Text
Nr. 1
Tagebuch der Reichskanzlei über die Londoner Konferenz. 4. bis 18. August 19241
Am
4. August
morgens Abreise der Delegation mit Sonderzug von Berlin über Hoek van Holland und Harwich nach London. Während der Reise wurden die authentischen Wortlaute der Beschlüsse der drei Londoner Kommissionen2, die nach Berlin unterwegs waren, abgefaßt und von der Delegation bearbeitet. Die Richtlinien für die deutsche Stellungnahme zu den drei Berichten wurden in eingehenden Besprechungen der Delegierten unter Hinzuziehung der Ressortreferenten festgelegt.
Bei Ankunft in Harwich am
5. August
wurden die Delegierten durch den deutschen Botschafter und einen Vertreter des Englischen Auswärtigen Amts (Beare) begrüßt, bei Eintreffen in London durch den Privatsekretär des englischen Ministerpräsidenten. Ein kurzes Kommuniqué an die englische Presse wurde herausgegeben (s. Anlage 1)3.
Um 12 Uhr fand eine Vollsitzung der Konferenz statt, an welcher deutscherseits teilnahmen die drei Delegierten4 sowie die Staatssekretäre Fischer, Trendelenburg, Weismann, Staatsrat Schmelzle und Ministerialdirektor Spiecker. Es wurden Begrüßungsansprachen durch den englischen Ministerpräsidenten[1284] und den Reichskanzler ausgetauscht (s. Anlage 2)5. Der englische Ministerpräsident überreichte den Wortlaut der vier Kommissionsbeschlüsse, welche, von ganz geringen redaktionellen Berichtigungen abgesehen, mit den bereits in Besitz befindlichen der Delegation übereinstimmten (s. Anlage 3)6.
Nach Prüfung durch die Ressorts fand um ½6 Uhr nachmittags eine Sitzung der Delegierten mit Ressortreferenten statt unter Hinzuziehung des Staatssekretärs Weismann und des Staatsrats Schmelzle. Auf Anregung der Herren Bergmann und Fischer wurde bei dieser Sitzung beschlossen, die deutsche Erwiderung auf die Kommissionsbeschlüsse nicht in Form detaillierter Gegenvorschläge, sondern in Gestalt allgemeiner grundsätzlicher Anregungen zu kleiden. Die Ressorts wurden beauftragt, dementsprechend die Entwürfe der Gegenvorschläge auszuarbeiten.
Abends 9 Uhr fand eine Zusammenkunft zwischen dem Reichskanzler und dem Reichsminister des Auswärtigen mit dem englischen Ministerpräsidenten in dessen Wohnung statt. Der englische Ministerpräsident richtete in dieser Unterredung an die Deutsche Delegation eine Anzahl von Fragen, deren Ziel offenbar in erster Linie darauf hinausging, festzustellen, bis wann nach Auffassung der deutschen Delegierten die Konferenz beendet sein könne. Es trat dabei das bereits in der Vollsitzung des Vormittags7 zum Ausdruck gekommene Bedürfnis des englischen Ministerpräsidenten, am Ende der Woche seinen Urlaub antreten zu können, erneut lebhaft zu Tage. Nähere Abreden wurden jedoch nicht getroffen. Um ½11 Uhr trafen die Delegierten mit dem Staatsrat Schmelzle und den Ressortvertretern erneut zusammen. Die Entwürfe zur deutschen Entgegnung wurden von Ministerialdirektor Gaus (1. Bericht), Minister Ritter (2. Bericht) und Ministerialdirektor Ruppel (3. Bericht), ferner der Begleitbrief von Ministerialdirektor Gaus vorgetragen und unter gewissen Abänderungen gutgeheißen. In der Frage der Formulierung der deutschen Wünsche hinsichtlich der Amnestie in den besetzten Gebieten stimmte der Vertreter Bayerns gegenüber einem weitergehenden Vorschlage des Ministerialrats Graf Adelmann ausdrücklich dem Standpunkt der Delegation zu.
Die deutsche Antwort wurde in der Nacht fertiggestellt und am Mittwoch, den
6. August
dem Konferenzbüro überreicht (s. Anlage 4)8.
[1285] Um 11½ Uhr fand in der Wohnung des englischen Ministerpräsidenten eine Sitzung des sogenannten „Rats der Vierzehn“, bestehend aus je zwei Vertretern, darunter den Hauptdelegierten, der britischen, amerikanischen, französischen, italienischen, japanischen, belgischen und deutschen Delegation statt9. Die deutsche Delegation wurde durch den Herrn Reichskanzler und den Reichsminister des Auswärtigen vertreten; als Sachverständiger war der Ministerialdirektor Gaus vom Auswärtigen Amt, als Sekretär Ministerialrat Kiep von der Reichskanzlei zugezogen. Auf diese Anzahl von Teilnehmern zuzüglich eines Dolmetschers war der Teilnehmerkreis ausdrücklich beschränkt worden. Auf Einladung des den Vorsitz führenden englischen Ministerpräsidenten berichtete der Reichskanzler kurz über die wesentlichsten Grundlinien der unmittelbar zuvor übergebenen deutschen Note10 und begründete dabei insbesondere den deutschen Antrag auf Behandlung der technischen Probleme des 2. und 3. Berichts im Gremium der Sachverständigen. Mr. MacDonald schlug nach Beendigung des Vortrags des Herrn Reichskanzlers vor, diesem Antrage zu entsprechen; der französische Minister[präsident] Herriot erhob jedoch Widerspruch und berief sich dabei auf den Beschluß der Alliiertenkonferenz vom Vortage, wonach die Alliierten unter sich nach „Kenntnisnahme des deutschen Memorandums darüber beschließen sollten, ob und welche Teile davon sich zur Sachverständigenbehandlung eigneten“. Der englische Delegierte Snowden widersprach einer Beratung der Alliierten unter sich, da die Konferenz nunmehr mit den Deutschen tage und in dieser Form auch weiter tagen müsse. Nach einer weiteren Debatte, an der sich auch der englische und belgische und amerikanische Hauptdelegierte beteiligten, wurde beschlossen, den alliierten Delegationen Gelegenheit zu geben, das deutsche Memorandum zu prüfen und um 9 Uhr abends am gleichen Tage nochmals in Vollkonferenz zusammenzutreten und über die Überweisung an die Sachverständigenausschüsse Beschluß zu fassen. Nachdem die Konferenz bereits vertagt war, erbat Mr. McDonald erneut die Aufmerksamkeit der Anwesenden und teilte mit, daß die Deutsche Delegation[1286] die Begleitnote zu dem heute übergebenen Memorandum in der deutschen Presse veröffentlicht habe. Im Hinblick auf die Tatsache, daß in dreien der beteiligten Länder, nämlich England, Frankreich und Deutschland die oppositionelle Presse daran interessiert und in der Lage sei, durch eine polemische Behandlung der Konferenztätigkeit den Erfolg der Konferenz zu gefährden, halte er es für erforderlich, das bisher unter den Alliierten gepflogene Verfahren, alle Veröffentlichungen über die Tätigkeit der Konferenz gemeinsam stattfinden zu lassen, auch weiterhin fortzusetzen und zu diesem Zwecke den bestehenden Interalliierten Presseausschuß durch ein deutsches Mitglied zu ergänzen. Dieser Vorschlag wurde angenommen.
Im Laufe des Nachmittags teilte der Generalsekretär11 im Auftrage des englischen Ministerpräsidenten mit, daß auf Grund erneuter Erwägungen beschlossen worden sei, bereits am Nachmittage um ½5 Uhr eine Zusammenkunft von Sachverständigen aller Beteiligten herbeizuführen, auf der die Frage des weiteren Verfahrens hinsichtlich der Sachverständigenbehandlung erörtert und die Beschlußfassung für die Vollkonferenz am Abend vorbereitet werden solle.
Um 4½ Uhr traten die Sachverständigen zusammen; die Deutsche Delegation war vertreten durch den Staatssekretär Fischer, dem der Minister Ritter und der Ministerialdirektor Ruppel zur Seite standen. Die Sachverständigen erörterten das von ihnen einzuschlagende Verfahren und beschlossen, dem Rate der Vierzehn zu empfehlen, den 2. und 3. Ausschuß unter Hinzufügung deutscher Mitglieder wieder ins Leben treten zu lassen. Die deutscherseits gemachten Vorschläge hinsichtlich des Berichts des 1. Ausschusses seien politische Fragen, welche nur durch den Rat der Vierzehn behandelt werden könnten. Hinsichtlich der deutschen Vorschläge zu den Berichten des 2. und 3. Ausschusses wurden einige Fragen festgestellt, welche wegen ihres politischen Charakters ebenfalls nur durch den Rat der Vierzehn entschieden werden könnten, während die übrigen deutschen Vorschläge durch die beiden vorgesehenen Ausschüsse zu behandeln seien12. Um 9 Uhr abends trat der „Rat der Vierzehn“ erneut zusammen; die Deutsche Delegation wurde vertreten durch den Herrn Reichskanzler und den Reichsminister des Auswärtigen, durch den Ministerialdirektor Gaus als Sachverständigen und Ministerialrat Kiep als Sekretär. Der englische Ministerpräsident teilte der Konferenz die Vorschläge des Sachverständigen-Ausschusses mit, welche angenommen wurden. Danach trug der Reichskanzler die deutschen Vorschläge zum 1. Bericht vor und begründete dieselben:
1. Die vorgesehene Änderung der 2. Anlage zu Teil VIII des Versailler Vertrages könne nicht auf Grund von § 22 dieser Anlage durch einseitigen Beschluß der alliierten Mächte erfolgen, sondern, da es sich um eine Frage handle, welche das deutsche Interesse berühre, nur durch einen zwischen den alliierten Mächten einerseits und der Deutschen Regierung andererseits abzuschließenden Vertrag;
[1287] 2. der Ausdruck „flagrant default“ des Sachverständigen-Gutachtens bedürfe einer authentischen Interpretation. Nach deutscher Auffassung komme hierunter nur eine absichtliche Verfehlung in Frage. Eine längere Erörterung, an der insbesondere der französische Ministerpräsident und der englische Delegierte Snowden sich lebhaft beteiligten, führte zur Formulierung beiderseitiger Vorschläge, hinsichtlich derer beschlossen wurde, in einer am folgenden Tage stattfindenden Sitzung des Rates endgültig Beschluß zu fassen.
Am
7. August
11 Uhr vormittags trat der Rat der Vierzehn zusammen zur Erörterung der in der Konferenz vom Vortage unentschiedenen Frage bezüglich der deutschen Gegenvorschläge zum Bericht der 1. Kommission sowie der durch die Sachverständigen dem Rat der Vierzehn überlassenen Frage der Amnestie (Bericht des 2. Ausschusses). Der Reichskanzler sowie der Reichsminister des Auswärtigen trugen den deutschen Standpunkt hinsichtlich des Berichts des 1. Ausschusses vor, und es wurde nach einer längeren Erörterung, an welcher außer dem franfranzösischen Ministerpräsidenten und dem englischen Delegierten Snowden insbesondere der englische Ministerpräsident und der amerikanische Botschafter13 sich beteiligten, beschlossen:
1. daß die Deutsche Regierung der durch die 1. Kommission vorgeschlagenen Änderung der 2. Anlage des Teils VIII des Versailler Vertrages zwar zustimme, jedoch in einem an die Konferenz zu richtenden Schreiben, das veröffentlicht werden solle, den deutschen Rechtsstandpunkt hinsichtlich der Auslegung des § 22 der genannten Anlage vorbehalte;
2. daß das Wort „flagrant default“ im Sachverständigen-Gutachten so auszulegen sei, wie vom englischen Ministerpräsidenten in der Sitzung des Unterhauses vom 5. August 1924 zum Ausdruck gebracht.
