2.109 (sch1p): Nr. 103 Bericht Walter Loebs über die Unterredung mit Oberst Conger in der Nacht vom 3. zum 4. Juni 1919 in Trier. Frankfurt/M., 6. Juni 1919

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Nr. 103
Bericht Walter Loebs über die Unterredung mit Oberst Conger in der Nacht vom 3. zum 4. Juni 1919 in Trier. Frankfurt/M., 6. Juni 1919

R 43 I /4 , Bl. 69-77 Durchschrift1

Anwesend: Oberst Conger, Chef des Generalstabes [!]; Major Henrotin, Major des Generalstabes; Herr Dr. Einstein, Frankfurt/M.; Herr Walter Loeb, Frankfurt/M.

Bei dem Durchreisen der vorderen Okkupationszone des Brückenkopfes Koblenz von Limburg nach Koblenz ist ein weiteres starkes Ansammeln von Heereswagen zwischen Limburg und Montabaur bemerkbar. Insbesondere sind[428] sehr viel Flugzeuganlagen neu errichtet, sowie eine große Anzahl Tankwagen in die Wälder geworfen worden. Dieselben liegen allerdings nicht an der Landstraße, sondern sind abseits in Wäldern versteckt. Der Geheimsitz in der Zone der III. Armee ist nach mir gewordenen Mitteilung scharf ausgebaut worden, hauptsächlich wird sehr darauf geachtet, daß keinerlei Fraternisierungsmöglichkeiten vorhanden sind, fernerhin, daß die gegebenen Besatzungsbefehle strikt durchgeführt werden. Die Klagen der Einwohnerschaft über das Benehmen der amerikanischen Besatzung werden immer stärker und wächst die Opposition daselbst immer mehr. Die Amerikaner beginnen insbesondere da, wo sich Formationen befinden, welche bereits Heimwärtsorder hatten, die Bevölkerung zu belästigen. Wir selbst wurden auf unserer Reise in bis jetzt noch nie dagewesener Art und Weise angegriffen, verzichteten allerdings auf irgendwelche Schritte im Interesse des Unternehmens.

Die Diebstähle an Geflügel sowie das Beschädigen der Wohnungen usw. nehmen zu. Nach Mitteilung verschiedener Offiziere hat der Generalstab in weiser Erkenntnis der Stimmung seiner Leute verfügt, daß dieselben auf schnell möglichste Art und Weise zurückgesandt werden. Im Monat Mai wurden 365 000 Mann nach Amerika verschifft und besteht die Aussicht, es im Monat Juni auf ca. 400 000 Mann zu bringen. Die Materialien sind zum größten Teil verkauft worden und werden nun leider zu ungeheuren Wucherpreisen nach dem unbesetzten Gebiet verbracht. Im ganzen macht die Armee den Eindruck, daß sie marschbereit ist, nach Deutschland einzurücken, wenn man den Frieden nicht unterzeichnen wird. Auch den Eindruck, den wir bei der Unterredung mit Oberst Conger empfingen, war demgemäß und ist wohl kaum Schonung zu erwarten. Oberst Conger wich diesmal von der sonstigen Gewohnheit der freien Aussprache ziemlich ab, wofür er scheinbar seine Instruktionen hatte.

Loeb: Ich habe Ihnen vier Fragen zu stellen:

1. Was wissen Sie über die Stimmung bzw. die Ansicht, die unsere Gegenvorschläge bei der amerikanischen Delegation hinterlassen haben?

2. Glauben Sie, daß auf Basis der Gegenvorschläge etwas zu erreichen ist bzw. in welchem Punkte bestehen Schwierigkeiten und in welchem Punkte glauben Sie, daß man eine Einigung erreicht?

3. Wie stellen Sie sich zur rheinischen Republik, welche Maßnahmen Hochverrat sind?

4. Was gedenkt die amerikanische Besatzungsbehörde zu tun, falls die Bewegung auf gleicher Basis wie in Mainz und Wiesbaden in Ihre Zone übergreift?

Conger: Ich werde Ihnen diese vier Fragen der Reihe nach beantworten. Bevor ich jedoch dazu schreite, möchte ich Sie bitten, mir einiges über die Lage in Deutschland zu sagen bzw. mir einiges mitzuteilen über den Standpunkt, den die Regierung jetzt der Friedensfrage gegenüber einnimmt.

