2.241 (cun1p): Nr. 241 Das Sächsische Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten an den Reichskanzler. Dresden, 7. August 1923

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RTF

Nr. 241
Das Sächsische Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten an den Reichskanzler. Dresden, 7. August 19231

R 43 I /2308 , Bl. 135-137

[Betrifft: Innerdeutsche Spannungen]

Verbalnote.

Die Sächsische Regierung hatte bei der Absendung ihrer Note vom 25. Juli 1923 gehofft, die Erwiderung der Reichsregierung auf diese Note werde einen die Öffentlichkeit beruhigenden und der verfassungsmäßigen Stellung des Freistaats Sachsen entsprechenden Abschluß der Diskussion ermöglichen, welche die Reichsregierung – nicht die Sächsische Regierung – durch ihre der Presse mitgeteilte Erklärung vom 18. Juli 1923 notwendig gemacht hatte2. Die Sächsische[722] Regierung war angesichts der Mitteilung dieser für die sächsische Bevölkerung wie für den sächsischen Staat befremdlichen und verletzenden Verlautbarung durch die Presse gezwungen, ihre Stellungnahme ebenfalls der Presse mitzuteilen und wird sich – sofern die Reichsregierung die bisherige Form der Verlautbarung beibehält – sehr zu ihrem Bedauern gezwungen sehen, ihre Erklärungen auch weiterhin der Öffentlichkeit zu unterbreiten. Die Sächsische Regierung hatte in ihrer Note vom 27. Juli 1923 [!] die Reichsregierung um Aufschluß gebeten, was die Reichsregierung zu ihrer verletzenden Stellungnahme veranlaßt habe und ob der Sinn ihrer Verlautbarung sei, von Sachsen aus drohe die Gefahr eines Bürgerkrieges; für diesen Fall hatte sie um Mitteilung der Tatsachen gebeten, auf welche die Reichsregierung eine solche Annahme stütze. Die sonderbare Formulierung der Verlautbarung der Reichsregierung vom 18. Juli 1923 zwang zu dieser Rückfrage. Die Sächsische Regierung wollte damit der Reichsregierung auch ermöglichen, eine Erklärung abzugeben, welche den berechtigten Empfindungen des sächsischen Volks und der Stellung der Sächsischen Staatsregierung Rechnung trug.

Die Sächsische Regierung bedauert nunmehr feststellen zu müssen, daß die Reichsregierung offenbar den Sinn und den Zweck der sächsischen Rückfrage völlig verkannt hat. Denn sonst wäre die Antwort der Reichsregierung vom 2. August 19233 nicht verständlich. In ihr weist der Herr Reichskanzler darauf hin, die Reichsregierung habe ihre Verlautbarung vom 18. Juli 1923 für notwendig befunden, weil der sächsische Polizeioberst Dr. Schützinger in einer privaten Veröffentlichung und unlängst der Sächsische Ministerpräsident auf die von anderer Seite drohenden Gefahren hingewiesen hat. Zu ihrem großen Befremden muß die Sächsische Regierung also feststellen, daß ein pflichtmäßiger Hinweis des Sächsischen Ministerpräsidenten auf die von anderer Seite drohenden Gefahren vom Herrn Reichskanzler herangezogen wird, um die in der Verlautbarung vom 18. Juli 1923 erwähnte Notwendigkeit besonderer Aufmerksamkeit nicht gegenüber diesen Kreisen, sondern gegenüber den warnenden Freistaaten Thüringen und Sachsen zu rechtfertigen. Die Sächsische Regierung muß diese Argumentation um so mehr bedauern, als dem Herrn Reichskanzler nicht unbekannt sein kann, daß dieser pflichtmäßige Hinweis in jeder Beziehung sachlich begründet ist. Dem Herrn Reichskanzler kann nicht unbekannt sein, daß der Sächsische Ministerpräsident – ebenso wie der Herr Preußische Ministerpräsident und der Herr vorsitzende Thüringische Staatsminister – sich vor einiger Zeit aufgrund beunruhigender Mitteilungen in die unangenehme Lage versetzt sahen, im Interesse einer ruhigen Entwicklung unserer inneren Verhältnisse am 29. Mai 1923 mit dem Herrn Reichskanzler und mehreren anderen Herrn eine Aussprache herbeizuführen. Es kann dem[723] Herrn Reichskanzler nicht entgangen sein, daß der Verlauf dieser Besprechung durchaus nicht zu einer Klärung geführt hat4. Der Sächsische Ministerpräsident hat außerdem bei verschiedenen anderen Aussprachen, zuletzt Anfang Juli dieses Jahres5 immer wieder auf diese Gefahren hingewiesen und darum gebeten, im Interesse der inneren Ruhe in der eindeutigsten Weise einen Trennungsstrich gegenüber den bewaffneten rechtsradikalen Organisationen zu ziehen. Dem Herrn Reichskanzler kann also nicht entgangen sein, daß es die Sächsische wie die Thüringische Regierung nicht an jener pflichtmäßigen und ernsten Aufmerksamkeit haben fehlen lassen, welche die Reichsregierung befremdlicherweise gerade Sachsen und Thüringen gegenüber für besonders notwendig gehalten hat. Die Sächsische Regierung muß darauf hinweisen, daß sie ihrerseits fortgesetzt auf die Reichsregierung in wirtschaftspolitischen, in ernährungspolitischen und sonstigen innerpolitischen Fragen eingewirkt hat, um eine Entspannung in unserer inneren Lage herbeizuführen. Sie muß aber auch betonen, daß sie bei der Reichsregierung in zahlreichen Fällen nicht auf die gleiche Auffassung gestoßen ist und daß die Reichsregierung sich heute zu Maßnahmen gezwungen sieht, die sie vor Wochen noch kategorisch abgelehnt hat. Die Sächsische Regierung glaubt, daß nicht durch Verlautbarungen, sondern durch Maßnahmen die unbedingt notwendige Entspannung herbeigeführt werden kann. Sofern die Reichsregierung aber, von anderer Auffassung ausgehend, die Sächsische Regierung in eine Lage bringt, welche es dieser nicht erlaubt zu schweigen, ist die Sächsische Regierung bereit, nicht nur zahlreiche Dokumente im Wortlaut zu veröffentlichen, sondern auch vor der Öffentlichkeit darzulegen, daß ihrerseits alles getan worden ist, um durchgreifende Maßnahmen der Reichsregierung auf wirtschaftspolitischen, steuerpolitischen, ernährungspolitischen und anderen Gebieten herbeizuführen. Die Sächsische Regierung glaubt eine Diskussion hierüber nicht fürchten zu müssen, und sie wird gegebenenfalls trotz der schweren Bedenken, welche einer solchen Auseinandersetzung im gegenwärtigen Augenblick entgegenstehen, einer Diskussion nicht ausweichen6.

