2.19.3 (ma11p): [Anlage 3]

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[Anlage 3]

Der Militärbefehlshaber in Thüringen an das Reichswehrministerium.

Weimar, 5. Dezember 1923 [Abschrift]

Im Nachgang zu meiner Fernschreibermeldung vom 4.12.23 abends […]14 habe ich über die derzeitige politische Lage in Thüringen noch folgendes zu berichten:

Die bürgerlichen Parteien im Landtage lehnen die Mitarbeit mit der nach ihrer Ansicht verfassungswidrigen Regierung im Parlament ab15.

Die Bezeichnung der Verfassungswidrigkeit stützt sich auf den § 42 der Landesverfassung, wo es heißt:

„Scheidet ein Mitglied der Landesregierung aus, so hat der Landtag unverzüglich und, wenn er nicht tagt, bei seinem Wiederzusammentritt eine Ersatzwahl vorzunehmen.“

[93] Von seiten der sozialistischen Parteien wird im Gegensatz dazu betont, daß die Regierung nicht verfassungswidrig sei, da eine Ersatzwahl für die fehlenden Minister trotz wiederholter Bemühungen nicht zustande gekommen sei, mithin die bisherige Rumpfregierung verfassungsmäßig sei.

Die Obstruktion der bürgerlichen Parteien muß nun dazu führen, daß entweder die Sozialdemokraten, die zusammen mit den Kommunisten im Landtage eine schwache Mehrheit haben, die Parlamentsverhandlungen weiterführen oder aber der Landtag wegen der Obstruktion der bürgerlichen Parteien arbeitsunfähig bleibt.

Eine Mehrheit bei Abstimmungen kann die derzeitige Regierung nur dadurch erreichen, daß die Kommunisten für die Regierung stimmen, mithin würden Gesetze sowie alle sonstigen gesetzgeberischen Maßnahmen und Anordnungen der Thüringischen Regierung nur mit Unterstützung der kommunistischen Partei durchzubringen sein. Dies aber muß untragbar sein, sowohl für das gesamte Bürgertum des Landes, wie auch für die Reichsregierung, bei der der Grundsatz bestehen wird, daß eine verbotene Partei keinesfalls bei der Gesetzgebung und Verwaltung eines Landes entscheidend beteiligt sein darf.

Ein Rücktritt der Rumpfregierung wegen der Obstruktion der bürgerlichen Parteien und der dadurch hervorgerufenen Lahmlegung der Arbeiten des Landtages scheint nach dem bisherigen Verlauf der Krise nicht wahrscheinlich. Der Ministerpräsident Frölich hat sich am letzten Sonntag [2. 12.] in der Landeskonferenz der VSPD diesbezüglich ausgesprochen. Aber auch der von den Kommunisten als Grundlage für ein Zusammengehen mit der VSPD geforderte Rücktritt der 3 mehrheitssozialistischen Minister Frölich, Hartmann und Hermann wurde von der VSPD abgelehnt.

Eine Selbstauflösung des Landtages, dadurch Anberaumung von Neuwahlen, Rücktritt der bisherigen Regierung unter Fortführung der Geschäfte bis zum Amtsantritt ihrer Nachfolger erscheint ebenfalls unwahrscheinlich. Nach den bisherigen Nachrichten scheint die VSPD und KPD einer Selbstauflösung des Landtages nur zustimmen zu wollen, wenn, entgegen den bisherigen gesetzlichen Bestimmungen, den Abgeordneten die Diäten, Freifahrkarten und vor allem die Immunität bis zum Wiederzusammentritt des neu gewählten Landtages gewährt würden.

Selbst aber in einem solchen Falle wäre nach meinem Dafürhalten ein Weiterverbleiben der bisherigen Regierung im Amte sehr bedenklich, denn das nunmehrige reine Geschäftsministerium hätte sowohl die Neuwahlen auszuschreiben als auch bis zum Amtsantritt der durch den neuen Landtag gewählten nächsten Regierung die Staatsgeschäfte verantwortlich zu führen. Es liegt auf der Hand, daß die derzeitige Regierung in einem solchen Falle, ungehindert durch das Aufsichtsrecht des Landtages, mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln die Vorbereitung der Wahlen in ihrem (sozialistischen) Sinne betreiben, wie auch die Verwaltung des Landes und insbesondere ihre verheerende Personalpolitik in sozialistischem und sozialistisch-kommunistischem Sinne fortführen würde.

Aus obigen Darlegungen erhellt mit aller Schärfe der vollkommen verfahrene, für die geordnete Weiterführung der Verwaltung des Landes unmögliche[94] und für die Bevölkerung Thüringens wie auch m. E. für die Reichsregierung untragbare Zustand.

