2.208 (feh1p): Nr. 208 Aufruf des Oberpräsidenten Hörsing vom 16. März 1921 zum Einsatz der Schutzpolizei im sächsischen Industrierevier.

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 4). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

   Das Kabinett Fehrenbach  Konstantin Fehrenbach Bild 183-R18733Paul Tirard und General Guillaumat Bild 102-01626AOppeln 1921 Bild 146-1985-010-10Bild 119-2303-0019

Extras:

 

Text

RTF

Nr. 208
Aufruf des Oberpräsidenten Hörsing vom 16. März 1921 zum Einsatz der Schutzpolizei im sächsischen Industrierevier.

R 43 I /2712 , Bl. 236 Umdruck

Aufruf1

„Wilde Streiks, Raub und Plünderungen werden von Banden- und Einzeldiebstählen, Terror und Sachbeschädigungen, Erpressungen und Körperverletzungen[585] in der letzten Zeit abgelöst. Der Landwirtschaft des Industriereviers werden durch Banden- und Einzeldiebstähle ungeheure Schäden zugefügt. In der Industrie finden ungeheure Diebstähle an Holz, Kohlen, wertvollen Materialien, Silber, Kupfer, Erzen, die in die Millionen gehen, Tag für Tag statt. Die Pförtner und sonstigen Beamten, die diese Diebstähle unterbinden wollen, werden auf das schwerste mißhandelt. Kleine Anlässe werden benutzt, um gegen den Willen der Gewerkschaften mehrere Tage mit vielen Tausenden Arbeitern die Arbeit einzustellen. Demonstrationen ohne Ziel und Zweck werden veranstaltet, und schließlich erpressen bewaffnete Banden unter Führung einzelner verantwortungsloser Menschen vom Unternehmer die Zusage der Lohnzahlung für die Zeit der Nichtarbeit. Gesetzwidrig werden in den Werkstätten Versammlungen während der Arbeitszeit abgehalten, sofort gestreikt und der größte Terror ausgeübt, wenn der Unternehmer für die Versammlungszeit den Lohn nicht bezahlen will. Bei jedem wilden Streik werden die einsichtigen und vernünftigen Arbeiter mit Knüppeln und Waffen terrorisiert und von der Arbeit ferngehalten. Diese und zahlreiche andere an Wahnsinn grenzende Taten werden dadurch gekrönt, daß man die gesetzlichen Betriebsräte beschimpft, absetzt und durch sogenannte Aktionsausschüsse ersetzt. In allen Orten des Industriereviers haben nicht nur rechtsstehende Leute, sondern ganz linksstehende Arbeiter erklärt, dieses Treiben sei ein Werk der Kommunistischen Partei. Ich habe diese Auffassung stets bestritten. Es ist nicht die Kommunistische Partei als solche, sondern es sind internationale Verbrecher, vielleicht sogar Spitzel und Provokateure, die sich als Kommunisten hinstellen, Elemente, die selbst rauben oder stehlen und ohne Arbeit im Versteck leben2. Im Interesse des größten Teils der Arbeiter selbst, aber auch im Interesse der Landwirtschaft, Industrie, des Handels und des Gewerbes muß den jetzigen Zuständen ein Ende gemacht werden. Daher habe ich befohlen, daß in den nächsten Tagen starke Polizeiaufgebote nach vielen Orten des Industriereviers gelegt werden, die die obigen Aufgaben zu erfüllen haben3. Die Polizei wird sich weder in politische noch in gewerkschaftliche Dinge mischen; sie wird der Bevölkerung gegenüber mit größter Nachsicht auftreten, aber sie wird mit derselben Schärfe und Festigkeit wie gegen die Verbrecher selbst auch denen gegenübertreten, die sie in Ausübung ihrer Pflicht hindern oder ihr offen entgegentreten oder durch Aufhetzung der Bevölkerung, sei es in Wort oder Schrift, ihr die Aufgabe unmöglich machen4.“

Fußnoten

1

Im Frühjahr 1921 war es im Industriegebiet der pr. Provinz Sachsen, vor allem im Merseburger und Mansfelder Bezirk, zu Unruhen unter der Arbeiterschaft gekommen. Nach einer Serie von Übergriffen und Gesetzwidrigkeiten stellte der OPräs. der Provinz Sachsen, Hörsing, im Februar 1921 an den PrIM Severing die Bitte, Schutzpolizei in die Industriegebiete des Regierungsbezirks Merseburg zu entsenden. Nach längerer Beratung gestattete der PrIM die Polizeiaktion. Am 16.3.21 gab der OPräs. der Bevölkerung der Provinz die Besetzung mit dem obenstehenden Aufruf bekannt.

Zur Lage in der pr. Provinz Sachsen vor den Unruhen und zum Ausbruch der Unruhen wurden verschiedene amtliche Denkschriften veröffentlicht. Dies waren: 1. „Die Märzunruhen und die Preußische Schutzpolizei“, amtliche Denkschrift des PrIMin., R 43 I /2712 , Bl. 173 f.; zitiert als: Denkschrift des PrIMin. 2. Denkschrift über die Märzunruhen im Jahre 1921, hrsg. vom RKom. für Überwachung der öffentlichen Ordnung, R 43 I /2712 , Bl. 202 f.; zitiert als: Denkschrift des RKom. 3. Niederschriften über die vom Untersuchungsausschuß zur Nachprüfung der Ursachen, des Umfangs und der Wirkungen des kommunistischen Aufstandes in Mitteldeutschland im März 1921 in mündlicher Verhandlung erhobenen Beweise, Sten.Ber. des Pr. Landtages, Wahlperiode 1921/1924, Drucks Nr. 4140, zitiert als: Niederschriften. Vgl. ferner K. Severing, Mein Lebensweg, Bd. 1, S. 321–324 und Schultheß 1921, I. S. 105–107. Der Aufruf des OPräs. ist auch abgedruckt in Ursachen und Folgen, Bd. IV, S. 161.

2

Vor dem Untersuchungsausschuß des Pr. Landtages über den Märzaufstand 1921 erklärte der sächs. OPräs. später, daß er zunächst angenommen habe, daß diese Aufstände rein lokaler Natur seien. Erst später, als der Kampf um das Leunawerk begonnen habe, sei ihm klar geworden, daß die kommunistischen Parteien, wenn nicht ihre Zentrale in Berlin, so doch die Bezirksleitung in Halle dahinterständen (Niederschriften, S. 121).

3

Für die Schutzpolizei waren zu Beginn folgende Aufgaben vorgesehen: Sie sollte die Landwirtschaft gegen die zahlreichen Felddiebstähle schützen, sie sollte in den großen Industriewerken die Massendiebstähle wertvoller Rohmaterialien verhindern und sie sollte Nachforschungen nach verborgenen Waffen anstellen (Denkschrift des PrIMin., S. 8, R 43 I /2712 , Bl. 177).

4

Siehe dazu weiter Dok. Nr. 219.

Extras (Fußzeile):