Loeb: Herr Oberst, ich möchte Sie bitten, mir diesbezügliche Fragen zu stellen, da ich über sehr vieles meine Informationen beziehe und Ihnen dann erklären kann, ob ich Ihre Anfragen beantworten kann oder nicht.

Conger: Wie stellt sich Ihre Regierung heute zur Unterzeichnung?

Loeb: Herr Oberst, die Regierung nimmt noch genau denselben Standpunkt[429] ein, wie Ihnen Herr Reichsminister Erzberger und Herr Graf Bernstorff bei Ihrer Anwesenheit in Berlin erklärt haben2.

Conger: Also Ihre Regierung weigert sich, zu unterzeichnen?

Loeb: Jawohl, falls die Bestimmungen bestehen bleiben. Sollten die Bestimmungen geändert werden, so wird vielleicht ein Modus gefunden, zur Unterzeichnung des Vertrages zu kommen.

Henrotin: Und was ist die Ursache dieses Standpunktes?

Loeb: Die Ursache dieses Standpunktes ist sehr einfach. Deutschland sieht die Undurchführbarkeit der Bedingungen ein, fernerhin seinen absoluten wirtschaftlichen Ruin und klar daraus hervorgehend, auf Grund der Bedingungen des Selbsterhaltungsrechtes, einen neuen Krieg, und das deutsche Volk hat keine Ambitionen mehr für einen Krieg.

Henrotin: Sie sagen, Sie haben keine Ambitionen mehr für einen Krieg. Ihre deutschen Militaristen sind stark wie zuvor. Ich könnte Ihnen Berichte zeigen über Verhalten Ihres Grenzschutzes Ost in Westpreußen, die jeder Beschreibung spotten. Man hat auch Menschen getötet ohne Ursache, denn dieser Grenzschutz besteht ja aus nichts wie aus einer Bande von Räubern.

Loeb: Herr Major, Sie wissen genau, daß ich Ihr Urteil über deutsche Militär-Angelegenheiten sehr schätze, aber, wie ich Ihnen schon das letztemal mitteilte, scheinen Sie sehr einseitig orientiert zu sein. Sie stehen auf dem Standpunkte, daß unsere Militaristen einen großen Einfluß haben. Ich kann Sie versichern, daß Sie sich darin irren. Es mag wohl hier und da Leute geben, die aus irgendwelchen Mängeln noch einen kleineren oder großen Einfluß auszuüben versuchen, aber in der Gesamtheit hat das deutsche Volk die Republik im Herzen.

Henrotin: Warum haben Sie die Regierungspräsidenten von Koblenz und Trier abgerufen? Sie wußten, daß ich Ihnen verschiedentlich über diese beiden Herren Mitteilungen gemacht habe3.

Loeb: Darüber kann ich Ihnen nichts sagen, ich habe allerdings Ihre Mitteilungen der Regierung weitergegeben. Den allgemeinen Grund, warum die Regierung fernerhin den Frieden nicht unterzeichnet, habe ich Ihnen bereits dargelegt. Sie dürfen nicht vergessen, daß heute in führenden Positionen unserer Regierung Sozialdemokraten sitzen, deren Pflicht es ist, dafür zu sorgen, daß sie soziale Gesetze machen kann. Dies ist aber unmöglich, wenn der Friedensvertrag unterschrieben wird. Es ist allerdings eine zynische Aufgabe, auf der einen Seite den Imperialismus über die Demokratie, auf der anderen den Kapitalismus über den Sozialismus siegen zu sehen, aber die Idealisten haben ja leider nicht Recht behalten. Einer der Enttäuschsten unter Ihnen wird wohl Ihr Präsident sein. Wir kennen eben nur nach einem Krieg Sieger und Besiegte,[430] und solange die Welt dies nicht verlernt hat, solange werden Sie nicht zu Bedingungen kommen, die Deutschland lebensfähig erhalten.

Conger: Ich will Ihnen jetzt die Antwort auf Ihre Anfragen geben. Ich kann Ihnen den Standpunkt der Friedensdelegation nicht erklären, da ich hierzu nicht in der Lage bin, zudem eine derartige Erklärung zu Differenzen zwischen unserer Delegation und mir führen könnte, da die Auffassung einer einzelnen Angelegenheit des öfteren ja verschieden ist. Fernerhin dürfte evtl. bei derartigen Mitteilungen Differenzen zwischen Ihrer Delegation und dem Kabinett in Berlin in der Auffassung entstehen.

