2.26.1 (lut1p): [Zolltarifnovelle]

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Die Kabinette Luther I und II (1925/26), Band 1.Das Kabinett Luther I Bild 102-02064Reichspräsident Friedrich Ebert verstorben Bild 102-01129Hindenburgkopf Bild 146-1986-107-32AStresemann, Chamberlain, Briand Bild 183-R03618

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Text

RTF

[Zolltarifnovelle]

I. Der Reichskanzler gab bekannt, daß er es für notwendig halte, über folgende Fragen sich mit dem Reichsministerium zu unterhalten:

1.

den spanischen Handelsvertrag,

2.

den Abschluß von Handelsverträgen überhaupt, insbesondere in organisatorischer Beziehung,

3.

die gesamte politische Lage, insbesondere, ob die Gesetzentwürfe, Umgestaltung des Steuerwesens, Finanzausgleich und Handelsverträge als Einheit im Reichstage behandelt werden sollen.

Anlaß zu den Erörterungen bietet der von dem Reichsminister der Finanzen vorgelegte Entwurf eines Gesetzes über Zolländerungen nebst Anlage1.

[101] Der Reichswirtschaftsminister begründete die in der Anlage enthaltenen Änderungen des gegenwärtigen Zolltarifs, die zum Teil nicht unbeträchtliche Erhöhungen gegenüber dem gegenwärtig geltenden Tarif enthalten, aber der Tendenz nach jede hochschutzzöllnerische Tendenz vermeiden sollen. Insbesondere bedarf seiner Angabe nach die Automobilindustrie neben der Textil- und Seidenindustrie sowie der Wollspinnerei eines wirksamen Zollschutzes, da sonst die inländischen Fabrikate gegenüber der ausländischen Einfuhr nicht konkurrenzfähig seien. Das gelte vornehmlich hinsichtlich des Automobilzolls von 300 Mark je Doppelzentner, der aber nicht als Kampfsatz angesehen werden dürfe.

Im Anschluß an den sehr eingehenden Vortrag beschäftigte sich das Kabinett sodann mit der Frage, ob der vorgelegte Tarif in einzelnen Punkten abgeändert werden und ferner, ob in der Novelle, dem Vorschlage des Reichsministers der Finanzen entsprechend, die Frage der Agrarzölle mitbehandelt werden solle.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft begründet eingehend die Notwendigkeit, die Landwirtschaft durch Zollmaßnahmen zu schützen und spricht sich für die Verbindung im Sinne der Vorlage aus2. Desgleichen der Reichsminister der Finanzen. Eine Erörterung entspinnt sich nur darüber, ob es taktisch richtig ist, wie in dem Entwurf vorgesehen, in den §§ 4 und 5 die Zustimmung des Reichsrats einzuschalten, woraus sich als notwendige Folge nach Ansicht sämtlicher Redner die Einschaltung auch des Reichstages oder wenigstens eines Ausschusses ergeben würde.

In der sehr eingehenden Aussprache bezeichnete es der Herr Reichskanzler als lohnend, den Kampf um das Freibleiben von der Zustimmung irgendwelcher Ausschüsse zu wagen.

Im gleichen Sinne spricht sich der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft aus, während der Abgeordnete Becker-Arnsberg einen derartigen[102] Versuch als aussichtslos bezeichnet und anregt, zuvor mit den Fraktionen Fühlung zu nehmen, insbesondere auch mit dem Ziele einer Vorbereitung der Öffentlichkeit.

Auf Anregung des Reichskanzlers wird beschlossen, die Einbeziehung des Reichsratsausschusses in die Vorlage nicht mit aufzunehmen, in der Zwischenzeit aber mit den Fraktionen in Verbindung zu treten und alsdann die endgültige Kabinettsvorlage von dem Ergebnis dieser Besprechungen abhängig zu machen. Der vorgelegte Tarifentwurf soll innerhalb der Ressorts noch einmal durchgesehen werden und eine Minderung aller derjenigen Sätze bringen, die als hochschutzzöllnerisch angesehen werden könnten3. Die Vorlage soll alsdann mit möglichster Beschleunigung dem Kabinett zur Beschlußfassung vorgelegt werden4.