Die Sitzung wurde dadurch unterbrochen, daß der englische Ministerpräsident in das Unterhaus berufen wurde; nach einer halben Stunde wurde die Sitzung fortgesetzt und die Frage der Amnestie erörtert. Der deutsche Standpunkt wurde durch den Reichskanzler und den Reichsminister des Auswärtigen vorgetragen und sodann ausführlich erörtert. Als Ergebnis wurde beschlossen, daß eine Kommission juristischer Sachverständiger der beteiligten Regierungen sich auf eine Formel einigen und diese dem Rat der Vierzehn unterbreiten sollte.
Um 3 Uhr besuchte der Reichskanzler und der Reichsminister des Auswärtigen auf eine von französischer Seite ergangene Anregung den französischen Ministerpräsidenten Herriot, der um 4 Uhr 15 Min. den Besuch beim Reichskanzler erwiderte. In der Besprechung zwischen dem französischen Ministerpräsidenten, dem Reichskanzler und dem Reichsminister des Auswärtigen wurden konkrete Fragen der Konferenz nicht berührt, sondern lediglich allgemeine Höflichkeiten ausgetauscht. Auf Seiten des französischen Ministerpräsidenten[1288] trat das Bestreben hervor, eine gewisse Herzlichkeit an den Tag zu legen; der Ministerpräsident vermied jedoch geflissentlich, das Gespräch zu vertiefen. Bemerkenswert war nur seine Äußerung aus Anlaß seines Gegenbesuches beim Reichskanzler, daß er bestimmt hoffe, daß in einiger Zeit die Atmosphäre sich vollkommen verändern werde.
Um 5 Uhr fand eine Sitzung des Rates der Vierzehn statt, an welcher die Deutsche Delegation durch den Reichsminister des Auswärtigen und den Reichsminister der Finanzen vertreten wurde; Sachverständiger: Geheimrat Kastl, Sekretär: Ministerialrat Kiep. Zur Erörterung stand die durch den Sachverständigen-Ausschuß an den Rat der Vierzehn verwiesene Frage, ob die unter Nr. 5 des Beschlusses14 der Reparationskommission vom 15. Juli15 ausgesprochene Voraussetzung der Unterbringung der Anleihe eine deutsche Verpflichtung darstelle. Der Reichsminister der Finanzen trug den deutschen Standpunkt in dieser Frage vor und brachte im Laufe der Erörterung die Frage der Stellungnahme der Bankiers zur Sicherheit der Anleihe in die Debatte. Die sich hieran spinnende Erörterung, hinsichtlich derer auf das Protokoll16 Bezug genommen wird, war insofern bemerkenswert, als der englische Ministerpräsident im Gegensatz zum englischen Delegierten Snowden mit Nachdruck die Auffassung vertrat, daß ein erneutes Herantreten der Konferenz an die Bankiers nicht in Frage kommen könne, sondern daß vielmehr zunächst die politische Einigung innerhalb der Konferenz erfolgen müsse, ehe an die Bankiers herangetreten werden dürfe. Nach einer längeren Erörterung der Frage schloß der englische Ministerpräsident die Sitzung mit der Begründung, daß ein weiteres Eingehen auf dieses Thema untunlich sei und andere Gegenstände auf der Tagesordnung nicht ständen.
Im Laufe des Tages fanden Sitzungen der Sachverständigen-Ausschüsse statt, in denen auf Grund der von den alliierten Sachverständigen gegebenen Aufklärungen die deutschen Beanstandungen zu den Ausschußberichten teilweise berücksichtigt wurden, in vielen Punkten aber auch Ablehnung fanden. Andere Punkte wurden als von politischer Erheblichkeit an den Rat der Vierzehn verwiesen.
Am
8. August
trat im Laufe des Vormittags der in London anwesende Reichsbankpräsident Schacht auf Grund der in der Sitzung vom Vortage vom englischen Ministerpräsidenten gegebenen Anregung mit dem Präsidenten der Bank von England sowie mit dem amerikanischen Sachverständigen Young in Verbindung und berichtete den Delegierten über das Ergebnis der Unterhaltung. Hiernach vertrat Norman die Auffassung, daß eine Heranziehung der Bankiers vor Abschluß der[1289] Konferenz unter allen Umständen erforderlich sei, während Young der umgekehrten Auffassung Ausdruck gab17.
Um 2 Uhr 30 Min. nachmittags trat der Rat der Vierzehn zusammen (Reichsminister des Auswärtigen, Reichsminister der Finanzen, Ministerialdirektor Ruppel, Ministerialrat Kiep) und erörterte die einzige auf der Tagesordnung stehende Frage, ob im Falle einer Meinungsverschiedenheit zwischen dem Transfer-Komitee und der Deutschen Regierung hinsichtlich des Verzeichnisses der aus den Mitteln des Reparationsagenten anzukaufenden Daueranlagen, wie im Berichte des 3. Ausschusses vorgesehen, ein Schiedsrichter vorgesehen werden solle. Der Reichsminister der Finanzen begründete den deutschen Standpunkt und fand die lebhafte Unterstützung des englischen Delegierten Snowden. Der französische Ministerpräsident sowie insbesondere auch der belgische Ministerpräsident18 widersprachen jedoch der deutschen Auffassung auf das entschiedenste, und es wurde beschlossen, zwecks Aufklärung der Absicht der Verfasser des Gutachtens die in London anwesenden Mitglieder des Sachverständigen-Komitees19 um Auskunft zu bitten.
Am Schluß der Sitzung stellte der englische Ministerpräsident fest, daß der Rat der Vierzehn wiederum ohne Verhandlungsmaterial dastehe. Er halte diese Sachlage für in hohem Maße unbefriedigend und müsse zum Ausdruck bringen, daß, falls nicht ein schnelleres Tempo für die Verhandlungen bald einsetze, er die Freude an der Fortsetzung der Konferenz verlieren und vorschlagen werde, die Konferenz auf Oktober zu vertagen. Der französische Ministerpräsident stimmte lebhaft zu, während der Reichsminister des Auswärtigen darauf hinwies, welche erheblichen Fortschritte im Sachverständigenausschuß erzielt und welche außerordentlichen Leistungen von der Deutschen Delegation getätigt seien. Der englische Ministerpräsident erkannte die Leistungen der Deutschen Delegation an, wies jedoch darauf hin, daß in den Sachverständigen-Ausschüssen Fragen, die bereits durch die Alliierten erledigt seien, aufs neue aufgerollt würden, und brachte seine Auffassung auf das entschiedenste dahin zum Ausdruck, daß den alliierten Sachverständigen das Recht zur Aufrollung derartiger Fragen unter keinen Umständen zustände. Man gewann[1290] aus der Haltung des englischen Ministerpräsidenten den Eindruck, daß er mit dem langsamen Fortschreiten der großen politischen Verhandlungen sowie mit dem Verhalten insbesondere der französischen Sachverständigen in den Ausschüssen wenig einverstanden sei.
Im Laufe des Tages sowie des Vorabends fand durch Vermittlung des Abgeordneten Breitscheid eine Fühlungnahme mit dem französischen Ministerpräsidenten über die Frage der Räumung des Ruhrgebiets statt, bei welcher es sich ergab, daß die nach Mitteilung Dr. Breitscheids französischerseits gestellten Bedingungen eine durchaus mögliche Grundlage für Fortführung der Verhandlungen darstellten20. Es wurde daher beschlossen, daß der Staatssekretär Bracht am folgenden Tage sich nach Berlin begeben solle, um Bericht zu erstatten und insbesondere mit dem Herrn Befehlshaber der Reichswehr Fühlung zu nehmen21.
In den Sachverständigen-Ausschüssen wurde tagsüber weiter verhandelt und in verschiedenen Punkten eine Einigung erzielt, während andere Punkte dem Rat der Vierzehn zur Entscheidung unterbreitet wurden.
Gleichzeitig fanden im Laufe des Tages Verhandlungen mit der Reparationskommission statt über die Frage, ob die Deutsche Regierung ein von der Reparationskommission vorgeschlagenes Protokoll über die Durchführung des Gutachtens annehmen solle. Während die Delegierten zunächst auf Grund insbesondere der Stellungnahme des englischen Delegierten Snowden, mit welchem der Reichsminister des Auswärtigen Fühlung genommen hatte, sowie auch auf Grund der von dem Reichsbankpräsidenten gemachten Mitteilungen über die[1291] Stellungnahme der Bankiers der Auffassung zuneigten, daß das Ansinnen der Reparationskommission unbedingt abzulehnen sei, ergab eine durch den englischen Delegierten in der Reparationskommission Bradbury vermittelte Fühlungnahme mit dem englischen Ministerpräsidenten, daß dieser der deutschen Regierung ein Eingehen auf den Vorschlag der Reparationskommission anempfehle. Es wurde daher abends beschlossen, mit der Reparationskommission über die Annahme des Protokolls in Verhandlungen einzutreten22.
Um 10 Uhr abends fand beim Reichsminister der Finanzen unter Beteiligung der Ressortvertreter eine Besprechung über die deutsche Haltung zu der in der Nachmittagssitzung des Rats der Vierzehn erörterten Frage des Schiedsgerichts über das Verzeichnis der Sachanlagen statt.
Am Abend fand auf Anregung des englischen Ministerpräsidenten eine Zusammenkunft zwischen dem Reichsminister des Auswärtigen und dem französischen Ministerpräsidenten bei einem Essen beim amerikanischen Botschafter Kellogg statt. Hierbei entwickelte sich ein ausgiebiger Gedankenaustausch zwischen Herrn Herriot und Dr. Stresemann, als dessen Ergebnis Minister Stresemann das ehrliche Bedürfnis auf seiten des französischen Ministerpräsidenten feststellte, zu einer völligen Verständigung mit Deutschland zu gelangen. Herr Herriot wies jedoch auf die innerpolitischen Schwierigkeiten hin, die sich bei der Regelung dieser Angelegenheit für ihn ergäben und teilte mit, daß er sich nach Paris begeben wolle, um durch Fühlungnahme mit Kabinett und Parlament die erforderliche Grundlage für die Fortsetzung der Verhandlungen zu gewinnen23. In später Abendstunde kam der Reichsminister des Auswärtigen mit dem englischen Bankier McKenna zusammen und erörterte mit ihm die allgemeine Lage. McKenna teilte hierbei mit, daß die Konferenz die Bedingungen der Bankiers kenne, jedoch absichtlich nicht davon Kenntnis nehmen wolle24.
[1292] Sonnabend, 9. August 1924.
Staatssekretär Bracht begab sich im Flugzeug nach Berlin, um über die Lage zu berichten und insbesondere hinsichtlich der französischerseits gestellten Bedingungen für die Ruhrräumung mit den maßgebenden Faktoren in der Heimat Fühlung zu nehmen25.
