermögen“ (R 43 I /1848 , Bl. 71-76, hier: Bl. 74).

12

Dazu erklärte das AA am 3. 5.: „Mit dem Ende März übergebenen Material des Ministeriums für öffentliche Arbeiten war eine Anlage über die an Polen überlassenen Eisenbahnwaggons übergeben worden. Bei den Rücksprachen mit dem Referenten des Ministeriums der öffentlichen Arbeiten Anfang April hatte sich herausgestellt, daß die darin enthaltenen Zahlen nicht zuverlässig seien. Infolgedessen konnten sie für eine Note an den Obersten Rat nicht verwandt werden. Die Zahlen wurden daher seitens des Ministeriums der öffentlichen Arbeiten zurückgezogen.“ Bis zum 8. 4. seien keine neuen Zahlen vorgelegt worden (R 43 I /1848 , Bl. 71-76, hier: Bl. 71).

13

Abschließend nahm das AA zu diesem Schreiben dahin Stellung, daß bei einer Fühlungnahme mit dem AA der PrArbM nicht von falschen Voraussetzungen ausgegangen wäre und dann auch nicht zu falschen Schlußfolgerungen hätte gelangen können: „Dadurch hätte sich auch der für den Verkehr zwischen den obersten Behörden ungewöhnliche Weg erübrigt, jenes Schreiben den Reichs- und Staatsministerien abschriftlich zu übermitteln. – Jedenfalls muß die Unterstellung, das AA sei in der Vertretung Ostpreußens lässiger gewesen als das preußische Ministerium der öffentlichen Arbeiten […] aufs schärfste zurückgewiesen werden. Das AA ist vielmehr der Ansicht, daß eine glückliche Erledigung der ostpreußischen Verkehrsfragen jetzt schon erreicht worden wäre, wenn der Seeverkehr nach Ostpreußen vor allen Dingen auch für Massengüter rechtzeitig und tatkräftiger gefördert worden wäre, ohne auf die Ergebnisse der Verhandlungen mit den Polen in der Korridorfrage zu warten. Denn Ostpreußen wäre dann auch während einer von uns bekämpften, widerrechtlichen Verkehrssperre die Gewißheit einer ungestörten, ausreichenden Verbindung mit dem Mutterlande verblieben“ (R 43 I /1848 , Bl. 71-76, hier: Bl. 76).

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