2.186 (feh1p): Nr. 186 Richtlinien für den Fall der Besetzung weiteren deutschen Gebiets. [1. März 1921]

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[500] Nr. 186
Richtlinien für den Fall der Besetzung weiteren deutschen Gebiets. [1. März 1921]1

R 43 I /181 , Bl. 8 Umdruck

1. Sämtliche Beamten müssen auf ihren Posten ausharren. Die Bevölkerung hat Anspruch auf den Schutz durch die Beamten.

Die Beamten haben auch weiterhin lediglich den Weisungen ihrer vorgesetzten Dienstbehörde zu folgen. Falls in dem besetzten Gebiet auf ungesetzliche Weise eine Regierung entstehen sollte, so haben die Beamten ihren Anordnungen keinerlei Folge zu leisten, vielmehr weitere Weisungen durch ihre vorgesetzte Stelle abzuwarten. Die Beamten sind hierüber in geeigneter vertraulicher Weise zu unterrichten.

Die Reichsregierung wird eine Erklärung abgeben zur Beruhigung der Beamten für die Fälle, daß diese durch Verlust ihrer Stellung oder sonstige Maßnahmen der Besatzungsbehörden Schaden erleiden2.

2. Eine Kundgebung des Herrn Reichspräsidenten und der Reichsregierung zur Aufklärung und Beruhigung der Bevölkerung in dem neubesetzten Gebiet soll alsbald gedruckt und ihre rechtzeitige Plakatierung und Veröffentlichung in den Zeitungen vorbereitet werden3. Die Plakatierung der Kundgebung soll durch die Landesregierungen in die Wege geleitet werden, die den Bedarf an Abdrucken beim Reichsministerium des Innern anmelden werden.

[501] 3. Die Zurückziehung der Reichswehr und Marine sowie ihrer gesamten Bestände an Waffen, Munition und Ausrüstung ist in Erwägung zu ziehen.

4. Für die Zurückziehung der kasernierten Ordnungspolizei sind alle Vorbereitungen zu treffen4. Um den Gegnern nicht einen Anhaltspunkt für die von ihnen behauptete Gleichartigkeit mit der Reichswehr zu geben, ist ein Abtransport der Mannschaften nur geboten, wenn das Vorgehen der Entente mit den Entwaffnungsfragen begründet wird und die ernste Gefahr einer Internierung der Polizeimannschaften besteht. Sofortige Benachrichtigung auf sicherem Wege über die Behandlung der Polizeimannschaften in dem ersten besetzten Ort an alle beteiligten Stellen ist vorzubereiten. Die Wegschaffung größerer Bestände an Munition, Waffen und Ausrüstung empfiehlt sich, wobei Vorsorge getroffen werden muß, daß dieses Material hinreichend geschützt wird. Ein etwaiger Abtransport der Mannschaften sollte in die von möglichen inneren Unruhen bedrohten Gebiete erfolgen.

5. Die Akten der Behörden in dem jetzt besetzten und im gefährdeten Gebiet sind einer sorgfältigen Prüfung zu unterziehen. Alle Akten, deren Einsicht durch die Gegner unerwünscht ist, müssen entfernt werden.

6. Die Bestände der öffentlichen Kassen sind nur abzuführen, soweit sie den nötigen Bedarf übersteigen5.

7. Die Verbindung des besetzten mit dem unbesetzten Gebiet, besonders mit den Zentralbehörden, durch Kuriere ist durch die Landesregierungen sicherzustellen.