Im Laufe des Vormittags fanden fortlaufende Besprechungen unter den Delegierten sowie mit dem Reichsbankpräsidenten Schacht und dem Staatssekretär Bergmann statt. Präsident Schacht berichtete über die Stellungnahme der Mitglieder des Sachverständigen-Komitees zu den ihnen von der Konferenz vorgelegten Fragen, während mit Staatssekretär Bergmann insbesondere die Aussichten für das Zustandekommen der Anleihe erörtert wurden. Ferner wurde die Frage der Haltung gegenüber der Reparationskommission erörtert und, nachdem die Reparationskommission allen deutschen Wünschen hinsichtlich der Fassung des zu zeichnenden Protokolls entsprochen hatte, beschlossen, das Protokoll anzunehmen. Wegen fehlender anderweitiger Vollmacht mußte die Unterzeichnung des Protokolls durch die drei Delegierten erfolgen26, dies geschah[1293] in später Abendstunde; die Zustimmung des Reichskabinetts und des Herrn Reichspräsidenten wurde durch Fernschreiben eingeholt. Vor Unterzeichnung des Protokolls im Büro der Reparationskommission in London besuchte der Vorsitzende der Reparationskommission Barthou den Reichsminister des Auswärtigen und hatte eine ausgiebige Aussprache mit ihm.
Am Abend fand ein Essen beim deutschen Botschafter27 statt, an dem die Delegierten sowie etwa 18 weitere Mitglieder der Delegation teilnahmen.
Sonntag, den 10. August 1924.
Der Herr Reichskanzler besuchte mit Begleitung den Gottesdienst in der deutschen katholischen Kirche in London.
Vormittags 11 Uhr begab sich der Reichskanzler, der Reichsminister des Auswärtigen und der Reichsminister der Finanzen mit dem Botschafter Dr. Sthamer aufs Land zum Besuch von Lord Parmoor, woselbst sie bis 4 Uhr nachmittags verblieben28.
Von den Sachverständigen-Ausschüssen tagte der 3. Ausschuß den ganzen Nachmittag bis in die Nachtstunden hinein, um zu einem Abschluß zu gelangen.
Um 6 Uhr abends fand eine Beratung der Delegierten mit den Ressortvertretern über die auf der Vollkonferenz am nächsten Tage einzunehmende Haltung statt. Es wurde als Ergebnis der Besprechung festgestellt, daß deutscherseits dem Bericht des 2. Ausschusses29 nur zugestimmt werden könne, wenn für die Verhandlungen über die Frage der Wiedereinstellung der ausgewiesenen Beamten ein Sonderausschuß eingesetzt werde. Hinsichtlich des Berichts des 3. Ausschusses30 wurde es für zweckmäßig gehalten, die endgültige deutsche Stellungnahme, insbesondere zur Frage der Sachlieferungen sowie zur Frage des Transfer-Schiedsgerichts, erst dann zu erklären, wenn die politischen Entscheidungen gefällt seien.
[1294] Zwecks entsprechender Vereinbarung der Tagesordnung für die Vollsitzung am Montag ließ der Reichskanzler beim englischen Ministerpräsidenten um eine Rücksprache vor der Vollsitzung bitten. Der englische Ministerpräsident ließ mitteilen, daß er sofort zur Verfügung stände, und es fand eine etwa halbstündige Unterredung zwischen dem Reichskanzler und dem englischen Ministerpräsidenten statt. Hinsichtlich des näheren Inhalts dieser Unterredung wird auf anliegende Aufzeichnung verwiesen (Anlage 5)31.
Montag, den 11. August 1924
Um 11 Uhr vormittags fand eine Sitzung des Rates der Vierzehn statt, bei der folgende Tagesordnung erledigt wurde:
1) Amnestiefrage. Auf Antrag des französischen Ministerpräsidenten wurde die von den alliierten und deutschen Sachverständigen vereinbarte Formel32 zu dieser Frage der Vollkonferenz nicht unterbreitet, sondern der weiteren Erörterung zwischen den beiderseitigen Regierungen vorbehalten.
2) Entgegennahme des Gutachtens der Sachverständigen zur Transfer-Frage33. Auf Antrag der deutschen Delegation wurde die Erörterung des Gutachtens ausgesetzt zwecks Verbindung mit der Erörterung des Berichts des 3. Ausschusses.
3) Entgegennahme der Mitteilung der Reparationskommission über den Abschluß des Protokolls mit der Deutschen Regierung34. Die Mitteilung wurde von der Konferenz zur Kenntnis genommen.
4) Bericht des 2. Ausschusses35. Der Bericht wurde von der Konferenz angenommen mit folgenden zwei Vorbehalten:
a) | Die Frage der Wiedereinsetzung der ausgewiesenen Beamten soll als politische Frage zum Gegenstand des Gedankenaustausches zwischen den Regierungen gemacht werden; |
b) | der deutsche Antrag, daß die Reparationskommission bei allen über die Ausführung des Dawes-Gutachtens zu fällenden Entscheidungen durch einen amerikanischen Bürger mit voller Stimmbefugnis ergänzt werden solle, wurde im Prinzip von der Konferenz angenommen, die nähere Formulierung dem Juristenkomitee überwiesen. |
5) der Bericht des 3. Ausschusses36 wurde nicht verhandelt, da der englische und französische Wortlaut des Berichts der Konferenz noch nicht vorlag.
Am Nachmittage besuchte der Reichskanzler und der Reichsminister des Auswärtigen den belgischen Ministerpräsidenten; es fand ein näherer Gedankenaustausch hierbei nicht statt.
Nachmittags 3 Uhr besuchte der Reichskanzler des Auswärtigen den französischen Finanzminister Clémentel und erörterte mit ihm ausführlich die politischen Fragen; Minister Clémentel übergab dem Reichsminister des Auswärtigen den französischen Entwurf eines Handelsvertrags mit Deutschland37.
Um 6 Uhr abends fand eine ausführliche Aussprache zwischen dem Reichsminister des Auswärtigen und dem französischen Ministerpräsidenten über die politischen Fragen statt. Wegen des Ergebnisses siehe telegrafischen Bericht Nr. 45 vom 12. August 192438.
[1296] Um 8.30 Uhr fand eine Verfassungsfeier in der Deutschen Botschaft statt, zu der der Reichskanzler die gesamten Mitglieder der Delegation und der Botschaft sowie die hier anwesenden deutschen Pressevertreter und führende Mitglieder der deutschen Kolonie Londons eingeladen hatte. Der Reichskanzler hielt eine Ansprache, worauf das Deutschlandlied gesungen und der Rest des Abends im geselligen Beisammensein verbracht wurde.
Dienstag, den 12. August 1924.
11 Uhr vormittags Sitzung des Rates der Vierzehn.
Wegen des Inhalts der Verhandlungen vergleiche das Protokoll dieser Sitzung39.
2.30 Uhr Besuch der drei deutschen Delegierten beim englischen Ministerpräsidenten.
Wegen des näheren Inhalts vergleiche die anliegende Aufzeichnung (Anlage 6)40.
6 Uhr Aussprache zwischen dem Reichsminister der Finanzen und dem französischen Finanzminister Clémentel über die Frage der Anbahnung deutsch-französischer Verhandlungen zwecks Abschlusses eines Handelsvertrages41.
Abends Erörterung innerhalb der Delegation über die Ergebnisse der Verhandlungen des Tages.
Mittwoch, den 13. August 1924.
Vormittags 10½ Uhr: Auf Grund einer im Anschluß an die Unterhaltung Stresemann-Herriot an den französischen Ministerpräsidenten gerichteten Anfrage fand eine Zusammenkunft der Führer der deutschen, französischen und belgischen Delegationen zur Besprechung der politischen Fragen statt. Deutscherseits[1297] waren anwesend die drei Delegierten, Ministerialrat Kiep und Dolmetscher Dr. Illch; französischerseits Ministerpräsident Herriot, der Generalsekretär des Auswärtigen Amts Peretti de la Rocca sowie der Kabinettschef Bergery, belgischerseits der Premierminister Theunis und der Außenminister Hymans.
Wegen des näheren Inhalts der Besprechung, die etwa 3½ Stunden dauerte, s. die anliegende Aufzeichnung (Anlage 7)42.
Um 3½ Uhr hielt der Reichskanzler einen Empfang der ausländischen Presse ab, bei welchem er den deutschen Standpunkt zu den politischen Fragen darlegte und der Zuversicht Ausdruck gab, daß bei dem bestehenden gegenseitigen Verständigungswillen eine Lösung gefunden werde. Immerhin sei die Lage ernst, und die Deutsche Delegation müsse gegenüber dem bekannten französischen Standpunkt zur Räumungsfrage mit aller Entschiedenheit die deutschen Interessen vertreten.
Um 4 Uhr nachmittags besuchte der Reichskanzler den englischen Premierminister in seiner Wohnung, um über das Ergebnis der Besprechung des Vormittags Bericht zu erstatten.
Der Reichskanzler schilderte den Verlauf der Konferenz zwischen den deutschen, französischen und belgischen Delegierten und wies insbesondere darauf hin, daß man deutscherseits nicht ganz darüber im Bilde sei, was die Formel des Herrn Herriot „Maximalräumungsfrist“ bedeute. MacDonald erwiderte, daß er selber diese Formel zum ersten Male höre und infolgedessen über die nähere Bedeutung nicht unterrichtet sei. Er werde sich jedoch sofort nach dieser Richtung hin bemühen. MacDonald ließ daraufhin den belgischen Ministerpräsidenten bitten, sofort zu ihm zu kommen, was letzterer zusagte. Im übrigen empfahl MacDonald, in der Nachmittagskonferenz zu versuchen, in diesem Punkte zu einer Einigung zu gelangen und dankte für die ihm gegebene Orientierung.
Inzwischen hatte der Reichsminister des Auswärtigen durch Vermittlung des Berichterstatters des „Quotidien“ den französischen Ministerpräsidenten um eine nähere Auslegung seiner Formel bezüglich der Räumungsfrist bitten lassen und daraufhin eine eigenhändige Aufzeichnung Herriots erhalten, in welcher letzterer in persönlicher und unverbindlicher Form seine Absichten hinsichtlich der Räumung darlegte (vergleiche Drahtbericht Nr. 55 vom 13. August 1924)43.
[1298] Um 5 Uhr wurde die Besprechung zwischen den deutschen, belgischen und französischen Delegierten fortgesetzt.
Über den näheren Inhalt s. die anliegende Aufzeichnung (Anlage 8)44. Bemerkenswert war, daß die französische Delegation bei dieser Besprechung durch den Kriegsminister Nollet und den Finanzminister Clémentel verstärkt war.
Abends von 8 bis 9 und von 10 bis 12 Uhr fand eine interne Sitzung der Delegierten und der Staatssekretäre und Referenten statt, in der zu dem Ergebnis der Besprechungen des Tages Stellung genommen wurde. Gleichzeitig wurde ausführlich nach Berlin berichtet45.
Um 11 Uhr abends traf eine Note des englischen Ministerpräsidenten betreffend Militärkontrolle ein46.
