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[Vorschläge des RdI zur Finanz- und Wirtschaftspolitik.]
Die Besprechung wurde eingeleitet durch Geheimrat Duisberg. Er erklärte, daß das Präsidium des Reichsverbandes sich sehr eingehend mit dem Schriftwechsel zwischen der Reichsregierung und dem Reparationsagenten2 befaßt habe, daß das Präsidium jedoch von einer Mitteilung seiner Stellungnahme gegenüber den Mitgliedern des Reichsverbandes bisher abgesehen habe. Dies sei nur aus Rücksicht auf die Stellung der Reichsregierung unterblieben. Das Präsidium wünsche die Stellung der Reichsregierung in jeder möglichen Weise zu erleichtern. Zweck der erbetenen Aussprache sei der, zu erfahren, was die Reichsregierung auf das Memorandum an positiven Schritten getan habe und zu tun gedenkt. Je nach Ausfall dieser Unterrichtung werde das Präsidium seine zur Bekanntgabe an die Mitglieder des Reichsverbandes bestimmten Beschlüsse einrichten.
Die Hauptsorge des Präsidiums sei, zu verhüten, daß durch eine unkluge Taktik der Reichsregierung die Gefahr eines plötzlichen Abbruchs der gegenwärtigen Konjunktur – die nach allen Anzeichen übrigens bereits im allmählichen Abflauen begriffen sei – heraufbeschworen werde. Den Schaden eines plötzlichen Konjunkturniedergangs werde in erster Linie die breite Masse zu tragen haben.
Geheimrat Duisberg bat, daß Geheimrat Kastl namens des Präsidiums die Vorschläge vortragen könne, die der Reichsverband auf Grund eingehender Vorberatungen beschlossen habe.
Darauf trug Geheimrat Kastl den Inhalt der bereits mit Schreiben vom 23. November 1927 übermittelten Aufzeichnung3 vor. Er unterstrich stark den Gedanken, daß es dem Reichsverband in erster Linie auf eine Stärkung der Stellung des Reichskabinetts auf wirtschaftspolitischem Gebiete ankomme, und daß er bereit sei, an der Bekämpfung der entgegenstehenden beiden Haupthindernisse, nämlich a) der allzu großen Bewilligungsfreudigkeit des Reichstags, b) dem Widerstande der Länder, tatkräftig mitzuarbeiten.
[1100] Den in der Niederschrift behandelten Punkten, nämlich: 1. Kürzung der Etats von Reich, Ländern und Gemeinden, 2. Erlaß eines Finanznotgesetzes, 3. Durchführung einer Verwaltungsreform, 4. Stärkung der Befugnisse des Sparkommissars, fügte er noch folgende, nicht schriftlich niedergelegte Gesichtspunkte hinzu: 5. Herstellung einer Verbindung zwischen den Beschlüssen des Reichshaushaltsausschusses zur Beamtenbesoldungsreform4 und dem Reichshaushalt 1928. Er glaubte der Reichsregierung dringend nahelegen zu müssen, darauf Bedacht zu nehmen, daß der Haushaltsausschuß bei seinen Beschlüssen zur Besoldungsreform nicht über die Leistungsfähigkeit des Reichshaushalts 1928 hinausgehe. 6. Geheimrat Kastl führte aus, daß die deutsche Industrie unbedingt das Ziel verfolgen müsse, bezüglich des Preisniveaus den Anschluß an die Weltmarktpreise aufrechtzuerhalten. Je mehr die Inlandskonjunktur abflaue, umso mehr gewinne dieses Ziel an politischer Bedeutung. Pflicht der Reichsregierung sei es, alles zu vermeiden, was auf eine Erhöhung des Preisniveaus hinauslaufe. Das gelte insbesondere von der Lohnpolitik, von den sozialpolitischen Lasten und von den Arbeitszeitbestimmungen.
Der Reichskanzler erwiderte, daß die Ziele der Reichsregierung sich mit denen des Präsidiums des Reichsverbandes weitgehendst deckten und daß die Reichsregierung seit Wochen die Maßnahmen durchzusetzen versuche, die in den Vorschlägen des Reichsverbandes enthalten seien. Die Hauptschwierigkeiten, die sich der Erreichung der Ziele der Reichsregierung entgegenstellten, erblicke er in zwei Umständen, nämlich a) der Unfähigkeit des Volkes als Ganzem, sich mit der jetzigen Lage abzufinden. Die Reichsregierung könne den Reichstag nur ganz allmählich dahin bringen, daß er sich den gegebenen Verhältnissen anpasse; b) in der Tatsache, daß der gegenwärtige Reichstag am Ende der Wahlperiode stehe. Mit einem sterbenden Reichstag seien grundlegende Änderungen kaum durchzusetzen.