Nachdem aber der Versuch, der Reichsregierung die Abgabe einer Erklärung zu ermöglichen, welche den Empfindungen des sächsischen Volkes und der Stellung des sächsischen Staates mehr entsprach als die Verlautbarung vom 18. Juli 1923, durch die Erklärung des Herrn Reichskanzlers vom 2. August 1923 zum Scheitern gebracht worden ist, legt die Sächsische Regierung auf das entschiedenste dagegen Verwahrung ein, daß die Reichsregierung in offiziellen Verlautbarungen den Freistaat Sachsen ohne jeden Anlaß in der verletzendsten[724] Weise als Ausgangspunkt von Bestrebungen kennzeichnet, die sich gegen den Bestand und den inneren Frieden des Reiches richten7.

Dresden, den 7. August 1923

[Siegel des Sächsischen Ministeriums der auswärt. Angelegenheiten]8

Fußnoten

1

Lt. Notiz Wevers wurde die Note „StS Hamm am 10. oder 11. 8. von H. Minister Gradnauer überreicht.“ Praesentatum vom 14. 8. Die Presse veröffentlichte das Schreiben am 8. 8.

2

Zur Erklärung der RReg. vom 18. 7. und zur sächs. Note vom 25. 7. s. Anm. 2 zu Dok. Nr. 236.

3

Abgedruckt als Dok. Nr. 236.

4

Am 29. 5., 11.30 h war es in der Rkei zu einer Besprechung über rechtswidrige Organisationen gekommen, zu der lt. Notiz vom 25. 5. der PrMinPräs., der PrIM, der Sächs. MinPräs., der Thüring. MinPräs., der RIM und der RWeM eingeladen wurden. Nach einer Mitteilung der Sächs. Gesandtschaft vom 25. 5. nahm auch der Sächs. IM Liebmann an der Besprechung teil (R 43 I /2730 , Bl. 150-152). Über den Verlauf dieser Besprechung fanden sich keine Angaben in den Akten der Rkei (s. Anm. 1 zu Dok. Nr. 172).