Um 12 Uhr abends begab sich Minister Stresemann zum englischen Premierminister, um erneut über das Ergebnis der Sitzung mit den Franzosen Bericht zu erstatten.
Wegen der näheren Einzelheiten vgl. die anliegende Aufzeichnung (Anlage 9)47.
Donnerstag, den 14. August 1924.
Vormittags 10½ Uhr: Besprechung zwischen den deutschen Delegierten, dem englischen Ministerpräsidenten MacDonald und dem amerikanischen Botschafter Kellogg.
Wegen der näheren Einzelheiten s. anliegende Aufzeichnung (Anlage 10)48.
Um 11½ Uhr: Zusammenkunft der deutschen, französischen und belgischen Hauptdelegierten zur Fortführung der politischen Besprechung.
Wegen des Ergebnisses s. anliegende Aufzeichnung (Anlage 11)49.
Um 2½ Uhr besuchte der Reichskanzler den französischen Ministerpräsidenten, um mit ihm die Möglichkeiten einer Einigung in der Räumungsfrage zu erörtern.
Wegen des Inhalts der Aussprache s. anliegende Aufzeichnung (Anlage 12)50.
Von 4¼ bis 5 Uhr fand eine informelle Besprechung unter den deutschen, französischen und belgischen Delegierten im Garten von 10 Downing Street statt, an deren zweitem Teil auch der englische Ministerpräsident und der amerikanische Botschafter teilnahmen.
Wegen des näheren Inhalts vgl. die anliegende Aufzeichnung (Anlage 13)51.
[1299] Um 5 Uhr war eine Sitzung des Rates der Vierzehn mit anliegender Tagesordnung (Anlage 14).
Wegen des näheren Inhalts vgl. das Protokoll52.
Abends fand eine Beratung innerhalb der Delegation über Absendung des Berichts und Votums der Delegation an den Herrn Reichspräsidenten statt. Bericht und Votum wurden fertiggestellt und abgesandt53.
Freitag, den 15. August 1924.
Vormittags Besprechung innerhalb der Delegation.
Um 11 Uhr besuchte der Reichskanzler aus Anlaß des Festtages den Gottesdienst.
Um 12½ Uhr: Besuch des Reichskanzlers und des Reichsministers des Auswärtigen bei den italienischen Delegierten zur Konferenz.
Um 1 Uhr Eintreffen der Entscheidung aus Berlin auf das deutsche Votum54.
Um 2½ Uhr Beratung der Delegierten über das weitere Verfahren.
5.15 Uhr: Gegenbesuch der italienischen Delegierten beim Reichskanzler und Außenminister.
5.55 Uhr: Der Reichskanzler und der Reichsminister des Auswärtigen suchten den englischen Ministerpräsidenten auf, um ihm die Stellungnahme der deutschen Delegation auf Grund der aus Berlin erhaltenen Instruktion mitzuteilen.
Der Reichskanzler teilte mit, daß die Deutsche Regierung in Berlin zwar schweren Herzens die grundsätzliche Genehmigung erteilt habe, auf den Herriotschen Vorschlag einzugehen, jedoch gewisse Punkte bezeichnet habe, in denen unter allen Umständen noch Konzessionen erlangt werden müßten. Es handele sich hier um folgende Forderungen:
1. Es müsse mit allen Mitteln angestrebt werden, eine Verkürzung der Räumungsfrist zu erzielen, insbesondere durch Vordatierung des Zeitpunktes für den Beginn des Fristlaufs; 2. etappenweise Räumung vor Ablauf der Jahresfrist. Es werde von außerordentlicher Wirkung auf die deutsche Öffentlichkeit sein, wenn, abgesehen von der durch Herrn Herriot in Aussicht gestellten „Geste“, weitere sichtbare Zeichen der Räumungsabsicht erfolgten, so z. B. die Räumung von Ruhrort; außerdem nach einem gewissen Zeitraum weitere Räumung in Aussicht gestellt würde. 3. Herabsetzung der Truppen nach Zahl sowie Unsichtbarmachung; 4. Zusicherungen französischerseits über die Handhabung des Rheinlandabkommens in den altbesetzten Gebietsteilen. Es müsse sichergestellt werden, daß in Zukunft eine Unterstützung der Separatisten im besetzten Gebiet nicht mehr erfolge und daß das Rheinlandabkommen seinem Geiste nach durchgeführt werde. Zur Erreichung dieses Zieles sei es erwünscht, die von der Rheinlandkommission erlassenen Ordonnanzen durch ein Schiedsgericht[1300] oder durch eine gemischte deutsch-französische Kommission dahin prüfen zu lassen, ob sie dem Rheinlandabkommen entsprächen oder nicht vielmehr als im Rahmen des Ruhrstreites entstandene anzusehen seien.
Der englische Ministerpräsident erwiderte, daß er wenig Aussicht dafür sähe, die Franzosen zu weiterem Entgegenkommen zu veranlassen. Herriot sei in der Tat am Ende seiner Handlungsfreiheit. Er (MacDonald) und auch der amerikanische Botschafter hätten einen außerordentlich starken Druck auf Herriot ausgeübt und auch hier und da ihn zum Nachgeben bewegen können; einen weiteren Erfolg könne er sich jedoch von solchem Verfahren nicht versprechen. Hinsichtlich der einzelnen Punkte halte er eine Herabsetzung der Räumungsfrist auch durch Vordatierung für ausgeschlossen. Auch die Räumung von Ruhrort sei wenig wahrscheinlich, da dies zu dem Sanktionsgebiet gehöre und nicht von der Entscheidung eines einzelnen der Alliierten abhinge. Eine gewisse Erweiterung der Dortmunder Zone sei vielleicht zu erzielen. Die Unsichtbarmachung der Truppen sei eine wesentliche Forderung des Sachverständigen-Gutachtens, und es habe nach seiner (MacDonalds) Auffassung von Anfang an kein Zweifel darüber bestanden, daß mit Inkrafttreten des Gutachtens die Besetzung im Ruhrgebiet „auf einen Schatten reduziert werden müsse“. Er glaube jedoch nicht, daß Herriot sich schriftlich werde hierzu verpflichten können. Ebensowenig halte er ein Entgegenkommen in bezug auf die Handhabung des Rheinlandabkommens für möglich. Die Franzosen würden sich niemals zu einer Nachprüfung der Ordonnanzen durch ein Schiedsgericht oder eine gemischte Kommission bereitfinden. Allerdings glaube er (MacDonald), daß viele dieser Ordonnanzen von selber in der nächsten Zeit fallen müßten, namentlich dann, wenn die fiskalische und wirtschaftliche Einheit dieses Gebiets wieder hergestellt sei. Die Deutsche Regierung möge nur ein bis zwei Wochen warten, und sie werde auf diesem Gebiete einen erheblichen Fortschritt erleben. Er (MacDonald) bitte jedenfalls, daß ihm sofort ein Verzeichnis derjenigen Ordonnanzen übergeben werde, welche nach deutscher Auffassung mit dem Rheinlandabkommen im Widerspruch ständen. Er werde sich alsdann der Angelegenheit widmen und seinerseits sein Möglichstes tun, um den deutschen Wünschen zu entsprechen.
MacDonald kam sodann auf die Frage der Eisenbahner zu sprechen. Der deutsche Sachverständige möge in dieser Angelegenheit mit dem englischen Sachverständigen in Verbindung treten, damit ganz klar festgestellt würde, daß kein französischer oder belgischer Eisenbahner mehr im besetzten Gebiet verbleibe. Er wolle vertraulich mitteilen, daß in dieser Frage die englische Regierung im zweiten Ausschuß dem Vorschlage der französischen und belgischen Regierung widersprochen habe, und er lege großes Gewicht darauf, daß die Angelegenheit im englischen Sinne völlig klargestellt werde.
Der Reichskanzler teilte sodann dem englischen Ministerpräsidenten mit, daß die Angelegenheit betreffend die Kontrollkommission in Berlin in Ordnung gebracht sei, indem der Herr Reichspräsident eine Ersetzung des Generals Strempel durch einen anderen Offizier angeordnet habe55. MacDonald sprach[1301] dem Reichskanzler seinen Dank hierfür aus und erklärte, die Deutsche Regierung werde in dem englischen Vertreter in der Kontrollkommission, General Wauchope, einen durchaus loyal und gerecht denkenden Unterhändler finden, dessen einziger Wunsch es sei, die gesamte Kontrolle baldmöglichst zu liquidieren.
Der englische Ministerpräsident erklärte sodann, er nehme an, daß die Deutsche Delegation sofort mit Herrn Herriot in Verbindung treten und mit ihm über die noch offenstehenden Punkte verhandeln werde. Er bitte von dem Ergebnis sofort in Kenntnis gesetzt zu werden, damit er für die Fortsetzung der Konferenz unverzüglich die nötigen Anordnungen treffen könne.
Zum Schluß brachte MacDonald das Gespräch auf die am gleichen Tage und am Vortage in der englischen und deutschen Presse erschienenen Angriffe gegen ihn und den amerikanischen Botschafter Kellogg und legte nachdrücklich Verwahrung dagegen ein, daß er oder der amerikanische Botschafter der Deutschen Delegation gegenüber ein Ultimatum gestellt habe oder auch nur ultimativ aufgetreten seien. Er habe stets bei Unterrichtung der deutschen Delegierten über die von Herriot gestellte Forderung ausdrücklich erklärt, daß er sich lediglich als Übermittler betrachte, dagegen nach keiner Richtung hin zu diesen Forderungen Stellung nehme. Der Zeitpunkt werde kommen, wo er offen werde aussprechen können, was er von den französischen Forderungen halte. Im gegenwärtigen Augenblick könne er das jedoch nicht tun, ohne die Konferenz zu gefährden. Versichern könne er jedoch, daß er alles tun werde, was in seinen Kräften stände, um Herriot zum Nachgeben gegenüber den deutschen Forderungen zu veranlassen; wenn mehr nicht erzielt sei, so seien hieran eben die politischen Zusammenhänge schuld, nicht dagegen die englische Regierung. Er bitte dringend, daß in Zukunft von derartigen Angriffen, die er für seine Person und für die englische Regierung als kränkend empfinde, Abstand genommen werde.
Der Reichskanzler erwiderte, daß derartige Informationen aus den Kreisen der Deutschen Delegation nicht stammen könnten. Jedenfalls wisse er von keinem Falle, in welchem eine solche Orientierung gegeben sei. Zudem sei erwiesen, daß die erste Meldung über ein angeblich englisch-amerikanisches Ultimatum von Reuter ausgegangen und nicht in der deutschen Presse erschienen sei.
Der Reichsminister des Auswärtigen wies darauf hin, daß es den deutschen Interessen unmittelbar zuwiderlaufen würde, eine derartige Behauptung aufzustellen, denn nichts sei so geeignet, die öffentliche Meinung in Deutschland aufzubringen als der Gedanke, daß aufs neue mit Ultimaten gegen Deutschland vorgegangen werde. Er wolle jedoch erwähnen, daß nach einer Mitteilung des Botschafters Sthamer der amerikanische Botschafter Kellogg diesem (Sthamer) am gleichen Tage erklärt habe, daß, wenn die Deutsche Delegation die Herriotsche Formel nicht annehme, ein Ultimatum, wenn auch in sehr milder Form, gegen Deutschland gerichtet werde. Diese Mitteilung habe allerdings nichts mit der Presseveröffentlichung zu tun, da erstere vorher erfolgt sei.
