2.5 (str1p): Nr. 5 Der Staatskommissar für die öffentliche Ordnung an die Reichskanzlei. 15. August 1923

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Nr. 5
Der Staatskommissar für die öffentliche Ordnung an die Reichskanzlei. 15. August 1923

R 43 I /2713 , Bl. 83/84 Durchschrift

[Betrifft: Lage in der Provinz Sachsen.]

Herr Oberpräsident Hörsing-Magdeburg teilt über die Lage in der Provinz Sachsen folgendes fernmündlich mit:

Die Lage hat sich wesentlich gebessert. Die kommunistische Generalstreikpropaganda darf als fehlgeschlagen angesehen werden1. Gegen die Streikhetzer und die Streikleiter sei der Oberpräsident durch zahlreiche Verhaftungen vorgegangen. So zum Beispiel ist die Zentralstreikleitung der Landarbeiter festgenommen; ferner die Streikleitungen der Kreise Calbe und Genthin. Infolge dieser Verhaftungen sind die Streiks, vor allem im Reg. Bezirk Magdeburg, in der Auflösung. Verhaftet sind bisher ca. 40 Personen aus den Kreisen der kommunistischen Hetzer und Führer. Im Reg.Bezirk Merseburg war eine Verhaftung der kommunistischen Drahtzieher nicht möglich, weil sich diese der drohenden Festnahme entzogen haben. Die Verhaftungen werden fortgesetzt.[10] Im Kreise Genthin versuchten kommunistische Banden gestern Brandstiftungen. In einem Falle wurde eine Scheune in Brand gesetzt; von den Tätern ist einer erschossen, 2 verhaftet. In einem zweiten Falle mißlang die Brandstiftung. Sämtliche Beteiligten, insgesamt 5 Personen, wurden verhaftet. Kommunistische Plündererkolonnen suchten im Reg.Bezirk Merseburg den Landkreis Eisleben heim. Zwei dieser Kolonnenführer wurden verhaftet, zwei sind geflüchtet.

Die in den Betrieben bestehenden Organisationen der republikanischen Notwehr haben sich gegen die Kommunisten gewendet, die mit dem Versuch, die Stillegung der Betriebe zu erzwingen, von Arbeitsstelle zu Arbeitsstelle zogen. Durch die Abwehrtrupps wurden die kommunistischen Streikhetzer vertrieben bzw. verprügelt. Die Streiklage stellt sich wie folgt dar:

Der Generalstreik selbst ist zusammengebrochen, bzw. nicht in vollem Umfange zum Ausbruch gelangt. Teilstreiks dauern in allen Teilen der Provinz noch an. Infolge Fehlens der Führer und einer einheitlichen Leitung ist der negative Ausgang dieser Streiks gewiß2. In Zeitz herrscht wieder völlig Ruhe, so daß von den dort eingesetzt gewesenen 3 Schupo-Hundertschaften 1 Hundertschaft bereits wieder zurückgezogen werden konnte. Die Meldungen des Landbundes über Felddiebstähle sind übertrieben, wenngleich zugegeben werden muß, daß infolge der Notlage weiter Kreise der Bevölkerung während der unruhigen Tage Eingriffe in fremdes Eigentum vorgekommen sind3.

Auf Anregung des Oberpräsidenten haben auch die Angehörigen der Landwirtschaft sich bereit erklärt, schnellmöglichst für die Lieferung verbilligter und notwendiger Lebensmittel Sorge zu tragen4. Der Oberpräsident bedauere, daß es bisher nicht möglich gewesen sei, Verbote der kommunistischen Zeitungen „Klassenkampf“ und „Tribüne“ herbeizuführen, die nach wie vor mit allen Mitteln gegen Regierung und für den Streik hetzen.

