2.13 (ma11p): Nr. 13 Das Reichsbank-Direktorium an den Reichskanzler. 7. Dezember 1923

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Nr. 13
Das Reichsbank-Direktorium an den Reichskanzler. 7. Dezember 19231

R 43 I /190 , Bl. 137-146

Betr. Rheinisches Notgeld.

Durch die Rentenbankverordnung2 ist vom 15. November d. Js. ab die Reichsbank in die Lage versetzt worden, die im allgemeinen Volksinteresse dringendste und unaufschiebbare Aufgabe der Währungsreform in Angriff zu nehmen. Durch Beendigung der Inanspruchnahme der Reichsbank seitens des Reiches ist die Hauptinflationsquelle verstopft worden. Die Reichsbank erhält ein Aktivum, wodurch sie in die Lage versetzt wird, durch Hereinnahme von Papiergeld gegen Ausgabe von Rentenmark den Notenumlauf zu verengern und den inneren Wert der Reichsbanknote zu festigen.

Dieses wichtigste Ziel kann nur dann mit einiger Aussicht auf Erfolg angestrebt werden, wenn gleichzeitig auch die übrigen vorhandenen Inflationsquellen verstopft werden. Soweit hierbei die Maßnahmen auf dem Gebiete der Kreditgewährung an die Privatwirtschaft in Betracht kommen, sollen sie hier nicht erörtert werden. Die größte Gefahr bei der Durchführung des Stabilisierungsprogramms der Reichsbank bildet jedoch das Notgeld.

Entstanden ist das Notgeld in seinen ersten Anfängen mit Rücksicht auf vorübergehende erhebliche Schwierigkeiten in der Zahlungsmittelversorgung. Indessen ist dieser Gesichtspunkt völlig verschwunden; anstelle des Bedarfs an Umlaufsmitteln trat der direkte Kreditbedarf. Das Notgeld hat sich rasch ausgebildet zu einem Mittel, um den Kommunen, öffentlichen Körperschaften, aber auch Privaten unmittelbar durch die Notenpresse billiges Geld zu verschaffen. Das Reichsfinanzministerium hat zwar versucht, diese Bewegung in vernünftigen Bahnen zu halten und zu kontrollieren und insbesondere die Emittenten zur Beschaffung einer Deckung zu veranlassen. Diese Bemühungen des Finanzministeriums sind aber zum allergrößten Teil erfolglos geblieben. Gegenüber einem Betrag von etwa 4,7 Trillionen Mark, den das Reichsfinanzministerium[66] für das gesamte Reich (besetztes und unbesetztes Gebiet) genehmigt hat und für den die vorgeschriebene Deckung vorhanden sein dürfte, sind Hunderte von Trillionen sogenannten wilden Notgeldes in Deutschland in Umlauf gesetzt worden, für die es nicht nur an der nötigen Deckung, sondern auch an jeder Kontrolle und Übersicht fehlt. Diese Inflation ist auch heute noch nicht zum Stillstand gekommen.

