2.52 (ma11p): Nr. 52 Der Vorsitzende des Verbandes der Stadt- und Landkreise des besetzten Gebiets, Adenauer, an den Reichskanzler. Köln, 8. Januar 1924

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[209] Nr. 52
Der Vorsitzende des Verbandes der Stadt- und Landkreise des besetzten Gebiets, Adenauer, an den Reichskanzler. Köln, 8. Januar 1924

R 43 I /191 , Bl. 54-56

[Wertbeständiges Notgeld, Rheinische Goldnotenbank, Umsatzsteuer, Besatzungskosten]

In Anbetracht der bedrohlichen finanziellen Lage der Gemeinden des besetzten Gebiets hat der Vorstand des Verbandes der Stadt- und Landkreise des besetzten Gebiets in seiner gestrigen Sitzung einstimmig beschlossen, der Reichsregierung nachstehende dringende Wünsche zu unterbreiten.

I. Bei den Verhandlungen über die Genehmigung eines wertbeständigen Notgeldes für das besetzte Gebiet durch die Rheinlandkommission ist den Beauftragten des Verbandes der Stadt- und Landkreise zu verstehen gegeben worden, daß die Rheinlandkommission die Ausgabe des wertbeständigen Notgeldes erst genehmigen werde, nachdem das Reich seinerseits die Goldnotenbank für das besetzte Gebiet genehmigt habe. Die Ausgabe des wertbeständigen Notgeldes ist zur Zeit für die Gemeinden des besetzten Gebiets die einzige Möglichkeit, Kredit zu erhalten und so wenigstens für die nächsten Monate über ihre finanziellen Schwierigkeiten hinwegzukommen. Die Verweigerung der Genehmigung des wertbeständigen Notgeldes trifft die Kreise und Stadtgemeinden um so härter, als sie auf die Ausgabe des wertbeständigen Notgeldes zu Anfang Januar fest gerechnet und ihre Dispositionen entsprechend getroffen hatten1.

Der Verband der Stadt- und Landkreise bittet daher die Reichsregierung dringend, falls der Genehmigung der Goldnotenbank keine grundsätzlichen Bedenken entgegenstehen, diese nach Möglichkeit zu beschleunigen und dabei im Wege der Verhandlungen auf die sofortige Genehmigung des wertbeständigen Notgeldes durch die Rheinlandkommission hinzuarbeiten.

Für den Fall, daß die Reichsregierung glaubt, die Goldnotenbank nicht genehmigen zu können, und so auch die Ausgabe des wertbeständigen Notgeldes für die besetzten Gebiete unmöglich wird, bittet der Verband der Stadt- und Landkreise, den Gemeinden des besetzten Gebiets unverzüglich Mittel zur Behebung ihrer finanziellen Schwierigkeiten für die nächsten Monate zur Verfügung zu stellen.

II. Zeitungsmeldungen zufolge hat der Fünfzehnerausschuß des Reichstages die Verordnung der Reichsregierung über die Genehmigung eines Zuschlages zur Umsatzsteuer von ½ v.H. für die Gemeinden des besetzten Gebiets2 abgelehnt. Der Verband der Stadt- und Landkreise bittet die Reichsregierung[210] unter Bezugnahme auf die früheren Verhandlungen dringend, an der Verordnung festzuhalten und auch keiner Änderung ihre Zustimmung zu geben.

III. Mit großer Besorgnis hat der Vorstand von den erneut auftretenden Bestrebungen, die Reichsregierung zur Einstellung der Zahlungen für die Besatzungskosten zu veranlassen, Kenntnis genommen. Der Vorstand gestattet sich, die Reichsregierung mit allem Ernst auf die verhängnisvollen Folgen eines solchen Schrittes hinzuweisen. Da die Gemeinden gänzlich außerstande sind, Zahlungen für die Besatzungskosten an die Bevölkerung und an die Besatzungsmächte zu leisten, so ist mit Bestimmtheit damit zu rechnen, daß die Besatzungsbehörden wieder wie zur Zeit des passiven Widerstandes mit Gewaltmaßnahmen aller Art gegen Gemeinden und Private vorgehen werden.

Vorstand und Mitglieder des Verbandes sind sich darin einig, daß für das besetzte Gebiet, falls es soweit kommen sollte, das Schlimmste zu befürchten ist. Es ist zu bedenken, daß die Widerstandskraft der Bevölkerung des besetzten Gebiets durch die jahrelang ertragenen Bedrückungen zermürbt ist. Auch muß damit gerechnet werden, daß seitens der Beamtenschaft gegen Gewaltmaßnahmen der Besatzung nicht mehr der gleiche Widerstand wie vordem geleistet wird. Dazu kommt, daß die seit einiger Zeit an Ober- und Niederrhein zur Ruhe gekommene Separatistenbewegung wieder aufzuflammen droht. Einwandfreie Beobachtungen in verschiedenen Teilen des besetzten Gebiets lassen erkennen, daß die Separatisten im Einverständnis mit Besatzungsbehörden die Zeit für ein erneutes Losschlagen gekommen erachten. Alles in allem genommen ist nach übereinstimmender Ansicht der Vorstandsmitglieder die Lage derart, daß bei einer Einstellung der Zahlungen für die Besatzungskosten im gegenwärtigen Augenblick alles auf dem Spiele steht.

Der Verband der Stadt- und Landkreise weist daher mit allem Nachdruck die Reichsregierung auf die Gefahr der Lage hin und bittet dringend, von einem Schritte abzusehen, der notwendig die schwersten Folgen nach sich ziehen müßte.

Adenauer

Fußnoten

1

Vgl. Dok. Nr. 11, Anm. 3.

2

S. Dok. Nr. 33, P. 4.

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