Beim Fortgehen wurde dem englischen Ministerpräsidenten eine Aufzeichnung übergeben über diejenigen Punkte, welche deutscherseits in den Verhandlungen[1302] mit der französischen Delegation noch zu bereinigen seien (s. Anlage 15)56.
Um 7.30 Uhr begaben sich der Reichskanzler und der Reichsminister des Auswärtigen in Begleitung des Ministerialrats Kiep und des Dolmetschers Michaelis zum französischen Ministerpräsidenten Herriot in das Hyde-Park-Hotel.
Herriot empfing die deutschen Delegierten in Gegenwart des Generalsekretärs des Auswärtigen Amts Grafen Peretti de la Rocca und seines Dolmetschers. Bald nach Beginn der Unterhaltung sowie in dessen weiterem Verlauf kamen die französischen Minister Clémentel, Peytral und Nollet hinzu.
Der Reichskanzler legte an Hand der mitgebrachten Aufzeichnung (Anlage 15)57 die einzelnen Punkte dar, in denen die Deutsche Regierung als Voraussetzung für die politische Einigung weitere Konzessionen verlange.
Zur Frage der Vordatierung erklärte Herriot mit allem Nachdruck, daß es ihm unmöglich sei, hier weiter entgegenzukommen als schon geschehen. Eine weitere Abweichung von der Instruktion seines Kabinetts in diesem Punkte würde seinen sofortigen Sturz zur Folge haben. Desgleichen erklärte es der Ministerpräsident für ausgeschlossen, sich zu einer etappenweisen Räumung des Gebiets zu verpflichten. Seine Formel der endgültigen Räumungsfrist sei auf Vertrauen abgestellt. Mit einer solchen Vertrauensregelung sei es jedoch unvereinbar, wenn man Fristen für einzelne Räumungsabschnitte vorschreibe. Vertragsmäßige Festlegung bedeute eben das Fehlen von Vertrauen. Er müsse jedoch fordern, wenn auf der von ihm vorgeschlagenen Basis eine Einigung erzielt werden solle, daß die Deutsche Regierung zu ihm Vertrauen hege und dies bekunde. Es sei seine feste Absicht, die Ruhrbesetzung, der er stets widersprochen habe, baldmöglichst zu liquidieren; dies könne er aber nur aus eigener[1303] freier Entschließung und nicht unter vertraglicher Bindung durchführen. Er spreche hier als ehrlicher Mensch zum anderen und bitte den deutschen Kanzler dringend, ihm Glauben zu schenken. Er werde dann später zeigen, wie die französische Demokratie dem deutschen Volke das Wort halte. Im übrigen sei die Gefahr der vertraglichen Festsetzung einer etappenweisen Räumung die, daß alsdann die Militärs auf die Einhaltung der vorgesehenen Fristen bestehen und auf keine Herabsetzung oder Vordatierung sich einlassen würden. Das gleiche gelte hinsichtlich der Herabsetzung der Truppen und der Unsichtbarmachung. Natürlich werde die von ihm in Aussicht genommene sofortige Teilräumung eine Verringerung der Truppenzahl bedeuten, und es sei durchaus sein Ziel, alle Reibungen zwischen den Besatzungstruppen und der Bevölkerung zu vermeiden. Wenn er aber zu Einzelheiten sich hier verpflichten solle, müsse er die militärischen Sachverständigen zuziehen, und diese würden die ganze Lage erheblich erschweren. Hinsichtlich des Regimes in den besetzten Gebieten sei es natürlich seine Absicht, in jeder Beziehung nach dem Rheinlandabkommen zu verfahren.
Auf den Vorschlag des Reichskanzlers die einzelnen zu behandelnden Punkte von den beiderseitigen politischen Sekretären erörtern und Formulierungen vorlegen zu lassen, geriet Herriot in sichtbare Erregung und erklärte, daß er keine Sekretäre oder Sachverständigen brauche, um seine Idee durchzuführen. Er wolle, wie er in einem an die Deutsche Delegation zu richtenden Schreiben zum Ausdruck bringen werde, durch seine „Geste“ zugleich an das französische und das deutsche Volk appellieren, zur gegenseitigen Versöhnung sich die Hand zu reichen, und wolle auf diese Weise einen neuen Abschnitt der gegenseitigen Annäherung einleiten.
Nach Eingreifen des Generals Nollet, der dem französischen Ministerpräsidenten die deutschen Wünsche erläuterte, erklärte sich Herriot bereit, die Bestimmung der Grenze des sofort zu räumenden Dortmunder Gebiets sowie die nähere Festsetzung der mit der Aufhebung der Zollinien zu räumenden Teile den beiderseitigen Sachverständigen zu überlassen und bezeichnete hierfür seinerseits den General Georges.
Zur Frage der Räumung der Sanktionsstädte erklärte sich Herriot grundsätzlich bereit, diese Räumung gleichzeitig mit der Ruhrräumung vorzunehmen, bezeichnete dies jedoch als eine alliierte Angelegenheit, über die er nicht allein entscheiden könne. Als in Verbindung hiermit Minister Stresemann zum Ausdruck brachte, daß die englische Regierung sich auch vorbehalten habe, der Regelung hinsichtlich der Ruhrräumung zuzustimmen oder nicht, geriet Herriot in größte Erregung und rief aus: „Als mein Vorgänger Poincaré in die Ruhr einmarschierte, riefen ihm alle begeistert zu und wünschten Erfolg, und keiner der Alliierten legte Widerspruch ein; nun, da jedoch ich, der ich diese Ruhrbesetzung stets bekämpft habe, im Begriff bin, die Ruhr zu räumen, legt man mir allseitig Schwierigkeiten in den Weg. Meine Lage ist die eines Mannes, der eine Treppe hinabsteigt und ein kostbares Gut in den Händen trägt – das ist der Friede. Stößt mich da einer in den Rücken, so komme ich zu Fall. Daß ich falle, schadet nichts; aber wenn ich zu Fall komme, geht auch das kostbare Gut, das ich trage, in die Brüche: der Friede!“
[1304] Hinsichtlich der Frage [der] Räumung Ruhrorts zeigte sich Herriot nach Rücksprache mit Nollet grundsätzlich nicht abgeneigt, erklärte es jedoch für erforderlich, zunächst hierüber mit seinen Ratgebern Fühlung zu nehmen. Die Antwort werde er am nächsten Tage mitteilen.
Nach zweistündiger Dauer wurde die Unterhaltung abgebrochen und vereinbart, daß abredegemäß der General Georges am darauffolgenden Tage 10 Uhr vormittags mit einem deutschen Sachverständigen in Verbindung treten solle. Herriot schlug alsdann vor, ein gemeinsames Kommuniqué der Presse herauszugeben, dessen Wortlaut wie folgt vereinbart wurde:
„Eine Unterhaltung hat stattgefunden zwischen den Vertretern der deutschen und französischen Regierung, welche ein positives Ergebnis erwarten läßt.“
Der englische Ministerpräsident wurde durch Vermittlung von Sir Maurice Hankey über das Ergebnis der Aussprache benachrichtigt. In später Abendstunde teilte Sir Maurice Hankey mit, daß die französische Delegation eine erneute Aussprache mit der deutschen Delegation im Hause des englischen Ministerpräsidenten vorgeschlagen habe, und zwar für 11 Uhr vormittags am darauffolgenden Tage. Für 3 Uhr nachmittags sei die Sitzung des Rats der Vierzehn in Aussicht genommen.
Sonnabend, den 16. August 1924.
Um 10.30 Uhr erschien der französische General Georges im Hotel Ritz und leitete die am Vortage vereinbarte Besprechung mit Herrn von Schubert und von Friedberg ein.
Um 10.45 Uhr trafen sich auf Grund einer von französischer Seite ergangenen Anregung der Reichsminister der Finanzen mit dem französischen Finanzminister Clémentel und dem Direktor der Zollabteilung Serruys im Hause Downing Street 10 zur Fortsetzung der Besprechung über einen Handelsvertrag. Zugegen war deutscherseits noch Ministerialrat Kiep.
Der Reichsminister der Finanzen teilte den französischen Vertretern mit, daß die durch Bekanntgabe der französischen Bedingungen, insbesondere der einjährigen Räumungsfrist, in Deutschland entstandene Stimmung es unmöglich mache, zur Zeit in nähere Verhandlungen über einen Handelsvertrag einzutreten. Er könne nur in Aussicht stellen, daß am 1. Oktober die Verhandlungen über einen Handelsvertrag in Paris beginnen könnten. Die Franzosen zeigten sich über diese ablehnende Haltung in hohem Maße enttäuscht, und der französische Finanzminister erklärte wiederholt, die Deutsche Delegation begehe mit dieser Ablehnung einen schweren Fehler. Es war zu erkennen, daß man französischerseits die Deutsche Delegation dazu drängen wollte, von sich aus Angebote auf wirtschaftlichem Gebiet zu machen, um eine frühere Räumung des Ruhrgebiets zu erzielen.
Um 11 Uhr wurde die deutsch-französische Besprechung im Hause 10 Downing Street wieder aufgenommen. Über das Ergebnis siehe die anliegende Aufzeichnung (Anlage 16)58.
[1305] Um 4.15 Uhr fand eine Sitzung des Rates der Vierzehn statt.
Es wurde die Arbeit dieses Ausschusses zuende geführt. Wegen des Ergebnisses s. das Protokoll59.
Der englische Premierminister teilte mit, daß eine Vollsitzung zwecks Abschlusses der Konferenz und Unterzeichnung des Schlußprotokolls um 6.30 Uhr im englischen Auswärtigen Amt stattfinden werde.
Um 6 Uhr fand eine Besprechung der Delegation zwecks Formulierung der vom Herrn Reichskanzler auf der Schlußsitzung zu haltenden Ansprache statt. Es wurde beschlossen, die Schuldfrage hierbei in der aus dem anliegenden Entwurf (Anlage 17) ersichtlichen Form zu behandeln60.
Um 6½ bis 9 Uhr Schlußsitzung der Vollkonferenz. Da der Reichskanzler die vorgesehenen Ausführungen zur Schuldfrage nicht machen wollte, ohne zuvor mit dem englischen Ministerpräsidenten darüber Fühlung zu nehmen, eine Möglichkeit zu solcher Fühlungnahme sich jedoch nicht ergab, wurde beschlossen, von der Aufrollung der Schuldfrage in der Rede des Reichskanzlers Abstand zu nehmen und diese Angelegenheit zum Gegenstand eines besonderen, nach Schluß der Konferenz an den englischen Ministerpräsidenten zu richtenden Schreibens zu machen.
Um 9 Uhr Beendigung der Konferenz durch Paraphierung des Schlußprotokolls (Anlage 18)61 von seiten des Herrn Reichskanzlers und Unterschrift durch den Sekretär der Delegation Legationsrat Wiehl.
Sonntag, den 17. August 1924.
9.05 vormittags Abreise der Delegation über Folkestone-Vlissingen nach Berlin. Zur Abreise waren ein Vertreter der englischen Regierung sowie der Botschafter Dr. Sthamer anwesend.