Die Reichsbank hat zunächst das Notgeld in Zahlung genommen, in der Annahme, daß die Ausgabe dieses Notgeldes sich in den vom Finanzministerium genehmigten Richtlinien und Grenzen halten würde. Eine Verpflichtung zur Annahme ist die Reichsbank niemals eingegangen. Befürchtungen über ein bedrohliches Anschwellen der Notgeldinflation sind immer mehr aufgetaucht. Über die ganze Riesengröße der Gefahr haben eigentlich erst die Verhandlungen der letzten Tage mit Vertretern rheinischer Städte uns die Augen geöffnet. Die Vertreter dieser Städte konnten über die Höhe des ausgegebenen Notgeldes keinerlei ziffernmäßige Unterlagen geben, ihre Angaben bewegten sich nur in vagen Schätzungen. Sie gingen davon aus, daß das ausgegebene Notgeld etwa 15 bis 20 Billionen Mark auf den Kopf der Bevölkerung in den besetzten Gebieten betragen würde. Eine Ausgabe von 20 Billionen pro Kopf würde bei einer Bevölkerung von 12 Millionen 240 Trillionen ausmachen. Genannt wurde die Ziffer von 180 Trillionen Mark, wobei jedoch die Möglichkeit zugegeben wurde, daß diese Ziffer schon allein durch das Notgeld der Kommunen und der Landesbank erreicht würde. Um zu ermessen, was diese Ziffer bedeutet, muß man sich vergegenwärtigen, daß sie der Höhe der gesamten schwebenden Reichsschuld nahezu gleichkommt, und ferner, daß sie fast doppelt so hoch ist, als der gesamte Umlauf an Reichsbanknoten am 15. November war, und aller Wahrscheinlichkeit nach erheblich höher, als der gesamte gegenwärtige Notenumlauf ist. Es konnte für die Reichsbank keinen Augenblick ein Zweifel darüber bestehen, daß bei Inangriffnahme der Währungsreform die Reichsbank sich gegen die weitere Überschwemmung mit Notgeld unter allen Umständen abschließen mußte. Denn solange sie das Notgeld annahm, sei es bei Abdeckungen von Verpflichtungen an die Reichsbank, sei es auch zur Begründung von Giroguthaben, war an eine Verminderung des Notenumlaufs nicht zu denken; im Gegenteil mußte der Notenumlauf in unabsehbarer Weise annähernd in dem Verhältnis anschwellen, wie sich das Notgeld in ihre Kassen ergoß. Es haben über diese Fragen auch mit verschiedenen Ressorts Besprechungen wiederholt stattgefunden, wobei die Notwendigkeit unserer Maßnahme anerkannt worden ist.

Die Einstellung der Annahme des Notgeldes im unbesetzten Gebiet datiert vom 22. November. Für das besetzte Gebiet haben wir die Frist noch etwas erstreckt, und zwar schließlich bis zum 1. Dezember. Wir bemerken, daß in einer Chefbesprechung vom 23. November d. Js. die Ressorts sich auch ihrerseits auf den Standpunkt der Reichsbank gestellt haben. Der Herr Währungskommissar hat vor wenigen Tagen insofern uns gegenüber eine abweichende Stellung eingenommen, als er uns erklärt hat, daß er zwar unsere Maßnahme bezüglich der Abstoppung der Notgeldannahme für unumgänglich notwendig halte, das Entgegenkommen jedoch, das in der Fristerstreckung gegenüber den besetzten[67] Gebieten lag, bereits nach seiner Ansicht zu weitgehend sei. Wir haben während der letzten Wochen über diese Frage mit Vertretern der besetzten Gebiete wiederholt Verhandlungen gepflogen. Vertreter der großen Städte des besetzten Gebietes sind nun neuerdings an uns herangetreten mit dem Wunsch, unsere Verfügung rückgängig zu machen und aufs neue das Notgeld bei uns anzunehmen. Hierbei wurden verschiedene Vorschläge gemacht, um die in den Kassen der Reichsbank sich ansammelnden Bestände zu vermindern. Demgegenüber war zu bedenken, daß es kaum einen Weg gibt, zu verhindern, daß das von dritter Seite bei uns eingehende Notgeld im Girowege nach dem unbesetzten Gebiet überwiesen und hier in Reichsbanknoten abgehoben wird, ein Verfahren, das in großem Umfang angewandt worden ist. Die so mittels Notgeldes erlangten Banknoten wurden dann gewöhnlich zu Importzwecken oder zur Devisenbeschaffung verwandt. Es ist in allgemeiner Erinnerung, welche verhängnisvolle Rolle bei der katastrophalen Kursentwicklung der vergangenen Wochen gerade der in keinem Verhältnis zu dem Gesamtbedarf stehende fortdauernde Devisenbedarf der besetzten Gebiete gespielt hat. Diese Devisenbeschaffung ist zum großen Teil durch das hier geschilderte Verfahren mittels Notgeldes auf dem Rücken der Reichsbank finanziert worden. Zur Illustration möge dienen, daß in Holland ganze Pakete von Reichsbanknoten auf den Markt gelangten, die trotz des Markausfuhrverbotes aus dem besetzten Gebiet über die Grenze gebracht waren.