8. Die Lebensmittel- und Kohlenversorgung soll in bisheriger Weise nach Möglichkeit fortgesetzt werden.

9. Vor Streiks, Sabotage und Gewalttätigkeiten ist allgemein zu warnen.

10. Eine weitere Besprechung der Finanzfragen wird durch das Reichsfinanzministerium anberaumt werden6.

Fußnoten

1

Entsprechend dem Kabinettsbeschluß vom 21.2.1921 (s. Dok. Nr. 179, P. 8) hatte das RIMin. am 24. 2. und am 1. 3. zwei Besprechungen einberufen, auf denen über mögliche Maßnahmen bei einer Besetzung weiteren dt. Gebietes durch die Alliierten beraten wurde. An diesen Besprechungen hatten Vertreter sämtlicher Reichsministerien und Vertreter der betroffenen Länder Preußen, Hessen, Baden und Bayern teilgenommen. Die Richtlinien waren das Ergebnis dieser Besprechungen (Protokolle dieser Besprechungen, R 43 I /180 , Bl. 277–278 und 181, Bl. 6–7). In seiner Sitzung vom 1. 3. stimmte dann auch das Kabinett diesen Richtlinien zu (R 43 I /181 , Bl. 6; ein Protokoll dieser Kabinettssitzung wurde nicht angefertigt, R 43 I /1346 , Bl. 27).

2

Siehe dazu weiter Dok. Nr. 213, P. 7a und Dok. Nr. 236, P. 4.

3

Einen vorläufigen Entw. für einen Aufruf an die Bevölkerung hatte der RIM bereits am 25. 2. dem RK übersandt (R 43 I /180 , Bl. 275). Dieser Aufruf wurde am 7. 3. mit geringfügigen Veränderungen veröffentlicht. Der Aufruf lautete: „Mitbürger!

Unsere Gegner im Weltkrieg haben unerhörte und unerfüllbare Forderungen an Geld und Gut an uns gestellt. Wir selbst nicht nur, auch unsere Kinder und Enkel sollen Arbeitssklaven der Gegner werden. Durch unsere Unterschrift sollten wir einen Vertrag besiegeln, den auszuführen auch die Arbeit von Generationen nicht genügt hätte. Das durften, das konnten wir nicht tun. Unsere Ehre, unsere Selbstachtung verbot es. Unter offenem Bruch des Friedensvertrags von Versailles sind die Gegner zur Besetzung weiteren deutschen Landes geschritten. Der Gewalt können wir Gewalt nicht entgegensetzen. Wir sind wehrlos. Aber hinausrufen können wir es, daß alle es hören, die noch die Stimme der Gerechtigkeit erkennen: Recht wird hier zertreten durch Gewalt. Mit den Bürgern, die Fremdherrschaft erdulden müssen, leidet das ganze deutsche Volk. Ehern zusammenschmieden soll uns dieses Leid zu einigem Fühlen, einigem Wollen. Mitbürger, tretet der fremden Gewaltherrschaft mit ernster Würde entgegen. Bewahrt Euren aufrechten Sinn, aber laßt Euch nicht zu unbesonnenen Taten hinreißen. Harrt aus! Habt Vertrauen, die Reichsregierung wird nicht eher ruhen, bis fremde Gewalt vor unserem Recht weichen muß.“ Unterzeichnet war der Aufruf vom RPräs. und vom RK (R 43 I /1487 , Bl. 45; s. auch Vorwärts Nr. 112 v. 8.3.1921).

4

In den Pariser Beschlüssen vom 29.1.1921 hatten die Alliierten noch einmal festgelegt, daß die Polizei weder eine zentrale Organisation haben dürfe noch stärker bewaffnet sein dürfe, als dies die IMKK zugestanden habe (RT-Drucks. Nr. 1640, Bd. 366, S. 12 –14).

5

Ergänzend dazu erging am 2. 3. ein Erlaß des RFM an alle Landesfinanzämter, in dem die Behandlung der Kassenbestände der Reichsfinanzverwaltung für den Fall einer Besetzung weiteren dt. Gebiets genau geregelt war (R 43 I /181 , Bl. 11–12).

6

Diese Besprechung fand am 5. 3. im RFMin. statt. Es wurde beschlossen, daß das RFMin. Richtlinien über Fürsorgemaßnahmen für die Beamten in den von der Besetzung bedrohten Gebieten ausarbeiten sollte, deren Bekanntgabe aber erst im Falle der Besetzung erfolgen sollte (R 43 I /181 , Bl. 55–56).

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