Als einhellige Meinung des Kabinetts wird festgestellt, daß die Vorlage ohne Verquickung mit den landwirtschaftlichen Zöllen kein einheitliches Wirtschaftsprogramm darstellen würde.

Fußnoten

1

Der am 18. 2. vorgelegte Entw. (R 43 I /2417 , Bl. 132-176) verfolgt den Zweck, die geltenden Tarife des Zollgesetzes vom 25.12.1902 (RGBl., S. 303 ) der veränderten Wirtschaftslage anzupassen. Er hebt die am 4.8.14 verfügte Zollfreiheit (RGBl., S. 352 ) u. a. für Weizen, Hafer, Kartoffeln, Fleisch, Schweine und Rinder auf und ermächtigt die RReg., im Falle eines dringenden wirtschaftlichen Bedürfnisses die Zollsätze zahlreicher Warenarten (u. a. Getreide, Sämereien, Gemüse, Obst, Vieh, Fleisch) bis auf die am 31.7.14 gültig gewesenen Zölle herabzusetzen oder ganz aufzuheben. Aufgehoben werden (§ 4) ferner die Bestimmungen des Zollgesetzes von 1902 über die Erteilung von Einfuhrscheinen bei Ausfuhr von Getreide, Mühlenerzeugnissen, Raps und Rüben. Diese Bestimmungen können von der RReg. jedoch mit Zustimmung des RR erneut in Kraft gesetzt werden. Bestimmung des § 5: Die Zölle der Nummern 1–4 des Zollgesetzes von 1902 (Roggen, Weizen, Gerste, Hafer) dürfen nicht vor dem 1.10.25 und nur mit Zustimmung des RR in Kraft treten.

Dem Entw. ist in der Anlage eine Zusammenstellung (56 Seiten) über neue Zollsätze für industrielle und landwirtschaftliche Warengattungen beigefügt. MinR Wachsmann vermerkt hierzu unter dem 21. 2.: „Die Zolländerungen sind im Wirtschaftsrat gebilligt worden und auch bei den schwebenden Handelsvertragsverhandlungen bereits benutzt worden.“ (R 43 I /2417 , Bl. 177 f.).

2

Im RFMin. war zunächst erwogen worden, einen Zollgesetzentwurf ohne Einbeziehung der Agrarzölle vorzulegen. Dagegen wandte sich Graf v. Kanitz mit Schreiben an den RFM vom 30. 1., worin es heißt: „Der Zolltarif von 1902 bildet ein einheitliches System, dessen einzelne Teile und Positionen gegeneinander in wohldurchdachte Beziehung gebracht und gegenseitig abgemessen sind. […] Solche Beziehungen bestehen in besonderem Maße zwischen den Getreidezöllen und den Eisenzöllen, ganz allgemein auch zwischen den Agrarzöllen und den Zöllen, die auf denjenigen industriellen Waren, die als Betriebsmittel für die Landwirtschaft in Betracht kommen, liegen. Bei Ausbruch des Krieges sind alle wichtigen Zölle außer Kraft gesetzt. Nach Beendigung des Krieges sind dann die Industriezölle wieder in Kraft gesetzt, zum Teil erhöht. Das sich hieraus zwischen Landwirtschaft und Industrie ergebende Mißverhältnis war als vorübergehende Maßnahme wohl zu ertragen, auf die Dauer ist es untragbar.“ Der REM schlägt abschließend vor, die Angelegenheit durch eine „persönliche Besprechung“ unter Hinzuziehung des RWiM zu klären (R 43 I /2417 , Bl. 119-122). Über diese Besprechung in den Akten nichts ermittelt.

3

S. dazu Dok. Nr. 37, P. 1, dort auch Anm. 1.

4

Zur Vorlage des endgültigen Entwurfs und zur Annahme im Kabinett s. Dok. Nr. 79, P. 2.

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