Das geschilderte Verfahren hat dazu geführt, daß die besetzten Gebiete von Reichsbanknoten nahezu entblößt wurden und der Notgeldumlauf alles übrige bei weitem überwog. Dabei kann von einer Knappheit in der Versorgung unserer Anstalten mit Zahlungsmitteln längst nicht mehr die Rede sein. Die Tresore unserer dortigen Anstalten sind mit Notenbeständen gefüllt. Die Zahlungsmittelversorgung ist von uns mehr als ausreichend gewährleistet. Was wir aber nicht gewährleisten können und dürfen, ist die bisher vom Reich getragene und jetzt auch für das Reich nicht mehr tragbare Finanzierung der Kommunen und der Wirtschaft der besetzten Gebite durch ungedeckte Kredite. An dieser Frage ist das Reich und die Reichsbank nahezu völlig zusammengebrochen. Bei Inangriffnahme der Festigung unserer Währung mußte die Fortsetzung dieses Systems auch den Kommunen des besetzten Gebietes gegenüber aufgegeben werden.

Nach eingehenden Beratungen und sorgfältiger Prüfung des Für und Wider haben wir einstimmig beschlossen, aus zwingenden Gründen an unserem Standpunkt festzuhalten. Dieser Beschluß findet seine Begründung in den oben dargelegten währungspolitischen Gesichtspunkten. Wir finden uns einer Flut von Inflationsgeld gegenüber, die unseren Notenumlauf im ganzen Reich vermutlich erheblich übersteigt. Nehmen wir dieses ungedeckte Notgeld an unseren Kassen auf, so wächst unser Umlauf an eigenen Noten durch diese Inflation unermeßlich. Diese Reichsbanknoten finden alsdann ihre Deckung in Notgeld, das selbst jeder ausreichenden Deckung entbehrt. Während der letzten Übergangszeit haben wir leider bereits gegen 35 Trillionen solchen Geldes aufnehmen müssen. Dem mußte jetzt Einhalt geboten werden. Wir können nur wiederholen, daß alle unsere Anstrengungen, jetzt zu einer Stabilisierung der Mark[68] zu gelangen, zu einem völligen Scheitern verurteilt bleiben müßten und auch die zur Rettung unserer Währung erfolgte Gründung der Rentenbank vergeblich bleiben würde, wenn die unabsehbare Welle der Notgeldinflation sich weiter in unsere Kassen im besetzten Gebiet ergießen sollte. Dabei kam jedoch auch noch folgendes in Betracht, was wir den Vertretern der genannten Städte eingehend dargelegt haben:

1. Trotz unserer wiederholten Anforderung, uns Unterlagen über das Maß des jetzt im Umlauf befindlichen Notgeldes zu bringen, konnten uns diese nicht gegeben werden. Wir haben keinen Maßstab für die Beurteilung der Höhe dieses Notgeldes als ganz vage Schätzungen, und zwar Schätzungen von einer Seite, die das dringendste Interesse hat, niedrige Zahlen anzugeben. Es liegt auf der Hand, daß eine solche willkürlich gegriffene Ziffer von 15 bis 20 Billionen pro Kopf der Bevölkerung so gut wie wertlos ist.

2. Unsere Frage, ob die Notgeldemission nunmehr stillgelegt werden könne, wurde verneint. Es wurde ausdrücklich betont, daß die Notgeldemission fortgehen müsse bis zu der in einigen Monaten zu erwartenden Schaffung eines zentralen wertbeständigen Notgeldes für die besetzten Gebiete und dem dann einsetzenden Umtausch des alten Notgeldes3. Es wird von den beteiligten Kommunen betont, daß sie auch weiterhin ihren Geldbedarf ohne die Notenpresse nicht decken können. Welche Summen an neuem Notgeld während der nächsten Monate noch in Verkehr gesetzt werden können, läßt sich überhaupt nicht auch nur schätzungsweise beurteilen. Wir sind aber davon in Kenntnis gesetzt worden, daß selbst im Falle einer Stillegung des Druckes die Städte großenteils noch ungeheuere Reserven an bereits gedrucktem, noch nicht emittiertem Notgeld haben. Es wurde uns z. B. angegeben, daß die Stadt Düsseldorf 8,7 Trillionen Notgeld bereits ausgegeben habe und über eine Reserve an gedruckten, aber noch nicht emittierten Scheinen im Werte von 48 Trillionen verfüge. Es liegt auf der Hand, daß es gänzlich ausgeschlossen ist, einer solchen immer noch wachsenden Notgeldflut gegenüber ein Programm der Stabilisierung der Reichsbanknote durchzuführen.