[1306] Während der Eisenbahnfahrt wurde in der Nacht vom 17. zum 18. August das Schreiben an den englischen Ministerpräsidenten betreffend die Schuldfrage fertiggestellt und abgeschickt (s. Anlage 19)62.
Aus Folkestone wurde nachstehendes Telegramm an den englischen Ministerpräsidenten gerichtet:
„Prime Minister, 10 Downing Street, London.
Before leaving Great Britain the German Delegation desires to express to your Excellency their warm appreciation of the reception accorded and sincerest thanks for the hospitality extended to them during their sojourn in London. Chancellor Marx.“
(„Vor Verlassen des britischen Bodens ist es der Deutschen Delegation ein Bedürfnis, Eurer Excellenz aufrichtigen Dank zu sagen für die gastliche Aufnahme, die ihnen in London zuteil geworden ist. Reichskanzler Marx.“)
Montag, den 18. August 1924.
8.30 Uhr früh Eintreffen der Deutschen Delegation auf dem Lehrter Bahnhof in Berlin; Empfang durch die in Berlin anwesenden Mitglieder des Reichskabinetts.
Am gleichen Tage Berichterstattung durch die drei Delegierten an den Herrn Reichspräsidenten sowie Berichterstattung im Kabinett63.
Empfang der Parteiführer.
Presseempfang.
Fußnoten
- 1
Verfasser des Tagebuchs ist MinR Kiep (Rkei), der zum Stab der dt. Delegation in London gehörte. Das Tagebuch bildete einen Bestandteil der Berichterstattung des RK an den RPräs. und das Kabinett in Berlin über den Verlauf der Konferenz.
Von den 19 Anlagen des Tagebuchs werden die wichtigsten, bisher nicht veröffentlichten Stücke als selbständige Dokumente abgedruckt (Anhang, Dok. Nr. 2 und Nr. 4–11). Zusätzlich aufgenommen ist eine Aufzeichnung Trendelenburgs vom 12.8.24 (Anhang, Dok. Nr. 3).
- 2
Es handelt sich um die Berichte der von der Londoner Konferenz eingesetzten interall. Sachverständigenausschüsse; s. unten Anm. 6. Vgl. auch Dok. Nr. 269, Anm. 2.
- 3
Das von der dt. Delegation herausgegebene Kommuniqué lautet: „We have come here with the sincere desire to assist in finding the best method of putting the Dawes-Report into action – unaltered and in the spirit of its authors. We wish to see the Report carried through as soon as possible and have the intention of contributing our part towards loyal fulfilment. We do not doubt that we will find the same spirit prevailing in London. If that is the case, then it may safely be assumed that we will speedily come to an agreement.“
- 4
Gemeint sind die drei bevollmächtigten Delegierten: RK Marx, RAM Stresemann und RFM Luther. Eine Liste mit sämtlichen dt. Teilnehmern an der Londoner Konferenz befindet sich in R 43 I/266.
- 5
Das offizielle Protokoll dieser Vollsitzung vom 5. 8. mit den Ansprachen von Mac-Donald und Marx ist abgedr. im dt. Weißbuch: Die Londoner Konferenz Juli-August 1924, Berlin 1925 (auch RT-Drucks. Nr. 263, Bd. 397), Dok. Nr. 5. Dieses Weißbuch enthält neben den Protokollen der Vollsitzungen auch sämtliche offiziellen Konferenzdokumente (Ausschußberichte, Noten, Abkommen, Briefwechsel).
- 6
Der dt. Delegation wurden überreicht: 1) das frz.-brit. Abkommen vom 9.7.24, 2) der endgültige Bericht des 1. interall. Ausschusses, 3) der endgültige Bericht des 2. interall. Ausschusses, 4) der endgültige Bericht des 3. interall. Ausschusses, 5) der Bericht des interall. Juristenausschusses, 6) der Bericht des erweiterten interall. Juristenausschusses. Abgedr. im dt. Weißbuch: Die Londoner Konferenz Juli-August 1924, Dok. Nr. 9, 23, 16 (19), 24, 17, 21.
- 7
In der Vorlage irrtümlich: „des Vortages“. Zum Protokoll dieser Vollsitzung s. Anm. 5.
- 8
Es handelt sich um Bemerkungen der dt. Delegation zu den Berichten des 1., 2. und 3. interall. Ausschusses sowie ein Begleitschreiben des RK an den Präsidenten der Londoner Konferenz (MacDonald) vom 6. 8.; abgedr. in: Die Londoner Konferenz Juli-August 1924, Dok. Nr. 32.
Im Begleitschreiben des RK wird hervorgehoben, daß die Berichte der drei interall. Kommissionen „nach Ansicht der Dt. Delegation dem mit der Inkraftsetzung des Sachverständigenplans [Dawes-Plans] zusammenhängenden Fragenkomplex nicht erschöpfen. Die Dt. Delegation muß insbesondere entscheidenden Wert darauf legen, die Frage der militärischen Räumung der über den Vertrag von Versailles hinaus besetzten Gebiete zur Erörterung zu stellen. Andererseits hat der Herr Präsident der 2. Kommission in seinem Begleitschreiben zu den Beschlüssen dieser Kommission erwähnt, daß die frz. und belg. Heeressachverständigen die Einstellung von etwa 5000 frz. und belg. Eisenbahnbediensteten auf bestimmten Strecken des linksrheinischen Netzes verlangen. Die Dt. Delegation ist der Ansicht, daß diese Forderung mit dem Sachverständigenplan nicht vereinbar ist.“
- 9
Die Protokolle sämtlicher Sitzungen des sog. „Rates der Vierzehn“, auf die im Tagebuch der Rkei wiederholt Bezug genommen wird, sind nach den stenografischen Aufzeichnungen der engl. Schriftführer abgedr. in: Londoner Konferenz Juli/August 1924. Die Sitzungen der Delegationsführer (6. bis 16. August). Geheim, nur zum Dienstgebrauch. Reichsdruckerei, Berlin 1924 (Exemplar Nr. 40 in R 43 I/458). Vgl. auch die zusammenfassenden Inhaltsangaben der Konferenzbesprechungen in: Stresemann, Vermächtnis I, S. 468 ff., die auf Berichten und Aufzeichnungen der dt. Delegation beruhen, soweit sie sich im Nachlaß Stresemanns befinden.
- 10
S. Anm. 8.
- 11
Sir Maurice Hankey, Generalsekretär der Londoner Konferenz.
- 12
Aufzeichnungen Ritters über die Sitzungen des 2. Sachverständigenausschusses am 6., 7. und 8. 8. befinden sich in R 43 I/265; die Aufzeichnungen wurden der Rkei durch das AA mit Begleitschreiben vom 13. 8. übersandt.
- 13
Kellogg, amerik. Botschafter in London.
- 14
In der Vorlage irrtümlich „Ausschusses“.
- 15
Der Beschluß der Repko vom 15. 7. ist abgedr. im dt. Weißbuch: Die Londoner Konferenz Juli-August 1924, Dok. Nr. 10.
- 16
S. Anm. 9.
- 17
In einer Aufzeichnung, vom 8. 8. über eine Unterhaltung mit Young, Kindersley, Baruch und Logan am gleichen Tage berichtet Schacht u. a., er habe im Verlauf des Gesprächs die Frage gestellt, „ob nicht die Anleihe gesichert werden müßte vor der Unterzeichnung des Schlußprotokolls der Konferenz. Es zeigte sich, daß Young entschiedener Gegner dieser Auffassung ist. Ich entnehme daraus, daß es völlig vergeblich sein würde, etwa die Experten zu veranlassen, die Anleihefrage vor die Konferenz zu bringen. Young meinte im Gegenteil, daß man auch die Bankiers vor vollendete Tatsachen stellen müßte. Er hätte die Erfahrung gemacht, daß während der ganzen Beratung des Expertenberichts und der darauf folgenden Konferenzverhandlungen jedes und alles nur zustande gekommen wäre, wenn die Beteiligten unter einen unmittelbaren Druck gesetzt worden seien. Ich begnügte mich damit, dem Standpunkt Youngs hinsichtlich der Notwendigkeit, die Anleihe vor die Konferenz zu bringen, zu widersprechen, weil ich von einer Vertiefung der Diskussion hätte befürchten müssen, daß Young unsere augenblicklichen Bemühungen in diesem Sinne evtl. versuchen würde, zu durchkreuzen. Dagegen kam mir Kindersley zu Hilfe, der meinte, daß die Bankiers doch ihrerseits gewisse generelle Voraussetzungen unter allen Umständen verlangen würden.“ (R 43 I/266). Vgl. auch Anm. 24.
- 20
Hierüber teilt Stresemann in Telegramm Nr. 14 vom 7. 8. aus London an das AA folgendes mit: „Gegen Abend kam Dr. Breitscheid zu uns, der, wie er mitteilte, 2½ Stunden mit Herriot gesprochen hatte. Er schilderte Herriot als vollkommen zusammengebrochen unter der Last der Konferenz und unter seiner Umgebung, die voller Intrigen sei. Bezüglich der Verhandlungen mit Deutschland wollte Herriot von uns wissen, ob wir auf folgender Basis bereit seien, mit ihm zu diskutieren: Militärische Räumung der Ruhr nach Abschluß der Militärkontrolle, d. h. etwa in spätestens 3–4 Monaten. Er brauche diesen Zusammenhang, um zu sagen, daß Frankreich, das vor Deutschland außerordentliche Furcht habe, nicht besorgt zu sein brauche, daß seine Sicherheit gefährdet sei. Er werde beruhigt sein, wenn bei der Militärkontrolle keine Kanonen in großem Ausmaße gefunden würden und nicht zuviel Maschinengewehre. Dabei bemerkte er, daß es genüge, wenn die überzähligen Kanonen und Maschinengewehre vernichtet werden. […] Die Franzosen wollen weiter, wie Clémentel ausführte, die Zusage der Dt. Reg., daß sie bereit sei, eine Deputation nach Paris zu senden, um über einen künftigen Handelsvertrag zwischen Deutschland und Frankreich zu verhandeln. Bis zu dem Zustandekommen des Handelsvertrages, wenigstens aber für drei Jahre, sollte die zollfreie Einfuhr von Kontingenten aus Elsaß-Lothringen weiter zugestanden werden. Schließlich wünsche er einen gegenseitigen Sicherheitspakt zwischen Frankreich und Deutschland unter Bezugnahme auf die gegenseitigen Anregungen unter der Regierung Cuno [vgl. Dok. Nr. 153, Anm. 9]. Der Kanzler und ich haben darauf hingewiesen, daß ein Zusammenhang zwischen der Militärkontrolle und der militärischen Räumung für uns parlamentarisch unmöglich sei, da die Räumung dann wieder in der Luft schwebe und nicht für einen bestimmten Termin vereinbart sei. Wir hielten es aber für richtig, Herriot mitzuteilen, daß wir zur Diskussion über die ganzen Fragen bereit seien, um zu sehen, wie wir die Dinge vorwärts bringen könnten. Ich habe Dr. Breitscheid keinen Zweifel darüber gelassen, daß die Verlängerung der elsaß-lothringischen Zollfreiheit für drei Jahre eine Unmöglichkeit sei, daß wir prinzipiell aber bereit seien, über einen Handelsvertrag mit Frankreich zu verhandeln und einen gegenseitigen Sicherheitsvertrag begrüßen würden.“ (Nachlaß Stresemann, Bd. 12).