Diesen untragbaren Zustand möchte ich durch Zusammenfassung meiner bisherigen in dieser Angelegenheit vorgelegten Berichte und Meldungen nochmals kurz beleuchten.

Diese Regierung ist nur äußerlich staatstreu. Sie muß sich in der Folgezeit, wie schon ausgeführt, auf die Kommunisten stützen, um eine Mehrheit zu erhalten. Die Verhältnisse im Landtage sind: 26 Bürgerliche, 22 Sozialdemokraten, 6 Kommunisten, zusammen 54 Abgeordnete. Die absolute Mehrheit sind also 28 Stimmen, die Sozialdemokraten und Kommunisten zusammen aufbringen. Die Landeskonferenz der VSPD am letzten Sonntag [2. 12.] hat auch Streiflichter auf das Bestreben der Sozialdemokraten geworfen, den Anschluß an die Kommunisten ja nicht zu verlieren. Es ist in diesem Zusammenhange durchaus möglich, daß die thüringische Sozialdemokratie den Weg der sächsischen Sozialdemokratie geht, zu dem diese in ihrem Landesparteitage vom 4. 12. sich bekannt hat: Wird die sozialistische Minderheiten-Regierung gestürzt, so muß versucht werden, mit den Kommunisten zu einer gemeinsamen Regierungsform zu kommen.

Wie in Sachsen so ist auch in Thüringen die VSPD radikaler eingestellt als in den übrigen Teilen des Reiches. Ihr starker linker Flügel steht als frühere USPD den Kommunisten schon sehr nahe.

Die Finanzen des Landes sind trostlos. Der Haushalt von 1922 ist noch nicht verabschiedet. Dem Vernehmen nach will die Regierung durch Verpfänden von Staatsbesitz neue Anleihen aufnehmen. Dadurch wird das Land noch weiter in eine unerträgliche Schuldenlast gestürzt. Das hindert aber nicht, daß in Ministerien, vor allem im Volksbildungsministerium, eine Überzahl von Beamten sitzen, für die nach meinem Dafürhalten bei zehnstündiger Arbeitszeit der Beamten und Durchführung des Beamtenabbau-Gesetzes keinerlei Platz mehr ist. Zahlreiche, der KPD angehörende oder mit dieser offen oder versteckt sympathisierende Gemeindevorsteher und Lehrer sind bis zum heutigen Tage noch in ihren Stellungen. Diese Durchsetzung gerade des unteren und mittleren Beamten- und Lehrkörpers mit klassenbewußten Sozialdemokraten und mit Kommunisten ist in Thüringen mit einer Energie und Zielsicherheit durchgeführt worden, die bemerkenswert ist. Nach meinen Erfahrungen der letzten 4 Wochen ist ein großer Teil der Volksschullehrer und auch ein nicht unwesentlicher Teil der Lehrer an den höheren Lehranstalten, also derjenigen Persönlichkeiten, die die Jugend und damit die Zukunft dieses Landes in ihren Händen haben, linkssozialistisch bezw. kommunistisch eingestellt. Hier wirkt am unheilvollsten für die gesamte kulturelle Lage und Fortentwicklung des Landes der Minister für Volksbildung Greil (USPD), der in seinen fanatischen Schulreformbestrebungen nach Ansicht vieler Sachverständiger viel schädlicher ist als die Kommunisten selbst. Dieser Mann ist ein Krebsschaden für das Land. Die Knebelung der Universität Jena geht ohne Aufenthalt weiter. Im Zusammenhang mit den Berufungen an die Universität, die in letzter Zeit mehrfach gegen die Vorschläge und Bedenken der betr. Fakultäten erfolgt sind, hat das Thür. Ministerium angeordnet, daß bis auf weiteres alle amtlichen[95] Schreiben des Rektors, der Dekane, der Fakultäten und Senate, die sich nicht auf den inneren Verkehr der Universität beschränken, vor ihrer Herausgabe dem Ministerium vorzulegen sind. Diese Vorzensur bedeutet eine Knebelung der freien Meinungsäußerung der Universität.

In der Hauptsache werden in leitende Schulstellen nur auswärtige Kräfte berufen. In den letzten 2 Jahren wurden die Direktorate von 10 höheren Schulen, z. T. durch gewaltsame Entfernung der rechtmäßigen Inhaber, erledigt. Beförderungen unter Übergehung bewährter alter Lehrer sind an der Tagesordnung. Am 1. Oktober wurden 5 Herren und 1 Dame, alle von auswärts, als Oberschulräte nach Thüringen berufen. Sie sind alle Parteigänger des Ministers. Für Rudolstadt ist ein Studienrat aus Suhl vorgesehen, der dort kommunistische Propaganda vergeblich als Denkübungen entschuldigen wollte. Am Seminar in Weimar wurde ein ganz junger, aus Württemberg herangeholter Lehrer ein Jahr nach der Assessorprüfung Oberstudienrat, ebenso junge Kommunisten am Realgymnasium in Weimar und am Seminar in Gotha. Zahlreiche Lehrer sind von mir in Schutzhaft gesetzt worden, weil sie sich in führenden Stellungen der verbotenen proletarischen Hundertschaften betätigt haben. Die oben erwähnten 5 neuen Oberschulräte sollen unwiderruflich angestellt worden sein, obwohl ihre Stellen im Haushaltsplan noch gar nicht bewilligt sind.

