2.14.1 (ma11p): 1. Zuckerversorgung des besetzten Gebietes.

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1. Zuckerversorgung des besetzten Gebietes1.

Staatssekretär Müller führte aus, daß die Besatzungsbehörden dazu übergegangen seien, den im besetzten Gebiet vorhandenen Zucker bei den Fabriken zu beschlagnahmen. Durch diese Maßregel sei zu befürchten, daß die Zuckerversorgung des besetzten Gebiets in Frage gestellt sei, zumal aus dem unbesetzten Gebiet keine Ware nach dem besetzten Gebiet geleitet werde. Die Beschlagnahme sei von Frankreich erfolgt mit der Begründung, daß Deutschland die Lieferung an Reparationszucker für das Jahr 1923 nicht voll erfüllt habe. Die Fabriken des besetzten Gebiets beabsichtigen nunmehr, in den nächsten Tagen mit der Rheinlandkommission in Koblenz in Verbindung zu treten, um eine Aufhebung der Beschlagnahme und die Vermeidung weiterer Beschlagnahmen zu erreichen. Er sei der Auffassung, daß Deutschland nicht verpflichtet sei, zu Reparationszwecken Zucker zu liefern. In dieser Frage sei bisher eine Entscheidung der Reparationskommission nicht ergangen, da offenbar eine Einigung in der Kommission selbst nicht erzielt werden konnte. Das Ernährungsministerium hätte den Vorschlag gemacht, den Abschluß eines Abkommens der Zuckerindustrie mit den Franzosen dadurch zu erleichtern, daß das Reich für das besetzte Gebiet auf die Zuckersteuer verzichte2. Das Reichsfinanzministerium habe sich hierzu ablehnend verhalten. Das Kabinett müsse daher die Entscheidung treffen.

Der Reichsminister der Finanzen betonte, daß die Reichsregierung zwar für Kohle Entgegenkommen gezeigt habe3; dies sei deshalb geschehen, weil die[71] Wiederingangsetzung der Kohlenförderung für die Wirtschaft des besetzten Gebiets unbedingt erforderlich sei, und weil man im Kabinett der Auffassung gewesen sei, daß ohne ein solches Entgegenkommen eine Verhandlungsmöglichkeit mit Frankreich nicht gegeben sei. Dieses Entgegenkommen müsse aber auf die Kohle beschränkt bleiben. Sobald man darüber hinaus gehe und irgendeiner anderen Industrie Steuernachlaß gewähre, käme man zu unhaltbaren Zuständen, denn jede Industrie könne dann mit demselben Recht Ermäßigung oder vollen Nachlaß der Lasten verlangen. Er müsse sich daher nach wie vor ablehnend zu dem Antrage des Ernährungsministers verhalten.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft begründete nochmals seinen Antrag unter Hinweis darauf, daß die Zuckerraffinerien tatsächlich vor dem Konkurs ständen. Die Entscheidung des Reichsministers der Finanzen vernichte einen blühenden Wirtschaftszweig des besetzten Gebiets und treibe eine große Zahl von Arbeitern auf die Straße. Diese Arbeiter würden der Erwerbslosenfürsorge anheimfallen.

Nachdem noch die Herren Reichswehrminister und Reichsarbeitsminister sich dahin geäußert hatten, daß man grundsätzlich Steuernachlaß nicht gewähren dürfe, da man dadurch in eine neue Art Erfüllungspolitik hineingerate und die evtl. späteren Reparationsverhandlungen präjudiziere, beschloß das Kabinett, den Zuckerindustriellen unter der Voraussetzung, daß sie prinzipiell die Verpflichtung zur Leistung der Reparationslieferungen ablehnen, erklären zu lassen, daß die Reichsregierung bereit sei, nach Sanierung der Reichsfinanzen in Anleiheform oder in anderer Art für Leistung an die Besatzungsmächte Ersatz zu leisten.

Fußnoten

1

In der Anlage zu diesem Protokoll befindet sich eine undatierte Aufzeichnung des REMin. über diesen TO-Punkt, in der die folgenden Ausführungen des StS Müller und es REM etwas ausführlicher wiedergegeben werden.

2

Nach diesem Vorschlag des REMin. soll also die Zuckerindustrie des besetzten Gebiets ermächtigt werden, zur Vermeidung weiterer Beschlagnahmungen ein Lieferabkommen mit der Irko abzuschließen. Um den Fabriken die Reparationslieferungen finanziell zu erleichtern, soll das Reich auf die Einziehung der Zuckersteuer im besetzten Gebiet „für eine gewisse Zeit und in gewisser Höhe“ verzichten (nach der Aufzeichnung des REMin., s. Anm. 1).

3

Das bezieht sich auf die Entschädigungszusage des Kabinetts Stresemann gegenüber dem Ruhrkohlenbergbau: Für die Reparationslieferungen, die die Kohlenzechen des besetzten Gebiets auf Grund des Micum-Abkommens vom 23.11.23 ausführen mußten (vgl. Dok. Nr. 9, Anm. 17), wollte die RReg. später, nach Sanierung der Reichsfinanzen, Ersatz leisten. Bis dahin sollten die Zechen berechtigt sein, die Lieferungen an die Micum auf die von ihnen geschuldeten Reichskörperschafts-, Reichsvermögens- und Reichsumsatzsteuern anzurechnen. S. das Schreiben Stresemanns an die Sechserkommission des Bergbaulichen Vereins vom 1.11.23, in: Ursachen und Folgen, Bd. V, Dok. Nr. 1097.

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