Text
[927] Nr. 300
Der Reichswirtschaftsminister an Staatssekretär Pünder. Bad Karlsbad, 18. September 1927
R 43 I/656, Bl. 230–231 Umdruck
[Auslandsanleihen]
Auf das Schreiben vom 29. August 1927 – Rk. 66931.
Das Reichsbankdirektorium hat in dem Schreiben vom 27. Juni 1927 – Nr. I 9991 –2 und 15. August 1927 – I 13345 –3 eingehend die Frage der Auslandsanleihen erörtert und eine Politik der Drosselung befürwortet.
Bei der außerordentlichen Bedeutung dieser Frage halte ich es für notwendig, zunächst durch eine Besprechung im Reichsministerium eine Klärung und vorläufige Stellungnahme der Reichsregierung herbeizuführen und alsdann in einer zweiten Besprechung die Frage mit dem Herrn Reichsbankpräsidenten zu erörtern, um eine einheitliche Politik der Reichsregierung und der Reichsbank sicherzustellen.
Ich behalte mir vor, meine Auffassung im Reichsministerium ausführlich darzulegen. Ich darf aber bereits jetzt bemerken, daß außer den in den Schreiben des Reichsbankdirektoriums hervorgehobenen Gesichtspunkten noch folgende volkswirtschaftliche Fragen besonders geprüft werden müssen:
1. Kann der Kapitalbedarf für die Weiterführung der Rationalisierung und die Erhöhung der Produktionskapazität aus dem inländischen Kapitalmarkt gedeckt werden und welches Tempo ist dafür angezeigt? Daß sowohl weitere Rationalisierung wie Erhöhung der Produktionskapazität eine unabweisbare wirtschaftliche Aufgabe ist, ergibt sich daraus:
a) daß bereits bei dem gegenwärtigen Selbstkostenstande die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Industrie gegenüber dem Ausland nur durch weitere Senkung der allgemeinen Produktionskosten gewährleistet werden kann,
[928] b) daß ohne Erhöhung der Produktionskapazität bzw. gesteigerte Ausnutzung des Produktionsapparates eine weitere Aufsaugung von Arbeitslosen nicht möglich wäre, so daß die gegenwärtige Arbeitslosigkeit, die unter Einbeziehung der Kurzarbeit auf annähernd 700 000 Vollarbeitslose zu schätzen sein dürfte, ein strukturelles Moment wäre.
2. Der Zusammenhang zwischen der Aufnahme weiterer Auslandsanleihen und der Dauer der gegenwärtigen Konjunktur. Einerlei, wie man auch immer die gegenwärtige Konjunktur beurteilen mag, so ist in jedem Fall sicher, daß eine starke Drosselung der Auslandsanleihen einen Konjunkturumschlag beschleunigen und in seinen Auswirkungen verstärken würde4.
Das Problem ist in der Öffentlichkeit auf Grund der jüngsten Konjunktursymptome bereits sehr ausführlich und eindringlich behandelt worden. Ich verweise insbesondere auf den Aufsatz „Zahlungsstockungen“ in Nr. 32 des Magazin der Wirtschaft vom 11. August sowie „Die deutsche Konjunktur und die Möglichkeit ihrer Fortdauer“ in Nr. 33 der gleichen Zeitschrift vom 18. August 1927, ferner auf den Leitartikel der Berliner Börsenzeitung in Nr. 421 in der Morgenausgabe vom 9. September 19275.
3. Endlich ist zu prüfen, inwieweit der Verzicht der deutschen Wirtschaft auf die Inanspruchnahme der Mittel des Auslandskapitalmarktes diesen Kapitalstrom nach mit Deutschland konkurrierenden, ebenfalls im Wiederaufbau begriffenen Ländern leiten und welchen Einfluß dies auf die Konkurrenzfähigkeit dieser Länder mit Deutschland ausüben werde.
Für die Beurteilung der wirtschaftlichen Gesamtsituation und insbesondere für die Frage der internationalen Kapitalbewegung und der Geld- und Währungspolitik erscheint mir im übrigen eine genaue Kenntnis der zwischen den Notenbankleitern im Juli gepflogenen Verhandlungen eine wesentliche Voraussetzung zu sein. Ich darf daher anregen, bereits jetzt den Herrn Reichsbankpräsidenten zu ersuchen, über die Ergebnisse dieser Aussprache der Reichsregierung schriftlich zu berichten6, damit das Reichsministerium imstande ist, bei der eigenen Prüfung der Frage der Auslandsanleihepolitik wie auch bei der[929] für später in Aussicht zu nehmenden Besprechung mit dem Reichsbankpräsidenten die Ergebnisse der Aussprache der Notenbankleiter zu verwerten.
Abschrift hiervon haben sämtliche Herren Reichsminister erhalten.
Curtius
Fußnoten
- 1
Mit Begleitschreiben vom 29.8.27 hatte der StSRkei dem RWiM, dem RFM und dem RAM das Schreiben des Reichsbank-Direktoriums an den RK vom 15.8.27 (Dok. Nr. 286) übersandt.
- 4
In einem Vermerk MinR Feßlers für den RK vom 15.9.27 heißt es: „Bei einer Besprechung (14. 9.) der wirtschaftlichen Auswirkungen der Neuregelung der Beamtenbezüge berührte Staatssekretär Trendelenburg [RWiMin.] auch die Frage der Auslandskredite. Die Wirtschaft leidet unter Mangel an Eigenkapital. […] Soweit im Inland das erforderliche Kapital nicht gebildet werden kann, ist Auslandskapital nötig. Das starke Drängen des Reichsbankpräsidenten nach Drosselung der Auslandsanleihen ist, wie Staatssekretär Trendelenburg mit Ministerialdirektor Schäffer in wochenlangen Studien festgestellt hat, nicht zweckmäßig. Selbst wenn kurzfristige Kredite in großem Maßstabe gekündigt werden, ist eine Gefährdung der Währung nicht zu befürchten. Es bedarf nur einer Heraufsetzung des Reichsbankdiskonts, um langfristige Auslandsgelder in ausreichendem Maße zu erhalten.“ (R 43 I/2568, Bl. 316).
- 5
Diese drei Zeitungsartikel sind dem oben abgedruckten Schreiben des RWiM beigefügt (R 43 I/656, Bl. 232–237).
- 6
RbkPräs. Schacht hatte an einer Konferenz der Notenbankleiter der USA, Englands, Frankreichs und Deutschlands Anfang Juli 1927 in New York teilgenommen. Ein Schriftbericht Schachts über diese Konferenz war in den Akten der Rkei nicht zu ermitteln. Siehe dazu: ADAP, Serie B, Bd. VI, Dok. Nr. 76; Wandel, Die Bedeutung der Vereinigten Staaten von Amerika für das deutsche Reparationsproblem 1924–1929, S. 105 ff.; Hardach, Weltmarktorientierung und relative Stagnation, S. 81 f., 89.