2.232 (feh1p): Nr. 232 Die Vorstände des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes und des Allgemeinen freien Angestelltenbundes an den Reichskanzler. 13. April 1921

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[639] Nr. 232
Die Vorstände des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes und des Allgemeinen freien Angestelltenbundes an den Reichskanzler. 13. April 1921

R 43 I /2707 , Bl. 71 Abschrift1

Betr.: Aufhebung der Sondergerichte.

Die Reichsregierung hat am 29. März d. J. aus Anlaß der kommunistischen Unruhen in Mitteldeutschland und anderen Reichsbezirken eine Verordnung erlassen über die Bildung außerordentlicher Gerichte für bestimmte schwere Vergehen2. Diese Gerichte entscheiden ohne gerichtliche Voruntersuchung binnen 24stündiger Frist nach Zustellung der Ladung. Gegen ihre Entscheidung ist keine Berufung zugelassen. Eine etwaige Todesstrafe ist zu vollstrecken, wenn der Reichspräsident sich entschlossen hat, von seinem Begnadigungsrecht keinen Gebrauch zu machen. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens durch die ordentlichen Gerichte findet statt, wenn zu Gunsten des Verurteilten Tatsachen oder Beweismittel vorgebracht werden, die es notwendig erscheinen lassen, die Sache im ordentlichen Verfahren zu prüfen.

[640] Die Einsetzung von Sondergerichten ist mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit einer beschleunigten Erledigung der massenhaften Verbrechen und Vergehen aus Anlaß der Märzunruhen begründet worden. Gegen eine solche Beschleunigung wäre an sich nichts einzuwenden, insbesondere auch nicht im Interesse der Verhafteten, denen dadurch vielleicht eine monatelange Untersuchungshaft erspart werden könnte. Aber hier soll die Beschleunigung des Verfahrens durch eine summarische Aburteilung erreicht werden, bei der wesentliche Rechtsgarantien außer Kraft gesetzt werden.

Wenn wir auch nach aller bisherigen Erfahrung nicht überzeugt sind, daß im ordentlichen Gerichtsverfahren die Beurteilung der Verbrechen einen milderen Richter finden würde, so läßt doch die Einengung in der Geltendmachung der Entlastungsbeweise und die kurze Vorbereitung für die Verteidigung ein Gefühl der Rechtsunsicherheit aufkommen, für das in einem republikanischen Staat kein Anlaß gegeben werden darf.

Gewiß soll das an den Märzunruhen hervorragend beteiligte Verbrechertum die volle Schwere des Gesetzes treffen, nicht bloß die gemeinen Mörder, Räuber und Brandstifter, sondern auch die politisch posierenden Verbrecher, die ihr Treiben mit dem Namen des revolutionären Klassenkampfes schmücken. Aber unter den Verhafteten befinden sich auch Arbeiter, die ideell mit diesen Verbrechern nichts gemein hatten und deren Anteilnahme an den Unruhen teils eine zufällige, teils eine erzwungene war. Hier sind Fehlurteile möglich, die sowohl im Interesse der Angeklagten wie auch aus allgemeinen Gründen vermieden werden müssen.

Die unterzeichneten Vorstände des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes und des Allgemeinen freien Angestelltenbundes erheben deshalb im Namen der von ihnen vertretenen Mitglieder Einspruch gegen die Verordnung vom 29. März 1921 und fordern deren baldigste Wiederaufhebung3.

Der Vorstand

des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes

gez. Th. Leipart

Der Vorstand

des Allgemeinen freien Angestelltenbundes

gez. Bruno Süß

Fußnoten

1

Das Original des Schreibens des ADGB und des AfA übersandte die Rkei zuständigkeitshalber dem RJM. Der RIM und das Büro des RPräs. erhielten Abschriften (R 43 I /2707 , Bl. 71).

2

„Verordnung des Reichspräsidenten über die Bildung außerordentlicher Gerichte. Vom 29. März 1921“. RGBl. 1921, S. 371  f.

Siehe dazu auch Dok. Nr. 222, Anm. 4 und 7.

3

Am 20.4.1921 richtete der RIM ein Schreiben an den RJM, Abschrift an den StSRkei, in dem er auf die Eingabe des ADGB und des AfA einging und die Aufhebung der außerordentlichen Gerichte ablehnte. Abschließend hieß es in dem Schreiben des RIM: „Ich vermag den Ausführungen der Eingabe nicht zuzustimmen, halte es vielmehr im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung für unbedingt geboten, daß die Ausnahmegerichte aufrecht erhalten werden.“ (R 43 I /2707 , Bl. 72). Weitere Einzelheiten waren in R 43 I nicht zu ermitteln.

Die VO über die Bildung außerordentlicher Gerichte wurde im weiteren Verlauf nicht aufgehoben. Lediglich einzelne Bestimmungen der VO wurden durch die ÄnderungsVO des RPräs. v. 14.5.1921 gemildert (RGBl. 1921, S. 689 ).

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