5

S. Dok. Nr. 215.

6

In einem Vermerk Offermanns vom 16. 8. heißt es dazu: „Seite 2 r enthält die Ankündigung der Sächsischen Regierung, unter gewissen Voraussetzungen die Öffentlichkeit mit Material versehen zu wollen. Angesichts des inzwischen eingetretenen Regierungswechsels und der gestrigen Besprechungen dürfte diese Eventualität wohl ausgeschlossen sein. Im übrigen scheint mir die Angelegenheit, soweit es sich um den Schriftwechsel handelt, abgeschlossen zu sein. Eine Erwiderung erscheint nicht erforderlich.“ (R 43 I /2308 , Bl. 188). Zur weiteren Entwicklung des Verhältnisses zwischen RReg. und Sachsen s. den Band „Das Kabinett Stresemann“ dieser Edition.

7

Über eine mögliche Gegenaktion der bürgerlichen Parteien in Sachsen vermerkt Wever am 9. 8.: „Herr Dr. Stresemann rief soeben an und teilte mit, daß die DVP in Dresden mit der DNVP und der DDP in Dresden in Verhandlung getreten sei, um ein gemeinschaftliches Schreiben an den Herrn RK zu richten, in dem seitens der bürgerlichen Parteien Sachsens gegen die letzte Note Dr. Zeigners Protest eingelegt und ihm das Recht abgesprochen werden sollte, für das sächsische Volk in seiner Gesamtheit zu sprechen. Die DVP in Dresden hat nun Herrn Stresemann gebeten, beim Herrn RK festzustellen, ob eine derartige Kundgebung im jetzigen Augenblick der RReg. zweckmäßig erschiene. […] Herr Minister Oeser, mit dem ich über die Angelegenheit gesprochen habe, glaubt, daß zweckmäßigerweise eine solche Kundgebung z. Zt. unterbliebe, weil sie den Erfolg haben könnte, in den Auseinandersetzungsprozeß zwischen Kommunisten und Dr. Zeigner in Sachsen störend einzugreifen und womöglich die beiden wieder zusammenzuschweißen. Ich teile diese Auffassung und möchte der Kundgebung jetzt widerraten.“ Hamm stimmt dem zu. Stresemann telegrafiert daraufhin am 9. 8. um 12.30 h an die DVP in Dresden: „Nach meinen Eindrücken Kundgebung jetzt unerwünscht.“ (R 43 I /2308 , Bl. 166). Unter dem 10. 8. ergeht ein Schreiben des Landesverbands Sachsen der DNVP an den RK, in dem es zum Schriftwechsel zwischen RReg. und sächs. Reg. u. a. heißt: „Zuerst die Versicherung, daß der staatsbürgerliche Teil des sächsischen Volkes einmütig den Standpunkt des Reiches teilt und Ihnen für das Eingreifen dankt. Dann zur letzten Note Dr. Zeigners die Erklärung, daß derselbe Teil des sächsischen Volkes mit gleicher Einmütigkeit Dr. Zeigner das Recht abspricht, sich über angeblich verletzte Empfindungen des sächsischen Volkes zu entrüsten. Wohl wird Sachsen verletzt in seiner Ehre, seinem politischen Ansehen, seinem wirtschaftlichen Gedeihen, seiner gesamten rechtlichen und kulturellen Empfindungswelt, aber nicht durch den RK, sondern durch den sächsischen MinPräs. selbst und seine Politik kommunistischer Hörigkeit.“ (R 43 I /2308 , Bl. 169).

Das Verhältnis zwischen RReg. und Sachsen erfährt eine weitere Verschärfung durch die Rede Zeigners vor einer Leipziger SPD-Versammlung am 7. 8. (Ausführlicher Bericht in der ‚Leipziger Volkszeitung‘ vom 8. 8., im Ausschnitt in R 43 I /2308 , Bl. 193 f.). In dieser Rede stellt Zeigner erneut die republikanische Zuverlässigkeit der Reichswehr in Frage, kritisiert das undurchsichtige Verhalten der RReg. gegenüber den Geheimorganisationen von rechts und fordert die SPD auf, in der klarsten und schärfsten Weise von der Regierung Cuno abzurücken. Aufgrund dieser Rede untersagt der RWeM den sächs. Reichswehrstellen die Teilnahme an der Verfassungsfeier der sächs. Reg. sowie überhaupt jeden Verkehr mit ihr. Am 13. 8. übersendet v. Schleicher der Rkei den Vorgang, und am 22. 8. legt der RWeM dem RK eine ausführliche Darstellung der Beziehungen zwischen der Reichswehr und der sächs. Reg. unter Zeigner vor (R 43 I /2308 , Bl. 190-192; 216-222).

8

Die Note ist lediglich gesiegelt, nicht unterschrieben. In den Presseveröffentlichungen wird dagegen meist Dr. Zeigner als Unterzeichner genannt.

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