Loeb: Herr Oberst, was die amerikanische Delegation und ihre Position anbetrifft, so muß ich das Urteil Ihnen überlassen. Was die deutsche Delegation anbetrifft, so erhält sie die Instruktionen von dem Kabinett in Berlin. Im übrigen sind ja die beiden weiteren Minister, und soviel mir bekannt ist, der Präsident der Preußischen Landesversammlung, Herr Oberbürgermeister Leinert, in Berlin4, so daß also ein Mißverständnis auf deutscher Seite wohl nicht vorkommen dürfte.

Conger: Es ist gut, ich werde dann Ihre Anfrage, falls sie Berlin an mich offiziell richtet, weiter an die Friedenskonferenz geben.

Loeb: Dies dürfte nicht mehr notwendig sein, ich bin beauftragt, diese Frage zu stellen und bitte, sie zu formulieren.

Anfrage: Welches sind die Schwierigkeiten in der Friedenskonferenz unter Bezugnahme auf die deutschen Gegenvorschläge? In welchen Punkten glauben die amerikanischen Delegierten, mit Deutschland einig zu werden?

gez. W. I. L[oeb]

Conger: Ich kann Ihnen aber über den Standpunkt der Friedenskonferenz folgendes zur Kenntnis geben: Die amerikanische Friedenskommission erkennt die Schwierigkeiten, welche die deutsche Regierung hat, vollkommen an, ebenfalls die Tatsache, daß die deutsche Regierung einen großen Teil dieser Schwierigkeiten selbst hervorgebracht hat. Die amerikanische Friedenskommission erwartet jedoch, daß die deutsche Regierung unter voller Erkennung der Notwendigkeit den Frieden mit denjenigen Abänderungen, welche die Alliierten Deutschland zugestehen werden, annimmt, denn nur unter diesem Gesichtspunkt kann das Interesse des deutschen Volkes vollauf gesichert werden.

Dr. Einstein: Und welches sind die Schwierigkeiten, die die deutsche Regierung selbst verschuldet hat?

Conger: Das sind die Mitteilungen Ihrer Minister, welche sich vollständig heute schon festgelegt haben, daß sie den Friedensvertrag nicht unterzeichnen wollen.

Loeb: Von Ihrem Standpunkte aus gesehen, mögen Sie Recht haben, auf der anderen Seite aber ist es doch unbedingt notwendig, daß die amerikanische Regierung sich bewußt ist, daß die deutsche Regierung nicht einfach ihr Volk vor die Tatsache der Nichtunterzeichnung stellen darf, sondern, daß die Regierung das Volk auf diese Möglichkeit und deren evtl. Folgen vorbereiten muß.

[431] Conger: Ich möchte nicht verhehlen, Sie über die ungeheuer schlechte Stimmung unserer Truppen zu unterrichten, und Sie wissen, wenn der Amerikaner etwas tut, dann tut er es ganz. Ich war mit amerikanischen Truppen auf den Philippinen, ich habe sie in diesen Krieg geführt, und glauben Sie mir, es wurde nichts an Rohheit und Barbareientum in Belgien und Nordfrankreich verbracht, was die Amerikaner nicht zehnfach schlimmer bei einem Vormarsch in Deutschland machen würden.

Loeb: Herr Oberst, und das nennen Sie Freiheit und Zivilisation über Menschenrechte? Das kann eine Herde von Menschen, von denen man von vornherein weiß, daß sie nicht zu zügeln sind, auf ein wehrloses, ausgehungertes, nur seine Ehre wahrendes Volk.

Conger: Ihre Ausdrucksweise dürfte etwas zu scharf sein, doch ich kann Sie verstehen. Sie werden aber auf der anderen Seite begreifen, daß die Truppen nach Hause wollen und eben nicht danach fragen, warum oder weshalb der Frieden seitens Deutschlands nicht unterzeichnet wird.

Der Oberst Conger ergeht sich darauf in längeren Ausführungen auf die Folgen einer Nichtunterzeichnung der Bedingungen im krassesten Tone, von der Wiederaufnahme der Feindseligkeiten, aufmerksam zu machen. Auf die Anfrage hin, daß doch derartiges gar nicht in Frage kommt, antwortet Major Henrotin, daß der Krieg im Osten, namentlich in Ostpreußen und Oberschlesien sowie in Westpreußen, sofort beginnen würde.