Was sodann die Einflußnahme auf die Länder und Gemeinden anlange, so erfordere auch dies sehr lange Zeit. Er könne indessen sagen, daß die hier in Frage kommenden Hauptprobleme bereits praktisch in Fluß gekommen seien. Die Verhandlungen mit den Ländern über die Verfassungsreform5 würden schon in naher Zukunft fortgesetzt werden6 und wahrscheinlich auch zu praktisch greifbaren Ergebnissen führen.
Bei der Aufstellung des Reichshaushalts 19287 habe die Reichsregierung sich sehr starke Beschränkungen auferlegt. Sie sei auch bereit, die Regierungsvorlage gegenüber Reichsrat und Reichstag nachdrücklichst aufrechtzuerhalten, und sei fest entschlossen, gegebenenfalls die letzten Konsequenzen durch Zurverfügungstellung ihrer Ämter oder durch Reichstagsauflösung zu ziehen.
Der Reichskanzler sagte zu, daß er die Vorschläge des Präsidiums dem Reichskabinett zur Kenntnis und dort eingehend zur Erörterung stellen werde.
[1101] Reichsminister Köhler trug vor, daß er mit den Vorschlägen des Präsidiums des Reichsverbandes in weitem Umfange grundsätzlich einverstanden sei. Er gab indessen zu bedenken, daß der Haushaltsplan 1924 kein Normaletat gewesen sei. Die Steigerungen der Haushaltspläne der späteren Jahre um rund 1 Milliarde Mark seien größtenteils nicht freiwillige gewesen. Beim Haushalt 1928 habe die Reichsregierung sehr stark eingegriffen. Man habe sich das Ziel gesetzt gehabt, den Bruttoabschluß um 10 vom Hundert zu ermäßigen. Es habe sich aber herausgestellt, daß man bei vier großen Posten, nämlich a) der Reparationsschuld, b) den inneren Kriegslasten, c) den gesetzlich festgelegten Soziallasten, d) der Beamtenbesoldung vor einer unübersteigbaren Wand stehe. Immerhin seien die vorgenommenen Streichungen so stark, daß der Abschluß des Voranschlags 1928 hinter dem Etat von 1927 zurückbleibe.
Der Reichsminister der Finanzen begrüßte mit Dank die auf eine Stärkung der Stellung des Reichsfinanzministeriums hinauslaufenden Vorschläge. Er wies ferner darauf hin, daß auf dem Gebiet der statistischen Kontrolle des Finanzgebarens von Ländern und Gemeinden schon manches geschehen sei, daß weitere Maßnahmen im Werden begriffen seien. Insbesondere sei bereits der Entwurf eines Gesetzes über zwangsweise Auskunftspflicht von Ländern und Gemeinden in Arbeit. Ferner habe er schon jetzt eine Anfrage an die 60 größten deutschen Städte herausgehen lassen, um über all die Tatsachen unterrichtet zu werden, die auch der Reichsverband für die Unterrichtung der Reichsregierung für notwendig erachtet habe. Er hoffe, daß die Städte die Fragebogen beantworten werden.
Das Gebiet der Verwaltungsreform sei tatkräftig in Angriff genommen8. Hier seien die Vorarbeiten im großen und ganzen gut in Fluß.
Generaldirektor Reusch führte aus, daß die Stimmung des Auslands, die nach seinen persönlichen Eindrücken noch vor einem Jahre sowohl in Amerika wie in England sehr zugunsten Deutschlands gewesen sei, sich in der letzten Zeit in geradezu erschreckendem Maße gegen Deutschland gerichtet habe. Man müsse daher den Kampf mit der Masse und mit dem Reichstage mit größter Hartnäckigkeit aufnehmen, um das Zutrauen des Auslands in die deutsche Finanzgebarung wieder herzustellen. Die deutsche Wirtschaft sei ohne den Kredit des Auslands noch nicht lebensfähig.