- 21
S. Anm. 25.
- 22
S. Anm. 26.
- 23
Bei dieser Unterredung mit Stresemann am 8. 8. teilte Herriot mit, daß er bis zum 11. 8. nach Paris fahre, um mit dem frz. Ministerrat die von der dt. Delegation aufgeworfene Frage der militärischen Räumung zu erörtern. Hierüber telegrafischer Bericht Stresemanns vom 9. 8. (Nr. 24) an das AA im Nachlaß Stresemann, Bd. 13; ausführliche Inhaltsangabe in: Stresemann, Vermächtnis I, S. 480 f.
- 24
In Telegramm Nr. 24 vom 9. 8. berichtet Stresemann über dieses Gespräch: Er habe McKenna auf folgendes aufmerksam gemacht: „Die öffentliche Meinung in England nähme fälschlicherweise an, daß ein vollkommenes Übereinkommen zwischen England und Frankreich bestehe, und wenn jetzt die Londoner Konferenz scheitere, gäbe es nur zwei Faktoren, die man dafür verantwortlich machen würde: die Deutschen oder die Bankiers. Es sei deshalb notwendig, die Öffentlichkeit mehr darauf hinzuweisen, daß die all. Konferenz in London im wesentlichen nur technische Punkte geregelt, die politischen Fragen aber außerhalb der Diskussion gelassen habe. Als Bedingung der Bankiers für die Hergabe einer Anleihe bezeichnete er [McKenna] wiederholt mit größter Entschiedenheit die militärische Befreiung der Sanktionsgebiete, die Sicherheit vor frz. Sanktionen, die Beschränkung der Kompetenzen der Rheinlandkommission und das Schiedsgericht über die Auslegung des Versailler Vertrages. Norman habe dasselbe gesagt und dies heute bestätigt. McKenna sagte, daß die Konferenz die Voraussetzungen der Bankiers genau kenne, sie aber ignoriere. Durch diese Ausführungen McKennas ist das ganze Problem aufgerissen, wie denn eigentlich prozediert werden sollte, ob die Konferenz erst ihre politischen Arbeiten beenden und dann die Bankiers fragen solle, oder ob die Bedingungen der Bankiers vorher erörtert werden sollen, wogegen sich Frankreich entschieden sträube. Ich sehe vorläufig aus diesem Dilemma noch keinen Ausweg, zumal Young dringend davor warnt, daß von unserer Seite etwa die Bankiers in die Konferenz eingeführt würden [vgl. Anm. 17], während Snowden mit den Italienern abgemacht haben soll, daß von ital. Seite ein solcher Vorschlag gemacht werde.“ (Nachlaß Stresemann, Bd. 13).
- 25
Bracht hatte u. a. den Auftrag erhalten, in Berlin die Ansicht Seeckts über den frz. Vorschlag einer Verbindung zwischen Ruhrräumung und Militärkontrolle (vgl. Anm. 20) zu erkunden. In einem teilweise verschlüsselten Fernschreiben vom 10. 8. aus Berlin an die dt. Delegation in London berichtet Bracht (Auflösung der Schlüsselworte in eckigen Klammern): „Soeben fünfviertelstündige Unterredung mit Max[= Seeckt] beendet. Max äußerte sich zunächst völlig ablehnend gegenüber der Verbindung der Übertragungsfrage [= Räumungsfrage] mit der Arbitrage [= Militärkontrolle], wogegen er neben Spezialgründen auch Gründe allgemeiner politischer Art anführte. Er warne dringend vor derartiger Kombination, zumal auch ein Verlangen nach Verbindung beider Fragen nach russischer [= französischer] These gar nicht haltbar. Er befürchte, daß hieraus nur Quelle neuer Schikane entstehen werde, die uns die Übertragung [= Räumung] zum verlangten und erwarteten Termin vereiteln würde. Der Gedanke eines Prozesses [= Schiedsgerichts] unter Heranziehung neutraler Kaufleute [= Militärs] sei vorläufig noch durchaus vage, er verspreche sich davon nicht viel. Gegenwärtige Arbitrage [= Militärkontrolle] werde glatt verlaufen. Allerdings werde er nicht zu allen Forderungen der Gegenseite ja sagen. Gegen Schluß der Unterhaltung schien er gewissem Kompromiß zuzustimmen, wonach Prozeßgedanke [= Schiedsgerichtsgedanke] doch mit Übertragungsfrage [= Räumungsfrage] vereinigt werden kann. Näheres hierüber in besonderem Telegramm, das hinterher abgeht.“ (R 43 I/266). Fortsetzung in chiffriertem Telegramm Brachts vom 10. 8.: „Max [= Seeckt] hält allenfalls folgenden Ausweg für möglich: Vorbehaltlose Räumung aller vertragswidrig besetzter Gebiete und erster Zone zum 10. Januar 1925. Gibt nach Ansicht der IMKK Ergebnis der Militärkontrolle Anhaltspunkte für eine Bedrohung Frankreichs durch militärische Rüstung Deutschlands, so würde über die Berechtigung dieser Auffassung neutrales Schiedsgericht entscheiden. Fällt dessen Entscheidung zu unseren Ungunsten aus, wäre neue Situation für Räumungsfrist mindestens für erste Zone gegeben. Militärische Bedrohung sei wesentlich anderer Begriff wie Durchführung Entwaffnungsbestimmungen Versailler Vertrags unter Zugrundelegung subalterner und schikanöser Auffassung Nollets. Max riet ferner ab, Sicherheitspakt etwa überstürzt in London ohne militärische Sachverständige abzuschließen. Ich habe ihn in dieser Richtung beruhigt. […]“ (R 43 I/266).
- 26
In einer Sitzung der Repko mit Marx, Stresemann und Luther am 9. 8. in London wurden unterzeichnet ein „Abkommen zwischen der Deutschen Regierung und der Reparationskommission“ sowie das in Anlage beigefügte „Protokoll, betreffend die Zahlungen aus dem deutschen Reichshaushalt und betreffend die Einrichtung einer Aufsicht über die Einnahmen aus den Zöllen und aus den Abgaben auf Alkohol, Tabak, Bier und Zucker“. Für die RReg. unterzeichnete RK Marx. Text in: Londoner Konferenz Juli-August 1924, Dok. Nr. 33; auch RT-Bd. 383, Drucks. Nr. 446, S. 5–16.
Über das Abkommen mit der Repko berichtet Marx in Telegramm Nr. 27 vom 10. 8. nach Berlin: Das Abkommen „enthält im wesentlichen formale Bestimmungen über Inkraftsetzung des Sachverständigenplans. Über Inhalt des Abkommens bereits Einverständnis erzielt. Repko hat dringenden Wunsch geäußert, den [Vertrag] jetzt schon abzuschließen, da es eine Prestigefrage für sie sei, hier nicht wochenlang untätig zu sitzen. […] Da es gelungen ist, in dem Vertrag einige unangenehme Bestimmungen, insbesondere über den Fortbestand des Londoner Zahlungsplans [von 1921], zu beseitigen, und da auch Mac-Donald dringend zum Abschluß geraten hat, haben wir uns entschlossen, Vertrag zu zeichnen. Dieser wird unzweifelhaft auf den Gang der Verhandlungen sehr förderlich einwirken. Unterzeichnung ist insbesondere mit Rücksicht auf Schlußbestimmung, wonach Vertrag bei Scheitern Londoner Konferenz hinfällig wird, unbedenklich.“ (Pol. Arch. des AA: Büro RM, 5n, Londoner Konferenz 1924, Bd. 2).
- 27
Sthamer.
- 28
Über diesen Besuch bei dem engl. Völkerbundsdelegierten Lord Parmoor berichtet Stresemann in Telegramm Nr. 30 vom 11. 8.: „Besuch verlief in freundschaftlichster Form. Ich hatte erwartet, daß Lord P. bei dieser Gelegenheit die Stellung Deutschlands zum Völkerbund anschneiden würde. Zu meinem Bedauern hat er weder den Kanzler noch mich auch nur mit einem einzigen Wort über die Völkerbundsfrage angesprochen, so daß es mir scheint, als ob man in hiesigen Kreisen absolut nicht damit rechnet, daß die Aufforderung Deutschlands über Eintritt noch in diesem Jahre erfolgt. Bitte dies besonders gegenüber den sozialistischen Parteien zu erwähnen, die Interpellation wegen Völkerbunds eingebracht haben.“ (Pol. Arch. des AA: Büro RM, 5n, Londoner Konferenz, Bd. 2). – Interpellation der SPD-Fraktion im RT vom 26. 6.: „Ist die RReg. bereit, den Antrag auf Aufnahme in den Völkerbund noch vor dem 1.9.1924 zu stellen?“ (RT-Drucks. Nr. 295, Bd. 382).
- 31
Nach der anliegenden Aufzeichnung Kieps über diese Unterredung, die am 10. 8. um 22 Uhr im Amtssitz des engl. MinPräs. stattfand, besprachen MacDonald und Marx hauptsächlich die dt. Wünsche zur Tagesordnung der Sitzung des „Rats der Vierzehn“ am 11. 8., die von MacDonald weitgehend akzeptiert wurden. „Mr. MacDonald fragte alsdann, wie es mit den politischen Fragen stände, worauf der RK den gegenwärtigen Stand dieser Angelegenheit schilderte: Die Dt. Delegation warte nunmehr ab, welche Eindrücke und Vollmachten M. Herriot aus Paris zurückbringen werde [vgl. Anm. 23]. Mr. Ramsay MacDonald stimmte den Ausführungen des RK wiederholt zu und zeigte sich über alle Einzelheiten der dt.-frz. Fühlungnahme unterrichtet. Er bezeichnete als ausstehende politische Fragen die Frage der Eisenbahner in den besetzten Gebieten sowie die Frage der Ruhrräumung [vgl. Anm. 8]. Hinsichtlich der Ruhrräumung, so führte Mr. Ramsay MacDonald aus, werde der RK es hoffentlich verstehen, wenn er von einer Stellungnahme hierzu absehe. Er wünsche nämlich in dieser Frage seine Unbefangenheit zu wahren, damit er gegebenenfalls, d. h. wenn die Alliierten unter sich bzw. mit den Deutschen nicht zu einer Einigung kommen könnten, als Schiedsrichter fungieren könne. Er wolle aber soviel sagen, daß er weder für seine Person, noch als Erbe der vorhergehenden engl. Regierung jemals die Legalität der Ruhrbesetzung anerkannt habe. Er hoffe, daß eine Einigung mit M. Herriot zustande kommen werde. Die Alliierten würden am Montag [11. 8.] um 10 Uhr vormittags zusammenkommen.“ (R 43 I/268).
- 32
S. den Bericht der belg., frz. und dt. Juristen vom 9.8.24 zu Art. VII des Berichts des 2. interall. Ausschusses, in: Die Londoner Konferenz Juli/August 1924, Dok. Nr. 36.
- 33
Gemeint ist der Bericht einiger Sachverständiger des Dawes-Komitees vom 9.8.24, in: Londoner Konferenz Juli/August 1924. Die Sitzungen der Delegationsführer (Anm. 9), Anhang.