Conger: Sie haben uns in diesen Krieg hineingezogen, und es ist Ihre Pflicht, uns aus dem Krieg wieder herauszubringen. Sie müssen versuchen, diesen Frieden zu unterzeichnen und dann mit Amerika zusammen in den Völkerbund zu treten oder an der Seite Amerikas überhaupt sich durch die Welt zu schlagen.

Loeb: Herr Oberst, Sie werden wohl verstehen, daß wir diese Versprechungen Amerikas heute nicht so hoch werten können, nachdem wir doch eigentlich furchtbar enttäuscht worden sind. Ich bitte Sie, nach Versailles die Anfrage zu drahten und mir telegrafisch Bescheid zu geben. Wissen Sie irgend etwas über die Zeit, wann wir die Antwort erhalten?

Conger: Nein, über die Zeit kann ich Ihnen nichts sagen. Zu Punkt 3 möchte ich Ihnen bemerken, daß wir von der rheinisch-westfälischen Republikbewegung hier nichts bemerkt haben. Es ist allerdings klar, daß, wenn die deutsche Regierung den Friedensvertrag nicht unterschreibt, dann Deutschland in lauter kleine Teile zerfällt. Alsdann hat ja eine derartige Bewegung günstigen Boden. Wenn Sie aber den Vertrag unterzeichnen, dürfte die ganze Angelegenheit nur ein Projekt bleiben.

Zu Punkt 4. Wir werden derartige Bestrebungen, falls sie keine effektive Grundlage haben, nicht zulassen und unsere bisherige Haltung hierin auch nicht ändern, falls wir keine anderen Instruktionen von dem Präsidenten erhalten.

Walter Loeb5

Fußnoten

1

Die vorliegende Niederschrift sandte Loeb am 6.6.1919 an den RMinPräs. mit einem Begleitschreiben, in dem es heißt: „In der Anlage überreiche ich Ihnen den Bericht über meine letzte Verhandlung mit dem Oberst Conger. Die Aussichten scheinen sich etwas zu bessern, doch habe ich das Gefühl, daß die Franzosen nicht geneigt sind, besonders viel nachzugeben. Wenn allerdings unsere englischen Parteigenossen es fertig bekommen, einen starken Druck auf die Regierung auszuüben, dann kann vielleicht Grundlegendes geändert werden.“ (R 43 I /4 , Bl. 68). Der Bericht wurde am 10.6.1919 dem RMinPräs. vorgelegt und erhielt am 12.6.1919 einen z. d. A.-Vermerk von der Hand des UStS Albert.

2

Die Unterredung Oberst Congers mit RM Erzberger und Graf Bernstorff fand am 18.5.1919 statt; am 19.5.1919 sprach Conger noch einmal mit Erzberger. Die Berichte über diese Gespräche in: Papers Relating to the Foreign Relations of the United States. The Paris Peace Conference, vol. XII, p. 124  ff. ; Epstein, Fritz T.: Zwischen Compiégne und Versailles, in: VjfZ, 3. Jg. 1955, S. 429 ff.

3

Über die genannten Mitteilungen ist in den in Frage kommenden Beständen des BA und des PA nichts zu ermitteln.

4

Laut Anwesenheitsliste der Kabinettssitzung vom 10.6.1919 waren zu dem Zeitpunkt vier der sechs Delegierten, Landsberg, Giesberts, Leinert und Melchior, in Berlin (s. Dok. Nr. 105).

5

Am 11.6.1919 telegrafierte der RAM an UStS v. Langwerth: „Walter Loeb reichte gestern einen Bericht über Verhandlungen mit Conger vom 3. Juni ein. Der Bericht beweist, daß politisch verwertbare Informationen von Conger nicht mehr zu erwarten sind. Weitere Besprechungen mit Conger halte ich unter diesen Umständen im gegenwärtigen Augenblick für bedenklich. Bitte daher, Loeb im Einvernehmen mit MinPräs. und RM Erzberger, an die er gleichfalls berichtet hat, vor weiterer Verbindung mit Conger zu warnen.“ (R 43 I /4 , Bl. 98).

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