Text
Nr. 281
Vermerk des Staatssekretärs Pünder über die Unterredung mit den sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Breitscheid und Hertz. 20. April 1931
Auf Wunsch empfing ich heute vormittag die Abgeordneten Breitscheid und Dr. Hertz zu eingehender politischer Aussprache, die sachlich und sehr harmonisch verlief.
Zunächst beschwerten sich beide Herren unter mündlicher Anführung zahlreichen Materials über die Handhabung der Notverordnung durch zahlreiche örtliche Polizeibehörden1. Die gleichen Beschwerden hatten die Herren zurvor auch schon beim Preußischen Ministerpräsidenten und beim Reichsministerium des Innern (Staatssekretär Zweigert) vorgebracht. Sie versprachen mir, die Beschwerden schriftlich zu begründen und Abschrift hierher zu senden, worauf ich eine enge Zusammenarbeit wie bisher zwischen Reichsinnenministerium und Preußischen Innenministerium wegen Abstellen berechtigter Beschwerden in Aussicht stellte. Wir erörterten auch die etwaige Notwendigkeit, die Notverordnung im § 10 wegen der Plakate usw. abzuändern2. Ich zeigte ihnen darauf den anliegenden Erlaß des Preußischen Ministers des Innern vom 17. April, dessen Absatz 2 sich gerade mit diesen Dingen befaßt3. Beiden Herren war dieser Erlaß noch nicht bekannt, und sie zeigten sich über seinen Inhalt[1018] befriedigt. Ich versprach ihnen, mich sofort mit Staatssekretär Abegg in Verbindung zu setzen wegen etwaiger Veröffentlichung dieses Erlasses.
Das Gespräch wandte sich dann der allgemeinen politischen Lage zu. Herr Dr. Breitscheid schien des Glaubens zu sein, daß die Reichsregierung schon in aller Kürze mit einer Notverordnung über Beamtengehaltskürzungen und unbequeme sozialpolitische Reformen herauskommen würde. Er bat dringend, man möchte die maßgeblichen Gruppen des Reichstags in solchen Fragen unter keinen Umständen vor vollendete Tatsachen setzen, da sonst die vorzeitige Einberufung des Reichstags unter gar keinen Umständen zu vermeiden sein werde.
Ich erläuterte ihnen dann den voraussichtlichen Ablauf der Frühjahrsarbeit der Reichsregierung, wobei ich mein anliegendes Rundschreiben an die Kabinettsmitglieder vom 14. d. M. heranzog4. Ich erklärte ausdrücklich, daß der Herr Reichskanzler, wie auch bisher, bestimmt die Absicht haben werde, mit den Herren vor Erlaß neuer Notverordnungen zu sprechen. Persönlich hätte ich übrigens die Auffassung, daß in den allerersten Wochen mit einer Notverordnung nicht zu rechnen sei, auch nicht mit verschiedenen Einzelnotverordnungen. Vielmehr werde der Herr Reichskanzler, der bekanntlich stets die Dinge nicht losgelöst voneinander, sondern in einem großen Rahmen zu sehen trachte, eine einheitliche Lösung anstreben. Nicht zuletzt auch im Hinblick auf den für Anfang Juni in Aussicht stehenden Besuch in Chequers5 ginge meine persönliche Auffassung dahin, daß vor Mitte Juni in der Öffentlichkeit kaum mit entscheidenden Schritten der Reichsregierung zu rechnen sei, da doch auch das Reparationsproblem unbedingt in diesen Gesamtrahmen mit hineingehöre. Da dies aber alles Fragen seien, über die noch mit keinem Wort im Kabinett gesprochen worden sei, könnten die Dinge naturgemäß auch anders laufen. Die Herren könnten aber völlig beruhigt nach der Richtung sein, daß rechtzeitig mit ihnen Fühlung aufgenommen werde6.
Die Herren schienen über diese Ausführungen durchaus befriedigt, worauf sich Herr Dr. Hertz noch dem Einzelproblem einer etwaigen neuen Beamtengehaltskürzung zuwandte, wobei er stark den Gedanken unterstrich, daß beim zweiten Mal an einer Staffelung der Abzüge unter keinen Umständen vorbeigegangen werden könne. Unterlasse man eine Staffelung, so sei dies nicht nur für die Sozialdemokratie schwer erträglich, sondern ein solches Vorgehen würde auch den Nationalsozialisten ohne Grund starken neuen Zuwachs bringen.
Abschließend versprach ich, über alles den Herrn Reichskanzler rechtzeitig und vollständig zu orientieren.
Pünder
Fußnoten
- 1
Abschrift des Schreibens Breitscheids an den RIM vom 20.4.31 mit Beschwerden sozialdemokratischer Parteiorganisationen über die Handhabung der NotVO zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen vom 28.3.31 (RGBl. I, S. 79) in R 43 I/2701a, Bl. 61–65.
- 2
Nach § 10 der VO konnten Flugblätter und Plakate politischen Inhalts polizeilich beschlagnahmt werden. Flugblätter und Plakate mußten 24 Stunden vor ihrer Veröffentlichung der zuständigen Polizeibehörde vorgelegt werden (§ 10 Abs. 2 der NotVO vom 28.3.31, RGBl. I, S. 80).
- 3
In einem Funkspruch an alle Polizeibehörden hatte der PrIM Severing am 17.4.31 hervorgehoben, daß die NotVO sich nicht gegen die Freiheit der politischen Betätigung in anständiger und sachlicher Form richte. Polizeiverwalter, die gegen die klaren und eindeutigen Anordnungen des PrIM verstießen, würden von ihm persönlich zur Rechenschaft gezogen werden (Abschrift in R 43 I/2701a, Bl. 68).
- 4
S. Dok. Nr. 283, Anm. 1.
- 5
Die brit. Einladung zu einem Besuch des RK und RAM in Chequers war am 8.4.31 offiziell bekanntgegeben worden. Der ursprünglich für den 1.5.31 vorgesehene Besuch wurde aus Termingründen auf den 5.6.31 verschoben (Schultheß 1931, S. 103). Vgl. Dok. Nr. 265, Anm. 6.
- 6
S. Dok. Nr. 287.