Endlich war zu bedenken, daß das ungedeckt und unkontrollierbar ausgegebene Notgeld an sich in seinem inneren Wert ein Disagio gegenüber dem ordentlichen Währungsgeld aufweisen müßte, das bei Annahme zu pari durch die Reichsbank verschleiert würde. Der Erfolg müßte aber sein, daß für das gesamte deutsche Währungsgeld, das einen im Verhältnis zum Notenumlauf der Reichsbank riesenmäßigen Umlauf an ungedecktem Notgeld in sich aufnimmt, das Wert- und Kursniveau sich entsprechend senkt. An dieser Verschlechterung unseres gesamten Geldes würde dann die gesamte deutsche Wirtschaft einschließlich der besetzten Gebiete zu leiden haben. Wir handeln im gebieterischen Interesse unserer Gesamtwirtschaft, wenn wir zumal jetzt, wo eine gewisse Stabilisierung der Kurse sich angebahnt hat, uns der hier drohenden weiteren Inflation größten Stiles und der damit notwendig verbundenen weiteren Geldentwertung mit allen Mitteln widersetzen. Es liegt auf der Hand, daß mit der Stabilisierung der Auslandskurse auch der jetzt soeben sich anbahnende[69] Preisabbau durch die Aufgabe unseres Standpunktes mit einem Schlage wieder völlig in Frage gestellt würde. Wir möchten auf die allgemein wirtschaftlichen und politischen Folgen, die das nach sich ziehen würde, mit allem Nachdruck hinweisen.

Wir haben über die Verhältnisse, wie sie sich seit dem 1. Dezember bei Verweigerung der Notgeldannahme bei der Reichsbank herausgestellt haben, fortlaufend uns von den hauptbeteiligten Bankanstalten telefonisch berichten lassen. Es hat sich dabei ergeben, daß bis jetzt so gut wie keine nennenswerten Schwierigkeiten zutage getreten sind. Die zunächst gegen uns erhobenen Drohungen der gewaltsamen Schließung von Bankanstalten durch die Besatzungsmächte haben sich nicht verwirklicht. Wir haben die Bankanstalten auch davon verständigt, daß nach der Notgeldverordnung der Rheinlandkommission4 ausdrücklich niemand als die Emittenten selbst zur Annahme des Notgeldes verpflichtet ist. Aus einem Schreiben des Oberbürgermeisters einer größeren Stadt des besetzten Gebietes ist uns bekannt geworden, daß die Vertreter der französischen, belgischen und englischen Regierung in der Rheinlandkommission diesen Standpunkt auch in der allerletzten Zeit ausdrücklich anerkannt haben. Im höchsten Maße befremden muß es dabei, daß der stellvertretende Oberbürgermeister von Düsseldorf, wie aus einem uns zugegangenen Schreiben vom 24. November sich klar ergibt, in seinem Ankämpfen gegen unsere Verfügung es für richtig befunden hat, gegen die Reichsbank die französische Besatzungsbehörde anzurufen und diese auf „das unbegreifliche Vorgehen“ der Reichsbank glaubte aufmerksam machen zu müssen. Es bleibt bedauerlich, daß deutsche Städte die Besatzungsmächte gegen eine deutsche Behörde mobil zu machen versuchen. Endlich wollen wir noch bemerken, daß nach einer heute uns zugegangenen Nachricht in Köln mit der englischen Besatzungsbehörde eingehende Verhandlungen über die Notgeldfrage stattgefunden haben, wobei seitens des englischen Befehlshabers unser Vorgehen als völlig korrekt ausdrücklich anerkannt worden ist.

Reichsbank-Direktorium

v. Glasenapp

Kauffmann

Fußnoten

1

Die Rkei sendet Abschriften an den RFM und den RWährungskom.

2

vom 15.10.23 (RGBl. I, S. 963 ).

3

Vgl. Dok. Nr. 11, Anm. 3.

4

Ordonnanz Nr. 212 vom 20.9.23 betr. Regelung der Notgeldausgabe in den besetzten Gebieten, in: Das Rheinlandabkommen und die Ordonnanzen der Interall. Rheinlandkommission in Koblenz, Berlin 1924.

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