Der Reichsarbeitsminister erklärte, daß er den Ausführungen der Erschienenen durchaus zustimme, glaubte ihnen aber empfehlen zu müssen, sich nicht nur an die Reichsregierung, sondern auch an die politischen Parteien, und zwar an die Parteien aller Richtungen, zu wenden, da die widerstrebende Masse sowohl rechts wie links sitze. So wie die Reichsverfassung heute sei, sei die Regierung in starkem Maße vom Reichstage abhängig. Sie könne ihn nicht ignorieren, müsse vielmehr weitgehendst mit ihm rechnen.
Herr von Borsig bemerkte demgegenüber, daß sie selbstverständlich auch bei den Parteien vorstellig werden würden.
Generaldirektor Silverberg legte entscheidendes Gewicht auf das Zustandekommen des vom Reichsverbande vorgeschlagenen Finanznotgesetzes. Eine[1102] durchgreifende Rettung erhoffte er nur von einer alsbaldigen Auflösung des Reichstags. Er verwies auf das Beispiel Englands, das sein Parlament nahezu stets aufgelöst habe, um den Wahlkampf auf eine möglichst kurze Zeit zu beschränken. Mit einem von der Wahlagitation beherrschten sterbenden Reichstage sei praktische Regierungsarbeit unmöglich.
Reichskanzler a. D. Cuno führte aus, daß die Erschienenen in erster Linie von der Regierung zu hören wünschten, was sie an positiven Schritten vorhabe. Das Präsidium des Reichsverbandes habe nur deshalb um die Erörterung gebeten, um der Reichsregierung zu helfen. Aus diesem Grunde sei auch das vorgetragene Exposé ausgearbeitet worden. Er sei der Meinung, daß die Nichtbefolgung der Ratschläge weniger zum Nachteil der Industrie wie des ganzen Volkes sei.
Reichsminister Curtius brachte zum Ausdruck, daß die Reichsregierung es als ihr Hauptziel auffassen werde, an dem von ihr stark beschnittenen Reichshaushalt festzuhalten und daß sie alles aufbieten werde, um sich nicht von den Parteien auf andere Wege drängen zu lassen. Andererseits dürfe man bei der Beschneidung des Etats nicht aus dem Auge verlieren, daß allzu starke Abstriche im Auslande falsche Auffassungen von der Leistungsfähigkeit Deutschlands zu Reparationszahlungen erwecken könnten. Streiche man zu stark, so werde man die Gläubigerstaaten nicht davon überzeugen können, daß die Aufbringung der Reparationslasten unmöglich sei. Er ging sodann noch näher auf die umgestaltete Beratungsstelle für Auslandsanleihen9 und auf das Kapitel Verwaltungsreform ein. Er richtete einen warmen Appell an die Erschienenen, die Politik der Reichsregierung gegenüber den Gemeinden zu unterstützen, diese insbesondere zu veranlassen, den vom Reichsminister der Finanzen erwähnten Fragebogen zu beantworten.
Das Schlußwort sprach Geheimrat Duisberg. Er sagte zusammenfassend, daß es dem Reichsverband unter allen Umständen darauf ankomme, das Zutrauen des Auslandes zu Deutschlands Finanz- und Wirtschaftspolitik zu erhalten und zu stärken. Die Privatindustrie sei auf den Kredit des Auslandes angewiesen. Wenn er versage, werde es zu katastrophalen Rückschlägen in der deutschen Wirtschaft kommen, deren Folgen das ganze Volk zu tragen haben würde. Er bat, annehmen zu können, daß die Reichsregierung auf das überreichte Exposé schriftlich antworten werde, und daß alsdann ein gemeinsamer Schritt vor der Öffentlichkeit geschehen könne.
Der Reichswirtschaftsminister riet demgegenüber davon ab, vor der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, als habe sich die Regierung einseitig mit dem Reichsverband der Deutschen Industrie verbündet. Dies werde bei anderen Teilen des Volkes unnötige Opposition hervorrufen.
Der Reichskanzler schlug darauf unter allgemeiner Billigung vor, daß die Reichsregierung die vorgetragenen Wünsche des Reichsverbandes beschleunigt prüfen werde10 und daß der Reichsverband binnen etwa einer Woche auf eine[1103] Mitteilung der Reichsregierung darüber rechnen könne, was ihr von den gemachten Vorschlägen zur Veröffentlichung geeignet erscheine.
Generaldirektor Silverberg sagte abschließend, daß es dem Reichsverbande am erwünschtesten sei, wenn er bei der Veröffentlichung seiner Auffassung auf die von der Reichsregierung bereits getroffenen Maßnahmen hinweisen könne und nur zu sagen brauche, daß er rückhaltlos hinter dem Programm der Reichsregierung stehe.