- 34
S. Anm. 26.
- 35
Bericht des internationalen Unter-Ausschusses zur Begutachtung des Berichts des 2. und 3. interall. Ausschusses vom 10.8.24, in: Die Londoner Konferenz Juli-August 1924, Dok. Nr. 38.
- 36
Bericht des internationalen Unter-Ausschusses zur Begutachtung des Berichts des 3. interall. Ausschusses vom 10.8.24, in: Die Londoner Konferenz Juli–August 1924, Dok. Nr. 39.
- 38
In Telegramm Nr. 45 vom 12. 8. aus London an das AA berichtet Stresemann ausführlich über seine Unterredung mit Herriot am 11. 8. abends. Herriot habe seine schwierige parlamentarische Situation dargelegt, die dadurch entstanden sei, daß MacDonald entgegen der in Chequers gegebenen Zusicherung, die Frage der militärischen Räumung der Ruhr auf der Londoner Konferenz überhaupt nicht zu erörtern, jetzt an ihn herangetreten sei und von ihm verlangt habe, daß er den Wünschen der Deutschen wegen der militärischen Räumung zustimme. „Seine Reise nach Paris habe deshalb Zweck gehabt, sich von Ministerrat Ermächtigung zur Ruhrräumung geben zu lassen [vgl. Anm. 23]. Das habe er erreicht auf der Basis, daß die Ruhrräumung in einem Jahr beendet sein solle. Weiter könne er nicht gehen, ohne in Gefahr zu kommen, vom Senat gestürzt zu werden. […] Sachlich begründete Herriot Ausdehnung Ruhrbesetzung auf ein Jahr mit öffentlicher Meinung in Frankreich, die davon ausgehe, daß eigentliche Leistungen Deutschlands erst im zweiten Jahr begännen, da Deutschland im ersten Jahr aus der Anleihe zahle. Ich [Stresemann] habe erwidert, daß ich Schwierigkeiten parlamentarischer Lage Herriots nicht verkennte und mich deshalb ablehnend gegen dt. Strömungen gezeigt hätte, die Annahme Gutachtens von sofortiger Räumung abhängig machen wollten. Frist von einem Jahr sei aber entschieden zu lang. Herriot habe durch Clémentel Frage handelspolitischer Verständigung angeschnitten [vgl. Anm. 20]. Diese handelspolitische Verständigung stehe unzweifelhaft mit Gutachten in gar keiner Verbindung, denn dt. öffentliche Meinung sei darüber sehr erregt und Industrie drohe mit Stillegung der Betriebe [vgl. Dok. Nr. 272]. Wir hätten nicht die Absicht, Industrie Führung Politik zu übergeben, sondern seien bereit, auf vernünftiger Basis mit Franzosen über diese Frage zu diskutieren. Öffentliche Meinung würde es aber nicht verstehen, wenn wir Plan annähmen, handelspolitische Vorteile gewähren, gleichzeitig Ruhrräumung solange hinausschieben würden. Ich müßte deshalb Herriot dringend bitten, unter allen Umständen eine kürzere Frist in Erwägung zu ziehen. Außerdem möchte ich wissen, ob die Räumung sofort beginne. Für öffentliche Meinung sei nicht nur Endtermin, sondern auch Anfangstermin von entscheidender Bedeutung. Ich müßte dt. Öffentlichkeit sagen können, daß Räumung wichtiger Gebiete sofort begänne, damit man sähe, daß allmählich vertragsmäßiger Zustand zwischen Frankreich und Deutschland wieder eintrete. Herriot bemerkte, daß er Order gegeben hätte, Räumungsplan auszuarbeiten, daß er in Etappen vorgehen werde. Er werde Plan zur nächsten Besprechung mitbringen. Er halte persönlich die ganze Ruhrbesetzung für ungesetzlich. Aber er müsse Rücksicht nehmen auf Stimmungen und Strömungen, die bis in die Reihen seiner eigenen Partei gingen. […] Er bitte mich aber, überzeugt zu sein, daß er jede Gelegenheit ergreifen würde, um Räumungsfrist abzukürzen, da er persönlich die Räumungsfrist so schnell als möglich durchführen würde. […] Ich erklärte Herriot, daß ich für seine persönliche Auffassung sehr dankbar wäre, aber daß ich diese gegenüber Parlament nicht vertreten könnte und unbedingt auf Verkürzung Fristen bestehen müsse, worauf er erklärte, er werde darüber nachdenken und dann Antwort geben.“ Zur Frage des Verbleibs frz. Eisenbahner im besetzten Gebiet habe Herriot schließlich erklärt, „er würde im letzten Augenblick in dieser Sache nachgeben“ und auf die Eisenbahner verzichten. Stresemann solle davon jedoch nicht vorher Gebrauch machen. Als Stresemann die Dawes-Anleihe zur Sprache gebracht und auf die Bedingungen der Bankiers hingewiesen habe, sei Herriot in außerordentliche Erregung geraten. „Wenn von seiten der Banken versucht würde, bestimmte Bedingungen an die Anleihe zu knüpfen, so schlage er lieber das ganze Gutachten kaputt, als daß er sich darauf einließe.“ (Abschrift des Telegramms in R 43 I/266). Vgl. auch die zusammenfassende Wiedergabe in: Stresemann, Vermächtnis I, S. 484 ff.
- 39
S. Anm. 9.
- 43
Die von Herriot eigenhändig niedergeschriebene Absichtserklärung zur Ruhrräumung befindet sich in R 43 I/266. Die dt. Übersetzung dieser Niederschrift wurde von Marx mit Telegramm Nr. 55 vom 13. 8. an das AA zur Weiterleitung an Rkei, RPräs. und Kabinett übermittelt. Das Telegramm lautet: „Vor heutiger Nachmittagssitzung ließ Herriot folgende Formulierung seines Standpunktes unverbindlich und streng vertraulich mitteilen:
‚Ich schlage folgende Formel vor:
Äußerste Frist ein Jahr, weil ich nicht glaube, unter diese Frist herabgehen zu können, und weil ich dazu von der frz. Regierung nicht ermächtigt bin.
Wenn jedoch die Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland sich bald verbessern sollten, wenn infolge unserer gemeinsamen Anstrengungen der Zustand der öffentlichen Meinung sich änderte, so würde ich gerne in Aussicht nehmen sei es eine Herabsetzung der Truppenstärken, sei es eine Verkleinerung der Besatzungsgebiete, vielleicht sogar etwas Günstigeres.
Ich kann keine offizielle Zusicherung geben, die mich binden würde.
Ich kann einfach einem Wunsche und einer Hoffnung Ausdruck geben.‘“ (R 43 I/266).
- 52
S. Anm. 9.
- 54
Text des Instruktionstelegramms vom 15. 8. am Schluß des Protokolls der Ministerratssitzung vom 15. 8. (Dok. Nr. 276).
- 56
Die undatierte, nicht unterzeichnete Aufzeichnung hat folgenden Wortlaut:
„1) Die militärische Räumung der über den Vertrag von Versailles hinaus besetzten Gebiete wird spätestens am … beendet sein.
2) Diejenigen dt. Gebietsteile, die nach dem 11. Januar 1923 im Zusammenhang mit der Einrichtung einer Binnenzollinie oder der Einrichtung der frz.-beld. Eisenbahnregie besetzt worden sind (die Häfen von Emmerich, Wesel, Mannheim und Karlsruhe, die Eisenbahnwerkstätten von Darmstadt, der Bahnhof von Limburg, Vohwinkel, Mettmann, die Zwischenräume zwischen den Brückenköpfen von Koblenz einerseits und Mainz und Köln andererseits, das Gebiet von Offenburg und Appenweier und das Schloß von Mannheim), werden gleichzeitig mit der Beseitigung der Binnenzollinie bzw. der Übergabe der Verwaltung der Regiebahnen an das Organisationskomitee militärisch geräumt werden.
3) Die beteiligten all. Regierungen werden alsbald in Erwägungen darüber eintreten, inwieweit die Wiederherstellung des internationalen Vertrauens es möglich macht, im Interesse einer wirksamen Durchführung des Dawes-Plans die über den Vertrag von Versailles hinaus besetzten Gebiete, soweit sie nicht unter Nr. 2 erwähnt sind, schon vor dem … ganz oder teilweise zu räumen.
4) Soweit hiernach in den über den Vertrag von Versailles hinaus besetzten Gebieten noch all. Militärkräfte verbleiben, werden die beteiligten all. Regierungen alsbald alle Maßnahmen treffen, um die Effektivstärke dieser Militärkräfte in möglichst weitgehendem Maße herabzusetzen, um ferner militärische Eingriffe in die dt. Verwaltung und Gerichtsbarkeit, die dt. Wirtschaft und das öffentliche und private Leben der Bevölkerung zu verhindern und um die Unterbringung der Militärkräfte so zu gestalten, daß ihre Berührung mit der Bevölkerung auf ein Mindestmaß beschränkt wird.“ (R 43 I/268).
- 57
S. Anm. 56.
- 59
Vgl. Anm. 9.
- 60
Als Anlage 17 ist dem Konferenztagebuch der Entwurf der Schlußansprache des RK in Abschrift beigefügt. Darin heißt es in bezug auf die Kriegsschuldfrage: „Es sei mir gestattet, an den Gedanken des Schiedsgerichts anknüpfend, einen Wunsch des dt. Volkes erneut in Erinnerung zu bringen, welcher, ohne an den durch den VV bestimmten Pflichten zu rütteln, die durch denselben ausgesprochene moralische Belastung von Deutschland genommen wissen möchte. In Verfolgung dieses Wunsches hat die Dt. Reg. ihre Archive eröffnet, um allen Völkern der Welt einen Einblick zu geben in die dt. Politik der letzten 50 Jahre. Deutschland ist der Meinung, daß [das] in bezug auf die Entstehung des Weltkrieges bestehende Mißtrauen beseitigt werden würde, wenn einem unparteiischen Schiedsgericht Gelegenheit gegeben würde, in voller Öffentlichkeit unter Zuhilfenahme aller Akten diese Frage zu klären. Auch das wäre ein Beitrag von ungeheurem Werte zur Wiederherstellung des Vertrauens unter den Völkern und zur Befriedung der Welt.“ (R 43 I/268). Dieser Passus wird von Marx bei der abschließenden Vollsitzung der Londoner Konferenz jedoch nicht verlesen; s. hierzu die folgenden Ausführungen des Konferenztagebuchs. Die vom RK gehaltene Schlußansprache ist abgedr. in: Die Londoner Konferenz Juli–August 1924, S. 76 f.; leicht gekürzt in: Ursachen und Folgen, Bd. VI, Dok. Nr. 1261 d; Schultheß 1924, S. 435.
- 61
Das Londoner Schlußprotokoll vom 16.8.24 mit den in Anlage beigefügten vier Abkommen über die Inkraftsetzung des Dawes-Gutachtens ist abgedr. in: Die Londoner Konferenz Juli–August 1924, Dok. Nr. 49, 33, 50–52; auch in RT-Drucks. Nr. 446, Bd. 383. Die formelle Unterzeichnung des Londoner Protokolls und der beigefügten Abkommen soll am 30.8.24 in London erfolgen.