Die Bedrückung der Kirche, besonders der evangelischen Landeskirche, ist eine naturgemäße Folge der politischen Einstellung der Regierung. Man hat den evangelischen Eltern die Möglichkeit genommen, am Reformationsfest und am Bußtage zusammen mit ihren Kindern den Gottesdienst zu besuchen. Die Nicht-Freigabe am Vormittage des Reformationstages hat größte Erbitterung in der Bevölkerung hervorgerufen und zu zahlreichen Zusammenstößen zwischen den Eltern und der Schulverwaltung geführt. Kinder, die am Reformationsfeste von ihren Eltern mit in die Kirche genommen worden waren und dadurch der Schule fernblieben, werden mit Wirkung zu Ostern 1924 der Schule verwiesen werden. Am Bußtage bedurfte es meines, von der evangelischen Bevölkerung mit größter Freude begrüßten Eingreifens, um den evangelischen Kreisen die ihnen gemäß Artikel 135 der Reichsverfassung gewährleistete ungestörte Religionsübung zu ermöglichen. Nach Mitteilung aus kirchlichen Kreisen wird der evangelischen Landeskirche in Thüringen von staatswegen ein Zuschuß in derselben Höhe wie vor dem Kriege, nämlich 1–2 Millionen Mark, gewährt, nur nicht aufgewertet, sondern in Papiermark. Die evangelische Landeskirche betrachtet dieses mit vollem Recht als eine Verhöhnung.

Auch eine unabhängige Rechtspflege erscheint unter der bisherigen Regierung nicht gesichert. Der Justizminister Korsch hatte angeordnet, daß sämtliche politischen Prozesse in der Hand eines Staatsanwaltes vereinigt würden, der von ihm besonders hierzu ausgesucht war und über jede Anzeige sofort zu berichten hatte. Viele politische Prozesse, die sich gegen Kommunisten richteten, sind auf diese Weise verhindert oder aufgehalten worden. Prozesse, die terroristische Ausschreitungen von Kommunisten gegen Angehörige der bürgerlichen Parteien zum Gegenstande hatten, sind nicht zur Aburteilung gelangt.

Auch die Durchsetzung der Exekutivorgane: Landespolizei, Kriminalpolizei,[96] hier besonders die politische Polizei, und der Gendarmerie mit sozialistischen Elementen, die nach den Erfahrungen der letzten Wochen zu einem beträchtlichen Teile linksradikal eingestellt sind, hat große Fortschritte gemacht. Daraus erklärt sich auch das bis zum Einrücken der Reichswehr beinahe passiv zu nennende Verhalten dieser Organe den linksradikalen Elementen, besonders ihren Kampforganisationen: den nun verbotenen proletarischen Hundertschaften, gegenüber.

Das Bestreben des Militärbefehlshabers, durch Eingriff in diese Zustände die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung im Freistaate Thüringen sicherzustellen, muß Stückwerk bleiben und nach Abzug der Reichswehr sich in das Gegenteil verkehren, wenn nicht das ganze derzeitige Regierungssystem grundlegend geändert wird. Diese grundlegende Änderung kann ich nur darin erblicken, daß durch Neuwahlen, die von der Reichswehr in Vorbereitung und Durchführung gesichert werden, die bürgerliche Mehrheit der Bevölkerung die ihr zustehende Regierung erhält.

Eine Vorbedingung hierfür erscheint mir, wie schon in meinem letzten Berichte ausgeführt: Eingriff der Reichsregierung, Auflösung des Landtages, Einsetzen eines Reichskommissars, der die Regierungsgeschäfte bis zur Beendigung der Neuwahlen und bis zum Einsetzen der von dem neuen Landtage zu wählenden Staatsregierung führt.

Von den bereits am 28.11.23 durch die Vertreter der hiesigen bürgerlichen Parteien des Thür. Landtages sowie durch mich vorgeschlagenen Anwärtern für den Posten des Reichskommissars ist m. E. Herr Dr. Sattler die geeignete Persönlichkeit.

Der Militärbefehlshaber in Thüringen:

gez. Hasse

Generalleutnant

und Kommandeur der 3. Kavallerie-Division.

Fußnoten

14

Nicht ermittelt.

15

Vgl. Anlage 2.

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