2.80.4 (sch1p): 4. [Abstimmungen in den Ostprovinzen]

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 1). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Das Kabinett ScheidemannReichsministerpraesident  Philipp Scheidemann Bild 146-1970-051-17Erste Kabinettssitzung der neuen deutschen Reichsregierung am 13.2.1919 in Weimar Bild 183-R08282Versailles: die deutschen Friedensunterhändler Bild 183-R11112Die Sozialisierung marschiert! Plak 002-005-026

Extras:

 

Text

RTF

[332]4. [Abstimmungen in den Ostprovinzen]

Ministerialdirektor Meister und Regierungsrat Krahmer-Möllenberg halten ausführliche Vorträge über die Verteilung der deutschstämmigen und der polnischstämmigen Bevölkerung in den östlichen Gebieten, über die verschiedenen Möglichkeiten der Begrenzung von Abstimmungsbezirken und über die Aussichten der Abstimmung in den verschiedenen Fällen. Sie kommen zu dem Ergebnis, daß die Volksabstimmung, namentlich wenn sie unter dem Diktat der Entente erfolge, möglichst zu vermeiden sei. Wenn sie sich nicht umgehen lasse, sei die Abstimmung in kleineren Bezirken (Gemeinden) der Gesamtabstimmung in Regierungsbezirken oder in den außerhalb der Demarkationslinie in den Friedensbedingungen den Polen zugesprochenen Teilen der Provinzen vorzuziehen.

Das Kabinett ist sich darüber einig, daß in den Gegenvorschlägen in erster Linie diejenigen Gründe aufzuzählen sind, nach denen die Losreißung Oberschlesiens, Westpreußens und der anderen diesseits der Demarkationslinie beanspruchten Gebiete auch ohne zuvorige Abstimmung unterbleiben muß. Anderseits besteht Übereinstimmung, daß die Abstimmung nicht unter allen Umständen abgelehnt werden kann, weil man sonst den Boden des Wilson’schen Programms verlassen würde. Es sollen aber für den Fall der Abstimmung Kautelen gegen unlautere Beeinflussung gefordert werden.

Die Frage, ob Abstimmung nach Gemeinden oder nach größeren Bezirken vorzuschlagen ist, bleibt offen; Reichsminister David und Landsberg sowie Botschafter Graf Bernstorff empfehlen die erste, Reichsminister Erzberger die zweite Lösung.

Reichsminister Erzberger empfiehlt ferner eine qualifizierte Mehrheit polnischer Stimmen (75%) für die Abtretung vorauszusetzen, während von anderer Seite diesem Vorschlag als aussichtslos widersprochen wird3.

Die nächste Sitzung 15. Mai 1919 5 Uhr nachmittags.

Fußnoten

3

In den „Bemerkungen der dt. Delegation zu den Friedensbedingungen“, die im Rahmen der dt. Mantelnote am 29.5.1919 in Versailles übergeben wurden, wird im unmittelbaren Zusammenhang mit den Ostfragen auf eine Abstimmung nicht eingegangen; die Argumentation beschränkt sich auf den Versuch, den unzweifelhaft dt. Charakter der strittigen Gebiete nachzuweisen. In einem allgemeinen Teil heißt es jedoch unter „Selbstbestimmungsrecht der Bevölkerung“: „Kein Gebiet darf von Deutschland abgetrennt werden, dessen nationale Zugehörigkeit durch jahrhundertelange konfliktlose Vereinigung mit dem dt. Staatswesen unbestreitbar bewiesen ist oder, soweit dies nicht zutrifft, dessen Bevölkerung sich nicht mit der Abtrennung einverstanden erklärt hat.“ Weiterhin wird gefordert, daß „in Fällen, wo Deutschland in Gebietsabtretungen willigen kann, mindestens eine Volksabstimmung nach Gemeinden vorausgehen muß“; wahlberechtigt sollten nur solche Personen sein, die mindestens ein Jahr vor Friedensschluß im Abstimmungsgebiet ihren Wohnsitz hatten; alle Truppen seien aus dem strittigen Gebiet zu entfernen, die Abstimmung unter neutrale Überwachung zu stellen; die Abstimmung dürfe „nur nach Friedensschluß und nach Rückkehr geordneter Verhältnisse stattfinden“. (Materialien betr. die Friedensverhandlungen, Teil III: Die dt. Gegenvorschläge zu den Friedensbedingungen der all. und ass. Mächte, hrsg. v. AA, Charlottenburg 1919, S. 32 ff. ).

Extras (Fußzeile):