Im Auftrage

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Fußnoten

1

Um den Sturz des Kabinetts Cuno herbeizuführen, hatten die Kommunisten für den 11.8.23 zum Generalstreik aufgerufen; s. zur politischen Situation Das Kabinett Cuno, Dok. Nr. 244. Zur Streikbewegung s. W. Ersil, Aktionseinheit stürzt Cuno; dort über die Lage in Mitteldeutschland, S. 284 ff.; O. Wenzel, Die Kommunistische Partei Deutschlands im Jahre 1923, S. 164 ff., zu den Verhältnissen in der Provinz Sachsen, S. 168 f. – Der Streik sollte nach Bildung des Kabinetts Stresemann gegen dieses gerichtet fortgesetzt werden; s. dazu Ersil, a.a.O., S. 369 ff. Nach einem Bericht des RKom. für Überwachung der öffentl. Ordnung über einen Betriebsräte-Kongreß der KPD in Berlin war dort zur Beendigung des Streiks aufgerufen worden, „weil jetzt nicht mehr erzielt werden könne, wie das, was bis jetzt erzielt worden sei. Der Kampf sei nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben.“ Von Vertretern aus Mitteldeutschland sei mit Hinweis auf die Besetzung von Großgütern und Fabriken durch proletarische Hundertschaften gebeten worden, den Generalstreik fortzusetzen, da bei Zuzug von Berliner Sicherheitspolizei die bisher erfolgreiche Abwehr von Polizeihundertschaften nicht fortgesetzt werden könne (R 43 I /2670 , Bl. 135–136). In einem weiteren Bericht über diese Versammlung wurde auf Kritik an der kommunistischen Streikbewegung hingewiesen, die KPD habe noch nie eine derartige Niederlage erlitten. In den Streiktagen sei nichts geschehen (R 43 I /2670 , Bl. 138–141).

2

In der Berliner Betriebsräte-Versammlung hatte Ruth Fischer ausgeführt, die KPD habe den Kampf in ihre Hand genommen: „Wir haben bis jetzt immer bewiesen, daß wir Führer des Proletariats sind, und werden auch fernerhin zeigen, daß wir gewillt sind, die Massen an das Ziel zu führen, welches wir ihnen setzen werden. Es ist möglich, daß der Kampf in wenigen Wochen neu entbrennen wird.“ Dazu seien auch die der KPD noch fernstehenden Beamten, Angestellten und Arbeiter zu gewinnen und zwar nicht durch Terror, sondern durch Überzeugung. Die neue Regierung Stresemann-Hilferding sei nichts anderes als „ein Steigbügelhalter des Kapitals“. Der angebrochene Kampf sei nicht verloren, sondern gewonnen (R 43 I /2670 , Bl. 135/136). Das Zurückdrängen der kommunistischen Bewegung sei in Berlin, wie PrIM Severing dem PrFM von Richter am 20.8.23 mitteilte, ohne Todesopfer gelungen. „Leider ist das nicht aus allen Orten zu berichten. In Neurode, Zeitz, Gelsenkirchen, Hannover, Aachen und einigen anderen Orten hat es neben zahlreichen Verwundeten auch eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Toten gegeben. Unsere Schutzpolizei ist überall besonnen, aber auch mit der notwendigen Energie vorgegangen und ich bin überzeugt, daß die den Kommunisten beigebrachte Niederlage ihnen die Lust zu weiteren Vorstößen einstweilen verleiten [!] wird. Notwendig ist freilich – […] –, daß alles getan wird, um die wirtschaftlichen Verhältnisse zu bessern, damit nicht die Verzweifelten und Hungernden der kommunistischen Agitation in die Arme getrieben werden“ (Arch. soz. Dem.: NL Severing  Mappe 20/181).

3

Zu den Verhältnissen in der Lebensmittelversorgung s. Dok. Nr. 3, P. 2 mit Anm. 2 und 10.

4

Zu Hörsings Vorgehen, um die Lebensmittelversorgung der Provinz Sachsen zu sichern, s. Anm. 1 zu Dok. Nr. 172.

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